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Montag, 25. Dezember 2017

"Star Wars: Episode VIII - Die letzten Jedi" / "Star Wars: Episode VIII - The Last Jedi" [USA 2017]


Nach "Star Wars: Episode VIII – Die letzten Jedi" darf Rian Johnson durchaus weiterhin Filme drehen, aber es wäre für alle das günstigste Los, wenn er dies auf Jakku tun würde. Traditionen zerbröseln und auf dem Aschehaufen des Träumens gleichzeitig einen neuen Traum konstruieren, wie es ihm angedichtet wird – wo? Obschon Johnson im All den Ästheten spielt, der in rotfleischigen Refugien, sandaufkratzenden Bodenschlachten und lautlosen Explosionen ganz zu sich selbst findet (oder zu einem Verständnis von eigenwilliger Atmosphäre, die sich über jene anachronistische von "Star Wars" interessanterweise erhebt), erschöpft sich sein kanonischer Eintrag im Milchmelken, Tierchenbestaunen und depressiven Unkrautgrimassieren. Das ist nicht "Star Wars", das ist noch nicht einmal ein "Star-Wars"-Seitfallzieher, ein spannendes Spiel mit hinterfragenden Perspektiven auf den Mythos durch den Mythos. Hauptsächlich ist das würdelos. Was sollte es sonst sein? Von der Leia (Carrie Fisher), die zu Beginn auf einen Bildschirm blickt, der die soeben verstorbenen Piloten mit einem Kreuz rahmt (wie niederschmetternd geräuschlos dies Johnson porträtiert, kommt einer subtilen Trauer gleich, deren Schwermut der Film nachfolgend lieber parodistisch unterläuft), bleibt nicht viel übrig. Im Gegenteil: Eine Leia bleibt übrig, die dem Tod davonfliegt. Carrie Fisher hätte Besseres verdient gehabt. Die Ehrung, die ihr im Abspann zuteilwird – Hohn geradezu. 

Es scheint, dass "Star Wars: Episode VIII – Die letzten Jedi" aus den postmodernen Nervattacken eines "Star Wars" hassenden Proleten stammt, der sich lustig schimpft. Die üppige Laufzeit verwandelt diese Episode in ein Spiegelkabinett repetitiver Bedienungsmöglichkeiten (davon völlig haarsträubend: das Casino samt hässlich animiertem "Jurassic–Park"-Befreiungspathos), die eine Taste nach der anderen bedient: Aktion, Reaktion, Todesgefahr, Rettung, ausatmen, einatmen. Weiter, immer weiter. Dieses kalkulierte, diktatorisch zerfranste "Star Wars" schafft keinen Raum mehr für die Wunderdinge der Macht, die, wie ironisch sich das auch anhören mag, bis zur allerletzten Konsequenz nun von jedem erspürt, angewendet werden kann. Von jedem – das heißt auch von denjenigen, die sich der Macht um der Macht willen verschreiben. Einst ging es in "Star Wars" um etwas. Um etwas den Sinn Überwindendes, um eine Andacht in der Kathedrale der Popkultur. Der Glaube war stark, aber nie zu missionarisch. Disneys "Star Wars" glaubt nichts mehr, und Rian Johnson – sein Mut ist ihm gleichwohl nicht zu nehmen – fängt diesen Transzendenzverlust auf, indem er über ihn lacht. Er lacht über die Bösen, die Guten, er belacht das Gefühl, mit dem sich "Star Wars" fassen ließ: dem Unerklärlichen der Heimat, der Heimkehr, ummantelter, warmer Umarmung. Jetzt zeigt ein Loch auf einer Insel direkt auf den Kopfschuss. Es führt kein Weg mehr zur Heimat, nicht ins Irgendwo, sondern ins Nirgendwo: Das Lichtschwert, oh, wirf' es doch weg!

