Dienstag, 20. Oktober 2009

"Der Duft der Frauen" / "Scent of a Woman" [USA 1992]



Story

Charlie gehört zu jener Sorte Menschen, die eigentlich viel zu gut für diese Welt sind. Weil alle seiner Mitschüler in den Ski-Urlaub fahren, will er als armer Student einer reichen Universität natürlich auch mitfahren. Aufgrund des fehlenden Kleingelds entschliesst er sich deshalb, einen Job anzunehmen. Charlie soll auf den Ex-Armeegeneral Frank Slade aufpassen, der seit geraumer Zeit blind ist. Doch Frank gehört nicht in die Kategorie Mensch, die als "leicht" zu bezeichnen sind. Doch es scheint sich im Laufe der Zeit eine enge Freundschaft zwischen beiden anzubahnen, aus der die grundverschiedenen Männer noch viel lernen können...

Kritik

Ja! Es ist soweit! Endlich! "Meine Serie ist durchbrochen!" Eine Dankesrede, dazu lautstarke Ovationen. Euphorie. Erstaunen, aber auch Erleichterung. Nach 7 erfolglosen Versuchen hat es Al Pacino am 29. März 1993 im Dorothy Chandler Pavilion in Los Angeles geschafft. 7 Oscarnominierungen musste er über sich ergehen lassen, ehe er schließlich für die achte den Goldjungen in den Händen halten konnte. 20 Jahre nach seiner ersten Nominierung. Von "Der Pate I+II" über "Serpico" bis hin zu "Hundstage": Es gab oscarmäßig nichts zu holen. Bis zu jenem denkwürdigen Tag, als gleich zweimal sein Name in den Nominierungslisten auftauchte. Bis zur Kategorie "Bester Hauptdarsteller", die von Jodie Foster moderiert wurde. Und es hieß: "And the Oscar goes to… Al Pacino!" Für seine Rolle als blinder Kriegsveteran in Martin Brests "Der Duft der Frauen". Auch wenn der wichtigste Filmpreis – und das hat uns die Geschichte gelehrt – häufig an die falschen Leute ging, hier war es gerechtfertigt, hier war es hochverdient, hier musste der Oscar her. Vor allem deshalb, weil Pacinos Vorstellung des mürrischen Lt. Col. Frank Slade einer One-Man-Show gleicht, die ein Musterbeispiel perfekten method actings evoziert.

Zwei unterschiedliche Personen, die unfreiwillig aneinandergeraten, sich den Umständen entsprechend arrangieren müssen, aber letztlich doch zueinander finden, das ist garantiert keine innovative oder gar bahnbrechende Figurenkonstellation innerhalb des filmhistorischen Kontextes. Auch in "Der Duft der Frauen" erzählt Regisseur Martin Brest von so einem ungleichen Paar und legt dabei weniger Wert auf einen mit unkonventionellen Mitteln erzählten Plot, sondern auf eine verhältnismäßig stringente, gemächlich erzählte Narrative, ohne große Twists aus dem Ärmel zu zaubern, ohne Finten, die den Zuschaer mit Absicht ins Leere laufen lassen. Es steht eindeutig das konfliktbeladene Verhältnis zwischen Frank (Al Pacino) und Charlie (Chris O'Donnel) im Mittelpunkt, respektive ihre melancholische und zugleich lehrreiche Odyssee durch New York. Als einfache Reise konzipiert, entpuppt sich dieser Trip jedoch als metaphorische Reise durch Franks Vergangenheit, die sich immer mehr zuspitzt und letztendlich in einer tiefen Depression aus Verzweiflung, Alter, Blindheit und Vergänglichkeit kulminiert – und in Franks Gewissheit, ein unerträglicher Krüppel zu sein, wonach er nach dem einzigen Ausweg trachtet, der ihm noch bleibt: dem Selbstmord.



"Der Duft der Frauen"
ist also mehr feinfühlige Charakterstudie als reinrassiges Drama. Das Drehbuch (Bo Goldman), basierend auf der Romanvorlage von Giovanni Arpino und dem gleichnamigen Film von Dino Risi aus dem Jahr 1974, fokussiert zwar zwei Handlungsstränge, darunter eine Rahmenhandlung um zwei Schüler einer renommierten Universität, die aufgrund eines Streiches gegen ihre Kameraden, den potenziellen Tätern, aussagen sollen und ab jetzt einem permanenten Gewissensdruck ausgesetzt sind, und dem Hauptteil um Frank und Charlie, der irgendwann mit ersterem Strang verschmilzt und der Kreis sich am Ende schließt, wenn die Irrfahrt plötzlich erlösenden Charakter offenbart. Doch im Kern stellt sich das Drehbuch als relativ einfach gestrickter Selbstfindungs- und Roadtrip heraus, vielleicht ein wenig zu lang und redundant in seiner Exposition, vielleicht ein wenig zu dick aufgetragen in den letzten Szenen, vielleicht ein wenig spannungsarm im Mittelteil, aber dafür weitestgehend ohne Klischees und plakativen Tränendrüsendrückern, fesselnd wie sensibel erzählt. Umso bemerkenswerter kommt die Tatsache hinzu, da Brest auf eine Vielzahl von verschiedenen, sorgfältig ausgewählten Schauplätzen zurückgreift; von der schwerreichen Traditionsschule, dessen Fassade allmählich zu bröckeln beginnt, über ein Luxushotel bis hin zum Luxusrestaurant in New Yorks pompösen Straßen ist alles dabei. Unterstrichen wird diese Szenerie von Thomas Newmans elegischen Klängen, welche die Szenen um einige Nuancen mehr bereichern. Seine musikalische Erfolgsserie wird sich in den nächsten Jahren insbesondere unter Sam Mendes fortsetzen.

