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Freitag, 6. Mai 2016

"Shocker" [USA 1989]


Unter all' dem Wahnwitz, den "Shocker" sich in einem fiebrigen Comic-Strip-Möglichkeitsraum zutraut – letztendlich rührt der Film das Pastiche eines metafiktiven Wes-Craven-Films zusammen. "Shocker" tänzelt um die Verfehlungen und Verwerfungen der Elterngeneration, die in deren Kindern (ungewollt) fortleben, um Verantwortung und Bewusstsein, um eine nostalgische, enthaltsame Schulromanze, vor allem um multimediale Erlösungsfantasien. Der Fernseher erscheint einerseits als adäquater eskapistischer Fluchtausweg, andererseits als adäquater offener (und pechschwarz angestrichener) Eingang, einzig mit Hilfe der Transzendenz das entmaterialisierte, sich weitertransformierende Böse aufzuhalten: Mitch Pileggi spielt bebend wuselig den entwurzelten Showstar, selbstüberschätzten Sonntagspriester und… lüsternen Serienkiller. Durch die (postmodern fragmentierte) Historie offerierter Fernsehschnippsel kämpfen Horace Pinker (Pileggi) und Jonathan Parker (Peter Berg, der Peter Berg!) sich in einer der schrillsten Szenen von krisseligem Ereignis zu Ereignis, bevor der Strom gewaltsam abgeschöpft wird und die Fernbedienung, dieses elementare Werkzeug neuzeitlicher Weltaneignung, das Bild ausschaltet. Vielleicht hält die Glotze wahrhaftig die Lösung unserer Probleme bereit – aber im Traum sollten wir nicht daran denken, sie für immer verstummen zu lassen, wenn ein Kind mordlustig einen Bagger fährt. Denn "Shocker" persifliert sich nah an der Grenze zum trashigen Schwank. Die Linie, die er dabei übertritt, ist indes jene eines Statements unendlicher inszenatorischer Freiheit der Kunst, die das Leben rettet.   

6 | 10

Freitag, 8. April 2016

Serien: "Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI" / "The X-Files" - Staffel 10 [USA 2016]


[...] Putzig wehren sich Mulder und Scully gegen die Displaygesellschaft. Da ist immer ein Blick griesgrämiger Abscheu, wenn sie (manchmal unkontrolliert knipsende) Smartphones benutzen (müssen), immer ein Blick konfuser Ratlosigkeit, wenn cholerische, dampfplaudernde Digitalkanäle die neuesten Klatsch- und Tratsch-Aluhut-Nachrichten aus der Tagesspalte verdrängt haben. Mulder und Scully wirken in ihrem konservativen, steif sondierenden Anzugträgergebaren antik, in der Postmoderne impulsgeleiteten Informationsfeuers erst recht. Es ist eine einzelne Szene, die Sicherheit ausstrahlt, das Genre rekapituliert, die konspirativen Siebziger wie die eklektischen Neunziger transzendiert: Scully nimmt Platz auf einer Bank bei strömendem Regen, empfängt einen Insider (Gaststar Annabeth Gish), der ihr die erforderlichen Geheimnisse anvertraut. Als ob das Chaos der Welt unter einem Regenschirm auf einer Bank zu retten wäre. Nur der weiße dampfende Kaffeebecher fehlt. [...]


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Mittwoch, 12. Dezember 2012

Die imposanten 7: Akte X-Folgen [Season 7]

   #7 
   »HOLLYWOOD«   
»HOLLYWOOD A. D.« 
(E19)


Was erwartet den Zuschauer, wenn er eine "Akte X"-Episode written and directed by David Duchovny sieht? Lachmuskelrasen. Geballtes Lachmuskelrasen. Trash und Dünnpfiff. Aber geballter. Schwachsinn zum Quadrat ist schon die erste Szene – Scharfschützenzombies, die Lazarus-Schale, ein kettenrauchender Pontifex und ein inniges Techtelmechtel zwischen Scully und Mulder im Sarg. Daraus folgt ein, wie der Titel der Folge bereits andeutet, Film-in-der-Serie-Szenario voll' an überdrehtem Situationsschabernack (die Knochen tanzen!), geben sich Scully und Mulder doch für eine Verfilmung ihres eigentümlichen Berufsfeldes her, indem sie neben einem Religionsverbrechen zugleich mit ihren Hollywood-Plagiaten anbandeln: Scully als "Jodie Fosters Adoptivtochter für Minderbemittelte" und Mulder als "Harrison Ford für Arme als Zeuge Jehovas". Richard Gere spielt Skinner, Zombies tanzen in Harmonie und die Telefonkonferenz ist einwandfreier Kult. Hollywood eben. 

   #6  
  »DREI WÜNSCHE«   
  »JE SOUHAITE«    
  (E21)


Rattenscharfer Comedy-Quatsch mit überzuckerter Sauce, da es spannend bleibt, für welche drei Wünsche sich der Betreffende entscheidet. Alles kreist um eine Dschinn, die nachvollziehbarerweise richtiggehend genervt wirkt, wenn sie darauf wartet, dass ihr "Meister" geheimste, auf Erfüllung wartende Sehnsüchte gesteht. Zum Beispiel ein zugeklebter Mund des Chefs, eine Luxusjacht im Garten der abgewrackten Sozialsiedlung oder unsichtbar zu werden oder den toten (besser: verwesten) Bruder ins Diesseits zurückzuholen, bevor die Bude schlussendlich in die Luft fliegt. Man sieht: Mit dem Sprung nach oben kommt der Fall nach unten, auch Mussolini und Nixon wussten das. "Drei Wünsche" mahnt den Egoismus des Menschen an, der jedoch verdutzt dreinschaut, sobald sein Traum erfüllt wird. (Scully freut sich übrigens wie ein kleines Kind, als sie die Ehre hat, besagten Unsichtbaren zu obduzieren und damit ihren eigenen Traum wahr werden zu lassen. Vorläufig.)    

