Dienstag, 5. Januar 2010

"Gangster in Key Largo" / "Key Largo" [USA 1948]


Es ist ein gar nicht so leichtes Unterfangen, wenn man den vorliegenden Film atmosphärisch beschreiben will, diesen Film Noir, der irgendwie doch keinen klassischen Film Noir darstellt. Kein urbanes Großstadtmoloch, kein inflationärer Gebrauch von schrägen sowie niedrigen Kameraperspektiven, kein allwissender Kommentator in Form einer Voice-over-Erzählung, eine stringente denn vertrackte Narration. John Hustons "Gangster in Key Largo" pendelt von seiner Grundstimmung her ziemlich genau zwischen schwül, stürmisch und nass. Auf einer großflächigen Insel vor der Küste Floridas spielend, hält anfangs die Hitze Einzug in den Film. Eine verdammt starke Hitze. Das Klima in Florida ist feucht, stickig und fiebrig. Die Protagonisten schwitzen vor sich hin. Zahlreiche Ventilatoren scheinen die einzige Lösung zu sein, um der exotischen Wärme ein bisschen, wenigstens für ein paar Minuten, zu entkommen. Aber letztendlich nützt es insofern nichts, als dass sich weiterhin Schweißperlen auf den Gesichtern unserer Akteure bilden. Jeder ist erschöpft von der Wärme, auch der Zuschauer.

Doch nicht nur draußen herrschen unerträgliche Temperaturen, auch drinnen im Hotel, wo das Kammerspiel fast durchgängig spielt, mit seinen engen Räumen und üppigen Zimmern, scheint sich genau jene Stimmung widerzuspiegeln. Wer allerdings meint, dass lediglich das Wetter schuld an der Misere sei, irrt. Denn wenn langsam der Sturm, die Flut nahen, dann werden im Hotel automatisch alle Fenster und Türen geschlossen, dann wird es zugleich intensiver und heißer in diesem Gebäude. Je mehr sich der Hurrikan zeigt, je mehr der Film auf sein Finale zusteuert und die Spannung auf die Spitze getrieben wird, desto brenzliger wird die Situation zwischen Gangster und Antiheld, zwischen Johnny Rocco (Edward G. Robinson) und Frank McCloud (Humphrey Bogart). Das ehemals sympathische Hotel vor idyllischer Kulisse gleicht ab sofort einem beengten Käfig, in dem die Figuren wie eingeschlossen wirken, und aus dem sie nicht so schnell wieder herauskommen.

Ohne Zweifel erzählt John Huston eine überschaubare, eine minimalistische, für damalige Zeiten gar eine reaktionäre Geschichte, verlagert sie lediglich in zwei größere Räume, wo verschiedenste Interessen, Ansichten und Zerwürfnisse aufeinanderprallen. Wie es der Filmtitel bereits suggeriert, wimmelt es auf dieser beschriebenen Insel vor Gangstern und zwielichtigen Gestalten. Allerdings keine konventionellen Gangster im herkömmlichen Sinne mit Maschinenpistolen und, überhaupt, schwerer Bewaffnung sind damit gemeint, keine Gangster mit eleganten Autos und mindestens genauso eleganten Anzügen, sondern Gangster der realistischeren Machart, Gangster, die in Extremsituationen mal schnell die Nerven verlieren, mal schnell nervös werden und Dinge tun, die sie eigentlich gar nicht tun wollten. Huston beschränkt sich auf das Nötigste, indem er seine Protagonisten unmittelbar in unverhoffte Situationen hineinwirft, gegeneinander antreten lässt und sich somit psychologische Interaktionen herauskristallisieren.