Ungeachtet der marginalen Unstimmigkeit, dass Franks Wunsch nach dem Tod im gesamten Film nicht nachvollziehbar bleibt – immerhin scheint er trotz seiner Blindheit sein Leben in vollen Zügen zu genießen – kann konstatiert werden, dass Al Pacino hier eine seiner besten Leinwanddarbietungen zeigt, dass er Frank Slade nicht nur spielt, er lebt ihn aus, er IST Frank Slade. Mit überragender Mimik und Gestik verkörpert er einen Mann, der dem Zuschauer in den ersten Szenen noch als alterndes, als ruppiges, trinkfreudiges sowie unausstehliches Arschloch vorkommt, nach militärischem Vorbild Befehle erteilt und seine bisweilen krankhafte Affinität für Frauen beziehungsweise ihren Körperdüften mit beißendem Zynismus kommentiert. Pacino verleiht dieser Figur enorme Tiefe. Glänzend die Szene beim desaströsen Thanksgiving-Essen, die einen Einschnitt innerhalb des Protagonisten markiert und erstmals die unantastbare Fassade eines Frank Slade angesichts traumatischer Erlebnisse aus dem Krieg bröckeln lässt. Unvergessen auch der Tangotanz, welcher mit der Poesie des Filmtitels mühelos konform geht, unerträglich spannend der theatralische Selbstmordversuch Slades, ebenso wie jene rasante Probefahrt im Ferrari, um schlussendlich mit einem meisterlichen Pacino-Monolog abzuschließen ("War die Rede sentimental genug?") und ihm nebenbei den kultigen Schlachtruf "Hoo-ah" in den Mund zu legen. Diese Szenen tragen berechtigterweise Klassikerstatus. Magic moments, das sind sie ohne Zweifel und lassen Frank Slade doch noch zur Sympathiefigur für den Zuschauer avancieren. Aus jener Verschlossenheit und jenem provokanten Verhalten, das er dem Jungen anfangs noch entgegenbrachte, selbst, wenn dieser ihn trivialerweise berühren wollte, wächst zunehmendes Vertrauen, sodass sich gleichzeitig ihre Beziehung subtil zum Besseren wendet, ja, sich sogar zur Freundschaft ausweitet, zur Freundschaft zwischen zwei einsamen Seelen in New Yorks einsamen Nächten.



Für Chris O'Donnel ist es logischerweise schwierig, sich gegen einen solch raubeinigen Chameur und autoritären Blinden zu behaupten, geschweige denn ihm gar Paroli bieten zu können, einem, der fast allein die ganze Show schmeißt und den Film trägt. O'Donnel bleibt daher im Verhältnis zu Pacino blass in seiner Performance und farblos in seiner charakterlichen Entwicklung, wenngleich es da nur konsequent erscheint, dass er gar nicht erst versucht, schauspielerisch ernsthafte Konkurrenz für Frank darzustellen, sondern sich von ihm führen lässt, ihm das Reden überlässt, dass er quasi nur auf Frank reagieren muss. Von späteren blamablen Zeiten eines Robin aus Schumachers grellbuntem Debakel "Batman & Robin" ist er zumindest ein gutes Stück entfernt. Deshalb sollte seine Rolle in "Der Duft der Frauen" trotz des übermächtigen actings seines Mitspielers und O’Donnels monotonem Verhalten nicht unterschätzt werden. Ansonsten wird der gelungene Cast von einem veritablen Philip Seymour Hoffman in einer seiner ersten größeren Rolle als selbstbewusster, mit der Zeit jedoch reichlich nervöser Mitverschwörer und James Rebhorn als koketter Fiesling und bigotter Schuldirektor komplettiert.

Fazit

"Der Duft der Frauen", das ist in der Summe ein wunderbarer, ein eindringlicher Film, der den Zuschauer auf eine emotionale Tour de Force mitnimmt, dabei Stil beweist und stimmig bleibt, der zwar keine Sentimentalitäten scheut, der aber auch humorvoll wie nachdenklich zwei ungleiche Helden auf ihrem steinigen Weg zu völliger Freundschaft begleitet, und aufzeigt, welchen Preis es schlussendlich wert ist, für diese zu kämpfen. Souverän im Einsatz seiner Mittel sowie im Verhältnis zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, zwischen Bitterkeit und Freude, ist es vor allem ein Al Pacino in einem Glanzauftritt, der seinesgleichen sucht.

8/10