Dienstag, 9. März 2010

"Angel Heart" [USA, CAN, GB 1987]


Story

New York in den 50er Jahren. Der heruntergekommene Privatdetektiv Harry Angel soll im Auftrag des geheimnisvollen Louis Cyphre einen Mann namens Johnny Favourite ausfindig machen. Der ehemalige Schnulzensänger ist seit dem Ende des zweiten Weltkriegs spurlos verschwunden. Cyphre behauptet, er habe mit Favourite noch eine offene Rechnung zu begleichen. Von Cyphres' großzügigem Honorar geködert, macht sich Angel auf die Suche. Doch der Fall entpuppt sich als äußerst gefährlich - und als Alptraum. Denn je näher Harry der Lösung kommt, desto mehr verdichtet sich der Verdacht, Angel habe seine Seele dem Leibhaftigen höchstpersönlich verkauft...

Kritik

Ob in der Literatur, Musik oder im Film, ob in Goethes mittelalterlicher Sage, seinem Jahrhundertwerk "Faust", oder im Zuge zahlreicher Filme von "Die Hexen von Eastwick" bis hin zu "Im Auftrag des Teufels", völlig egal, ob in physischer oder dämonischer, böser oder selbstironischer, als Freund oder Feind erscheinender Form – der Teufel ist aus der Kulturhistorie nicht mehr wegzudenken. Man könnte sagen, der Teufel hat kein Imageproblem, der Teufel ist allgegenwärtig, en vogue, aktueller denn je und eignet sich besonders, den Menschen zu verführen, mit ihm einen blutig unterschriebenen Pakt zu schließen und letztlich das einzufordern, was der Mensch dem fiktiven Geistwesen in der Regel als Opfer, als Pfand gegen die verschiedenen Genüsse dieser Welt und vielleicht sogar Unsterblichkeit für eine begrenzte Zeit verkauft: seine Seele.

Ende der 80er inszenierte der vielseitige, da in den verschiedensten Genres beheimatete Alan Parker einen der interessantesten, möglicherweise sogar besten Vertreter jener universellen Himmel-Hölle-Konfrontation, in der die Hölle, hier: der Teufel, über den Himmel, hier: dem Engel, triumphiert. Basierend auf dem Roman "Falling Angel" von William Hjortsberg sowie produziert vom eher actionorientierten Hause Mario Kassar und Andrew G. Vajna, verkörpert "Angel Heart" dahingehend etwas erfrischend Anderes, weil er im Gegensatz zu reinen Okkult-Thrillern wie John Schlesingers "Das Ritual" und Wes Cravens "Die Schlange im Regenbogen" als Genre-Hybrid – und hier liegt der fundamentale Unterschied – zwischen übernatürlichem Voodoo-Zauber im Horror-Anstrich und klassischem Detektivkrimi à la Raymond Chandler verstanden werden will.


Die Suche von Privatdetektiv Harry Angel (Mickey Rourke) nach dem unter mysteriösen Umständen verschwundenen Schnulzensänger Johnny Favourite, ihr war kommerziell kein großer Erfolg beschieden, umso kultiger erscheint der Film heute, gerade weil er sich aus der Masse in den nachfolgenden Jahren sukzessive aufkommendem Mysterygedöns herauskatapultiert. Und das trotz einer dramaturgisch konventionellen Kriminarrative. "Angel Heart" ist zunächst nüchtern betrachtet der typische Neo-Noir - unser gewohnt zynischer Antiheld muss feststellen, dass der triviale Fall einem komplexen weichen muss. Er arbeitet sich Stück für Stück an die Wahrheit vor, muss mit den absonderlichsten Typen sprechen, bohrt sich immer tiefer in die Materie, in dieses verzwickte Labyrinth voller einzelner Mosaiksteinchen, von dessen vollständigem Puzzle sowohl der Zuschauer als auch Harry Angel lange im Dunkeln tappen. Zwischenzeitlich avanciert er seiner Neugierde wegen gar, wenn sich die Leichen stapeln und Angel kurz am Ziel ist, zum Hauptverdächtigen grotesker Morde und Verstümmelungen, während er sich permanent mit Visionen, Aberglauben, Teufelsanbetungen, Wahrsagerinnen, schwarzer Magie und bizarr-religiösen Gruppierungen herumschlagen muss, bis er selber dem Wahnsinn erliegt.

