Montag, 28. September 2009

Insider (1999)



Story:
Zwei Männer. Sie wollen eine Geschichte erzählen und beide werden daran gehindert: Dr. Jeffrey Wigand ist bereit über seinen Ex-Arbeitgeber, dem Tabakkonzern "Brown & Williamson", in der Fernsehsendung "60 Minutes" einige geheime Details auszuplaudern, von dem seine gesamte Existenz abhängt. Dabei steht ihm der Journalist Lowell Bergman zur Seite, der für die TV-Station CBS arbeitet. Doch sein Chef, Mike Wallace, beschließt das Interview nicht auszustrahlen. Ein ehrgeizig geführter Kampf um Gerechtigkeit beginnt...

Kritik:


Da inszeniert der Michael Mann einen Film, der sich gekonnt gegen gängige Genre-Konventionen stellt, der mit Absicht den Verfolgungsjagden und Explosionen des schaulustigen Mainstream-Publikums Einhalt gebietet, der sich mit Bravour vom Mann´schen Potpourri wie ohrenbetäubenden shoot outs und virtuosen Banküberfällen entfernt, nur um am Ende mit kommerziell leeren Händen dazustehen. Trotz der 7 Oscarnominierungen wird "Insider" jedoch gern mal innerhalb des Regisseurs Oeuvre unterschätzt oder eben komplett übergangen. In Amerika spielte der Film gerade mal 30 Millionen Dollar ein, in Deutschland sahen nur mickrige 125.000 Zuschauer den Film im Kino. Keine guten Voraussetzungen, den Streifen an den Mann zu bringen. Doch Manns auf wahren Begebenheiten beruhende Enthüllungsgeschichte, bei der er den klassischen Kampf zwischen David und Goliath porträtiert, der Kampf zwischen einem Einzelnen und dem mächtigen System, ist eine cineastische Lehrstunde. Eine intensive Psychologiestunde und grandios fotografierter Medienthriller in einem, welcher aber doch so anders daherkommt, als dass er sich als echten Michael Mann-Film bezeichnen könnte. Denn "Insider" verzichtet unter anderem auf physische exzessive Gewalt, "Insider" thematisiert die strukturelle Gewalt der Medien. Nur eine Leseart des Films.

Obig erwähnter Kampf zwischen den Schwachen und den Starken wird im Film durch Jeffrey Wigand (Russel Crowe) dargestellt, der den heroischen Kampf gegen die Tabakindustrie aufnimmt und sich somit das angesprochene symbolische David gegen Goliath-Duell herauskristallisiert. Jetzt könnte man natürlich konstatieren, dass die Phrase "Rauchen macht süchtig und wirkt tödlich" derart ausgelutscht ist, dass es keines Filmes bedarf, sie um ein weiteres den Zuschauern mit moralischem Zeigefinger vor den Latz zu knallen. Dennoch liefert die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Industrie mit den kleinen weißen Stangen, der gezielten Manipulation des Konsumenten, um ihn mit veränderten Substanzen noch abhängiger zu machen, allenfalls einen zwar realen Hintergrund, auf dem aber nicht der narrative Schwerpunkt liegt. "Insider" berichtet eher von der Macht der Medien, klagt die fehlende Unabhängigkeit selbst eines politisch-ambitionierten Senders wie CBS an – auch eines Journalisten -, skizziert die ewige Unausgeglichenheit zwischen Recht und Gerechtigkeit und welchen Preis es kostet, moralisch zu handeln. Mit solch tiefen und universellen Einblicken in die korrupte US-Medienlandschaft, wo investigativer Journalismus einer oberflächlichen und gänzlich entstellten Berichterstattung zugunsten von hohen Einschaltquoten weichen muss, reiht sich "Insider" so gesehen nahtlos zwischen jenen bedeutsamen Medienthrillern der vergangenen Jahrzehnte ein: Alan J. Pakulas "Die Unbestechlichen" und Sidney Lumets "Network".