3 | 10

Montag, 2. Oktober 2017

Serien: "Twin Peaks: The Return" (Folgen 10-18) [USA 2017]


Phillip Jeffries, ehemals David Bowie, kommuniziert mit Rauchsignalen. Wiedererwecken konnte ihn David Lynch nicht, aber als kochender Teekessel erfüllt er seinen Zweck zwischen Raum und Zeit. Den Eintritt in jenes knifflige Sinnkarussell, das Männer nicht zu Ende gebärt, markiert Jeffries als Warnung, als eine "8", als eine Ziffer, die ein Möbiusband erzeugt. Einen borromäischen Knoten. Hinein in eine unbekannte Zeit- und Tiefenstruktur. Abermals. Was "Twin Peaks" jetzt nicht mehr ist, geht über dessen DNA kultureller Normierung weit hinaus – das Gefühl hat sich geändert, jedoch gleichfalls das Erkunden. Früher war Twin Peaks ein kontemplatives Stück märchenhafte Erde. Die Figuren haben sich darin verspätet, ihr Sprechen, ihr Handeln, ihr Denken verzögerte sich, war beinah gefroren, in schockgefrosteten Halbtotalen. Jetzt allerdings? Jetzt bewegen sich die Figuren, auf mäandernden Highways bis an das Ende der Nacht. Sie durchfahren die "8", ohne anzukommen.

Das "Aufwachen" ist sinnstiftend da und dort. Wenn eine Frage existiert, die die zweite Staffelhälfte begleitet, dann diese: Wann erwacht Dale Cooper, der Cooper (Kyle MacLachlan), endlich? Und ist er nicht das Prisma, an dem sich die Strahlen der Dimensionen brechen? So wie später, irgendwann. Dann, entkommen dem munteren Dougie-Jones-Kleidertausch, überdeckt sein Gesicht die Geschehnisse, wacht über sie, verwandelt sie zu transzendentaler Wichtigkeit. Innen wie außen. Drinnen wie draußen. Rational wie irrational. Und Lynch genießt es. Er genießt es, uns an der Warteschlange stehen zu sehen, um den Dale Cooper in Empfang zu nehmen, ihn zu begrüßen. In Twin Peaks. Fast war es geschehen, bei einem Kirschkuchendinner. Klavierbegleitung. Cooper schmatzt wie der alte Cooper, erinnert sich an den Geschmack jenseits jener rot ausstaffierten Kapsel, in der er verweilen musste. Erinnert sich an das Handfeste, Sinnfreudige. Vergehende.


Part 16, vielleicht verwehrt sich dieser als einzige Folge nicht der Heimat, zeitweise. "I'm the FBI." Worte, ein Satz, der Familie ist, sie zärtlich streichelt. Auf ihre Weise war die Dougie-Jones-Saga selbstredend auch familiär, eine überlange, übellaunige, überbeanspruchende Seifenoper, die sich für das Groteske anfeuerte: Sex und Romantik als steckdosensteife mechanistische Verarbeitung erlahmter Algorithmen, die einen tiefen Humanismus entfesselte. Ausgerechnet einer von Lynchs Lieblingsfilmen, "Boulevard der Dämmerung", zwingt Cooper, sich zu erinnern. Cordon Cole zwingt ihn, sich zu erinnern. "Dämmerung" ist das wohl treffendste Wort für eine Zustandsbeschreibung, die der dritten Staffel inhärent scheint. Denn alles meldet sich mit einem Flüstern, Winseln, Kleckern zu Wort, das von dem bedrohlichen Summen des Ventilators unterbrochen, von der erschütternden Melancholie schaler Tankstelleneinsamkeit unterwandert, von ohrenbetäubenden Schüssen auf offener Straße zerstört wird.       
     