   #5   
   »TAUSEND STIMMEN«   
»THE SIXTH EXTINCTION« 
 (E02)


…buchstabiert das Finale eines Mythologie-Dreiteilers, dessen zwei vorangegangene Beiträge – "Artefakte" und "Böse Zeichen" – größtenteils in anstrengendem Religionskauderwelsch der These nachgingen, ob uns die Außerirdischen als wahre metaphysische Macht geschaffen haben. "Tausend Stimmen" jedoch charakterisiert Fox Mulder zum Alien-Mensch-Hybriden, und was konstruiert wirkt, ist hauptsächlich eine Geschichte über die Vergänglichkeit der Gegenwart und den Pessimismus der Zukunft. In einer von wunderhübschen Impressionen begleiteten Vision leben Deep Throat und Samantha zusammen, während Mulder in einem gemütlichen Haus unzählige Sonnenblumenkerne bunkert, mit Fowley eine Familie gründet und sich der Nachbarschaft des Rauchers erfreut. Doch alles um Mulder herum stirbt und es liegt letztendlich an Scully, Mulder in der Jetztwelt zum bedingungslosen Weiterkämpfen zu drängen. Wahrlich demutsvoll – auch die dämonischen Bilder der Kolonialisierung.      

 #4 
»VOLLMOND«
 »X-COPS« 
 (E12)


"Akte X" anders arrangiert, total anders, im Reality-TV-Format: händeschlotternd, körnig, dilettantisch. Bei Vollmond wohnt unser zickiges Duo einer Gruppe von verzweifelten Polizisten bei, deren Bestürzung daher rührt, weil sie etwas gesehen haben, das einer rationalen Verbrechensaufklärung widerspricht. Ein Werwolf, Freddy Krueger, der Wespenmann – unter Taschenlampen- und Straßenlaternenlicht mitten im Sündenpfuhl an Schmutz und häuslicher Verwesung repräsentieren sie die Triebfeder der Angst des Menschen. Vorrangig ist "Vollmond" aber weder bedrohlich noch besonders intelligent, sondern eine Spaßexplosion sondergleichen. Da lässt sich ein homosexuelles Pärchen dazu hinreißen, Norma Desmond zu imitieren, Skinner ist innbrünstig davon überzeugt, dass das FBI keine Geheimnisse hätte, und Mulder hält paranormale Endlosdialoge vor der Kamera, zum Missfallen Scullys. Eine Kamera, die nicht immer die Wahrheit zeigt.              
  #3  
  »GAME OVER«   
»FIRST PERSON SHOOTER« 
 (E13)


In der Präsentation formaler Extravaganz wird die Serie mit der Wahrheit irgendwo da draußen spätestens seit der sechsten Staffel nicht mehr müde. Sollte sie auch nicht. "Game Over" passt sich dem zunehmenden Zeitalter virtueller Testosteronausschüttung an und versinkt in einem Sumpf an grobschlächtiger Männlichkeit, die auf ihre niedersten Instinkte zurückgeschleudert wird, was bedeutet, dass Scully den Wald vor lauter steinzeitlichen Gorebauern nicht mehr sieht. Ein offensiv herbeigeführter "Basic-Instinct"-Verweis entlarvt Mulder zwischenzeitlich als auch nur ganz normales, triebgesteuertes Wesen, während er zusammen mit Scully ein Videospiel im Kampfanzug nebst Blutbeuteln und Sonnenbrille bestreitet, um in dessen Level – darunter im Western – die ultimative Götting aller Fleischeslust aufzuhalten. Nein, zu killen! Die Episode zelebriert ungeahnte Sinnlosigkeit, in deren Ende jedoch die Emanzipation gewinnt. Das ist Entertainment!      

 #2  
  »ALTE SEELEN«   
»SEIN UND ZEIT« 
...
   »STERNENLICHT»   
»CLOSURE» 
 (E10/11)


Mulders Mutter erliegt ihrem Krebsleiden, und dieser Abschied ist nicht der einzige dieser Doppelfolge. Trauer durchzieht sie, Selbstverleugnung und -erkenntnis charakterisiert sie. Was als Entführungsfall beginnt und beim mutmaßlichen Täter auf einem Massengrab, umgeben von schluchzenden Polizisten und träumerischer Resignation, endet, entpuppt sich als dramaturgischer Trick, das narrative Element der Entführung im zweiten Teil zur Parallele des berüchtigtsten Entführungsfalls der Serie zu erklären – nämlich Samanthas Verschwinden, auf dessen endgültiger Aufklärung Mulder ein Recht hat. Mit der Hilfe eines ebenfalls desillusionierten Hellsehers und wenigen komödiantischen Allüren scheint das Rätsel um Mulders Schwester nach sieben Jahren gelöst. Moby unterstreicht das Ende tiefenspirituell, es entsteht eine innige Verbindung, die kein Werkzeug jemals zerschneiden könnte. Mulder ist frei, dem Himmel ergeben.       

