Donnerstag, 29. November 2012

Die Bond-Retro; geschüttelt, nicht gerührt #8


»CASINO ROYALE«
(GB, USA, D, CZ 2006; Regie: Martin Campbell)

Unleserlich viel ist über "Casino Royale" geschrieben wurden, darüber, dass mit Einzug Daniel Craigs gleichzeitig das animalisch Ungestüme und das draufgängerisch Rustikale seit Sean Connery und Timothy Dalton ein Comeback feiere, darüber dass dieses Comeback insbesondere eine seit Jahrzehnten in beständiger Regelmäßigkeit durchgewrungene und sukzessive debilere Filmreihe genauso entschlacke wie vielschichtiger den heutigen globalen Herausforderungen verzahne. Und "Casino Royale" ist, aller Liebe zu Connery, Moore und Dalton zum Trotz, jener Bond-Film, der die glitzernste Oberfläche poliert, unter der sich aber auch unwiderlegbar ein inhaltsreiches Pensum an Kraft, Tiefenschärfe und Gerissenheit verbirgt. So narrativ ausgeklügelt, so pathetisch Bond an die Entmystifizierung herangeführt wird, so folgerichtig, so gewandt geschrieben ist sein tragischer Werdegang zur mystischen Doppelnull, der ihn auf schmerzhafte Weise an seine existenzielle Verletzlichkeit erinnert, bis die Doppelnull mit einer Sieben ergänzt wird und Bond von nun an leibhaftig Bond sein darf. Artistisch im körperlichen Action-Szenenaufbau, erzählt "Casino Royale" in seinen meisten körperlosen Augenblicken eine heißblütige Kammerspielgeburtsprozedur ausschließlich über Gesichter, über verschwitzte, über verschmitzte, über die Gesichter mit Leberflecken, Abnormitäten und jenen, die undurchdringbar scheinen, über die grinsenden Gesichter und die lächelnden, lauernden, blutigen. Wenn sich ein Gesicht auf das andere lautlos konzentriert, dann ist das ein beunruhigender Ausdruck von Poesie.


»EIN QUANTUM TROST«
»QUANTUM OF SOLACE«
(GB, USA 2008; Regie: Marc Forster)
 
Jedes Gefühl erwürgt sich selbst, jede Emotion schnappt nach Luft, die Intimität der Figurenpsychologie zerfällt in bedeutungslose Fragmente, die es zulassen, dass sich nur noch die Überreste einer abgewürgten Bewusstseinsregung zu einem Schutthaufen ballen. "Ein Quantum Trost" schaut ständig auf die Omega-Armbanduhr, hat partout keine Zeit, prescht voran, neben sich und der Spur. Bond rennt, schlägt, schießt, klettert, springt, reflektiert, Kopf nach unten, akzeptiert, Kopf nach oben. 100 Minuten lang, 100 Minuten kurz. 100 Minuten voller hochenergetischer Aktion, die Hälfte ein abstoßendes Plagiat des "Bourne Ultimatums", zerschnitten, auseinandergerissen, kaputtzerkleinert, und dessen Seele gleich mit – "ein Film mit aufdringlichem Geschmack, der an seiner eigenen Koketterie für alle Mitmenschen zur Belästigung wird." Das waren meine Worte zu Ridley Scotts "Hannibal", das sind meine Worte zu Marc Forsters unkenntlich rebellisch-stilisiertem "Ein Quantum Trost", der – Ironie hin oder her – den innigsten Bond-Film mit dem ästhetisch quadratischsten, dem emotional klobigsten und vor allem dem verbeultesten fortsetzt. So dramaturgisch verbeult wie der Aston Martin am Ende einer Autoverfolgung. Zum Weinen, zum Lachen, zum freundschaftlichen Austausch: keine Zeit, keine Zeit zu nichts, nur Zeit fürs Rudiment, für die Zuckungen, für das Posen; insbesondere für einen Daniel Craig, der seine Tom-Ford-Anzüge in die Kamera wedelt. Ein Maxum Trostlosigkeit.      


  »SKYFALL«
(GB, USA 2012; Regie: Sam Mendes

Ziemlich genau die zweite Hälfte ist es endlich, an der Christopher Nolan keinen Einfluss mehr zu haben scheint, seine festgekrallten Finger öffnen sich und "Skyfall" bremst die dahinratternde inhaltliche Scheinbedeutsamkeit der ersten, etwas drucklosen und totgequatschten ersten Hälfte ohne einen erschlagenden Moment, ohne ein Bond-Girl, das nicht steif lächelnd im Weg steht. Wenn Javier Bardem allerdings irgendwann den Film an sich reißt, über seine fratzenhaften Gesichtslandschaften – dies geschieht mit einer Mixtur aus bisexueller Heiterkeit und zappeliger Bockigkeit –, dann jedoch überwiegt ein Subtext, der auf eine penibel ausgearbeitete Bildebene trifft. Und es ist auch die hypnotische Bildebene, die sich irgendwann vollständig in jene Einheiten aufspaltet, die Daniel Kleinman im organisch-blutigen Vorspann kontrastiert: Das innerfamiliäre Finale gerinnt zum unsichtbaren, zum versteckten Ringkampf der Silhouetten und der Schatten um die Mutter der Betrogenen, der altmodischen und der hochmodernen Zeit, der Bond-Vergangenheit, der Bond-Zukunft und deren Bedeutung im Weltzusammenhang. Es sind die Figurenlichter, die ins Schwarz gestoßen werden, kein transparent-fluoreszierendes Farbenmeer, nur ein lichterloher Hintergrund; Schwarz vor Rot, ein Ringkampf in der Hölle. Der Sieger? Das Messer. Der Verlierer? Der Computer. Die Vergangenheit, nicht die Zukunft. Bond fliegt wieder in die Vergangenheit, obwohl er sich nicht gegen die Psychoanalyse wehren konnte. Nach 50 Jahren.

Gesamtwertungen: 7 | 10     3 | 10     6 | 10          

Dienstag, 27. November 2012

"Shining" / "The Shining" [GB 1980]

Dadurch, dass ich die literarische Vorlage in- und auswendig kenne und die Unterschiede beider Medien beträchtlich, sprich: hochinteressant, sind, konnte ich es mir nicht nehmen lassen (zumindest in den ersten beiden Absätzen vermehrt), auf diese einzugehen. Eventuelle Spoiler. Keine Filmkritik oder Analyse. Eine willkürliche, keineswegs vollständige und bruchstückhafte Ansammlung von Notizen und Beobachtungen, die sich auf die verkürzte, internationale Fassung beziehen. 


