Mittwoch, 18. November 2009

"Das Appartement" / "The Apartment" [USA 1960]


Tragikomödien sind ja immer so eine Sache, heikle Angelegenheiten sozusagen. Die meisten Regisseure haben versucht, anständige Genre-Beiträge auf die Leinwand zu schmettern, um letztendlich grandios zu scheitern. Viele Filmemacher waren bemüht, veritable Genre-Beiträge auf Zelluloid zu bannen, um letztendlich grandios zu scheitern, weil sie das als "einfach" kolportierte Genre unterschätzt haben. Die richtige Balance zwischen beiden Emotionen zu finden ist gewiss keine einfach zu handhabende Herausforderung, da sich beide Stimmungen ergänzen müssen. Es zählt das Miteinander. Die Kunst besteht eher darin, Tragik und Komik akzentuiert miteinander harmonieren zu lassen, um für die richtige Zusammensetzung von Melancholie und Glückseligkeit zu sorgen. 

Das ist es, was einige nicht verstanden haben – ihre Filme waren unausgeglichen und undifferenziert, weil sie zumeist den Anschein erweckten, dass sich Tragik und Komik gegenseitig im Weg standen, dass sie gewissermaßen nicht ineinandergriffen, sondern nebeneinander für sich allein existierten. "Das Appartement" jedoch ist einer dieser wenigen Kandidaten, bei denen die richtige Mischung vorhanden ist. Kaum ein anderer als Billy Wilder konnte derartig virtuos eine charmante und zugleich intelligente Geschichte erzählen, die ungeachtet ihrer gesellschaftskritischen Seitenhiebe und satirischen Facetten vor allem eines evoziert: zutiefst menschliche Gefühle.

Auf den ersten Blick könnte man "Das Appartement" sicherlich als leichtfüßige, beschwingte und warmherzige Liebeskomödie klassifizieren, ohne die Schönen und Erfolgreichen in den Vordergrund zu rücken oder gar das Klischee des sich anfangs nur schwer respektierenden Standardliebespaars zu bedienen, das aufgrund von konstruierten Schicksalswendungen irgendwie doch herausfindet, dass es füreinander bestimmt ist. Nein, "Das Appartement" profitiert von der Ehrlichkeit seines Drehbuchs und porträtiert echte Menschen in echten Situationen. Die skurrile Handlung – ein Angestellter vermietet seinen Kollegen regelmäßig sein Appartement – ist unrealistisch wie ein völlig an den Haaren herbeigezogenes Grundgerüst. Trotzdem entwickeln Wilder und sein langjähriger Drehbuchautor I. A. L. Diamond eine mit Witz und Esprit versehene, eine, mehr noch, überaus vielschichtige Story, die keinesfalls so absurd daherkommt, als die Ausgangssituation vielleicht suggerieren mag.


Im Gegenteil, es ist bemerkenswert, welchen ernsten Ton dieser Film aus dem Hause Wilder tatsächlich anschlägt. Der Humor, er ist allerhöchstens peripher vorhanden und versteckt sich im Unterschwelligen, verzichtet auf laute Lacher. Die Dialoge, geschliffen wie eh und je, aber nicht vor Wortspielen berstend wie in anderen Werken des Altmeisters. Die Drehorte mit ziemlich genau drei Kulissen – das titelgebende Appartement von innen und außen, ein Versicherungsgebäude sowie ein chinesisches Restaurant – sind minimalistisch denn üppig. Die visuellen Effekte, ein kraftvoller Soundtrack: Fehlanzeige, ja beinah wertlos für Wilder, weil es ohnehin nicht seiner Intention entspricht. Trotz alledem wäre Billy Wilder bekanntlich nicht Billy Wilder, wenn er es bei dieser überschaubaren Inszenierung einer simplen Beziehungskiste belassen würde.