  #1  
»DAS GLÜCK DES HENRY WEEMS« 
»THE GOLDBERG VARIATION« 
 (E06)


Scully und Mulder sehen sich einer schiefen Ermittlung ausgesetzt, bei der Glück die treibende Kraft sei. Sie wollen den größten Glückpilz der Welt aufspüren und schützen, obwohl Mulder weiß, dass er gar nicht geschützt werden muss: Dieser Glückspilz, der ein Geschenk fürs FBI wäre, gewinnt beim Pokern (Straight Flush) und beim Lotto ($100.000), überlebt einen Sturz (30. Stock) und die gegelte Mafia gleich mit. Und das nur, weil ein totkranker Freund auf eine Spenderleber wartet (der junge Shia LaBeouf!). Menschlich ebenso wärmend wie erbauend ohne Ende, werden Scully und Mulder zu einem Teil einer trickreich-verschachtelten Kettenreaktion aus Ursache und Wirkung, die nur glückliche Gesichtsausdrücke kennt, nachdem das Ende gekommen ist. Währenddessen versucht sich Mulder als Klempner. Er mag ein scharfsinniger Agent sein, aber zum Klempnern fehlt ihm das gewisse Etwas. Drehe das Wasser zu und du wirst noch mehr bespritzt!     

Donnerstag, 8. November 2012

Die imposanten 7: Akte X-Folgen [Season 6]

      #7 
   »SUZANNE«   
»THREE OF A KIND«
   (E20)


Inoffizielle (offizielle?) Fortsetzung der "unüblichen Verdächtigen", einem verwegenen, unerschrockenen Trio – ein Schmaler, ein Kleiner und ein Blonder, dem dringend die Haare geschnitten werden sollten, damit auch er Undercover arbeiten kann. Im zweigesichtigen Las Vegas der Verlierer und Verlierer angesiedelt, begegnet der Schmale seiner Traumfrau von einst, die er wiederhaben will. Daraus schält sich eine Geschichte voll' an hinreißender Komik, leibhaftiger Liebe und minimal-maximaler Geheimniskrämerei. Denn sie geht fremd! "Suzanne" sticht heraus, da der Scully-Sidekick einen Magenkick in ihre Persönlichkeit darstellt. Hätte das Mulder gesehen, wie sie aufgrund einer Injektion zur lasziven Nutte mutiert, sich anbietet, raucht und um Feuer bittet, dabei Morris aus "Dreamland" wiedersieht und sich selbstverständlich mit einem augenzwinkernden Arschklatschen revanchiert! Brüller. 

   #6  
»DIE GEISTER, DIE ICH RIEF« 
 »HOW THE GHOSTS STOLE CHRISTMAS«    
  (E06)


Eine in ihrer abgestandenen Antiquiertheit atmosphärische Heiligabend-Episode, die allerdings im Begriff ist, das Fest der Liebe, Gemütlich- und Warmherzigkeit zu entlarven, und deren Schauplatz, ein gotisches Haus nebst unrühmlicher Vergangenheit, hakt fortwährend sämtliche Klischees ab, die nicht sterben wollen, auch nicht an Heiligabend: Kerzen, Gewitter, Spinnweben, Stromausfall, ungebetene Gäste, egal, ob tot oder scheintot. Diese hält man sich naturgemäß vom Leibe, indem man sich die Angst ohne Punkt und Komma herunterredet. Scully und Mulder setzen sich außerdem mit den eigenen Geistern auseinander, die sie küchenpsychologisch zu analysieren versuchen, wobei das multiräumliche Haus selbst einige schicke Fallen offenbart, zum Beispiel Türen, hinter denen Mauern den Eingang… vermauern. Beinah hätte sich das einsame Paar erschossen (was für eine Blutspur!), man kann von Glück reden, dass sie sich trotzdem noch etwas schenken können.  

   #5   
  »SPOREN«   
»FIELD TRIP« 
(E21)


Undurchschaubares Stück "Akte X", weil es den Zuschauer vor einen Abgrund stellt, in den er wahlweise hineinplumpst oder, wenn er es doch durchschaut, sich kurz vor der Kante des Abgangs rettet. Ging einigen Staffel der Serie zum Ende hin kurzzeitig die Luft aus, beweist die sechste tatsächlich, dass sie ihre Sauerstoffersatzflaschen penibel verstaut hat, um sie gegebenfalls hervorzukramen. Die Frage nach der Halluzination in der gegenwärtigen Realität zeichnet "Sporen" aus, dessen gewitzter Umgang mit einer verschleimten Pilzkultur, die sich in der Wahrnehmungsänderung meisterlich versteht, Widersprüche entgegen herkömmlicher Figurencharakterisierung heraufbeschwört: Mulder entführt ein total echtes Alien, Scully gesteht ihren wissenschaftlichen Irrtum ein, Mulder stirbt, Scully zweifelt an der Todesursache, die Einsamen Schützen aber nicht, Skinner ist der falsche. Ein chemischer Bewusstseinstrip.      

  #4 
   »DER REGENMACHER«   
»RAIN KING« 
   (E08)


Komödiantisch, romantisch, fröhlich. "Der Regenmacher" ordnet sich passgenau in den Tenor der sechsten Staffel ein, vermehrt der experimentellen Linie zu folgen, die ausgelassen und richtig obskur Grenzen verschiebt und Serienkonventionen außer Kraft setzt. In entfesselter Skurrilität geht es diesmal um ein weinerliches Weißbrot an Mann, dessen Liebeskummer Stimmungsschwankungen verursacht, die sich auf das von ihm manipulierte Wetter auswirken. Mulder muss Ratschläge in Sachen Liebe geben, wenn er nicht gerade mit seiner leicht genervten Partnerin Cheerleader-Willkommenstänzen beiwohnt und Indianer-Pseudotänze durchsteht. Happy End folgt auf Happy End folgt auf Happy End, alle liegen sich in den Armen, knutschen, sind glücklich mit sich und dem anderen da an den Händen nach dem lange auf sich wartenden Liebesgeständnis. Wetter hellt auf, ein Lächeln umspielt die Lippen. Das ist wundervoller Kitsch, kaum schöner könnte er sein.             