Stephen Kings gleichnamiger Gruselroman erweist sich als Vorzeigeexemplar dessen, den Horror des Augenblicks aus der Trivialität des Alltags zu erschließen. "Shining" ist vor allem übernatürliches, ganz und gar ausschweifendes Erzählhandwerk, rational nachvollziehbar(er), da hunderte Seiten zur Charakterisierung der Figuren zu Beginn als melodramatisches Erklärmuster herhalten müssen, um die mysteriösen Geschehnisse zwischen Kontrolle und Wahnsinn, Mystik und Dämonie im Hotel zu erklären. Nicht weniger als die soziopsychologische Dekonstruktion einer normalen amerikanischen Durchschnittsfamilie, die am Abgrund entlangschrammt und doch hineingezogen wird. Ein für den Winterdienst vorgesehener Familienvater in der Gestalt eines neuen Hausmeisters beschwört aufgrund von unzähligen Neurosen aus seiner Vergangenheit letztendlich nur Chaos herauf. Selbstverwirklichung und Selbstzerstörung verbrüdern sich, und aus dieser verwachsenden Mutation bleibt nur der Tod.

Georg Seeßlen hat klugerweise davon geschrieben, dass Stanley Kubricks reichhaltige, experimentierfreudige Genreauswahl mit seiner lebenslangen Obsession für das Schachspiel unmittelbar zusammenhängen könnte. Demnach verstehe es Kubrick, jedem Genre zu einem Schachzug zu bewegen, der vorher nie ausgespielt wurde. Folgerichtig hält sich Kubricks "Shining"-Version nicht sklavisch an die Vorlage, sondern befreit sich von dieser exorbitant, indem all jene Motive eliminiert werden, die Kubricks Bildsprache widersprechen.

Um exemplarisch die Illusion der labyrinthischen Struktur auszubauen, mussten die Heckentiere aus dem Roman gegen einen Irrgarten vor dem Hotel ausgetauscht werden, für die dramaturgischen Zeitschleifen wiederum figurale Beweggründe, die zum Leben erwachenden Gegenstände fehlen vollständig. Übrig bleibt ein Horrorfilm, der nicht wirklich einer ist, eine Romanverfilmung, die nicht wirklich eine ist, ein Genrefilm, der sich an keine Genreregel wirklich hält. Ist es etwa nur noch eine psychoanalytische Emanzipationsparabel von Frau und Kind? Naturalistischer Horror? Ein intellektueller Genrestreifzug? Sicher ist das nicht, aber sicher ist: ein Kubrick-Film. Durch und durch.


"Shining" dürfte neben Kubricks "Lolita" trotz aller nachfolgenden medialen Verwurstung auch als grobe "Twin Peaks"-Blaupause für David Lynch hergehalten haben. Die intertextuellen Verweise schlagen sich in der Tatsache nieder, dass die Randfigur Jerry Horne in der Serie einen Satz direkt aus "Shining" zitiert, zur These, dass Lynch das metaphorische Rot aus Kubricks Film für seine Interieurs, speziell für den Red Room, weiterentwickelt hat, wo der rückwärts sprechende Zwerg, ganz nebenbei, zugleich eine Weiterentwicklung des rückwärts sprechenden Dannys (Danny Lloyd) verkörpern könnte ("REDRUM"), dessen halbschlafähnliche Visionen in Trance schaurig-schön mit dem Grad von Jacks geistiger Verwahrlosung korrespondieren.

Apropos Jack Torrance: ekstatisch, psychotisch und überlebensgroß von Jack Nicholson irrsinnig gespielt ist er, einer, der die Gesetze der Ethik aushebelt und sich auf die roheste, ungeschliffenste Form des Menschsein besinnt, auf das Jagen, auf das Animalische. Der Geist des Hotels manifestiert sich in der fleischlichen Hülle von Jack Torrance, der gezwungen wird zu töten als kaum definierbare Gestalt, zurückgeworfen in die Steinzeit, der sich vielmehr Mächten gegenübersteht, die er nicht zu kontrollieren imstande ist. Leland Palmer aus "Twin Peaks" ereilte ein ähnliches Schicksal, auch Dale Cooper. Auch eine Parallele.

Ins kollektive Gedächtnis der Horrorfilm-Ära haben sich hingegen ikonische Augenblicke wie diese auf immerwährende Zeit eingebrannt: Nicholsons Haifischgrinsen ("Hiiiiiieeeeer ist Jacky!"), während er mit der Axt durchs Badezimmer stürmt, der blutgeflutete Fahrstuhl, die tote Frau aus der Badewanne (wissenswert: das Erotische mutiert hierbei zum Tödlichen, das Körperbetonte zur eventuellen Körperverletzung; Sex und Gewalt, es meldet sich im künstlerischen Schaffensprozess Kubricks zurück). Erschrecken vermag dies wenig, es sind weder besonders hektisch geschnittene noch sensationserhaschende Momente, es sind Momente, die von einer elegischen Ruhe geprägt sind, gleichbedeutend mit dem langsam Spuren hinterlassenden Wahnsinn.


Selbst dort, wo es gruselig sein sollte, transzendiert Kubrick den schaurigen Moment mit Hilfe betörender Ästhetik. Der Film erschreckt ausschließlich und überhaupt sehr, sehr effektiv über die mit zentralperspektivischem Fluchtpunkt hantierende Montage, über die  rhythmischen Steadycam-Fahraufahmen (hinter jeder Abzweigung könnte etwas lauern), die sich ständig im Fluss der Bewegung befinden, den filmischen Raum verflüssigen und sich gegenseitig überlagern, entkoppeln, der strengen Symmetrie des Bildaufbaus anpassen. Außerdem über die Subjektivität der Kamera, die in den Körper der agierenden Charaktere schlüpft. Wir sehen dann, was sie sehen, wir werden zu ihnen.

Unter Berücksichtigung traditioneller Genredogmen gilt es damit, diese zu brechen. Bei Kubrick lauert die Gefahr nicht etwa in der Dunkelheit, um sich blindlings auf ihr Opfer zu stürzen, nein, bei Kubrick lauert die Gefahr im permanent brennenden Licht, in der blendend weiß erleuchteten Räumlichkeit eines Hotels, das ohnehin keine dunklen Ecken zu haben scheint (nicht mal der Keller). Das Licht als Gefahrenmilderung mutiert plötzlich zur Gefahrenforcierung (die wunderschöne Toilettenkulisse!) und entlarvt damit genau genommen die Antithese zur Jahrzehnte überlieferten Mär von der Dunkelheit, die unwiederruflich verschluckt. Kubrick bricht ebenso personell mit den Gesetzen: Dick Hallorann (Scatman Crothers), seines Zeichens der helfende Außenstehende und unfreiwillige Heldentypus, wird in der erstbesten Möglichkeit beseitigt.

Der maßlos scheppernd-abgehackte Soundtrack trägt das Seinige dazu bei, damit sich Zuschauer in diesem Werk erschrecken. Er ist integraler Bestandteil und verengt die Geräusche im Film als suggestive Schreckgeräusche ungemein plakativer, grauenerregender. So imitiert die Musik ein Motorengeräusch des stotternden Motors der "Schneekatze" oder eine abgerissene Schreibmaschinenseite; die (teils neblige) Autofahrt zu Beginn verkörpert aufgrund ihrer geisterhaften Klangteppiche im Hintergrund eine tatsächliche Geisterfahrt. Ungeachtet dessen erschreckt Kubrick augenzwinkernd mit Zeitangaben, wenn die Musik lautstark aufdreht, sobald die Kapiteleinteilungen im Bild erscheinen. Schlitzohr!