Nach 25 Jahren darf Dale Cooper kein Held mehr sein. Gott hat die Moderne nicht mehr lebend erlebt, Helden die Postmoderne. Was sich heute "Held" nennt, entspricht jemandem, der Ordnung hineinzutragen vermag, Beständig- und Sanftheit. Der sich rettet, seine "Geworfenheit" zum Anlass nimmt, sich zu entwerfen. Frei. Freier. Geschichte dabei zu ändern, ändert den Verlauf dessen, was wir sind. Das ist Coops Verhängnis. Laura (Sheryl Lee) zu retten, setzt eine Kettenreaktion in Gang, die Cooper nicht voraussehen konnte. Was ist er doch für ein Narr gewesen, wenn er glaubte, dass er die Identität überlisten konnte. Wie sah Twin Peaks danach aus? Verlassen und geisterhaft, weil kein Geist mehr sich hier niederließ. "Twin Peaks" endet schreiend – es ist der Schrei der erneuten Niederlage, der "8" unterlegen zu sein. Lynchs Menschenverständnis, bei aller Gespaltenheit, verweist auf die Notwendigkeit, uns trotz verlockender Alternativen im Hier und Jetzt zu bekennen. 




Ein Hier und Jetzt, dem Lynch seinen Tribut zollt. Für Catherine E. Coulson findet er eine bewegende Wärme. Angekündigt hatte sich seit Beginn ihr Hinübertreten in den "großen Anderen", das, was nicht mehr einsehbar, nur erfahrbar ist. Ihr Holzscheit – an die Brust geschmiegt. Sauerstoff, wenige Haare. In der Waldhütte lodert ein Feuer, aber es wird schwächer: Lynch war immer auch Romantiker, aber seine Liebe drückte sich nie in dem was, wodurch eine handelnde Filmfigur gezielt berechnete Affekte über die Leinwand hinaus anbietet, sondern in dem, dass die Leinwand Teil des Lebens selbst ist. Mit dem Tod der "Log Lady" endet ein Kapitel milder, seliger Bürde. Im "Wild Wild West" der Serie, von Annie urwüchsig besungen, mag das unscheinbar wirken. Trotzdem: Sie war die Brandung, ein geografischer Fixpunkt, wo die (vertraute) Geografie außer Kontrolle geriet. Bis zuletzt fächelte sie uns in ihrer Sesshaftigkeit eine Prise Einkehr zu. Beständig, wie sie war. Danke.

Stille, die quasi das erzähllastigste, parallel dazu bizarr wucherndste Element der Staffel(hälfte) überhaupt nicht aufwertet. In den Szenen rund um Las Vegas, stringent nach vorn tragendes Genrewissen, entwickelt Lynch einen im Martin-Scorsese-Milieu verorteten Gangstersleaze inmitten der harten Fakten der Marktwirtschaft. Die Gebrüder Mitchum (Robert Knepper, Jim Belushi) werden zu denjenigen ikonischen David-Lynch-Skulpturen, die sich ihrer Sache gewiss sind, zwar kaltblütig ihrer Gier zu gehorchen, aber reflektiert das Gegebene zu bewerten. Wenn sie Cornflakes mampfen oder der Familie von Kumpel Dougie den Haushalt stärken (sie spendieren sogar ein Klettergerüst!), dann begegnet ihnen Lynch mit aus- und einnehmender Sympathie. In ihnen erlischt der Schmerz, dass Dougie nicht Coop ist. Die Gebrüder Mitchum fungieren als Surrogat – ihre vergleichbare Neugier auf die Welt, die reiner ist als sie, verschleppt den Trost in ein Glitzerparadies.




Wo Las Vegas daher die Quelle einer hinreißenden, hartherzig-erweichenden Männerschnulze verkörpert, entfernt sich Lynch kontinuierlich, "Geschichte" zu entsprechen. Das originale "Twin Peaks" erzählte ein wohlgenormtes Krimistück. Bei aller dadaistischen Raffinesse der Traumausschüttung lieferte es nichtsdestotrotz einen Erzählmodus, der tonal die Strömungen der Gezeiten (in sich) logisch verband. Nun allerdings: eine Entleerung des Komfortablen, Fragmentierung der Fragmentierung willen. Ein Vorteil dabei ist, dass "Twin Peaks" leidenschaftlich seine Freiheit auf die Probe stellt. Noch freier zu sein meint, dass unter dem "Twin-Peaks"-Überrest eines Monica-Bellucci-Traums sich stets ein geheimnisvolles "Sieben"-Paket verbergen kann. Oder ein hyperventilierender "Weekend"-Stau. Oder ein Marvel-Superheldenhandschuh, der mit dem Bösen Baseball spielt. Zitatreiche Zeitzuckungen; hinwegatomisiert die Grenzen der Beschaffenheit und des Sozialen.