Huston wirft all den Ballast ab – Verfolgungsjagden, Schießereien, Ermittlungsarbeit, Gewalt, Blut –, den man oftmals mit dem klassischen amerikanischen Gangsterfilm assoziiert. Auf dichtem Raum kommt es stattdessen nur darauf an, wer wem verbal überlegen ist, wer die schlagfertigeren Argumente hat und wer den anderen besser in eine moralisch uneindeutige Zwickmühle locken kann. Hieraus ergeben sich eine Menge an messerscharfen Dialogen (vor allem zwischen McCloud und Rocco), aber auch mit unterschwelligem, tendenziell pointiertem Humor wird nicht gespart. Das Ganze wird zudem verpackt in ein von Karl Freund in kalkig-grauen Farben samt obligatorischen Hell-Dunkel-Kontrasten sowie virtuos geschnittenen Großaufnahmen der Darsteller hervorragend fotografiertes, grandios ausgeleuchtetes Überlebenssujet, wo Schrecken und Terror miteinander verschmelzen.


Was "Gangster in Key Largo" endgültig aus dem Fundus des Film Noir heraushebt, ist sein unverhüllt direkter, leise mitschwingender und ausgesprochen politisch gefärbter Kommentar. Sei es die Tötung von zwei unschuldigen Indianern durch einen weißen Hilfssheriff oder sei es das Machtspiel zwischen McCloud und Rocco, das, wohlgemerkt, kein Psycho-Duell nach Schema F ist, sondern von jener Sorte abstammt, die in genau der oder ähnlicher Form in den nachfolgenden Jahren und Jahrzehnten oft kopiert und referenziert, geschweige denn filmisch neu interpretiert wurde. Johnny Rocco – glänzend verkörpert von Edward G. Robinson; vielleicht die diabolischste Rolle seines Lebens –, repräsentiert eine kaltblütige, egozentrische Seele, die sich selbst als unsterblich stilisiert und jeden, sowohl seine Kumpane als auch seine dem Alkohol verfallene Frau, verachtet, jener Johnny Rocco, der teils von der Umwelt und teils von seinen eigenen Erwartungen geprägt ist, mit dem unstillbaren Drang nach mehr und zu alledem personifiziertes Symbol für Habgier und Korruption.

Dieser angeblich so "große" Gangster, der nichts fürchtet und sich tief in die Gesellschaft gefressen hat, wird in einer der eindrucksvollsten Szenen von seiner eigenen Feigheit überwältigt, als der Sturm immer intensiver heranpeitscht, wenn die Gläser wackeln und das Licht flackert, wenn sich Rocco ängstlich umschaut, dem Verdacht nahe, dass er das Land wohl doch nicht so schnell verlassen kann, und McCloud über seine "Größe" nur schmunzeln kann. Das spannende Duell zwischen diesen beiden Individuen kaschiert wie des Films Ende, ungeachtet seines scheinbaren Happy Ends, ein pessimistisches Weltbild von einem Einzelnen, der sich zur Wehr gegen eine ganze Armee setzen muss, auf seine eigene Sprache, der Gewalt. Da keine Staatsmacht fähig zu sein scheint, Rocco zu fassen – er ist entweder zu dumm oder zu clever – muss McCloud auf eigene Faust das Zepter in die Hand nehmen, um als lebendiger Held auszusteigen. Letztlich ist jedoch der Sieg für ihn und für uns kein großer. Es gibt da draußen nämlich zu viele Roccos, als dass man sie je besiegen könnte, auch wenn die Welt mit jedem Rocco weniger ein Stück weit besser aussieht.