Gehen wir etwas unter den Rand der Oberfläche, denn das wirklich Hochinteressante umschließt jene tiefer gelegten Ebenen, die dem Film einen in die Breite gezogenen Fundus thematisch vielversprechender Querverweise fernab des Horrormotivs beschert. Auf den ersten Blick verwurzelt Kubrick "Shining" zwischen einigen wesentlichen Komponenten, von denen Verästelungen abzweigen. Da wäre die Natur. Sie ist majestätisch, überlegen, unkontrolliert, gegenüber dem Menschen hauptsächlich.

Aus jenem Grund, dass Kubrick Naturaufnahmen und damit gepaarte Wetterumschwünge omnipräsent illustriert, verleiht er dem Grauen einen naturalistischen Anstrich. Das Scheitern aller Kommunikation zur Außenwelt wird später maßgeblich vom Wetter abhängig sein. Schnee zerstört die Telefon- und Funkleitungen und verhindert generell ein Entkommen aus dem Hotel. Die Natur ist der zweite Feind, mit dem sich Wendy (Shelley Duvall) und Danny konfrontiert sehen, eine ausweglose Konfrontation, weil der Gegner übermächtig scheint.

Schutz bietet, zumindest bis zu einem gewissen Grad, die Metapher des Labyrinthes. Jack wird in der (labyrinthischen) Küche eingeschlossen, Danny entkommt im (labyrinthischen) Irrgarten und sucht Schutz auf (labyrinthischen) Teppichen, wo er gefährliche Eindringliche abzuschirmen versucht (zum Beispiel in der Szene, als ihm beim Spielen ein Tennisball entgegenrollt). Das Hotel ist labyrinthisch angeordnet – vorwiegend rechtwinklige Abzweigungen während der Plansequenzen zeigen dies. Das Labyrinth ist demzufolge als Schlüsselmotiv zu werten. Einerseits steht es für die Desorientierung, andererseits für die Orientierung, aber auch angesichts seiner erdrückenden Form und begrenzten Größe wegen für die Endlichkeit in der Unendlichkeit.


Den sozialkritischen Gestus des King-Romans, speziell die kapitalismuskritischen Spitzen, spart Kubrick abermals aus, sodass lediglich eine Hülle übrig bleibt. Im Buch konnten wir anhand von zig Seiten die von Gier überschattete Geschichte des Hotels nachvollziehen, im Film hingegen raubt Kubrick der Vorlage ihren Subtext, der vor allem nicht im Dialog ausbuchstabiert wird, sondern subtil mit Porträts, Fotografien, die an den Wänden hängen. Kubrick schwafelt nicht, er erzählt (wieder) ausschließlich über Bilder. Alles, was wir erfahren, ist, dass das Hotel zur Besiedelung auf einem ehemaligen indianischen Begräbnisplatz errichtet wurde.

Das Ablegen jedweder zivilisatorischen Werte (auch der erwähnten "Donner-Gruppe", die zu Kannibalen wurden), um Ureinwohner auszurotten und Landmasse gewaltsam an sich zu reißen, zeigt sich in Jack Torrance, der ebenfalls zivilisatorische Werte abtötet, um seine eigene Familie auszurotten. Die Instrumentalisierung seiner selbst durch des Hotels teuflischer Vertreter (Philip Stone), das Rache für die Indianer, seine wahren Bewohner, geschworen hat? Möglich. Das Indianermotiv ist allgegenwärtig, im Vorratsraum, in der Kleidung Wendys. Schlussendlich überlistet Danny seinen Vater durch einen alten Indianertrick. Indianer, Spiegel, Dopplungen – alles überlappt sich in einer unwahrscheinlich detailreichen inszenatorischen Akribie.

Alles überlappt sich mit zunehmender Dauer, auch narrativ, auch ein Schlüsselmotiv für das Verständnis des Zuschauers. Alles verschachtelt sich ineinander, Raum- und Zeitebenen ergänzen einander, summieren sich sogar einander (zwei tote Frauen im Badezimmer: eine Vision in der Vision der scheinbaren Realität?), das Raum-Zeit-Kontinuum wird dort durchbrochen, wo Realität, Fiktion und Traum, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft verschmelzen. Es ist ein ungewöhnlich strukturierter Genrefilm, er ähnelt mehr einem essayistischen Bilderkatalog fragmentarischer Fetzen von Horrorassoziationen, als stringentem Erzählkino.


Das Weglassen der wichtigsten Handlungsanker aus dem Roman ermöglicht es Kubrick, eine zerstückelte Handlung, die einer Zeitspirale gleicht, komplett im Ungefähren divergierender Wahrnehmungsebenen zu verankern, deren sprunghafte Dramaturgie und die harten, bewusst unzusammenhängenden Schnitte (vom jagenden Jack im Finale wird direkt zum erfrorenen Jack geschnitten) ein Höchstmaß an Irritation verursachen.

Irritiert über die Zeit, über den Ort, irritiert über die Quellen des Wahnsinns (wodurch genau wird Jack wahnsinnig?) verschiedener Realitäten, die scheinbar nebeneinander koexistieren, aber ohne kausalen Zusammenhang in symbolischer Verbindung stehen (die Schlusseinstellung?). Wer sieht was? Danny hat Visionen, die ihn davon abhalten sollen, sich ins Hotel zu begeben. Jack hat Visionen, obwohl Jack von seiner Vision aus dem Vorratsraum gerettet wird. Doch keine Vision? Und, kurioserweise, fängt Wendy auch an, Visionen und Wahnvorstellungen zu entwickeln.  Warum? Oder doch nicht?

Vielleicht so: "Shining" erweist sich als Vorzeigeexemplar dessen, ein mehrschichtiger (Kunst-)Horror über die Entgleitung der Außenwelt und die Verzerrung der Wahrnehmung zu sein, bedingt durch die psychisch belastende Situation vom Eingeschlossensein ohne Ausweg. Ein hochkonzentrierter, ein technizistischer Gegenentwurf zu Stephen Kings ausladender und emotionaler Angstmeditation.

Freitag, 23. November 2012

"Elegy oder die Kunst zu lieben" / "Elegy" [USA 2008]


Eine weitgehend kitschreduzierte, in elegischen Molltönen ebenso wie in dekorativen Trauerfarben eingehüllte Leinwandadaption eines sterbenden Tieres auf der unablässigen Suche nach neuer Beute, um wenigstens für den Augenblick zu überleben. Regisseurin Isabel Coixet entzieht sich der ausschweifenden Roth-Didaktik, indem sie prägnant all jene Beschreibungen selbstverliebt dokumentierter Sex-Praktiken aufs Wesentliche minimiert. Ein Satz aus der Vorlage könnte auch in deren Film ein Leitmotiv sein. Der klügste Beziehungsbeobachter aller amerikanischen Romanciers fasst die (Gefängnis-)Ehe als "bestenfalls verlässliches Stimulans für die Erregungen, die heimliche Seitensprünge bereithält", zusammen.