Ungeachtet dieser eigentlich zigmal gesehenen Formen, einen Auftrag auszuführen und mit den Konsequenzen fertig zu werden, besteht die Stärke des Drehbuchs darin, wie Parker inszeniert. Genüsslich reiht der Regisseur geschickt positionierte Finte an Finte, lässt den Zuschauer absichtlich ins Leere laufen, stellt ihn vor Ereignisse, die er nicht erklären kann, wirft ihm den Stock zu, der geradewegs zum Ziel fühlt, nur um ihn wieder vor des Zuschauers Nase wegzuschnappen, hält das Erzähltempo hoch, zieht die Spannungsschraube zunehmend enger und arbeitet mit unbändiger Energie dem Finale zu. Dabei ist es schade, dass die okkulten Untertöne des Films zu kurz kommen, in dem Parker nicht das Sujet mit den ekstatischen Hühneropferungen und warnenden Talismanen näher beleuchtet, sondern lediglich die obligatorischen Praktiken zeigt, ohne sich wirklich tiefer mit der Materie auseinanderzusetzen. Das ist neben einigen Längen im Mittelteil aber auch das Einzige, was man dem Film vorwerfen könnte. Ansonsten gibt's den gigantischen Knall dann am Ende, wenn sich alle Teile, alle Fakten und Indizien zusammenfügen, und der für vieles entschädigt. Die Antwort von Parker, die er dem Publikum letztlich ins Gesicht schreit, sie ist böse, radikal, ist schockierend und gilt zurecht als eine der besten ihrer Art.


Wahre Stärke erlangt "Angel Heart" schließlich durch des Regisseurs detailreiches Auge. Ständig vermag er mit subtilen Gesten, repetitiven Symbolen und Metaphern zu arbeiten, um die Lösung schon vorwegzunehmen. Mal unterschwellig, mal offensichtlich. Die Symbolik ist unverkennbar. So platziert er das Ei als menschliche Seele im "Ei-Dialog", lässt Angel in der Schlusssequenz mit dem Fahrstuhl zur Hölle fahren und den Detektiv immer wieder im Spiegel sein eigenes Ich in Rückblenden erkunden, sodass der Verdacht aufkommt, hier geht es gar nicht um einen teuflischen Wettlauf mit Luzifer per se, sondern um Angels Vergangenheit. Hinzu kommen in jeder zweiten Szene präsente Ventilatoren, öffnende/schließende Tore, ebenso wie Hunde und Favourites Klänge eines besonders populären Songs, der über dem Geschehen zu schweben scheint. Auch die Namen der Protagonisten entpuppen sich als biblisch konnotierte Wortspiele – Harry Angel: gefallener Engel; Louis Cyphre: Luzifer; Johnny Favourite: favorisierter Engel Gottes.

Bemerkenswert des Weiteren, wie viel Parker aus jener Zauberkiste mit der Bezeichnung "Atmosphäre" herausholt. Sein visueller Stil ist brillant und geradezu schaurig-schön, der Film eine endlose Kette beklemmender Szenen, evoziert durch den Wechsel von einem Wetterextrem ins andere, vom apokalyptischen und nihilistischen New York ins schwüle Louisiana, bei dem man sich unweigerlich berufen fühlt, selber die Sonnenbrille mit dem Nasenschutz herauszuholen, dann in eisige, triste, von Schnee gänzlich dominierte Gefilde und wieder zurück. Alle Schauplätze haben etwas gemeinsam - die schmuddeligen Bars, die schauderhafte Irrenanstalt, die lichtdurchfluteten Landschaften amerikanischer Südstaaten, das dreckige Harlem -, denn irgendwie wirken sie alle abschreckend denn einladend, ungemütlich, irrational und schmutzig, ganz im Sinne eines von des Films postulierten Höllentrips in seelische Abgründe, der es vorzüglich versteht, auf der Klaviatur des Unbehaglichen zu spielen. Famos, ein bisschen extravagant die Kameraführung Michael Seresins, jazzig, der treffsichere Score Trevor Jones', die brachialen Soundeffekte wie Angels Herzschläge, die einer Assoziation mit Trommelschlägen mühelos standhalten - das ist großes Handwerk.


