Donnerstag, 16. Februar 2012

"Motel" / "Vacancy" [USA 2007]


Nach klipp und klar gestrafften 80-85 Minuten schält sich eine Ausnahme heraus: "Motel" ist eine der besseren Hitchcock-Imitationen, eine mal hier und mal dort hübsche Nachstellwahrnehmung, was nicht heißen soll, dass "hübsch" unverzüglich mit "gut" auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sei. Von "gut" ist "Motel" nämlich noch einige Straßenlaternen entfernt, deshalb. Aber "hübsch" würde dafür ungefähr als Synonym für eine Floskel herhalten, die unter verbalen Filmempfehlungen die Mundpropaganda wie keine zweite befeuert. "Motel" kann man gut wegkonsumieren, ohne eine Nebenwirkung zu riskieren. In welcher Form auch immer. Tut de facto nicht weh, da gab es ganz andere unverschämte Paparazzi aus der Vergangenheit, die ihr perfektionistisches Hitchcock-Bild dilettantisch abknipsten, aber nicht verstanden, was sie in Wahrheit zu kopieren versuchten. Aus der geradezu manisch geschrubbten Hitch-Oberfläche befreit sich der Film weitgehend, auch wenn die Gehversuche in Richtung "Psycho" zunächst holprig vonstattengehen, so als ob jemand zwingend eine abgestaubte Variante des in keinster Weise angestaubten Klassikers präsentieren würde. Diesbezüglich wird zunächst der Vorspann modernisiert, und zwar mehr erheiternd denn selbstreflexiv, eine grafische Montage im Schmalspurformat zerschneidender Schriftzüge ähnlich den originalen Bass-Credits. Die treibenden Rhythmen aus "schnellen Geigen, tiefen Bässen und schrill-dissonanten Violinenschreien" Bernhard Herrmanns werden zielgruppengerecht ins rein Brummige respektive ins leicht Technohafte abgemildert (Paul Haslinger), erinnern in ihrer musikalischen Leitstruktur dennoch an den alten Meisterkomponisten eklatant. Wofür Haslinger sowas zusammennotiert, bleibt funktionsübergreifend in Zweifel zu ziehen, sein Leitthema versinkt später umso gnadenloser im Sumpf der dichter aneinandergereihten Actionszenen.

Aus dem "Psycho"-Thema des totbringenden Motels am Rande der (moralischen) Zivilisation entwickelt Antal eine zu vergleichende Ausgangssituation eines Ehepaares (im Ausschöpfen ihrer Möglichkeiten: Luke Wilson, Kate Beckinsale), dessen kaputte Ehe in allegorischer Vereinigung mit ihrem kaputten Auto steht. Einer Kurzgeschichte wahlverwandt, wirft Antal den Zuschauer nach einer stilistisch anspruchsvollen Blende aller gesamtbildnerischen Vorspannschriften zum Auto direkt ins Geschehen und das Drehbuch paraphrasiert ihre psychologischen Hintergrundmotive sukzessive im Dialog in Kontrast zur Gefahr – ein Unfall, der verlorene Sohn, jeder gibt dem anderen die Schuld, eben alles minimalistisch. Dass die Ehe trotz aller früheren Widrigkeiten doch noch repariert werden kann und die Quintessenz des Films schlicht darin liegt, zwei zerstrittene Ehepartner durch Nahtoderfahrungen seelisch zu reinigen, damit sie ihr Leben neu beginnen, ist so banal wie regelkonform, ist Moderne, aber nicht Hitchcock. Mit der Ankunft im muffigen Motel (richtiggehend abgefuckt: herumkrabbelnde Schaben, fragile Spiegel, verwahrloste Vorhänge, marodes Trinkwasser) inklusive vernachlässigenswertem Snuff-Einschlag bemächtigt sich das Drehbuch seiner stärksten Momente, wenn das omnipräsente Tür-Klopfen unsichtbarer Angreifer für die altmodischste aller Spannungsvarianten durchaus Erfolg erfährt. Das hätte Hitch bestimmt gefallen. Auch davor sorgen ausgestopfte Vögel sowie ein zwischen aufopferungsvoller Zuvorkommenheit und widersinniger Larmoyanz charakterlich ambivalent hin- und hergerissener Motelbetreiber (als Norman Bates: Frank Whaley) für drollige Parallelen gegenüber Bates Motel, die sich stimmig dem Gesamtgefüge der Hommage von Nimród Antal einquartieren.

Obgleich die Kameraarbeit die eckig-bedrängt architektonischen Motelzimmer souverän ausfotografiert und ihre Bilder überhaupt sehr viel aus Spiegelperspektiven (auch Seitenspiegeln) erwirbt, und obgleich der Voyeurismus-Subtext Hitchcocks auf eine offensiv-zeitgeistbezogenere, aber ungemein selbstironische Ebene gehievt wird (vom heimlichen Guckloch analog zur versteckten Monitorkamera digital), gelingt es dem Film ab der Auflösung der geheimnisvollen Aggressoren dann nur noch verhältnismäßig selten, subtil Luft zuzuschnüren. Das resultiert einerseits daraus, dass es zu früh geschieht. Und andererseits daraus, dass es ununterbrochen berechenbar geschieht. Die anfänglich konzentrierte Auftragsarbeit des Regisseurs weicht klobiger Genreklaviatur, die offenkundig ihr dickliches Vorbild im Stich lässt, sobald die Paragraphen der Gesetze es nur noch erlauben, entweder aktiv einzugreifen (=Polizeianruf) oder passiv abzuwehren (=Badezimmertunnel). Und das möglichst actionreich quer durch die zu ramponierende Fassade des Motels, ein Missverhältnis zur aufgestauten Spannung. Höchstens der Meta-Auftritt eines Polizisten, der nebenher die ehemalige Rolle des von Martin Balsam gespielten Privatdetektivs Milton Arbogast personifiziert (beide sterben durch Messer), evoziert unterhaltsame Überraschung, ebenso die vermeintliche Rettung eines Truckers – seines Zeichens allerdings Abnehmer (Konsument?) der masochistischen Gewaltrollenspiele auf Videoband. Am Ende läuft es schließlich auf die letzte Aufbäumung des Final Girls hinaus, sich zu retten, um zu überleben, und ihren Ehemann zu retten, um eine Ehe zu retten. Natürlich darf er nicht sterben. Das offene Ende einer morbiden Kurzgeschichte. Was hälst du nun davon, Alfred?

5/10