Sonst fliegt "Elegy" (wenn auch stückweise etwas vollbepackt) über anderweitige Roth-Motive ausgesprochen introvertiert, intim, ohne zuweilen in den Roth-Plauderton zu verfallen: der Erforschung der schönheitsgetragenen fleischlichen Hülle und ihrer Vergänglichkeit bei erzwungener Zerstörung derselben, der desillusionierenden Selbstverwirklichung, den Vater-Sohn-Differenzen, dem körperlichen Niedergang beim Alterungsprozess und seinem letzten Rettungsanker, der libidinösen Obsession für eine viel jüngere Frau, der damit unmittelbar verkitteten Unsittlich- und gar Peinlichkeit in der vorurteilsverkrusteten Öffentlichkeit.

Bei Coixet sprechen die Figuren zwar Pointiertes, Provozierendes und Gehaltvolles, aber es treten auch unzählige Momente schweigsamer Unaussprechlichkeit zutage, wo nichts gesagt, viel gemeint wird.  Ein Film, der mit dem sinnlichen Anschmiegen seines eifersüchtigen Casanovas und dem Räkeln seiner Dirnen kokettiert, den Bildern als solches allerdings jede Sinnlichkeit, jede Poesie konsequent austreibt, da Jean-Claude Larrieu leidenschaftslose, verwackelte Halbtotalen verwendet, die bedingt haften bleiben, unruhige Bilder damit entwickelt, die – nochmals – bedingt haften bleiben, und "Elegy" nicht derartig ergreifend verpackt, wie es der Film beim Zuschauer gern erreicht hätte.

Andererseits zeichnet sich Coixet mit schnörkelloser Schauspielführung aus, zerfurchte, tragische Gesichter, grandios besetzt. Ben Kingsley – prinzipientreu und doch der Kraft des Körpers erlegen. Penélope Cruz – elegant und doch diskret, dieser Frau möchte man jederzeit erliegen. Dennis Hopper – borstig und doch liebend, geradezu kongruent nimmt das Drehbuch sein Schicksal vorweg. Dass Coixets Film nicht zur senilen Altherrenfantasie mutiert ist, ist ihr hochanzurechnen. Dass sie die existenzielle Lebensessenz aus dem Roman nicht komplett auszuschöpfen imstande war, liegt weniger an ihr, als vielmehr an so mancher Unverfilmbarkeit des Schriftsellers Werk.        

6 | 10

Mittwoch, 21. November 2012

Die Bond-Retro; geschüttelt, nicht gerührt #7


»DIE WELT IST NICHT GENUG«
»THE WORLD IS NOT ENOUGH« 
(GB, USA 1999; Regie: Michael Apted)

Erst im choreographierten Motorboot-Verfolgungseinerlei angedeutet, dann visuell chiffriert: Ein prasselnder Ölregen, aus dessen schwarzen Tropfen die Lust und die Begier schlüpft. Der Tropfen symbolisiert die Libido, die Weiblichkeit neben mechanisch hämmernden Ölbohrmaschinen mutiert zur bedrohlichen Verführbarkeit für jeden Helden. "Die Welt ist nicht genug" handelt von dem Epizentrum Frau und ihrem Fleisch, vom Fühlen und der Taubheit, und wie dies alles mit der Welt zusammenhängt, die für jeden Helden nicht genug sein kann. Spätestens hier aber, mit Brosnans vorletzter Mission "Die Welt ist nicht genug", beschleicht einem das Gefühl, dass der Befreiungsschlag James Bonds zwei Filme danach eine so schlechte Idee gar nicht gewesen sein kann. Denn mehr noch als "GoldenEye" umrandet Michael Apted einen Plot, der unter seiner unentwirrbaren Schwere zu leiden hat, die unter der thematischen Kreuz- und Querschieberei (Ms Familienangelegenheiten, Kontrahentendezimierung, Plutoniumbohei) zu keiner Stringenz und Konzentration führt. Auffällig: die an lasziver Doofheit entlangschrammenden Bond-Tyranninnen, ausgediente Action-Kulissen (Ski-Piste, U-Boot) und einer der belanglosesten Bond-Bösewichte aller Teufelszeiten. Dieser hätte das Gewohnheitsbild der physisch wie psychisch deformierten Kreaturen aus vergangenen Bond-Dekaden weitertragen können, hat jedoch an einem verkürzten Drehbuch(dackel)blick zu leiden. Q versinkt im Boden, der Nachfolger steht bereit und Bond entkommt Hubschrauber-Sägeblättern – spärlich gesäte Highlights einer erschreckenden Bond-Fantasielosigkeit. 


»STIRB AN EINEM ANDEREN TAG«
»DIE ANOTHER DAY«
(GB, USA 2002; Regie: Lee Tamahori)
 
Was hätte aus "Stirb an einem anderen Tag" werden können, wenn er bis zum Ende das angeheiterte Spiel mit den Reminiszenzen durchgehalten hätte, jenes Spiel nämlich, das irgendwann funktioniert und irgendwann im Green-Screen-Trash absäuft? Der zwanzigste Jubiläums-Bond-Film gestattet sich die Selbstverständlichkeiten, auf die Jahre davor ziemlich wehmütig hinzuweisen, und dort ist er wohl am spaßigsten: In Qs verrückter Schrottaufbewahrungshalle lagert der Messerschuh aus "Liebesgrüße aus Moskau" und der Jetpack aus "Feuerball", einige Szenen weiter darf der Laser aus "Goldfinger" Halle Berry bedrohen, die übrigens in Kuba Ursula Andress' Bikinigang lüstern imitiert. So weit, so gut, aber da Lee Tamahori das artifizielle Videospiel entschiedener gewichtet, gerät das Gleichgewicht der Dramaturgie zwischen traditionellen (der Eispalast) und neumodischen Bond-Elementen (ein formelhafter Gegenspieler) mit jeder weiteren Comic-Aktion außer Kontrolle. Das ist oft und nicht zu wenig ein Fremdschämer im Kleinman-Titelkontrast von Hitze und Kälte, der die Anmut und Unbequemlichkeit seiner abwechslungsreichen Schauplätze im hässlichen Computer-Technizismus ihrer Identität beraubt und hauptsächlich den Konsens verhätschelt, den ein ordentlicher Bond-Film immer mit Hilfe einer Prise Inspiration ausgleichen konnte. Bond-Fans sollten nichtsdestotrotz genau hinschauen – zum ersten Mal wird Bond im Flugzeug gezeigt, auch mit Vollbart, und auf den Kuss mit Moneypenny durfte man schließlich viel zu lange warten.     