Vor allem oder gerade wegen der Tatsache, dass sich "Insider" fast vollständig auf seine beiden melancholischen, innerlich zerrissenen Hauptakteure stützt, darf Manns Thriller zuvorderst als ein Film der Einsamkeit gesehen werden. In der gemächlichen, aber nichtsdestotrotz sehr effektiven Exposition bekommt man schon zu Anfang das Gefühl, dass Michael Manns Männerkino ein repetitives Kino ist, das immer mal wieder zwei harte, einsame Kerle skizziert, die sich jedoch aneinander brauchen. Da macht "Insider" – so scheint es jedenfalls - keine Ausnahme, verinnerlicht man sich die ersten Minuten, in denen die Linie klar vorgegeben wird. In diesen wenigen Augenblicken, in dieser atmosphärisch dichten ersten Hälfte strotzt "Insider" geradezu vor einem detailreichen Konglomerat aus klingelnden Telefonen, auflegenden Hörern, permanenten Faxen, die rein- und rausgehen, hektischen Bilderfetzen, hektischen Bildkompositionen – und zwei Männern, die sich langsam annähern, indem sie stets das jeweils andere sagen, was sie in Wirklichkeit meinen. Da avanciert ein flüchtiges "Nein" zum eigentlichen "Ja". Lange bleibt im Unklaren, wer hier eigentlich was von wem will, ebenso welche Informationen Wigand gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber in der Hand hat, was auch im restlichen Film nie genauer unter die Lupe genommen wird. Es ist eine gemächliche Annäherung, eine Annäherung zwischen zwei ungleichen Existenzen, bei der sich Mann und sein Drehbuchautor Eric Roth viel Zeit lassen.

Nehmen wir Al Pacino: das ständige Gefühl der Verlassenheit spiegelt sich exemplarisch in Al Pacino wider. Er ist der Mann der großen Monologe und der großen Theatralik. Von großen Monologen und großer Theatralik ist von ihm in "Insider" jedoch wenig bis gar nichts zu spüren. Pacino spielt Lowell Bergman, einen engagierten Journalisten, der sich als einer der wenigen noch für Qualitätsjournalismus und für die Wahrheit im Fernsehgeschäft, für die Moral einsetzt, der niemals seine Quelle verkauft oder fallen lässt, der niemals aufgibt, bis sein Beitrag in voller Länge gesendet wird. Er kämpft insofern nicht nur für den Journalismus als solches, er kämpft zugleich gegen Zensur. Wir erkennen Bergmans Einsamkeit darin, wie er seinen Kaffee trinkt, wir erkennen sie anhand seines grimmigen Gesichtsausdrucks, die ein seltsames Gemisch irgendwo zwischen Trauer, Wut und Perspektivlosigkeit evoziert. Das hier ist nicht der unsterbliche Messias aus "Scarface" oder der von Ehrgeiz zerfressene Superbulle aus "Heat". Am ehesten lassen sich Parallelen zu Pacinos Rolle des Michael Corleone aus Coppolas "Der Pate 2" assoziieren. Beide repräsentieren auf ihre Weise einsame Helden, mehr noch, Lowell Bergmann gilt als Aushängeschild eines typischen Heldenideals aus den 70er-Jahren des New Hollywoods – einer gegen alle, so wie einstmals Warren Beatty in "Zeuge einer Verschwörung".


Auf der anderen Seite existiert der Wissenschaftler Jeffrey Wigand alias Russel Crowe, der seine Rolle grandios auszufüllen vermag. Scheinbar so grandios, dass man mal hier und mal da glaubt, Crowe genießt es förmlich, Pacino an die Wand zu klatschen. Auch er ist ein von Verlassenheit und Einsamkeit geprägter Einzelgänger. Mit grauen Haaren, Bauchansatz, leicht geducktem Gang sowie mit permanent schief sitzender Krawatte und triefendem Schweiß, die allesamt seinen enormen psychischen Druck und zum Teil auch seine zunehmende Paranoia (festzumachen zum Beispiel in der beeindruckend gefilmten "Golfszene") reflektieren. Ein potenzieller Kronzeuge, der in die Schusslinie seiner Firma gerät, der erpresst, bedroht und gedemütigt wird. Und der sich aufgrund eines Dilemmas nicht entscheiden kann, auf welcher Seite er steht. Ist er nun loyal gegenüber seiner Familie im Hinblick auf eine mögliche Scheidung, gegenüber seinem Arbeitgeber, in dem er sich auf die Verschwiegenheitsklausel beruft, oder doch lieber loyal gegenüber der Öffentlichkeit, die ein Recht hat, über die dubiosen Machenschaften von "Brown & Williamson" zu erfahren? Gefangen im eigenen Leben sozusagen. Fest steht zumindest, dass dieser Jeffrey Wigand eine äußerst ambivalente und komplexe Persönlichkeit darstellt, die vom brillanten method acting eines Russel Crowe profitiert und schlussendlich getragen wird. Oder anders ausgedrückt: der perfekte introvertierte Gegenpol zur extrovertierten Pacino-Figur.

