Sonntag, 27. Januar 2019

"The Favourite - Intrigen und Irrsinn" / "The Favourite" [GB, IRL, USA 2018]


Die Menschen müssen sich fühlen, als ob sie Kaninchen wären. Oder Fische. Nicht umsonst betrachtet sie Giorgos Lanthimos aus Fischaugenobjektiven. Der Raum wird gestaucht, die Wände wölben sich – und die Menschen sind eingeschlossen. Erst auf den zweiten Blick mag "The Favourite" ebenfalls der Architekturfilm sein, den der griechische Autorenfilmer bereits in seinem vorherigen Werk "The Killing of a Sacred Deer" (2017) in aller pompösen Unverhältnismäßigkeit schuf. Da Lanthimos aber erstmalig die Geschichte bereist, sticht "The Favourite" ohne Zweifel heraus. Vielleicht ist "The Favourite" der zugänglichste Lanthimos, wie allerorten festgestellt. Vielleicht bleibt sich der Filmemacher, unabhängig davon, treu: Er irritiert das Vergangene, damit es verwegen wird. "The Favourite" ist insofern ein moderner Film, fremd in seiner Abweisung und gebieterisch in seinen Besitzansprüchen gegenüber der neuzeitlichen (polymorphen) Liebe, die geteilt gehört.

Was ist das aber für ein Hof, an dem Pläne geschmiedet und Intrigen gespinnt werden? Hier laufen Kaninchen Gefahr, von Stöckelschuhen sadistisch niedergedrückt zu werden, Gänse watscheln ein Rennen und Orangen dienen als Wurfgeschosse für ein hedonistisches Gelage. Die Greek Weird Wave affiziert auch diesen – zunächst – naturalistischen Sittenfilm, dessen barocker Dekor über die empfindliche Getroffenheit dazwischen hinwegtäuscht. Giorgos Lanthimos ist ganz bei sich: Die Historie verfremdet er dahingehend, dass das Historische wiederum abstrakt und doch universell gültig wirkt. Der englisch-französische Zwist kommt ohne Waffen aus und gipfelt im Irgendwo, wohingegen eine Debatte um Steuererhöhungen und die Einflussnahme des Lobbyismus bis heute das politische Tagesgeschehen bestimmt. Ein schwerer Kostümschinken ist "The Favourite" demnach nie, sondern, gelinde gesagt, existenziell in der Überspitzung von hierarchischen Strukturen.

Im Kern teilen sich drei Protagonistinnen die Bühne, auf der sich Befreiung und Fesselung die Waage halten: Königin Anne (Olivia Colman), ihre Beraterin Sarah, die Herzogin von Marlborogh (Rachel Weisz), sowie deren jüngere Cousine Abigail (Emma Stone). Sarah ist nebenbei Geliebte, ihre Königin leidet an Gicht und nutzt dies für ein erotisches Vorspiel, Abigail hingegen will den Platz überwinden, den sie zugewiesen bekam. Das exaltierte Treiben verpinselt Lanthimos zu einer gehörigen Portion latenter Fleischeslust, die zumeist unter Kerzenschein im Halbdunklen gärt. Auf die Poesie des Gesichts vertraut der Film – schier sekundenlang versteinert es sich zu Marmor, zu einer opaken Eifersucht, die diesem Theater des Regisseurs gerecht wird, die möglichst große Geste gestenreich zu vermitteln. Stets durchbricht Lanthimos die Dialektik zwischen Bedienstetem und Diener, ohne sich vor den Affekten zu hüten. Das ist wesentlich – und das ist gewiss anders im Lanthimos-Schauspiel.


Ob in "Dogtooth" (2009) oder in "The Lobster" (2015) – der ästhetische (respektive mimische) Anspruch des Lanthimos-Kinos lag darin, dass sich die Darsteller im "Darstellen" reduzieren, wodurch sie das Feurige (etwa eines Gemütszustandes) dauerhaft zu löschen wussten. Das fällt nun weg. Colman, Weisz und Stone tragen ihre vulgären Manierismen nach außen, heulen, kotzen und fressen, baden gar im Schlamm oder werden in den Dreck gestoßen. Faszinierend allein ist die Figur der Königin Anne, wie sie Colman verinnerlicht hat und wie sie sie anlegt: Komplex changiert Colman von einem Extrem weinerlicher Aufmüpfigkeit zum anderen Extrem aufgekratzter Diabolik. Sie spielt eine Politikerin, der es verhasst ist, Ansprachen zu halten. Ihre Verfassung ändert sich sprunghafter denn je, als Abigail (Stone) in ihr durchorganisiertes Leben tritt. Vitalisierend, frech und voller Doppeldeutigkeit, will sich Abigail ihre Rolle am Hof erkaufen. Mit Büchern und Kräutern.

Entsprechend ist "The Favourite" auch in seinem homoerotischen Mäandern nicht immer hermetisch verschlüsselt. Garniert mit Witz und Spott (gab es jemals eine lakonischere Hochzeitsnacht?), formuliert Lanthimos seine Frage nach der Liebe inmitten von Abhängigkeit und Anhänglichkeit von Grund auf neu: Funktioniert Liebe, wenn sie ehrlichen Austauschs und daher manchmal sadistischer Untertöne ist? Oder verlangt Liebe Unterordnung, Kreuzbravheit, Idealisierung? Wo Sarah (Weisz) ihre Königin als "Dachs" denunziert und von der Nichtverstellung Gebrauch macht, steht ihr Abigail auf Gedeih und Verderb zur Verfügung. Aller weiblich intriganten Wechselbeziehungen zum Trotz, die Lanthimos nicht durchweg hochspannend abfilmt, tanzen die Frauen nicht selten auch gegen die Männer, gegen blumige Perücken und Leberflecke (Nicholas Hoult). Es gehört zur Pointe Giorgos Lanthimos', dass die umstürzlerischsten von ihnen zurück auf ihre Plätze verwiesen werden.