Gesamtwertungen: 4 | 10     4.5 | 10     

Samstag, 17. November 2012

"2001: Odyssee im Weltraum" / "2001: A Space Odyssey" [GB, USA, F 1968]


Wahnsinnig. Besessen. Kosmisch. Egozentrisch. Formvollendet. Die Steigerung all dessen, was sich früher, heute und morgen als "Kino" schimpft. Seufzer der Überwältigung aus gleitenden Bewegungen durch Raum und Zeit, die Transformation des menschlichen Individuums zu etwas Neuem, Höherem, merklich Metaphysischem. Wenn Film zur Oper, leichte Unterhaltung zur anregenden Erfahrung wird. Ein singulärer Regisseur findet das zeitüberdauernd Genuine im Science-Fiction-Film, der auf einer hochgeistigen Ebene fundamentale Zivilisationsfragen nach dem Sinn des Lebens in zwei essayistischen Bildsinfonien und einer mehr dem Erzählkino verhafteten Konfrontation von Mensch gegen Maschine und HAL gegen Bowman stellt.  Von scheiternder Menschlichkeit, göttlicher Intervention, psychedelischer Vision, gewaltsamer Menschheitsgeburt, arroganter Überlegenheit und evolutionären Bewusstseinssprüngen schwarzer Monolithen, vom Knochen zum Raumschiff zu Gott. Vom Affen zum Astronauten zum Baby. Alterung, Tod, Wiedergeburt. Ligeti. Strauss. Strauß. Berührend. Verletzlich. Stimulierend. Manchmal auch ein bisschen humorvoll. Dialoge sind Bilder, sind Text, Bilder erzählen Geschichten. Geschichten über Mechanik und dem Sein im Weltall. Eine der allerschönsten Seherfahrungen. Pure Ekstase. Jede Szene unzerstörbar, jede Sekunde unersetzbar. Und Kubrick unbezwingbar.  

10 | 10

weiterführende Links:

Donnerstag, 15. November 2012

"Sunshine Cleaning" [USA 2008]


Zurufen möchte man Christine Jeffs: In der Tat, du weißt genau, inwiefern du das Herz deiner Zuschauer im Sturmlauf erobern kannst. "Sunshine Cleaning" wirkt wie aus dem Leben gegriffen. Eine ungewohnt warmherzige, da natürliche und herzerwärmende, da authentische Indie-Dramödie, deren überkandidelter Schenkelklopfercharakter geringfügig bleibt, sich in Grenzen dessen hält, was für den guten Geschmack erträglich ist. Die schattenhafte und bedauerlicherweise wenig Licht produzierende Lebensgeschichte zweier Schwestern – unwiderstehlich gespielt von Amy Adams und Emily Blunt, da, natürlich, natürlich –, die sich aus finanziellen Schieflagen nur daraus befreien können, indem sie einen Reinigungsjob für das matschige Danach von Tatorten annehmen, fordert es eigentlich heraus, das Blut, den Ekel, den Slapstick, die Schauwerte. Und trotzdem zentralisiert sich Jeffs auf die Einsamkeit dahinter, der Einsamkeit in einer glückversprechenden Wohlstandsgesellschaft, der Jeffs immer wieder den Spiegel vorhält, etwa wenn Rose (Adams) auf eine Party mit ihren plastikbestückten Freundinnen eingeladen wird.

Credo: Mach' aus Verlierern und Versagern ohne Existenzgrundlage die größten Gewinner mit ebenso imponierender wie individueller Arbeitsimprovisation. Es heißt, sich zu überwinden, seinem Glück allen amerikanischen Versprechungen zum Trotz auf die Sprünge zu helfen (die sowieso eine große Lüge kaschieren, sobald man ins gesellschaftliche Abseits schlittert). Wenn dann noch der Sohnemann (besser: "das Genie"; Jason Spevack) dabei beobachtet werden darf, wie er es genießt, seine Zunge als Wischmopp zu benutzen und seinem notorischen Voyeurismus per Fernglas zu huldigen, wenn sein Onkel (Alan Arkin) angeblich frische Fische verkaufen will, aber aus Hygienegründen von jeder Restaurantkette stets abgelehnt wird, wenn sich eine leise Liaison zwischen einer zweiarmigen Rose kurz vor dem Welken und einem einarmigen Verkäufer (Clifton Collins junior) anbahnt, dann ist es irgendwie fühlbar, das Glück für eine Familie, die es mehr als alle anderen braucht, um den amerikanischen Traum aus einem ganz normalen Alptraum doch noch wahr werden zu lassen. Sympathisch ohne Ende, zum Wohlfühlen, nur etwas zu kurz, was zur Folge hat, dass mancher Handlungsstrang zu hastig abgewürgt wird.        

6 | 10

Dienstag, 13. November 2012

Die Bond-Retro; geschüttelt, nicht gerührt #6


»LIZENZ ZUM TÖTEN«
»LICENCE TO KILL« 
(GB, USA 1989; Regie: John Glen)

Verräter werden zu Fischfutter gehäckselt oder am Gabelstapler brutal aufgespießt. In Haifischanlagen, an Stränden, in Meditationszentren, Luxussuiten und Hochglanzcasinos tobt der peitschende Sturmlauf der Gewalt, der sich stets am Puls der 80er verhaftet sieht. "Lizenz zum Töten" als finaler Nachschlag Richard Maibaums, Maurice Binders, John Glens und Timothy Daltons hantiert mit der stürmischen Umarmung, Bond zu binden und doch loszulassen. Symbolisch am Blackjack-Tisch festgehalten – Bond gewinnt und verliert, Bond ist der alte und der neue, der coole und der ruppige. Dieser Bond ist ein irrer Rausch an viehischer Kraft, der weit ausholt, um zuzuschlagen. Mit den zwei despotischsten Ungeheuern (garstig: Benicio del Toro; eisern: Robert Levi), mit den zwei zartschmelzensten Ladys (ausgepeitscht bis zu den Striemen: Talisa Soto; Minipistole in der Tasche: Carey Lowell) und dem verwundbarsten Bond (er blutet förmlich das Adrenalin raus) erobert sich "Lizenz zum Töten", umgeben von skurrilen Scheindeckungen, Geldscheinverlockungen und dem "Diamantenfieber"-Stunt auf zwei Rädern, das Neuland, auf dem Daniel Craig Jahre später poltern wird. Zwischendurch erprobt Bond sonderbare Q-Produkte, übernachtet mit dem Erfinder gar in einem Zimmer, dirigiert ihn vorwiegend in einer amerikanischen Mission, ohne dass er dafür eine Lizenz vorweisen kann. Das Versprechen hat immerhin überlebt: Bond stirbt nicht. Er kehrt immer zurück. 