Anders als in Manns wuchtiger Crime-Ballade "Heat" sind diese beiden Protagonisten fast nie gemeinsam in einer Szene, sondern öfters getrennt voneinander zu sehen. Es gibt kein Nebeneinander. Hinzu kommt, dass sich der Film mit fortlaufender Dauer deutlich der Pacino-Figur verschreibt. Selbst ihre wenigen gemeinsamen (zugegeben: messerscharfen) Dialoge fallen tendenziell kühl und distanziert aus, ohne Berührungen, ohne einen Anflug von Humor; da ist es nur konsequent, dass sie quasi nur per Telefon und Fax miteinander verbunden sind. Misstrauen und Vertrauen halten sich bei diesen beiden Männern konstant die Waage. Und während der eine letzten Endes angesichts der Folgen seines von nun an zerstörten Lebens gefangen bleibt - das verdeutlicht symbolisch jene Szene, als Wigand mit einer Polizeikolonne um einen Friedhof fährt; oder die surreale Sequenz im Hotelzimmer - stolziert der andere erhobenen Hauptes im Stile eines Westerns samt hochdramatischer Zeitlupe durch die Drehtür und tritt seinen Sender mit Füßen. Unlängst von seinen Kollegen im Stich gelassen, gewinnt er zwar allein den Kampf gegen den ungekürzten Bericht um das Wigand-Interview, in dem er die Medien gegeneinander ausspielt, zelebriert aber dennoch einen mahnenden Abgang vom Nachrichtengeschäft. Während der eine ein neues vielversprechendes Leben als Lehrer anfängt und seine Vergangenheit auszublenden versucht, hat der andere nun endlich Zeit für seine Kinder und seine Frau, die in der schlimmsten Phase für ihn so etwas wie die einzig emotionale Stütze verkörperte. "Insider" – ebenso ein Film über Integrität.


In handwerklicher Hinsicht dominiert sowohl der hypnotische Score von Manns Hauskomponisten Elliot Goldenthal als auch eine Lisa Gerrad, die mit ihrer eindringlichen Stimme schon in "Gladiator" zu begeistern wusste. Dabei ist unlängst bekannt, dass Michael Mann ein Meister der Audiovisualität ist. Seine famose Schnitttechnik, verbunden mit Dante Spinottis extravaganter, da leicht akrobatischer Fotografie (fokussiert werden unter anderem speziell die Augenpaare der Protagonisten) verleihen "Insider" den Anstrich eines eiskalten Thrillers, in dem nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint, in dem die Figuren von einem Dilemma ins nächte gelangen. Untermauert wird das Ganze von einem frostigen Blaufilter, einem Stilmittel aus der Schmiede Michael Manns, auf das er im Laufe seiner Karriere häufig zurückgriff. So ist festzuhalten, dass auch "Insider" des Filmemachers eigenwilligen visuellen Stil impliziert. Auf die Liste der Nebendarsteller soll an dieser Stelle ebenfalls verwiesen werden, sind es doch gerade Christopher Plummer, Diane Venora und Philip Baker Hall, die für glänzende Kurzauftritte sorgen, auch wenn die Bühne nach wie vor Pacino und Crowe gehört.

Fazit:


Vielleicht mag ein Klischee zu viel sein, besonders da, wenn Wigand regelmäßig von lästigen Telefonanrufen bedroht wird, vielleicht mag dem Film in der letzten halben Stunde ein wenig die Puste ausgehen, sodass seine Überlänge ganz klar als Überlänge deklariert werden könnte. Doch "Insider" ist abseits dieser kleineren Kritikpunkte ein fabelhafter, zwar reichlich pessimistischer, aber dafür stets doppelbödiger, genau analysierter Kommentar mit enormer Aussagekraft, zugleich aber auch differenziertes Essay über die Formen von Moral, über Gewissen, über journalistische Tugenden und darüber, dass es niemals einfache Antworten geben kann. Oder anders ausgedrückt: eine unspektakuläre, trockene Geschichte verpackt in einen hochspannenden, topaktuellen Film, fernab jeglicher manipulativer Kniffe und formaler Experimente.

8/10