Dienstag, 6. Oktober 2009

"Avanti, Avanti!" / "Avanti!" [USA, I 1972]


In "Avanti, Avanti!" konterkariert Billy Wilder konsequent mit des Zuschauers Annahme, dass es sich hierbei tatsächlich um eine stringente, um eine typisch amerikanische Screwball-Komödie handeln könnte. Sieht man sich den Film allerdings genauer an, steckt mehr dahinter als eine simple Beziehungskiste. "Avanti, Avanti", ursprünglich als Bühnenstück von Samuel Taylor konzipiert, ist nicht typisch amerikanisch und weicht einer linearen Narration aus, findet stattdessen über Umwege, Suplots, Nebenlinien, Abzweigungen den Weg zum Ziel. Vor exotischer Urlaubskulisse im Herzen Italiens kristallisiert sich Wilders Leichenbeschau heraus, die aus vielen einzelnen Episoden zu bestehen wirkt. Aus, mehr noch, irrwitzigen Kurzgeschichten, wo die mustergültig getimten Wortgefechte mitsamt famosen Wortspielen aus sich heraussprudeln. Man denke zum Beispiel an die fast tonlose Flugsequenz zu Anfang, bei dem zwei Männer in der Toilette ihre Kleider wechseln und ihre Pässe vertauschen. Oder an die darauf aufbauende Szene am Flughafen, ebenso wie an den Schlüsselmoment in einer Art altertümlichen Leichenhalle. 

Hier mutiert zügig aus dem Makabren über den trockenen Humor eines energisch druckenden Pastors und dem damit verbundenen Bürokratiewahn Italiens hinweg etwas Skurriles. Trotz der gemächlichen Geschwindigkeit seitens der Handlung und dem minimalistischen Aufwand (zentraler Ort ist lediglich ein Hotel) manifestiert sich in "Avanti, Avanti!" eine sehr erwachsene und tendenziell entspannte Einstellung zur Liebe und zum Leben eines Regisseurs (der Ehebruch wird quasi zu einem durchaus romantischen Erlebnis umgedichtet), der zeitlebens seine Affinität zu schlüpfrigen Details und anstößigen Themen auf der Leinwand verarbeitet hat. Nicht nur, dass "Avanti, Avanti!" (übersetzt im Sinne von: "Herein!", "Willkommen!") erfrischend zügellos mit Seitensprüngen, Affären umgeht, es ist vor allem die gewohnte Freizügigkeit, unter Betrachtung des Entstehungsdatums, die dafür gesorgt hat, dass der Film manch' skandalöse Reaktion hervorgerufen hat. Denn Wilders gewitztes, aber niemals albernes Feel-Good-Movie avanciert in dem Moment zum mutigen Feel-Good-Movie, wenn es seine beiden Hauptdarsteller nackt zeigt. Und zwar nackt samt fast allen erforderlichen Körperteilen in einer Nahaufnahme direkt in die Kamera.


Was "Avanti, Avanti!" außerdem besonders macht, unterstreicht die letzte halbe Stunde. Diese ist in ihrer Summe noch einmal zusätzlich beträchtlich schwungvoll und überaus ideenreich inszeniert. Nach geringen, bisweilen zähen Passagen im Mittelteil, in denen die pointierten Gespräche der Protagonisten oftmals zu lethargischem, da einfallslosem Geblubber degradiert werden, nehmen insbesondere die politischen Seitenhiebe zu. Der vorher allenfalls leichte Humor wird zum bissigen erweitert, besonders da, als ein Abgesandter des State Departments (Edward Andrews) seinen Weg in die Handlung findet. Ob es die italienische Faschismuszeit ist, die von einem Akteur unmissverständlich der aktuellen Zeit mittels entsprechender Gestik vorgezogen wird, oder Amerikas Angst vor einem kommenden Krieg in den Krisengebieten dieser Welt: Wilder nutzt diese ideologischen Denkweisen, packt im nächsten Schritt gleichwohl den Hammer aus, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben. 

Hinzu kommt neben einem dem melancholischen Tenor des Films angepassten musikalischen Leitthema ("Senza fine" von Gino Paoli) ein perfekt besetztes Schauspielensemble. "Avanti, Avanti!" lebt vorzugsweise von seinen poppigen, liebenswürdigen Figuren, von Persönlichkeiten, die von einer urkomischen Szenerie in die nächste stolpern. Da hätten wir einerseits den leicht konservativen, leicht vulgären, aber auch leicht pfiffigen Geschäftsmann (wendig verkörpert von Jack Lemmon), der seinen vermeintlichen "Urlaub" mit den obligatorischen Klischees und Vorurteilen über eben jenes Land antritt, die letztlich allerdings gebrochen werden und er dementsprechend einige neue Erfahrungen, ja gar Wandlungen kennenlernen, durchmachen wird. Ihm zur Seite steht andererseits eine Juliet Mils alias Pamela Piggott, das scheinbar komplette Gegenteil des spießigen Großindustriellen. Zwei einsame Seelen mit der Aufgabe, die Leichen ihrer Verstorbenen abzuholen, nebenbei aber selbst zum liebenden Paar werden. Von einem herrlich überzeichneten Hoteldirektor (Clive Revill) davon ganz abgesehen.

Ungeachtet des kommerziellen Misserfolgs und der in Relation zu anderen Werken Billy Wilders bestehenden Unbekanntheit, repräsentiert "Avanti, Avanti!" in gewisser Hinsicht den perfekten Urlaubsfilm, lediglich in geistreicher Verpackung präsentiert. Betörende Bilder voller Sonne, Wasser und Softdrinks, so ausgefeilt geschrieben wie sympathisch altmodisch inszeniert: Das ist sie, Wilders Ode an die Liebe und gegenseitiges Verstehen. Das ist es, das vollkommen unterschiedliche Verhältnis gesellschaftlicher und kultureller Natur zwischen zwei aufeinanderprallenden Ländern sowie des Regisseurs augenzwinkernde, mancherorts gar satirische Abrechnung mit der amerikanischen Gier nach Größe, die sich schnell in latente Arroganz verwandelt.

6 | 10