Denn dafür repräsentiert die sich durch den gesamten Film schlängelnde Romantik allenfalls ein nettes, kleines Gimmick für etwas viel Größeres. Wilder konterkariert auch hier mit des Zuschauers These, dass "Das Appartement" oberflächlich Screwball-Comedy sein will, im Kern jedoch äußert bissige wie scharfsinnige Gesellschaftsanalyse darstellt, in denen Menschen Menschen ausnutzen, in denen Menschen vielmehr aus dem klassischsten Grund Menschen ausnutzen: aus Profit, um eigene Vorteile zu generieren. Menschlichkeit sollte man hier nicht erwarten, in diesem korrupten New York, Skrupel dann schon eher. Wilder hält unverblümt die Kamera auf diejenigen, die es mit der Moral nicht so ernst nehmen, ohne allerdings selber in affektierte Zeigefingereskapaden zu verfallen und den Lehrmeister zu spielen.

Wilder kritisiert lediglich, er kritisiert konsequent und präzise, er macht sich sogar die Satire zunutze. Man betrachte die eigentliche Versicherungsgesellschaft, eine Art wärmender Unterschlupf für jeglichen Mitarbeiter und kompetenter Arbeitgeber, von Wilder ironischerweise mit dem Titel "Consolidated" versehen. Im Normalfall steht die Versicherung – wie es der Name bereits andeutet – für Sicherheit, für Sicherheit der Kunden, der Menschen, man versichert gegen alles Übel dieser Welt, gegen alle Risiken, damit sich die Menschen sicher fühlen, ohne aber zu wissen, dass es eine derartige Sicherheit nicht geben wird (kann).


Wie einst in des Regisseurs selbstreflexivem Noir-Meisterwerk "Boulevard der Dämmerung" geht es  auch hier der feinen, gutbürgerlichen Gesellschaft an den Kragen, indem ihr abermals der moralische Spiegel vorgehalten und somit die Illusion eines scheinbar perfekten Lebens zerstört wird. Eine Illusion dahingehend, dass das gesamte Arbeitsleben in jener Versicherung nichts weiter als einem trostlosen Konglomerat aus Telefonieren und Fahrstuhlfahren gleicht, in dem jeder Mitarbeiter anonym bleibt, denn aus der Masse heraussticht. Jeder arbeitet jeden Tag an seinem speziellen Schreibtisch, in Reih und Glied, nach genau kalkuliertem Plan. Jeder Tag ist wie der andere im (Arbeits-)Leben von unseren beiden Protagonisten C. C. Baxter (Jack Lemmon) und Fran Kubelik (Shirley MacLaine).

Jeden Tag aufs Neue benutzt man die Fahrstühle und lässt sich zu den verschiedenen Etagen fahren, eben die ewiggleiche monotone Prozedur, zu jeder Zeit. Es scheint, als ob ein kleines Büro oder die damit verbundene Beförderung zu einer möglicherweise besseren Position der einzige Ausweg ist, um seine Identität innerhalb dieses Gebäudes wiederzuerlangen. Allerdings lässt Wilder mit fortlaufender Zeit diese von der Außenwelt abgeschottete Fassade bröckeln, wenn er Baxter und Kubelik, zwei einsame Menschen auf der untersten Karriereleiter kauernd und gefangen im Getriebe einer hochkomplexen Industriemaschinerie, zusammenführt, und beide schließlich erkennen werden: Jetzt ist der Weg frei, sich gegen jenes herzlose Großstadtmoloch, in dem gnadenlos ausgenutzt und betrogen wird, zur Wehr zu setzen! Vorbei mit der Zeit, ein williger Untergebener, ein Opfer einer egoistischen Organisation zu sein! Vorbei mit dem Elend, dass die beiden schon viel zu lange mit sich herumgeschleppt haben.

Das Hauptdarstellergespann harmoniert nicht zuletzt seiner mimischen Fähigkeiten lakonisch miteinander. Jack Lemmon interpretiert seine Figur als hoffnungsloser Einzelgänger stimmig und mit Klasse. Er ist es, der stets nach seinen eigenen Vorstellungen handelt, auch wenn sie nicht immer ins Schwarze treffen, so trägt er schlussendlich immerhin einen kleinen Sieg davon. In den tragischsten Momenten, etwa beim Wiederbelebungsversuch seiner heimlichen Liebe Fran, nachdem sie Schlaftabletten geschluckt hat, oder der Schlüsselszene auf der Silvesterparty, als die beiden Antihelden erstmals ihren gemeinsamen Weg vor sich sehen, da, wo alle anderen ihre verlogenen Vorsätze fürs neue Jahr bekunden, kann Wilder diesem Looser und Naivling lobenswerterweise zu jedem Zeitpunkt etwas Komisches (die Slapstick-Einlagen) und Sympathisches abgewinnen, wodurch er dem Zuschauer trotz seines moralisch fragwürdigen Verhaltens ausnahmslos als liebenswert erscheint, dem man die Daumen drücken muss.