Inmitten vieler kaputter Menschen in Parkers kaputter Welt werfen sich hauptsächlich zwei Männer die Bälle zu. Der eine wirft, der andere fängt. Beide auf einem gleichermaßen hohen Niveau: Mickey Rourke und Robert De Niro. Vulgärer, abgefuckter, in Obsessionen gefangener und zum Verlieren geborener Schnüffler, der nichtsdestoweniger eine leichte Hühnerphobie an den Tag legt, gegen den Fürsten der Finsternis. Entgegen jenem sich in hemmungslosem over acting suhlenden, cartoon'schen und theatralischen Al Pacino einige Jahre später, vermag De Niro, wenngleich die Screentime kurz ist, mit seiner eigenen, tendenziell weitaus ernsthafteren Interpretation des Teufels zu fesseln. Wie er es genießt, über Angel zu stehen, ihm klar überlegen zu sein und mit ihm zu spielen, dessen nuanciertes Mimiken- und Gestikenspiel, die Blicke, die Distanziertheit, seine leichte Affinität zu poetischen Anekdoten; De Niro strahlt mit Spaß an der Sache die Aura eines gruseligen, ungemütlichen Gentlemans aus.

Sobald diese beiden Männer aufeinander prallen, findet "Angel Heart" zu seinen Höhepunkten, aber auch zu seinen strengen Gegensätzen und doppelbödigen Dialogen. So ist besonders die augenzwinkernde Szene in der Kirche erwähnenswert, wo Atheist (Angel) auf Strenggläubigen (Cyphre) trifft: "Wer, verflucht, sind Sie, Cyphre?" - "Vergessen Sie nicht, wo Sie sind!" - "Hören Sie zu. Es... es ist mir scheißegal, ob ich in einer Kirche bin oder nicht. Ich mag keine Kirchen. Kirchen machen mich krank." - "Hm, sind Sie Atheist?" – "Das können Sie annehmen. Ich bin aus Brooklyn." Ansonsten darf sich De Niros Gegenspieler Rourke, der rüpelhafte Einzelgänger, vor allem mit einer Prise Erotik schmücken, speziell in der grandios geschnittenen und provokanten Sexszene mit der damals blutjungen, schauspielerisch unerfahrenen Lisa Bonet, die vielmehr einem surrealen Rausch zutiefst verstörender Bilder auf LSD gleicht. Da verzeiht man es dem Film gern, dass er es nicht realisiert, seinen vielversprechenden Nebenfiguren Platz für eine plastischere Charakterisierung zu schaffen, um sie aus ihrer Stereotypie zu befreien.


Fazit

Sensationell düsterer Genrefilm, der seinen Protagonisten Harry Angel durch eine alptraumhafte Spirale der Gewalt, des religiösen Fanatismus und der eigenen Identität schickt. "Angel Heart" ist allegorische Parabel auf des Menschens Trieb, seine Seele aus Gier einer höheren Macht zu verkaufen und sich damit zugrunde zu richten. Effektive Schockeinlagen, sieben, acht, neun Eimer saftiges Kunstblut, Okkultismus, ganz viel Symbolik und mittendrin ein diabolischer Robert De Niro in unerreichter Qualität. Ein Film der klassischen Sünden, von Inzest, Wollust sowie bestialischem Mord. Oder eben teuflisch gute Unterhaltung. Im wahrsten Sinne des Wortes.

8/10