Montag, 18. Mai 2009

"Chinatown" (USA 1974)



Story


Was für den zynischen Privatdetektiv Jake Gittes zunächst wie ein simpler Routinefall aussieht, entwickelt sich mit rascher Geschwindigkeit in eine ganz andere Richtung. Eine in elegante Kleider gehüllte Frau kommt zu ihm und beauftragt ihn, ihren Ehemann zu beschatten, von dem sie glaubt, dass er sie betrügt. Dieser Ehemann ist Chef der Wasserwerke und will mit allen Mitteln verhindern, dass ein neuer Staudamm gebaut wird, ist er doch überzeugt davon, so eine Katastrophe zu verhindern. Bei seinen Ermittlungen wird Gittes schnell klar, dass der vermeintliche Ehebruch nur ein Vorwand war und ihn diese Geschichte in Wirklichkeit in ein Netz von Betrug, Korruption und Verrat führt. Gittes muss erkennen, dass die ganze Ermittlung vielleicht ein paar Nummern zu groß für einen kleinen Privatdetektiv wie ihn ist. Doch er macht trotzdem weiter, bereit, das dunkle Geheimnis zu lüften...

Kritik

Für Roman Polanski bedeutete "Chinatown" eine Überwindung. Nachdem seine Frau Sharon Tate kurz nach der Premiere seines psychedelischen Klassikers "Rosemary's Baby" von Amerikas berühmt-berüchtigtem Massenmörder Charles Manson und seiner Sekte in ihrem Haus während einer Party getötet wurde – hochschwanger -, war Polanski einige Jahre nach Europa gegangen und wollte nicht so schnell wieder zurück in die Staaten. Ungeachtet aller Schuldgefühle inszenierte der Regisseur mit "Chinatown" - sein zweites in Hollywood realisiertes Projekt - einen Film, der nahtlos in die Kerbe des film noir und an die großen Filme eben jenes Genres der 50er-Jahre einschlägt. Heute als Klassiker deklariert, war "Chinatown" seinerzeit für 11 Oscars nominiert gewesen, wovon lediglich Robert Towne für sein Drehbuch ausgezeichnet wurde. Nebenher markierte der Film für Jack Nicholson die qualitative Steigerung vom good actor zum anerkannten Spitzenschauspieler, ein Status, der sich in den kommenden Jahren noch festigen sollte.

Polanski sieht in "Chinatown" eine "traditionelle Detektivgeschichte in neuer, moderner Gestalt." Tatsächlich basiert Townes Script zum Teil auf authentischen Ereignissen rund um den Bau des Los Angeles-Aquädukts des 20. Jahrhunderts; Towne verfrachtet die Handlung lediglich in die 1930er-Jahre. Herausgekommen ist ein Film, der einen Sumpf von Machtmissbrauch und Korruption, mehr noch, der das Sittengemälde einer amoralischen und gewissenlosen Welt tangiert. Polanski und Towne erzählen in "Chinatown" eine durchweg intelligente Story, ohnehin gilt Townes Drehbuch als Musterbeispiel perfekten Spannung- und Narrationsaufbaus. Die Handlung des Films verlangt höchste Konzentration vom Zuschauer, denn sie steckt voller Wendungen, sie ist tricky, sie steckt zumindest anfangs voller Geheimnisse, offener Fragen und unzusammenhängender Puzzleteile, die jedoch nach und nach ein kohärentes Ganzes ergeben. Gewürzt mithilfe einiger schlagfertiger Dialoge offenbart sich in "Chinatown" eine Rahmenhandlung, die zwar mit sex, crime and politic gleichzusetzen ist, im tieferen Sinn geht es jedoch vielmehr um ein innerfamiliäres Drama, Misstrauen und moralische Desorientierung. "Chinatown" vollführt mit rascher Geschwindigkeit den Sprung vom einfachen Krimi, vom langweiligen Routinefall (für Jake Gittes) zur komplexen menschlichen Tragödie, die ihre Wirkung allerdings erst im Finale entfaltet. Ein Showdown, der ursprünglich ein versöhnliches Ende nehmen sollte, durch Polanksi letztendlich dann aber doch gegen die Konventionen inszeniert wurde, in dem diese fatale Alptraumwelt namens Chinatown eine besondere Rolle zuteil wird. In besagtem mysteriösem Stadtteil wird allen Beteiligten nämlich klar, dass sie mit ihren anfangs scheinbar perfekten Plänen gescheitert sind, dass der Tod allgegenwärtig ist und nicht ungehindert übergangen werden kann, dass die Wahrheit eigentlich nichts wert ist und diejenigen auf der Strecke bleiben, die sich der Wahrheit trotzdem nähern wollen. Jake muss das Motto dieser Welt plötzlich verstehen – Hier kämpft jeder gegen jeden. Misch dich nicht ein! Diese Art der Ausweglosigkeit und der suggestiven Bedrohung könnte in einem Happy End wahrlich nicht funktionieren.