  #3  
  »IM BERMUDA-DREIECK«   
»TRIANGLE« 
(E03)


Chaos, Zeitsprünge, Split Screen und ein verschwundener wie verwunschener Luxusliner, in deren Kapernfahrt kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Mulder hineingerät, der kolportierte deutsche, hellseherische Spion unter einer illustren Riege des doppelt besetzten "Akte X"-Personals (der Raucher als Nazi-Scherge, Spender als Oberarschloch). Ob seiner Plansequenzen außerordentlich dahinströmend, fußt das Handwerk jedoch auf erzählerischem Nährboden, wenn aus diesem Gewirr an ununterbrochenen Bewegungen wüste Fleischfetzen an Menschen resultieren, die an der Seite über mehrere Etagen hinweg gestreift werden. Die totale Missordnung. Küsschen folgt auf Küsschen: Mulder küsst Scully in der alternativen Zeitlinie, erntet dadurch einen Kinnhaken, und als er dann von seinem Traum aufwacht, gesteht er ihr seine Liebe. Sie glaubt ihm nicht, was sie aber nicht davon abgehalten hat, ihrem ehemaligen Direktor aufs Geradewohl einen Schmatzer verpasst zu haben.     

  #2  
    »ZWEI VÄTER«    
 »TWO FATHERS« 
...
   »EIN SOHN»   
»ONE SON»
 (E11/12)


Nach dem in den Vorgängerstaffeln ausgebreiteten, tendenziell zu ambitioniert aufgetragenen Mythologie-Quatsch, bei dem die Drehbuchautoren vermutlich auch nicht so genau wussten, was sie wie womit zusammenbasteln, zeigt sich in der zentral implementierten Doppelfolge, dass Antworten nicht schwer sind, wenn die richtigen Fragen adäquat gestellt werden. Wer was hier plant, ist ohne künstliche Verschachtelungen überbordend spannend und insgeheim eine Zäsur in der Mythologie der Serie, wenn Mulder die (mal mehr, mal weniger überraschende) Wahrheit über das Komitee baldiger Kolonialisierung erfährt, das wenig später einem Massensterben zum Opfer fällt. Die Protagonisten variieren indes kaum; es ist ein erfrischender Rundumschlag der Beschützer und Schützen, der Verschwörer und Mitverschwörer, der Lügner und ihrer Lügner. Offene Fragen bleiben nichtsdestotrotz, und die Antworten darauf liegen naturgemäß irgendwo da draußen.  

   #1  
»DREAMLAND« - Teil I, II
     (E04/05)


Morris Fletcher ist Fox Mulder. Morris ist Fox, Fletcher ist Mulder. Der Morris-Körper im Mulder-Geist, der Mulder-Geist im Morris-Körper. Der Morris-Körper ist nicht der von Fox. Oder sieht der von Fox etwa wie der von Morris aus, und zwar der von Morris Fletcher? Eher nicht, aber alle halten sie für diejenigen, die sie nicht sind, sondern in die entgegengesetzte Richtung sein sollten. Gespiegelte Oberflächen reflektieren die Wahrheit; das Problem ist nur, dass diese Wahrheit nur für sie allein sichtbar ist. Rollentausch, Jobtausch, Lebenstausch – einmal Area 51 (Mensch, Mulder!), einmal FBI (arme Scully!). Mulder, äh Morris, genießt das Flirten und Stoßen am Arbeitsplatz, auch Scully sieht sich einem Klaps auf den Hintern ausgesetzt, und Morris, äh Mulder, landet in anstrengenden Eheneurosen, beleidigt seine ungewollten Kinder, guckt Pornos. Aber er profitiert vom illusionären Tausch, denn seine Wohnung sah danach nicht mehr wie Penner aus.     

Mittwoch, 26. September 2012

"Akte X - Der Film" / "The X-Files: Fight the Future" [USA 1998; Erweiterte Fassung]


"Akte X" völlig bei sich, untergetaucht im popkulturellen Fahrwasser und mit dem Wink mit dem Zaunpfahl: Fox Mulder (David Duchovny) gibt sich die Ehre, einen anderen freien Platz zum Urinieren zu suchen, nachdem der in der Kneipe außer Betrieb ist. Da geht er raus und pinkelt an die Wand in einer dampfigen Hinterhofgasse vor einem "Independence-Day"-Filmplakat. Der glühende Wahrheitsverfechter und schonungslose Glaubensbruder (an kleine grüne Männchen glaubt er), alleingelassen von seiner Regierung, die die Existenz nicht namentlich bekannter Rassen jenseits des Erdplaneten gleichermaßen verleugnet wie vertuscht, steht Genrekino gegenüber, in dem ein Regisseur den Untergang durch kleine grüne Männchen heraufbeschwor, jenen Untergang, den Mulder zu prophezeien versucht, aber nur auf taube Ohren stößt.

Für die hiesigen Serieneinsteiger hinterm Mond hat der Film, seines Zeichens fungiert er als Bindeglied zwischen der fünften und sechsten Staffel, als die X-Akten verbrannt und geschlossen wurden, eine weitere süße Leckerei im Angebot, wenn Mulder – diesmal angetrunken – die Geschehnisse davor rekapituliert. Er sei eine Hauptfigur in einer Verschwörung auf höchster Machtebene operierender Mitverschwörer, der Squashball, der immer wieder an einer dicken Wand abprallt und zum Ausgangspunkt zurückfliegt. Für die hiesigen Serienfans vor dem Mond rekapituliert der nahezu eine gesamte Mythologie-Doppelfolge plus Überlänge abdeckende Spielfilm dagegen den Kanon an allem, was "Akte X" Identität verleiht.