Irgendwie eine Zumutung, nicht? Eine Zumutung, dass das Heilige nichts bedeutet, das Profane dagegen heiliggesprochen wird (quälend lähmend: ein Flirt mit einer Französin). Vielleicht fordert Lynch lieber zum Tanzen auf, es wäre schön. Er fordert uns auf, wenn seine Hand unsere Schulter berührt. Das Verbundensein zwischen Ed (Everett McGill) und Norma (Peggy Lipton) schafft einen Link, einen Seelenlink, der den Zuschauer mit einer Serie versöhnt, die ihre eigenen Wege beschritt, der aber nie das Herz erkaltete. Auch wenn Angelo Badalamentis Stücke, die gleichzeitig von einer Klasse künden, die sich verstreute, zerstreute, die sich betäubte, hinter den Beat der Zerstückelung, des musikalischen Schauplatzschichtens, zurücktreten musste, so ist doch die Musik der Rahmen für den Ausdruck allen Übels – und allen Glücks. James (James Marshall) und Audrey (Sherilyn Fenn) singen davon ein Lied, tanzen. Irgendwo, Mitternacht. In der Heimat. 

9 | 10

Mittwoch, 19. Juli 2017

Serien: "Twin Peaks: The Return" (Folgen 01-09) [USA 2017]


Andere Serien waren Steine, "Twin Peaks" hingegen ein Monolith. Mein Monolith. Nach "Twin Peaks" habe ich zwar mit vielen anderen Serien gekuschelt, von denen ich teils noch liebohnmächtiger wurde, aber das Städtchen Twin Peaks bleibt für immer eine Postkartenerinnerung, deren Urwüchsiges, Aufgeladenes und vor allem heimelig Beladenes mich in wärmende Holzstuben, in die schlimmstenfalls verstellte wie bestenfalls verstrahlte Twin-Peaks-Seifenkiste, lockte. Das sonst provozierende wie knallige Kino David Lynchs entfaltete sich in Twin Peaks unerhört schüchtern, neugierig, sentimental: langatmige Rhythmen, melodramatische Seufzer, Verbrechen und Strafe unter einem Schleier des Ungefähren, dazu der ausgiebige Genuss von (verdammt gutem) Kaffee und (verdammt frischem) Kuchen. "Heil" war in Twin Peaks nur so lange etwas, bis ein roter Vorhang die Gemütlichkeiten der Runde verdeckte. Und doch war das "Suchen" ein Reifeprozess nicht nur der Figuren, auch der Serie – das Resultat derselben führte in ein erneutes Bewusstseinsrätsel, das zunehmend kosmischer die Beschwernisse der Liebe und des Hasses herausforderte.

Eigentlich handelt "The Return", ein aus 18 Episoden auseinandergestückelter Film, betitelt als die (sensationell nach 25 Jahren ein Versprechen eingelöste) dritte Staffel, ebenso von einer "Suche". Einer umgekehrten. Einer, die vielleicht nach Twin Peaks zurückwill, aber vorerst nicht kann. Oder darf. Ist das eine Schwäche, eine Stärke? Ich persönlich fühlte mich nicht heimisch. Was während der Jahrzehnte geschah, war nicht mehr mein Ort, der Kaffee abgestanden, der Kuchen abgepackt. Ich entfremdete mich von Twin Peaks, wurde hin- und hergerissen zwischen Twin Peaks und… New York und… Las Vegas, hin- und hergerissen zwischen der Wärme und der Kälte, obgleich die Wärme selbst kälter geworden ist, entschieden kälter. In den 90ern hat Lynch sein "Twin Peaks" erschaffen. Bonbonfarben, wichtig und seicht, zu ungewollter Stunde hysterisch. Ein Kind der 90er gleichermaßen, aber auch diese ironisierend wie dekonstruierend. Jetzt, 2017, begnügt sich Lynch mit einer Videoinstallation. Unnahbar, gleichwohl keineswegs entbehrlich. "Twin Peaks" anno 2017 bedeutet zuvorderst eine doppelcodierte Suche nach dem Vertrauten. Irgendetwas war da, verschüttet unter Erinnerungen.    