Darüber hinaus besitzt "Chinatown" alle essentiellen Merkmale eines klassischen film noir. Da hätten wir zuerst die obligatorische und undurchschaubare femme fatale (Evelyn Mulwray – Faye Dunaway), die hier allerdings zum bad good girl ausgeweitet wird. Da hätten wir den mit allen Wassern gewaschenen, zynischen, aber nicht zuletzt charismatischen private eye (Jack Gittes – Jack Nicholson), der ebenfalls in der Tradition des film noir steht. Da gibt es den bösen Antagonisten, der alle Fäden in der Hand hat, von dem alles ausgeht (Noah Cross – John Huston), weiterhin bedient sich der Film den ominösen Figuren, die spurlos verschwinden (Hollis I. Mulwray – Darrell Zwerling), den Figuren, die sich falschen Identitäten hingeben (Ida Sessions – Diane Ladd) und schließlich noch der Tatsache, dass "Chinatown" ein Film voller Lügen und Verstrickungen vor allem unter den Charakteren ist.

Formvollendet wird "Chinatown" neben Polanskis sensationeller Regie und Townes ausgeklügeltem Screenplay durch eine grandiose Ästhetisierung. "Chinatown" kommt in seinen Bildern unwahrscheinlich elegant daher. Und trotzdem wird diese Eleganz immer wieder durch Düsternis und eruptive Gewalt unterbrochen. Hier halten sich schwarz und weiß die Waage, der Film wechselt gekonnt von hell auf dunkel, und wieder zurück. John A. Alonzos virtuose Bilder erzeugen bei den Orangenplantagen eine ungemeine Wärme und Schönheit, die dann aber wieder just in dem Augenblick verschwindet, als Jake in einer Szene heimlich zum Wasserwerk fährt, um dort seine Ermittlungen wieder aufzunehmen respektive in dem Moment, als seine Nase in einer legendären Sequenz von Roman Polanski höchstpersönlich aufgeschlitzt wird. Selbst der Filmtitel "Chinatown" als solches evoziert nicht das, was er im besten Fall evozieren sollte. Der neo-noir bezieht sich eben nicht auf gleichnamiges Viertel in Los Angeles, nein, Chinatown lässt sich stattdessen als Metapher, als Chiffre deuten – einerseits auf Jakes unheilvolle Vergangenheit, der seine Frau verloren hat, andererseits als Bedrohung für die Zukunft insbesondere für das angehende Paar Jake/Evelyn. Ein Ort, ein ungerechter Ort als Symbol (was unter anderem dadurch bekräftigt wird, dass die Chinesen nicht mal in die korrupten Machenschaften involviert sind, sondern eher als Helfer oder Diener fungieren), in dem sich alles verändern wird – und das weitgehend nicht ins Positive. Kurioserweise wird zum Schluss deutlich, dass genau das eintritt, dass sich der Kreis (gerade für Jake) tatsächlich schließt. Einen nicht unerheblichen Teil zur Atmosphäre trägt des Weiteren Jerry Goldsmiths präzise eingesetzter und genau akzentuierter Score bei, welcher sich stark vom Jazz beeinflusst fühlt und das Geschehen in musikalischer Hinsicht adäquat veredelt.