Neue Felder beackert er also eher nicht, düngt alte auf, als dass er sich kreativer zeigt. Ob das Sinn hat oder nicht, ob das handlungsvorantreibend ist oder nicht, steht nicht zur Debatte. Die hinlänglich bekannten Situationen und Geschehnisse aus der Serie werden so selbstverständlich aneinandergereiht, dass es bisweilen abgekupfert und nur noch abgedroschen wirkt. Wieder wird Scully (Gillian Anderson) entführt, wieder wird sie kurz vorher mit einer tödlichen Krankheit angesteckt, wieder schaufelt sich das Ermittlerduo beiderseitige Alibis zu, wieder setzt sich Mulder über alle Vorschriften hinweg, um Scully zu retten, die sich im entscheidenden Augenblick dem UFO abwendet (das ist gelungen): Bowmans und Carters grundlegende Problematik fordert, die Klischees zu entfachen, ohne sie zu brechen. Dass Figuren wie Direktor Skinner (Mitch Pileggi), der Krebskandidat (William Bruce Davis) und klassische Serienstars wie Terry O'Quinn zudem kommentar- wie konturlos in den Raum gestellt werden, während sie ihren Prinzipien in Anlehnung des gleichen mürrischen Gesichtsausdrucks aufsitzen, forciert das Gefühl, "Akte X – Der Film" wolle möglichst nur verweisen, aber nicht kohärent schweißen. 


Dem latenten Trash-Appeal verpflichtet, schreibt das von Serienschöpfer Chris Carter verfasste Drehbuch außerdem die wohl unerquicklichste Szene im Leben und Wirken von Scully und Mulder – der angedeutete Kuss wird jäh unterbrochen, sobald eine in Scullys Jackenkragen eingenistete Biene in genau diesem Moment zusticht. Peinlich! Gegenüber dieser Ausnahmeerscheinung herrscht jedoch ein lockerer, flapsig-romantischer Umgang zweier wissenschaftlich diametral gepolter FBI-Agenten, die sich im Laufe der dahinschwindenden Jahre besser verstehen, tiefer gebunden haben und sich mehr und mehr aufeinander verlassen müssen, ohne jemals ihr Vertrauen hinsichtlich des anderen in Frage zu stellen. An einer Weggabelung versuchen sie gar, über die korrekte Richtung auszudiskutieren und entscheiden sich letztlich pragmatischerweise für die Staub aufwirbelnde Mitte. Der geneigte Fan ist versucht, diese gallige Ironie als Wiederauflage einer ähnlichen Hürde der Episode "Energie" dritter Staffel zu deuten.

Auch die Verfolgung eines Zuges mitsamt leichtem Roadmovie-Charakter, der hochgiftige Substanzen außerirdischer Natur transportiert, erinnert an "Das Täuschungsmanöver" (erste Staffel) sowie an das Teilstück "Der Zug" eines Zweiteilers aus der dritten Staffel, wohingegen der Schwarze Krebs längst zum Baukastenrepertoire ungelöster Geheimnisse gehört, dessen Radius extraterrestrische Kolonialisierung und Versklavung einschließt und mehrmals den "Alien"-Mythos mal mehr, mal weniger plump herbeizitiert. Ungefähr so: Bahnen sich Scully und Mulder im Finale einen Weg durch ölig-feuchte Lüftungsschächte (James Camerons "Aliens"), entkommen sie gleichzeitig vor glitschigen Organismen der nächsten Stufe der Evolution, die dem Brustkorb ihres Wirts entspringen (Ridley Scotts "Alien"). Diese Elemente setzt der Film allzu deutlich ins Bild, was heißen soll, dass Subtilität fortwährend zur repetitiven Ausstellung der sonst hervorragenden Maskenarbeit – vor allem in den obligatorischen Scully-Autopsien zersetzender Gewebestrukturen – verkommt.

Dass "Akte X" nicht davor Halt macht, ein Serienkonzept nahtlos auf die Leinwand zu übertragen, sondern dem Prinzip überhöhter Schauwertakzentuierung folgt, definiert den Film als bildgewaltig. In den Ortswechseln die Temperaturunterschiede auslotend, hakt die Geschichte das ebenso Eisige wie Heiße ab, schwenkt zur Antarktis, endet in der Wüste. Neben gigantischen Feldern von genmanipuliertem Mais, aufbrausenden Bienenattacken (siehe "Herrenvolk")  und futuristischen Gebärstationen (Marke H. R. Giger) dürfen Bowman und Carter ihre Visionen in die Tat umsetzen, die aufgrund des niedrigen Budgets in der Serie an sich keinen Platz fanden. So zerberstet ein mehrstöckiges Gebäude nach einer druckvollen Explosion und die Computertechnik ermöglicht es, Schneeschichten (etwas künstlich) versinken zu lassen, wenn ein UFO dem Himmel entschwindet. Das (Brief-)Versprechen, dass Scully und Mulder schlussendlich wiederkehren werden, obwohl sie ihre gegenseitige Trennung aus beruflichen Gründen bekannt gaben, verdeutlicht hingegen eine glanzvolle Wiedergeburt einer verloren geglaubten Niederlage.    

5 | 10

Donnerstag, 20. September 2012

Die imposanten 7: Akte X-Folgen [Season 5]

      #7 
   »EIN SPIEL«   
»CHINGA«
  (E10)


…isst mit der Eintopfkelle die Stephen-King-Gesetzmäßigkeit in großen Schlucken. Dazu zählt das verschlafene Städtchen Maine, dessen verwunderliche Einwohner, das Stirnrunzeln, die halbgeöffnete Haustür und das Fragezeichen in Bezug auf Fremde, der einbrechende Horror in der Normalität durch das Übernatürliche einer lebendigen Puppe, die kreativen Tötungspassagen – hier wird per Schallplattenscherbe geschnetzelt, Augen zerkratzt und der Hammer auf den Kopf geschlagen – sowie eine Grundstimmung im Bereich von Schmunzeln und Gruseln. Als hinreißende "Chucky"-Adaption nur bedingt zu gebrauchen (warum unternahm die Mutter eigentlich nicht früher einen Versuch, die Puppe ihrer Tochter loszuwerden?), liegt es in erster Linie an meiner begeisternden Affinität zu Stephen King, dass "Das Spiel" in diese Liste nach längerem Überlegen dennoch aufgenommen wurde. Und wegen den Mulder-Scherzen aus Langweile.  