Sein Appartement gilt als enger, dunkler, abgeschlossener Raum, gleichermaßen aber auch als einziger Zufluchtsort vor der feindlichen, schmutzigen Welt da draußen. Für Privatsphäre ist dennoch kein Platz, ohne Rücksicht auf Verluste treten Tag für Tag, Woche für Woche die unterschiedlichsten Menschen durch die Tür, allesamt große Fische eines renommierten Konzerns; Baxters Vorgesetzte de facto, die sein Appartement als Ort für ihre heimlichen Affären nutzen. Das Kuriose daran: Baxter lässt es sich anfangs gefallen, widerwillig. Zugunsten seiner Karriere und die Chance auf grenzenlosen Reichtum opfert er alles, inklusive dem Wichtigsten: seinem Privatleben. Es dauert lange, bis Baxter diese Behandlung, geschweige denn seine Ansichten, einer kritischen Analyse unterzieht.

Auf der anderen Seite steht Miss Kubelik, von einer exzellenten Shirley MacClane gespielt, die taffe Fahrstuhlfahrerin, missbraucht als Teilzeit-Seitensprung von Baxters Chef Sheldrake (großartig: Fred MacMurray). Sie versucht sich ständig einzubilden, dass Sheldrake sie liebt und mit ihm eine Zukunft hat, ohne zu ahnen, dass sie gewissermaßen nur die schnelle Nummer für zwischendurch ist. Mehr und mehr verzweifelt über das Dilemma, kulminiert Frans krankhafte Liebe schließlich im versuchten Selbstmord. Sheldrake betrügt seine Frau nur des Spaßes wegen, Baxter geht ebenfalls mehrfach fremd; "Das Appartement" skizziert Männer, die vor nichts zurückschrecken, "Das Appartement" handelt von Figuren, die sich regelmäßig selbst betrügen, um sich ihr Leben auf ganz spezielle Weise zu erfüllen.

Da ist es nur konsequent, dass am Ende nur ein Sieger hervorgeht: Billy Wilder. Er siegt moralisch über alle anderen, stellt ihr Verhalten bloß, ohne sie allerdings mit dem Hammer zu zerschlagen. Er lässt keinen Kollegen mehr Baxters Appartement betreten, Sheldrake verliert Fran, Sheldrake verliert seinen geschätzten Baxter, Sheldrake verliert vielleicht auch seine Frau, ebenso wie seine Sekretärin (Joan Shawlee), während unser Duo Fran und Bud in einer der schönsten, völlig unpathetischen Schlusseinstellung zumindest der Welt des falschen Scheins den Rücken kehren. Zwei Menschen, die ihn gefunden haben, den Ausweg und den Eingang zur wiederentdeckten Menschlichkeit. Ob sie zusammen kommen, wissen wir nicht. Wir können es nur erahnen. Auch der obligatorische Kuss bleibt aus. "Das Appartement" endet freundschaftlich, nüchtern. Billy Wilder bleibt seiner Linie treu, indem er sich vergeblich zum Moralapostel stilisiert.


Man kann über "Das Appartement" gerührt sein, man kann über diese bezaubernde Tragikomödie lachen und weinen oder beides zugleich, aber auch seinen Hut davor ziehen, wie hervorragend Wilder den Spagat zwischen der bis zum Exzess geführten, zynischen Moralkritik in Form einer bitteren Satire, ausgeweitet zur Groteske, und herzerwärmender, melancholischer Lovestory zweier echter Helden meistert, ohne Klischees, ohne Kitsch und trotz aller inhaltlichen Schwere dieses ansonsten so kleinen Films universell in seiner Aussage.

8 | 10