Das Finale ist aber auch die wohl größte Schwäche des Films. Sieht man einmal davon ab, wie einfach Gaye (Claire Trevor) die Pistole des Supergangsters Rocco durch einen einfachen Trick entwenden und kurz danach völlig unbemerkt McCloud überreichen kann, erreicht die Konstruiertheit des Drehbuchs speziell in diesem letzten Akt neue Höhen, wenn sich am Ende Rocco und McCloud auf dem Boot gegenüberstehen. Rocco wartet in der Kajüte, McCloud auf dem Dach über ihm. Rocco traut sich nach mehreren Verhandlungsversuchen aus dem unteren Deck herauszutreten, nur um im nächsten Augenblick (selbstverständlich völlig überraschend) von McCloud erschossen zu werden. Der erste Schuss trifft Rocco zwar, lässt ihn aber noch so lange am Leben, um selber zu einem Schuss zu kommen. Ähnliches geschieht beim zweiten – Rocco lebt immer noch, setzt ein weiteres Mal die Pistole an und zielt auf McCloud, erst beim entscheidenden dritten Schuss tötet McCloud Rocco. Das ist nicht nur reichlich unrealistisch – zumal McCloud stets in lebensgefährliche Körperregionen Roccos trifft –, es öffnet außerdem eine Dosis unfreiwillige Komik, wenn sich Rocco jedes Mal aufs Neue auf dem Boden aufbäumt und sich zu McCloud wälzt.


In Frank McCloud findet Johnny Rocco nichtsdestotrotz sein ebenbürtiges Gegenüber. Bogart spielt hervorragend einen desillusionierten, bisweilen zynischen Kopf, der zunächst nur seine eigene Haut retten will, nicht aber andere, der lediglich an seine eigenen Absichten und Angelegenheiten denkt, nicht aber an die seiner Mitmenschen. Anfangs sieht es so aus, als kneife McCloud in der Tat, doch zunehmend stellt er tatsächlich seine Besonnenheit und seine im Krieg über Jahre hinweg erlangte Menschenkenntnis unter Beweis, wenn er Roccos Eitelkeit attackiert und ihm eigentlich in jeder Szene überlegen scheint. Verinnerlicht man sich darüber hinaus Bogarts monotone Mimik im Film, könnte man zu der These gelangen, McCloud sei die einzige Figur, deren Gesicht einfach nicht zum Lächeln gemacht ist. Hinzu kommt eine betörend aufspielende Claire Trevor als Trinkerin Gaye, die ihr Handwerk insbesondere bei ihrer Interpretation des Liedes "Moanin' Low" während des Sturms versteht, um im Gegenzug einen Drink zu erhalten.

Oder aber Lionel Barrymore, der als liebenswerter, oftmals direkter, zorniger, dennoch immer zwischen Recht und Unrecht unterscheidender Hotelbesitzer im Rollstuhl brillieren darf. Den melancholischen Ruhepol verkörpert indes die zum vierten Mal mit Humphrey Bogart Seite an Seite spielende Lauren Bacall. Sie ist attraktiv, der Moment, als McCloud Bacall kennenlernt, in dem er sich mit der Tauschlinge auf dem Boot zu Bacall zieht, in Wirklichkeit aber den Kamera-Dolly mit uns bewegt, dem Zuschauer also, ist ohne Zweifel virtuos inszeniert. Dennoch kommt man nicht drum herum, Bacalls Schauspiel unterm Strich als deutlich reduziert zu konstatieren, wenngleich die Rolle nicht sonderlich viel hergibt. Im Gegensatz zu "Tote schlafen fest" beispielsweise verkauft sie sich hier deutlich unter Wert, hat außer ein, zwei veritablen Dialogzeilen ("Aber eine Sache ist nicht verloren, solange noch jemand dafür zu kämpfen bereit ist") die Aufgabe, entweder grimmig zu schauen oder weinend die Hände vors Gesicht zu schlagen, was für eine Darstellerin ihres Formats mitnichten zu wenig ist.

"Gangster in Key Largo" ist demzufolge nicht der beste Huston, dennoch: Knappe 100 Minuten mit zwei großen Stars der "Schwarzen Serie" in begrenztem Raum und unbehaglichem Wetter zu verbringen, 100 Minuten diesem ausgeklügelten, überhaupt nicht angestaubten Psychologie-Theaterstück um Moral und Tapferkeit beizuwohnen, bei einem Film, der furchtbar banal, aber doch so bemerkenswert gerissen daherkommt – man sollte meinen, schöner, druckvoller kann Film Noir nicht sein, schon gar nicht an einem verregneten Sonntagnachmittag kurz vor einem Unwetter.

6 | 10