   #6  
   »DAS ENDE«   
   »THE END«        
 (E20)


Scully und Mulder am Ende ihrer Reise, am vermeintlich toten Punkt ihrer Beziehung; fassungslos  liegen sie sich in den Armen inmitten von Trümmern, den letzten Überresten an ermattender Schwärze, die sie in dem Raum verschlucken, dem sie ihr ganzes Leben gewidmet haben. Nun ist er ausgebrannt und mit ihm die Geheimnisse und die Wahrheiten und die Protokollierungen unerschütterlichen Glaubens. Auch sonst liegt Feuer in diesem schockierenden Staffelfinale: Der Krebskandidat in Aktion, Krycek auf Abfangkurs, ein singulärer Gedankenleser, ein Attentat auf einen betrügerischen Schachweltmeister und eine eifersüchtige Scully, weil Mulder seiner Ex Erkenntnisse anvertraut, die nur für Scully bestimmt sein sollten. Scully verbirgt ihre Gefühle, im Gegenzug lassen sich Mulders (keineswegs unschuldige) Gedanken einigermaßen leicht lesen: Wenn Mulder  "Baywatch" erwähnt, denkt er Schmutziges.  

  #5  
 »KILL SWITCH« 
(E11)


Was künstliche Intelligenzen anrichten können, zeigt sich in der erst zweiten Cyber-Folge der Serie. Waffenplattformen des Verteidigungsministeriums nehmen denjenigen ins Visier, der sich unerlaubten Zutritt ins Netz der Wünsche und Träume verschafft. Toughe Frauen und zurechtgestutzte Hacker spielen in einer technizistischen Episode die Hauptrolle, die destruktive Lust an der reißerischen Explosion mit der anatomischen Verschmelzung von Mensch und Maschine vermischt. Ein bisschen Cronenberg, ein bisschen "Eraser"  und vor allem ganz viel verschlungener Kabelsalat bestätigen Mulder in dem Irrglauben, er als FBI-Agent könne nicht Teil des virtuellen Systems werden. Als er sich schließlich selbst in einer Software-Architektur befindet, wird er von hübschen, als Krankenschwestern getarnten Blondinen versorgt (er merkt, dass ihm bald beide Arme fehlen) und wundert sich über die verborgenen Kung-Fu-Fähigkeiten Scullys.      

 #4 
 »REDUX« - Teil I, II 
 (E01/02)


Mulders angedeuteter Tod wird nicht mehr zur indianischen Heilslehre erhoben, sondern in ein erkenntnisreich geschriebenes Verwirrkarussell integriert, dessen treibende Anspannung und unausweichliche Dichte die Figuren bedrängen und sie psychisch gleichermaßen einschnüren wie verkrampfen. "Redux" vermischt einen gesuchten Maulwurf in der FBI-Zentraladministration mit der zeitgeschichtlich visualisierten Ausweitung einer über vier Jahre vorgetäuschten Lüge. Dazwischen kämpft Scully weiter mit ihrem Krebs, für dessen Heilmittel sich Mulder stark macht und sich Zugang ins Verteidigungsministerium verschafft, um schlussendlich auf gezüchtete (?) Alien-Körper zu stoßen. "Redux" filtert die emotionalen Ausbrüche Mulders, changierend zwischen Tod und Widergeburt, weil es zum erneuten Familientreffen kommt und der Krebskandidat empathische Züge zeigt. Skinner indes war nie hilfloser. Mythologie-Elegie.             

  #3  
»DIE UNÜBLICHEN VERDÄCHTIGEN« 
»UNUSUAL SUSPECTS« 
(E03)


Wie die Einsamen Schützen zu aufrichtigen Wahrheitswünschelrutensuchern wurden, muss zwangsläufig wahnsinnige Terroristen und Paranoia auf der höchsten Alarmstufe anziehen. Ausgehend von einer Frau, einer Traumfrau, die sich als ein Opfer einer Regierungsverschwörung beschreibt, überschneiden sich die Wege dreier bekloppter Nerds und schräger Vögel mit denen von Mr. X, von Fox Mulder (mit übergroßem Handy!) und der ersten Bekanntmachung manipulativer Säuberung und Verdrehung im Staate der unbegrenzten Möglichkeiten. Während Mulder nach einer Schießerei in einer Lagerhalle halluzinatorischer Substanzen einem Fiebertraum erliegt, indem er die Männer vor ihm als kleine Männchen außerirdischer Qualität klassifiziert, erweisen sich die Methoden der Kontrolle und Überwachung in dieser frühen Folge der fünften Staffel als bemerkenswert trickreich: eine Wanze unter dem Zahn sowie in der Hotelbibel.    

  #2  
 »BÖSES BLUT« 
»BAD BLOOD« 
(E12)


So wie Mulder laut eigener Auskunft unter Drogen stand, um Ereignisse zu erklären, die sowieso niemand glaubt (erst recht nicht Skinner!), so steht die Folge "Böses Blut" stellvertretend dazu selbstverständlich auch unter Drogen und hat vorrangig einen riesengroßen Knall. Anders kann man sich dieses saftige Stück Kalauer nicht erklären, aus zwei divergierenden Erzählblickwinkeln den Vampirismus in dumpfbackige Dorftölpel mit vorstehendem Gebiss unterzubringen, denen Scully halbverliebt nachschaut. Sie macht die Drecksarbeit mitten in der Nacht und schmeißt ebenso geistesabwesend wie hungrig Organe auf die Waage, während Mulder sie mit Hilfe seines Wissens und seiner Lache (Lieblingsszene) demütigt. Ein vibrierendes Bett, offene Schnürsenkel, schlechte Laune, falsche Fangzähne, Sonnenblumenkerne, Pizza, Münzen, Gedärme  – und zwei Kollegen, die zum keifenden Ehepaar gereift sind. Versöhnungskuss?   