»GOLDENEYE«
(GB, USA 1995; Regie: Martin Campbell)
 
Ein Weltreich versinkt, Hammer und Sichel schießen aus dem Boden, zerbersten, stattdessen schießen aus den Trümmern wiederum die modernen Werkzeuge des Agenten: Pistolen, Magazine. Frauenaugen. Gesichter. Identität statt Konformität. Die psychedelisch-erregende Hymne Tina Turners gebärt den modernen James Bond, ein Relikt seiner Zeit, des Kalten Krieges, nun im Hier und Jetzt. Zeitenwechsel; M ist eine Frau, der Aston Martin ein BMW – und: Pierce Brosnan, übernehmen Sie! Was mit den Wehen der Gegenwart beginnt, besinnt sich aber bald auf die Vergangenheit. "GoldenEye" tappt auf kaum mehr leichten Füßen, drosselt den Charme und die Kampfeslust. Aus einer unverwechselbaren ist eine seltsam glattgebügelte, schulterzuckend zirkulierende Filmreihe geworden, die mitunter peinlich im Ton kippt, wenn der psychologisch durchgeleuchtete Bond im Sonnenuntergang über den Freund sinniert, der zum Feind geworden ist. Vorher feierte der Film knisternden Überschwang (die Panzerschlacht) und war sexuell bis zum Orgasmus aufgeladen (ein schäumender Wasser-Szenenwechsel), ab dann bewegt er sich im Genrekanon und beobachtet die üblichen Handgriffe üblicher Gangsterschergen stocksteif, als könnte er nicht mehr über sich selbst lachen. Die Flugeinlage aus "Der Spion, der mich liebte", eine versteckte "Man lebt nur zweimal"-Belegschaft und eine animalisch-zügellose May-Day-Kopie lassen den Schluss zu, dass die Ideen so neu gar nicht gewesen sind.    
        

»DER MORGEN STIRBT NIE«
»TOMORROW NEVER DIES«
(GB, USA 1997; Regie: Roger Spottiswoode)

Das Aufrüsten im Wettbewerb mit den griesgrämigen Russen scheint geschlichtet, der Kalte Krieg abgewendet, "GoldenEye" war die (hoffentlich) letzte Provokation des Eingreifens, besser gesagt das letzte Überbleibsel von der imaginären Nuklearwaffe, die gestohlen wird, um Nationen zu bedrohen und gegeneiner aufzuhetzen. Die materiellen, antiquierten Waffen wechselt "Der Morgen stirbt nie" jetzt gegen die verbalen, die sichtlich zerstörerischsten: gegen die digitalen Wörter in einer Epoche des unsichtbar vernetzten Feindes, dessen (Frauen-)Körper sich im – wieder einmal – meisterlichen Kleinman-Titelvorspann aus einem Cyber-Glitzerteig an Bits und Bytes erhebt. Da wirkt der geschniegelte Brosnan, Auto-Fernbedienung inklusive, überaus analog, ein Museumsstück, völlig überholt. Doch Brosnan ist zäh, findet nach dem schauspielerisch erstarrten Vorgängerwerk vor allem seine schöpferische Form, genauso wie Bond. Und er wird selbstverständlich nie erwachsen. Ein Bond, der in einer Mediengesellschaft der allesüberschattenden Schlagzeile überlegen sein will. Über Höhepunkt zu Höhepunkt hangelt sich "Der Morgen stirbt nie" an einer Steilwand entlang, jongliert mit, freilich ohne sich zu verhaspeln, Kopfschmerzen verursachenden Action-Krawallen (Tiefgarage, Hochhausposter, Motorrad) und bleibt Zeit seiner Dauer Herr über grandios pointierte Schlagabtausche, enthält einen übersprudelnd-verspielten Zeitungsmogul, zwei entschlossene Bond-Girls, deutsche philosophische Killer-Absurditäten und nicht zuletzt die ersichtlichen Querverweise auf den maritim überladenen "Spion, der mich liebte": ein schlingendes Schlachtschiff, ein mitreißender Exzess.                    

Gesamtwertungen: 8 | 10     5 | 10     7 | 10     

Donnerstag, 8. November 2012

Die imposanten 7: Akte X-Folgen [Season 6]

      #7 
   »SUZANNE«   
»THREE OF A KIND«
   (E20)


Inoffizielle (offizielle?) Fortsetzung der "unüblichen Verdächtigen", einem verwegenen, unerschrockenen Trio – ein Schmaler, ein Kleiner und ein Blonder, dem dringend die Haare geschnitten werden sollten, damit auch er Undercover arbeiten kann. Im zweigesichtigen Las Vegas der Verlierer und Verlierer angesiedelt, begegnet der Schmale seiner Traumfrau von einst, die er wiederhaben will. Daraus schält sich eine Geschichte voll' an hinreißender Komik, leibhaftiger Liebe und minimal-maximaler Geheimniskrämerei. Denn sie geht fremd! "Suzanne" sticht heraus, da der Scully-Sidekick einen Magenkick in ihre Persönlichkeit darstellt. Hätte das Mulder gesehen, wie sie aufgrund einer Injektion zur lasziven Nutte mutiert, sich anbietet, raucht und um Feuer bittet, dabei Morris aus "Dreamland" wiedersieht und sich selbstverständlich mit einem augenzwinkernden Arschklatschen revanchiert! Brüller. 

   #6  
»DIE GEISTER, DIE ICH RIEF« 
 »HOW THE GHOSTS STOLE CHRISTMAS«    
  (E06)


Eine in ihrer abgestandenen Antiquiertheit atmosphärische Heiligabend-Episode, die allerdings im Begriff ist, das Fest der Liebe, Gemütlich- und Warmherzigkeit zu entlarven, und deren Schauplatz, ein gotisches Haus nebst unrühmlicher Vergangenheit, hakt fortwährend sämtliche Klischees ab, die nicht sterben wollen, auch nicht an Heiligabend: Kerzen, Gewitter, Spinnweben, Stromausfall, ungebetene Gäste, egal, ob tot oder scheintot. Diese hält man sich naturgemäß vom Leibe, indem man sich die Angst ohne Punkt und Komma herunterredet. Scully und Mulder setzen sich außerdem mit den eigenen Geistern auseinander, die sie küchenpsychologisch zu analysieren versuchen, wobei das multiräumliche Haus selbst einige schicke Fallen offenbart, zum Beispiel Türen, hinter denen Mauern den Eingang… vermauern. Beinah hätte sich das einsame Paar erschossen (was für eine Blutspur!), man kann von Glück reden, dass sie sich trotzdem noch etwas schenken können.  

   #5   
  »SPOREN«   
»FIELD TRIP« 
(E21)


Undurchschaubares Stück "Akte X", weil es den Zuschauer vor einen Abgrund stellt, in den er wahlweise hineinplumpst oder, wenn er es doch durchschaut, sich kurz vor der Kante des Abgangs rettet. Ging einigen Staffel der Serie zum Ende hin kurzzeitig die Luft aus, beweist die sechste tatsächlich, dass sie ihre Sauerstoffersatzflaschen penibel verstaut hat, um sie gegebenfalls hervorzukramen. Die Frage nach der Halluzination in der gegenwärtigen Realität zeichnet "Sporen" aus, dessen gewitzter Umgang mit einer verschleimten Pilzkultur, die sich in der Wahrnehmungsänderung meisterlich versteht, Widersprüche entgegen herkömmlicher Figurencharakterisierung heraufbeschwört: Mulder entführt ein total echtes Alien, Scully gesteht ihren wissenschaftlichen Irrtum ein, Mulder stirbt, Scully zweifelt an der Todesursache, die Einsamen Schützen aber nicht, Skinner ist der falsche. Ein chemischer Bewusstseinstrip.      

