Mittwoch, 26. September 2018

"The Man Who Killed Don Quixote" [E, F, B, POR 2018]


1989 erwähnte Terry Gilliam zum ersten Mal "Quixote". In den folgenden 29 Jahren sollte Terry Gilliam ein paar Mal mehr "Quixote" sagen, "Quixote" hoffen und, nach 29 Jahren, aus "Quixote" endlich "The Man Who Killed Don Quixote" herauskatapultieren. Dieses Projekt, das phantasmagorische Epos von Miguel de Cervantes leinwandtauglich zu verarbeiten, ist Gilliams Napoleon-Film. Aber im Gegensatz zu Stanley Kubrick, dem "Waterloo" (1970, Sergej Bondartschuk) einst in die Quere kam, um die jahrelang geträumte Biografie über den französischen Diktator umzusetzen, erfüllte sich Terry Gilliam seinen Traum. Und er installierte einen Spiegel, ein Alter Ego, die fleischgewordene Verängstigung: Toby, ein Regisseur, Spezialgebiet: Werbeclips. Toby, den Adam Driver breitenwirksam spleenig entstellt, ist der enttäuschte Mann inmitten von Enttäuschungen und einer enttäuschenden Crew. Funktionieren, nach Plan verlaufen, will wenig – Don Quixote (Jonathan Pryce) kämpft zu verweichlicht und zu unheroisch, der Organisationsaufwand handgemachter Special Effects ist enorm und der "Boss" (Stellan Skarsgård) sitzt Toby zu alledem im Nacken. Wie Gilliam, dessen ineffektive Windmühlenbezwingung in "Lost in La Mancha" (2002) dokumentiert wurde, wird Toby von Umständen zurückgeworfen, die sich auftürmen, vereinigen und sich über ein klappriges Kartenhaus fragiler Verständigung ergießen. Ihre Zwangshandlung – Terrys wie Tobys –, das Material luftleerer Ideen zielbewusst in Form zu bringen, wurde allerdings dadurch entscheidend beschleunigt.

Nun also ist er da, angekommen, der Gespiele und Auserwählte seit 29 Jahren. Die Menschen dürfen ihn bewundern, ihm zujubeln. Lange haben sie gewartet. Ernüchtert müssen sie feststellen: Ein Jahrhundertticket löst Gilliam nicht ein, er liefert noch nicht einmal einen Jahrhundertfilm. Kam mit seinen letzten Werken der Verdacht auf, dass sich der kultige Filmemacher ohnehin in die repetitiven Karussellverdrehungen seines Trapezkunstuniversums flüchtete, ohne den Zeichen zu genügen, die sowohl anstrengend arrangiert als auch anspruchslos dekoriert wurden, nivelliert Gilliam in "The Man Who Killed Don Quixote" das Bespiegelnde zugunsten einer wehmutsvollen Selbstbespieglung: Toby sehnt sich nach der Imagination, und Gilliams Umschalten von Drehendem zu Gedrehtem, Echtem zu Falschem, von der Wahrheit zur Lüge, der Lüge zur Wahrheit (je nachdem) metaphorisiert des Filmerschaffers Fernweh nach den Bildern und Welten, in denen er Schöpfer, Gott sein darf und in denen er heimisch ist, von Zuneigung empfangen zu werden. Insofern entschied sich Gilliam richtig, keine historische Parodie oder etwa ein historisches Abenteuer nachzustellen, sondern den Verlaufsprozess kreativer Ergründung als einen ambivalenten Zweifel zwischen Ablehnung und Anschmiegen zu inkludieren. Auf andere Weise ist "The Man Who Killed Don Quixote" somit postmodern: Die geträumten Träume des Künstlers bohren sich in die Erzählung, die sich daraufhin selbst traumgleich verrätselt und sich als illusionistische Spielfläche zu verstehen gibt.


Jonathan Pryce stolziert wacklig und schnappt nach Sauerstoff auf dieser Spielfläche. Er ist nicht mehr der jüngste "Ritter von der traurigen Gestalt." Der liebevolle Blick auf einen liebevoll zerzausten, wirren Don Quixote, den Pryce meint zu spielen, taugt als Gegenmittel zu jenem "Labyrinth der Schönheit" (Chef-Ausstatter Edou Hydallgo), das düster-vergessen verglüht. Vertraute Toby den Diensten eines zerbrechlichen spanischen Schuhmachers, um die Hauptrolle seines Don-Quixote-Studentenabschlussfilms zu besetzen, so geraten beide – während Tobys zweitem Don-Quixote-Projekts – in die Verwünschungen eines Märchens, das zugleich Reinkarnation ist: An den Bruchstellen des Modernen reiten Don Quixote und Toby als Don Quixote und Sancho Panza vorbei und überstülpen das Heutige mit der Extravaganz gestalterischer Vorstellung. Das ist die Utopie, die Don Quixote, aller Aufrüttelungsversuche Tobys zum Trotz, lebt, die Terry-Gilliam-Utopie, sich nicht den Gegebenheiten zu beugen (mitsamt ihren Restriktionen), sondern eigenhändig Geschichten zu erfinden und, im fanatischen Glauben an sie, an ihnen resolut festzuhalten. "The Man Who Killed Don Quixote" will nicht als völliger Kostümfilm wahrgenommen werden, aber dafür umso mehr als vollgestopfter Metakarneval, dessen Luftschlösser vom Ernst der Inszenierung, der Künstlichkeit immer wieder durchbrochen werden. Jodorowskys "Montana Sacra – Der heilige Berg" dürfte in "The Man Who Killed Don Quixote" das eine oder andere Echo vernehmen.

Die Luftschlösser des Films gipfeln dort, wo Don Quixote zu einer "Reise zum Mond" frenetisch animiert wird und auf einem Maskenball sich die Imaginationseben verschachteln. Die Komik ist eine wilde, sauertöpfische Monty-Python-Komik, die ihre demonstrative Impulsivität über die Dialektik von Natur und Kulisse herstellt (so zum Beispiel Windmühlen, die, je nach Perspektive, zu Monstern, Bestien werden). Manche Kalauer treffen ins Schwarze, andere wiederum berühren nicht einmal die Zielscheibe. Gilliam weiß um den Wahnsinn seiner Filme, der sich in der Produktion und im Produktionsdesign spiegelt, aber auch in dem, was seine Figuren darin sagen, tun, vorspielen. "The Man Who Killed Don Quixote" ist dann am unterhaltsamsten, sobald Toby in einhelliger Verzweiflung die "Illusion" in Don Quixote wachschlagen will – und Don Quixote daraufhin von einem englischsprachigen Buch seiner Heldentaten schwärmt. In den Momenten betäubenden Gesangs, dem sich der unsterbliche spanische Wunderritter hingibt, sowie in unzähligen erotischen Verwicklungen (Verführerinnen: Olga Kurylenko, Joana Ribeiro) scheint Gilliam nichtsdestotrotz die Flachheit der Gags zu überdehnen. Überhaupt nimmt sich der Film in der zweiten Hälfte eine Auszeit – ernster als ernst erzählt Gilliam die Geschichte einer Prinzessinnenbefreiung nach, die von einem sadistischen Russen (Jordi Mollá) verhindert werden soll. Terry Gilliams Seemannsgarn hält nicht unbedingt durchweg einer hörenswerten Geschichte stand, aber er erinnert an sie und friert sie gegen alle Sterblichkeit ein.

6 | 10