  #1  
 »DER GROßE MUTATO« 
»POST-MODERN PROMETHEUS«
(E05)


Eine komplett in Schwarz-Weiß abgedrehte Episode, die den Elefantenmenschen und Dr. Frankenstein hinüberrettet in expressionistische Licht- und Schattenspielereien, ausgewachsenen Monsterängsten, rigorosen Verdrängungen und jenen Hampelmännern (darunter eine nicht richtig tickende Journalistin), die kurz davor stehen, durch ihr schiefes Auge auf Fremde alle Stereotypen zu erfüllen, die ihnen von den Stadtmenschen aufgezwungen werden, so auch von Scully und Mulder. Eine Allegorie des Erdnussbutter-essenden, die Wärme suchenden Außenseiters im Dunkel der Nacht; angesichts der befreiten Musik von Cher mit belustigendem Grauen angereicht. "Twin Peaks" grüßt freundlich. Wenn unser Paar zu "Walking in Memphis" bis zum eingefrorenen Comic-Panel tanzt und der Mensch im Monster jubelt ob der Musik: Das ist eine Szene für alle Ewigkeiten, eine Szene der unumstößlichen Freiheit.

Dienstag, 11. September 2012

Die imposanten 7: Akte X-Folgen [Season 4]

      #7 
   »BLUTSCHANDE«   
»HOME«
 (E02)


Ein Kübel beängstigender Horror aus Inzest, genetischen Mutationen und abgestandenen, fallenbestückten Häusern fernab der Moderne, eine durchgedrehte Familie mitten im Provinzkaff, in dem Türen mit Absicht nicht geschlossen werden, das Fernsehen flackert und Baseball ein spielerischer Ausdruck für die Reinheit des Lebens ist. "Texas Chainsaw Massacre" auf dem Lande, eine Zeit bricht an, und zwar die des Grauens in einem Ort romantischer Nächstenliebe. Scully begutachtet eine Baby-Leiche (!) in einer engen Besenkammer, wohingegen der präzise, der treibende Szenenaufbau laute und leise Geräusche meisterlich aneinanderbindet und während eines Mordes am Sheriff mit einer bizarren Note versieht: Eine Schnulze über die wundervolle Liebe ertönt unmittelbar neben dem Zerhacken von prähistorischen Steinzeitmenschen. Mulder nennt Scully "Mum", die kurze Zeit später die Schafe zur Flucht antreiben muss. Krass und lustig. 

    #6  
»TUNGUSKA« - TEIL I 
    ...   
  »TUNGUSK - TEIL II   
 »TERMA«
    (E08/09)


Krycek lebt und niemand weiß, auf welcher Seite er sich positioniert hat, weil er sie nach eigenen Vorteilen ausrichtet. Mulder mag das gar nicht – Krycek muss sich, bevor die beiden nach Sibirien aufbrechen und schließlich in einem Gulag gefangen gehalten werden, einiges anhören; er sei ein ekelhafter Speichhellecker, dessen Moralmaßstäbe weit unterhalb der Kotzgrenze liegen würden, er hätte darüber hinaus einen dämlichen Haarschnitt und steckt wenig später Prügel von Direktor Skinner ein, während er am Balkongeländer festgeklammert ist. Der insgeheim russischsprechende Krycek steckt viel ein in "Tunguska". Mitte der zweiten Folge verliert er gar seinen linken Arm und vertraut fortan auf eine Prothese. Der Fall als solches füllt dagegen das übliche verzwickte Weltverschwörungsprogramm von der Wiederaufnahme des Kalten Krieges zwischen Russland und den USA auf; wieder einmal an verschiedenen Brennpunkten zur gleichen Zeit auf dem Erdball verteilt, nur, dass es diesmal um eine seltene Gesteinsprobe geht, die die aus den Folgen "Der Feind" bekannte, ölige Substanz freisetzt, sobald man dieses Teilstück eines außerirdischen Meteoriten durchtrennt oder beschädigt. Ein rasanter Fluchtversuch, Menschenexperimente im Altenheim, Beweisvernichtungen, explodierende Ölpipelines und das manische Belauern des Feindes auf einen Fehler: Nicht nur werden Worte und Indizien und Theorien ausgetauscht (dies gerinnt in Kongressanhörungen sowieso zur Staffage), sondern vor allem Taten. Taten, die Regeln brechen und auch mehrmals die Diplomatie untergraben, wenn es nötig ist. Äußerst körperbetont also, aber nicht ganz so körperbetont, dass Mulder nicht noch einmal den Fehler begeht, eine neue Freundin ins Beet zu zerren – seine Quelle aus der Regierung, eine attraktive Frau im erotischen Abendgewand, die Mulder Reisepapiere nach Tunguska mitten in der Nacht ausstellt. Innerhalb von drei Minuten. Tja.   