Studie nach dem menschlichen Körper (Francis Bacon, 1949)

Mit Nostalgie gibt sich Lynch entsprechend nicht zufrieden. Glücklicherweise. Nostalgie nachzustellen, wäre ein billiger Trick, "Twin-Peaks"-Atmosphäre herzustellen, die trotzdem anders gewirkt hätte als in den 90ern. Möglicherweise ein wenig forciert, ja verlogen. Die Sichtweise im Rahmen der "neuen" Fassade namens "Twin Peaks" ist eine nicht nur globalisierte (zahlreiche Schauplätze ergeben ein Puzzle an Überschneidungen), sondern auch eine materialistische. Während eine (Monster-)Maschine bewacht werden muss, wackelt Kyle MacLachlan als apathischer Zombie seiner selbst durch ein absurdes bürokratisches Kapitaldelirium. Ein Poster Franz Kafkas im Büro David Lynchs (der abermals den schwerhörigen Gordon Cole spielt) zeigt die Marschroute an, die Methodik, im Abstoßenden des Alltäglichen das Alltägliche des Abstoßenden zu durchleuchten, und zwar durchweg hinter dem roten Vorhang. Der Zuschauer indes schlüpft in die Rolle Dale Coopers (MacLachlan): hier ein Erinnerungsrest, dort ein Erinnerungshäufchen, aber wohlfühlen? Hier? War "Twin Peaks" 1990-1991 an den Atompilzrändern heimisch, bewegt sich das "Twin Peaks" 2017 rigoros zum Atompilzkern. Wie auf einem anderen Poster. Einem anderen Planeten.

MacLachlans übersteuerte Mimik, genauso die steif-schlurfenden Bewegungen, ist köstlich, neuerfinderisch gar. Er, der nach 25 Jahren durch eine Steckdose (!) in Las Vegas endlich den rot ausstaffierten Warte- und Höllensaal überwindet, muss sich erst an seine Umgebung gewöhnen, zu viel weicht von dem ab, woran er glaubte. Die Brutalität, die aufgeweichten Bindungen, das Triebgesteuerte. Nirgendwo mehr Romantik. Dafür allerdings gezieltes Zurechtkommen in einer monströs reglementierten, postpostmodernen Welt, in der der Kaffee portioniert in Pappbecher gehört. Und die Menschen an Spielautomaten vegetieren, den großen Ausschüttungsgewinn vor Augen, der sich nie verwirklicht. Wenn sich Cooper jedoch an die "andere" (postmoderne) Welt erinnert, anhand einer Waffe, des Kaffees vor allem, wünscht man ihm, nein: erhofft man sich die endgültige Transformation zum "echten" Dale Cooper. Zum echten "Twin Peaks" fern aller Demenz. Bis dahin ist es weit, umso emotionaler das Gewicht jener Sehnsuchtsfetzen. So denkt Bobby (Dana Ashbrook) an einer Stelle an Laura (Sheryl Lee). Auch weil Angelo Badalamenti diesen Moment schmelzend begleitet, zerfließt dieser im Wahnhaften des Gegenwärtigen – und wird wahrhaftig. 