Mit Jack Nicholson scheint Jake Gittes kongenial besetzt zu sein. Nicholson hält sich diesmal erstaunlicherweise zurück, was durchgeknallte Mimik und Gestik anbelangt, er spielt nicht nur Jake Gittes, er ist Jake Gittes. In jeder Szene präsent, drückt er dem Geschehen nahtlos den Stempel auf und bringt die Handlung vorwärts. Ein Mann, der sich trotz obskurer Ermittlungen und geheimnisvollen Auftraggebern durch nichts einschüchtern lässt, mit allen Wassern gewaschen ist, dem nichts überraschen kann, der sich nicht einsperren lässt. Und dennoch ist dieser Jake Gittes sensibel, melancholisch und an seine eigenen ethischen Moralvorstellungen gebunden, die es ihm verbieten, andere ungerecht zu behandeln oder gar zu betrügen. Ohne groß reden zu können, hält ihn nichts auf, seinem heiligen Gut - der Wahrheit - näher zu kommen, auch wenn die Gefahr groß ist, dass er dabei sein Leben aufs Spiel setzt. Eben ein Detektiv mit Leib und Seele, der, wenn er einmal Blut gerochen hat, durch nichts mehr abgeschüttelt werden kann, auch vor keinem kaputten Nasenflügel. Nichsolson interpretiert Jake mit einer großartigen Leinwandpräsenz, die heute nicht umsonst den Anschein macht, als sei Nicholson durch diesen film noir tendenziell der Nachfolger eines Humphrey Bogart, ohne diesen selbstverständlich zu kopieren.

Ihm zur Seite steht eine tolle Faye Dunaway, die mit Jack Nichsolson ein schillerndes Paar abgibt. Sie ist die nur schwer einschätzbare Figur im Geflecht von "Chinatown", immer mysteriöser wird diese Evelyn Mulwray, wechselt immer wieder ihr Gesicht – von der veritablen "Gangsterbraut" (als sie neben Gittes auf dem Beifahrersitz einigen Verfolgern entwischt) bis hin zur selber Gejagden (ganz am Schluss) ist alles vertreten. Diese durch Aussehen und Wirkung anfangs als femme fatale wahrgenommene Lady entpuppt sich bei näherer Betrachtung jedoch als ein anderer Frauentypus im Rahmen des film noir: das bad good girl. Denn alle ihre Handlungen erweisen sich letzten Endes als legitim, als gerechtfertigt, weil sie lediglich ihre Tochter schützen will. Die Lügen, die Evelyn Jake unterbreitet hat, dienten folglich einem guten Zweck. Ihr Vater – Noah Cross – ist das eigentliche Monster. Stets mit Wasser Geld machen, das ist sein Motto, quasi seine Lebensaufgabe. Ein skrupelloser, machtbesessener alter Mann, der toten Dingen nachjagt, der sich mit Jake konfrontiert sieht. De facto zwei völlig unterschiedliche Charaktere, die da aufeinanderprallen. Regielegende John Huston verkörpert seinen Noah Cross mit einem nicht zu übersehenden ironischen Augenzwinkern vorzüglich. Selbiges gilt, nicht zu vergessen, für Roman Polanskis kurze, aber dafür effektivere Cameo-Auftritte.


Fazit

Letztendlich ist "Chinatown" großes Kino, mehr noch, ein zeitloser Leinwandklassiker von bestechender Qualität und eine gleichermaßen große Lehrstunde perfekten Filmemachens. Polanski inszeniert auf Details, wird durch ein meisterhaftes Drehbuch unterstützt und von einem ebenso exzellenten wie unvergessenen Schauspielensemble begleitet. Ein mehr als nur würdiger Vertreter der schwarzen Serie, kunstvoll konstruiert, dynamisch visualisiert, der in seiner narrativen Komplexität nicht nur in die Breite geht, auch in die Tiefe.

9/10