   #5  
   »DIE SAMMLUNG«   
»PAPERHEARTS«
 (E10)


"Akte X" wagt sich nicht zum letzten Mal auf polarisierendes Terrain, wenn sich ein verzweifelter Fox Mulder an jeden Strohhalm klammert, der sich ihm bietet, dem Verschwinden seiner entführten Schwester die Wahrheit zu entlocken. Im Traum wird Mulder von einem rötlichen Licht geführt, das ihn zu einer lange unentdeckten Mädchenleiche bringt, deren inhaftierter Mörder Mulder an der Nase herumführt, als er sagt, dass er auch mit Samanthas Tod in Verbindung stehe. Handelte es sich im Fall Samanthas demnach um eine herkömmliche Entführungsgeschichte eines Geisteskranken (gespielt von Tom Noonan) oder um das, was Mulder glauben will, nämlich eine Entführungsgeschichte außerirdischer Herkunft? Das psychologische Duell dieser beiden ist dicht, persönlich und mündet in raffinierten Tricks aus der Traumwelt in die Gegenwart, dem jeweils anderen ein überzeugenderes Argument auf den Tisch zu knallen und ihn der Scharlatanerie zu bezichtigen.    

  #4 
 »LEONARD BETTS« 
    (E12)


Leonard Betts ist ein renommierter, ein ausgezeichneter Rettungssanitäter, der auf wundersame Weise Krebsgeschwüre diagnostizieren kann. Nach einem Unfall verliert Leonard Betts seinen Kopf und spaziert als enthauptete Leiche ("Sleepy Hollow"?) aus der Halle vermeintlich toter Körper, vermag abgetrennte Gliedmaßen vollständig zu regenerieren und sichert sein Überleben, indem er herausgeschnittenen Krebsabfall isst. Von seiner Mutter geschützt ("Psycho"?), reißt sich Betts unter anderem seinen Daumen ab, um von Handschellen loszukommen. Mulder ist begeistert, Scully vor den Kopf gestoßen (hihi). Eine glibberige, übelschmeckende Monstrositätenschau zerschlissener Körperteile, die auf Scullys eigene Krankheit hindeutet und keinesfalls mit Köpfen, lebendigen Köpfen, nachwachsenden Köpfen, sonstigen Köpfen, Schuppen, Gedärm und Säften spart. Igitt und wie eklig! Aber wunderschön und wie obskur!             

  #3  
»GETHSEMANE« 
 (E24)


Was das für ein Aufschrei gewesen sein muss – der fulminante Cliffhanger kokettiert mit einem toten Mulder, Selbstmord, aus und vorbei; Scully zweifelt dazu eklatant an Mulders Vermächtnis, denn er sei der Lüge aufgesessen. Die Ereignisse überschlagen sich im Staffelfinale "Gethsemane". Auf der einen Seite die geborgene Leiche eines Außerirdischen aus dem ewigen Eis, die anatomisch (in verstörenden Bildern) geprüft wird. Auf der anderen Seite das Maximum aller Verschwörungen, welches besagt, Scullys Krebserkrankung wäre von den gleichen Männern verursacht worden, die Mulder Gründe liefern, dass er seinen Glauben forciert. Keine UFOs, keine Aliens, keine X-Akten, um darüber hinwegzutäuschen, dass illegitime Militäroperationen durchgeführt werden? Mulder wirkt, als ob er dies glauben will, aber nicht glauben darf: Zwei Tränen laufen ihm übers Gesicht. Wir wollen das auch nicht glauben. 

   #2  
   »GEDANKEN DES GEHEIMNISVOLLEN RAUCHERS«  
 »MUSINGS OF A CIGARETTE SMOKING MAN«
   (E07)


Der Raucher war früher Nichtraucher. Der Raucher bekam seine Zigaretten von Lee Harvey Oswald und wurde zum Kettenraucher, verdingte sich als Schriftsteller, der fallengelassen wurde, als es ihm gelang, endlich eine adäquate Geschichte zu schreiben, wechselte wieder zum Raucher, von da an zum Verschwörungsgeek, und es ist keine Seltenheit, dass er schon einmal einen Anruf von Saddam Hussein auf Leitung 2 bekommt. In abweichend visualisierten Lebensebenen verortet die Episode den Antagonisten der Serie als Metapher desillusionierter Regierungspolitik in den Wirren der amerikanischen Geschichte um Kennedy und King. Eine von Rauch und Qualm umnebelte Biografie, die nicht dezidiert darauf schließt, ob sie wahr oder falsch sein könnte. Wie der Raucher auf der Bank neben einer Obdachlosen sitzt, zuvor war er euphorisch, und das Leben ihm als eine Schachtel schädlicher Pralinen vorkommt, die niemand haben will: eine Schachtel Mitleid für den Feind, einem Menschen.  

  #1  
 »EIN UNBEDEUTENDER NIEMAND« 
»SMALL POTATOES« 
(E20)


Luke Skywalker ist verantwortlich, dass fünf Frauen ein Kind vom selben Mann gebären. Alle Kinder haben einen Schwanz, einen Schwanz hinten am Po. Die eine Mutter denkt, dass sie von Luke Skywalker geschwängert wurde, der ihr die Titelmelodie aus jenem Sternenkrieg, den sie 368mal miterlebt hat, vorsummte. Dieser Vater ist der Sohn eines Affenmenschen und besitzt eine zusätzliche Muskelschicht, die es ihm erlaubt, in jede Person zu schlüpfen. Irgendwann schlüpft er in das Kostüm Fox Mulders, der, wie herauskommt, ein tristes Leben in einer Wohnung führt, deren Schlafplatz auf die Schnelle nicht zu finden ist und der Anrufbeantworter vor Sex-Hotlines überquillt. So ganz fühlt sich der Sohn nicht wohl, auch nicht vor dem Spiegel: In "Taxi Driver"-Manier feuert er sich an, schreibt "FBI" zweimal falsch, und als er Scully besoffen küssen will, stürmt der echte Mulder herein. Er müsse laut dem falschen mal richtig leben – und mit Scully mal richtig reden! Na!