  #4 
   »DER REGENMACHER«   
»RAIN KING« 
   (E08)


Komödiantisch, romantisch, fröhlich. "Der Regenmacher" ordnet sich passgenau in den Tenor der sechsten Staffel ein, vermehrt der experimentellen Linie zu folgen, die ausgelassen und richtig obskur Grenzen verschiebt und Serienkonventionen außer Kraft setzt. In entfesselter Skurrilität geht es diesmal um ein weinerliches Weißbrot an Mann, dessen Liebeskummer Stimmungsschwankungen verursacht, die sich auf das von ihm manipulierte Wetter auswirken. Mulder muss Ratschläge in Sachen Liebe geben, wenn er nicht gerade mit seiner leicht genervten Partnerin Cheerleader-Willkommenstänzen beiwohnt und Indianer-Pseudotänze durchsteht. Happy End folgt auf Happy End folgt auf Happy End, alle liegen sich in den Armen, knutschen, sind glücklich mit sich und dem anderen da an den Händen nach dem lange auf sich wartenden Liebesgeständnis. Wetter hellt auf, ein Lächeln umspielt die Lippen. Das ist wundervoller Kitsch, kaum schöner könnte er sein.             

  #3  
  »IM BERMUDA-DREIECK«   
»TRIANGLE« 
(E03)


Chaos, Zeitsprünge, Split Screen und ein verschwundener wie verwunschener Luxusliner, in deren Kapernfahrt kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Mulder hineingerät, der kolportierte deutsche, hellseherische Spion unter einer illustren Riege des doppelt besetzten "Akte X"-Personals (der Raucher als Nazi-Scherge, Spender als Oberarschloch). Ob seiner Plansequenzen außerordentlich dahinströmend, fußt das Handwerk jedoch auf erzählerischem Nährboden, wenn aus diesem Gewirr an ununterbrochenen Bewegungen wüste Fleischfetzen an Menschen resultieren, die an der Seite über mehrere Etagen hinweg gestreift werden. Die totale Missordnung. Küsschen folgt auf Küsschen: Mulder küsst Scully in der alternativen Zeitlinie, erntet dadurch einen Kinnhaken, und als er dann von seinem Traum aufwacht, gesteht er ihr seine Liebe. Sie glaubt ihm nicht, was sie aber nicht davon abgehalten hat, ihrem ehemaligen Direktor aufs Geradewohl einen Schmatzer verpasst zu haben.     

  #2  
    »ZWEI VÄTER«    
 »TWO FATHERS« 
...
   »EIN SOHN»   
»ONE SON»
 (E11/12)


Nach dem in den Vorgängerstaffeln ausgebreiteten, tendenziell zu ambitioniert aufgetragenen Mythologie-Quatsch, bei dem die Drehbuchautoren vermutlich auch nicht so genau wussten, was sie wie womit zusammenbasteln, zeigt sich in der zentral implementierten Doppelfolge, dass Antworten nicht schwer sind, wenn die richtigen Fragen adäquat gestellt werden. Wer was hier plant, ist ohne künstliche Verschachtelungen überbordend spannend und insgeheim eine Zäsur in der Mythologie der Serie, wenn Mulder die (mal mehr, mal weniger überraschende) Wahrheit über das Komitee baldiger Kolonialisierung erfährt, das wenig später einem Massensterben zum Opfer fällt. Die Protagonisten variieren indes kaum; es ist ein erfrischender Rundumschlag der Beschützer und Schützen, der Verschwörer und Mitverschwörer, der Lügner und ihrer Lügner. Offene Fragen bleiben nichtsdestotrotz, und die Antworten darauf liegen naturgemäß irgendwo da draußen.  

   #1  
»DREAMLAND« - Teil I, II
     (E04/05)


Morris Fletcher ist Fox Mulder. Morris ist Fox, Fletcher ist Mulder. Der Morris-Körper im Mulder-Geist, der Mulder-Geist im Morris-Körper. Der Morris-Körper ist nicht der von Fox. Oder sieht der von Fox etwa wie der von Morris aus, und zwar der von Morris Fletcher? Eher nicht, aber alle halten sie für diejenigen, die sie nicht sind, sondern in die entgegengesetzte Richtung sein sollten. Gespiegelte Oberflächen reflektieren die Wahrheit; das Problem ist nur, dass diese Wahrheit nur für sie allein sichtbar ist. Rollentausch, Jobtausch, Lebenstausch – einmal Area 51 (Mensch, Mulder!), einmal FBI (arme Scully!). Mulder, äh Morris, genießt das Flirten und Stoßen am Arbeitsplatz, auch Scully sieht sich einem Klaps auf den Hintern ausgesetzt, und Morris, äh Mulder, landet in anstrengenden Eheneurosen, beleidigt seine ungewollten Kinder, guckt Pornos. Aber er profitiert vom illusionären Tausch, denn seine Wohnung sah danach nicht mehr wie Penner aus.     

Dienstag, 6. November 2012

Die Bond-Retro; geschüttelt, nicht gerührt #5


»OCTOPUSSY«
(GB 1983; Regie: John Glen)

Wo speziell "Diamantenfieber" und "Moonraker" einen Tornado an geistesgestörten Gags fabrizierten, ist Bond kurzerhand im Zirkus angelangt und komplettiert die Doof-Trilogie der Serie schonungsloser als schonungslos im Inferno anspruchsfeindlicher Stilblüten – "Octopussy" spielt zu einigen Teilen im Zirkus, dessen Versatzstücke, nachgearbeitete Maskeraden und freche Pointen sich der Film auf der Handlungsebene zunutze macht. Daraus entsteht Moores "Feuerball", ein in Flachgewässern badender, bis zum dreiteiligen, in der Luft erzählerisch klammernden Finale totenbleicher Bond, nicht weil er Bond demontiert, sondern weil er Bond karikiert, und das ausgerechnet nach "In tödlicher Mission". Entlang paranoider Eroberungsallmacht, morgenländischer Dekadenz, zweigeteiltem Deutschland und den nuklearen Kommunismus-Ambitionen der Russen vertauscht "Octopussy" Seriosität mit dem platzendlauten Schenkelklopfer, der gehörschädigender nicht sein könnte. Was Bond zu erfüllen hat, ist nicht viel, muss er sich doch allgegenwärtig verkleiden, als Clown, als Kommunist, als… Krokodil, als Affe, als… Tarzan mitten im zupackenden, zustechenden Dschungel, während seine flächendeckende Macho-Attitüde eine geschmacklose Dimension beansprucht – mit der Kamera auf die Brüste schielen und auf einer Fraueninsel aufräumen. Maud Adams ist wieder an Bord, setzt aber wie der vollgequatschte Film kaum Akzente. Gewitzt: der popkulturelle Fingerzeig auf den Oktopus als Facehugger ("Alien") und den appetitvergehenden Schafskopf beim "Indiana Jones"-Dinner. Zu selten ist das so unsäglich abkupfernd.  


»IM ANGESICHT DES TODES«
»A VIEW FOR A KILL«
(GB 1985; Regie: John Glen)
 
Feuer speit Roger Moores poppiges Alterswerk, es bedeutet, dass er noch einmal alles geben will, bevor er sich auf dem Liegestuhl in der Karibik zur Ruhe legt. Duran Duran und die (gecoverten) Beach Boys treiben ihn mit pochenden Beats in der Eiswüste voran, das Eis schmilzt, die Kälte vergeht, Moore springt, schlittert, dreht sich, Moore ist Bond, am eindrücklichsten in der vielleicht besten Eröffnungsszene der Ära Roger Moore. Rückblick: Wurden Connerys Augenbrauen buschiger und das Haar zunehmend weißer, wachsen Moore fortwährend tiefere Falten. Dazu stakst er holpriger durch eine Mordsgeschichte, deren Herausforderungen er sich aber nach wie vor wie ein gelassener Greis erwehren kann, auch wenn der Faustschlag inzwischen wehtut. Den Tenor des aufkeimenden Internetzeitalters per Mikrochip propagierend, gilt es, einen schizoiden Psychopathen aufzuhalten (gönnerhaft: Christopher Walken), der seiner Vorliebe für gedopten Reitsport, improvisierte Problemlösung und übermütige Konkurrenzvernichtung nachgeht. Ihm zur Seite steht eine der befremdlichsten Nebenfiguren der Serie (muskelbepackt: Grace Jones), die kämpferische Stoßkräfte gegenüber Autoritärmenschen androgyn übersteigert und für die Riege der bösen Typen steht, die den Freund und den Feind in sich vereint. Aufgrund reihenweise schwindelerregender Luftstunts und der "Indiana-Jones"-Mine ist das ein kleiner, wehmütiger, amerikanischer Lebewohl-Bond, dem es jedoch misslingt, die (auch weibliche) Hauptattraktion aufzuführen. 
        

»DER HAUCH DES TODES«
»THE LIVING DAYLIGHTS«
(GB, Ö 1987; Regie: John Glen)

Timothy Dalton stand 1987 für eine radikale Neuausrichtung alteingesessener, aber fast schon eingerosteter Winkelzüge Pate. Sein James Bond taumelt nicht mehr ins Zimmer des Chefs, nachdem der Flirt mit dessen für Bond-Verhältnisse überalterten Sekretärin die üblichen eifersüchtigen Spitzfindigkeiten hervorbrachte. Sein James Bond ist hart und unnachgiebig, aber vielmehr warm und beruhigend, einer, der den Überblick besitzt und dagegen den selbstzweckhaften Sprücheklopfer ins Abseits stellt. Einer, der aus intellektueller Selbstsicherheit heraus die Mission erfolgreich abschließt und doch nirgends die emotionale Temperamentlosigkeit verliert, zu beschützende Kollegen mitfühlend zu behandeln. Entsprechend erweist sich "Der Hauch des Todes" trotz der verjüngten, jedoch eindimensional gespielten Miss Moneypenny als bodenständig angesiedelter Geheimdienst-Thriller, der die ihm inhärente Überlebenstechnik (ein Pfeiftonautoschlüssel!) zum Wohle der Geschichte gestaltet, während Bond im Kern der Handlung mit seinem Mädchen (Mauerblümchen: Maryam d'Abo) lediglich um den halben Erdball flieht und in Afghanistan noch einmal dem Team explosiv zuarbeitet. Ein verschmitzt-theatralischer Jeroen Krabbé und ein Haudrauf-Waffenfetischist (Joe Don Baker) zeigen sich als Bonds mannigfaltige Kontrahenten, wovon der eine stolz auf seine Museumssammlung blutrünstiger Diktatoren ist, die "das kranke Fleisch von der Gesellschaft abschneiden" würden. Inmitten der Weite des Himmels und der Enge der Küche entspringt der Hauch des Todes, den jeder am Nacken spürt.                  

Gesamtwertungen: 5 | 10     6 | 10     7 | 10     

Samstag, 3. November 2012

"Planet der Affen" / "Planet of the Apes" [USA 1968]


"Planet der Affen" ist kein rundum affengeiler Klassiker (Charlton Hestons limitiertes Schauspiel neigt in ähnlicher Weise wie die seinerzeit sicher bahnbrechenden Chambers-Masken samt ulkiger Affennamen eher zur unfreiwilligen Belustigung), aber ein Filmklassiker, der die Jahrzehnte fast ausnahmslos in wenig kränkelnder Verfassung überstand, weil seine beträchtlich zivilisationskritischen wie politisierten Nebentöne zeitlos klingen.

Zu Beginn wirkt alles tropisch, obgleich gottverlassen in Anbetracht destruktiver Menschheitskräfte: zerklüftete Felsvorsprünge, staubige Wüsten, paradiesische Wasserfälle, Sonne, Meer, Hitze. Jerry Goldsmiths vielseitiger Score klimpert sanft schwingend und trampelnd industriell, während zwei mit ihrem futuristischen Raumschiff abgestürzte Weiße und ein Schwarzer (!) die Bekanntschaft (halbnackt!) mit seltsamen Wesen machen: stumme Menschen, die von sprechenden Affen für Versuchsexperimente Richtung Lobotomie gejagt werden.

Ab da wird's utopisch. Und kritisch. Kritik am Rassismus innerhalb des von den Affen strukturierten Kastensystems, Kritik am Kolonialismus, Kritik an der Überheblichkeit evolutionärer Einmaligkeit, Kritik am religiösen Fundamentalismus, der sich gegen wissenschaftlich erbrachte Beweise stellt, Kritik an Tierversuchen, wobei Schaffner die Verhältnisse ironisch kontrastiert – der (intelligente) Mensch als (primitives) Tier wird vom (primitiven) Tier als (intelligenter) Mensch in Käfige gesperrt.

Nicht das einzig Clevere in dieser ebenso cleveren  Satire: Die Gerichtssequenz entkleidet punktgenau jene auf Menschenrechtsverwässerung, Blindheit und Fanatismus fußenden Theokratie (inklusive: die gesellschaftliche Einteilung in Judi-, Exe-, und Legislative), die sich die Affen zu Eigen gemacht haben, um im Gegensatz zu den selbstzerstörerischen Menschen ihre Gattung scheinbar lange zu erhalten. Summa summarum ist Schaffners Original unterm Strich sowohl eine mehrdeutige Allegorie an die unbezwingbare Freiheit im Menschen und der Unterdrückung von Minderheiten als auch ein subtil eingebettetes Abziehbild mal bewusst, mal unbewusst sozialkritischer Abarbeitungen weltpolitischer Ereignisse innen- wie außenpolitischer US-Taktik (Studentenproteste, Vietnam, Watergate, Kalter Krieg), das sich in dem rücksichtslosen Handeln der Mächtigen (Affen) gegenüber dem Volk (Menschen) manifestiert.

Andererseits ein straighter Genrefilm, selbstverständlich, nicht immer, aber immer öfters stimmig im Balancieren zwischen der Jagd und geruhsamen Schweigemomenten (erwähnenswert: Linda Harrison), mit einem tragischen Menschheitsliebhaber aus einem zynischen Menschenverächter in der Hauptrolle, der in den Überresten der Freiheitsstatue die Überreste seiner gescheiterten Kultur erblickt. Welch' ikonografisches Bild.   

6.5 | 10