Diesmal mag "Twin Peaks" mit aller defätistischen Weitsicht eine logische Fortführung des späten David Lynch sein, den humanistischen Überzucker aufzulösen und stattdessen ein vertracktes theoretisches Zeichensystem zu etablieren, das jedes Schnittbild eine Spur zu spät verpasst, jede Szene eine Spur zu lang aufrechterhält. Mit der Feststellung einer Ballung des gesamten David-Lynch-Kosmos, wie sie sich Stück für Stück entblättert, wird man diesem "Twin Peaks" aber eher gerecht. Die Komik vieler seiner Werke maßlos übersteigernd (zum Beispiel während eines großartig getimten Pointenwettstreits am Frühstückstisch), adaptiert Lynch gleichzeitig leise Anklänge eines Hardboiled-Krimis entlang nächtlicher Straßenmarkierungen. Denn Cooper – ihn gibt es zweimal. Diese Aufspaltung scheint paradigmatisch für das Verständnis der Serie, dass Gut und Böse geografisch getrennt sein mögen, aber dennoch in der eigenen Brust walten, wann immer sie wollen. "Bad Coop" ist dabei die wilde, sinnliche Umkehrung dessen, was "Good Coop", öde, fleischlos, antreibt. Die langen, unkontrollierten Haare, der tückische Blick, das Rohe seiner Gewalt – war dies 25 Jahre vorher vom Nichtechten aufgefangen worden, ist es nun die Welt als solche.

Eine gänzlich naturalistische Deformation des Magischen (oder: des magischen Realismus, je nachdem) sah Lynch aber auch nicht vor. Die ersten neun Folgen sind irritierend genug, gerade in ihrer Ambition, das Geheimnis (per Glockenschlag) zu lüften. Der Gefahr der Entmythologisierung setzt sich Lynch folglich aus, sicher. Sobald Dämonen das Gefüge erschüttern, hat der kraushaarige Avantgardist weitaus mehr handwerkliche Möglichkeiten, dies zu zelebrieren. Selten kippt "Twin Peaks" hierbei ins Künstliche. Wie bei einem sprechenden Baum. Häufiger betont er hiermit vielmehr die ewige liebesgeschichtliche Verschmelzungsdialektik der Reinheit mit der Zersetzung: Bob (ehemals Frank Silva) und Laura (Lee) vervollkommnen sich zu deterministischen, überirdischen Konstrukten. Sie, die (in einem hemmungslos romantischen, buchstäblich naturreinen Tableau) auf die Erde geschickt wurde, um den Widerpart von ihm zu verkörpern. Die Abschirmungsmaßnahme gegen den Urknall. Der erschöpfend diskutierte achte Part beschwört eine Seinsvergessenheit, wie sie nie im Fernsehen derartig zu sehen war. 




Das mikrofeine Gewusel, die blitzartigen Wirbel, das Partikelgestochere, als wenn Lynch eine Brakhage'sche Reagenzglasbrühe zusammengebraut hat und deren Reaktion betrachtet: Konnte "Twin Peaks" Gut und Böse anhand eines ländlichen, affirmativen Naturlebens beurteilen, das unter Zugzwang gerät, wenn die Idylle zu idyllisch wird? Ja, konnte es. Aber das reicht Lynch nicht, zumindest jetzt nicht (mehr). Laura Palmer, einst Chiffre für das Unsagbare, für das Unfassliche, für die Wolke, die einen blauen Himmel verschmutzt, ist Lynchs Aufhänger, das Gute, gleichfalls wie das Böse genealogisch zu erforschen – und hiermit "Twin Peaks" an dessen Wurzel zu packen, herauszureißen quasi. Ob mir das gefällt, tritt hinter den Reigen, den Lynch entfesselt. Im All, auf einer Glocke, in irrealen, stockenden, aufplatzenden Schwankungen, Störungen, Entgleisungen. David Lynch möchte uns nach Twin Peaks bringen, ohne dass wir uns gleich in Twin Peaks einrichten können. Zugleich will er "Twin Peaks", auch Twin Peaks verstehen (lernen), Ungeklärtes klären, die Lücke schließen, beispielsweise die Diane-Lücke. Lynch wendet sich der Universalsprache zu.

Der in Part acht prominent platzierte Käfer steht zweifellos für eine Metamorphose, die in mehrfacher Hinsicht das Glück dieses Revivals bedeutet. Älter geworden sind viele, unsere, meine Schauspieler (Dana Ashbrook), Figuren (als Polizist!), Menschen. Viele von ihnen bereichern nicht mehr Twin Peaks, sie bevölkern es. Nebenbei. Das Spielfeld ist größer, Bedeutung, Sein überall. Aber das Älterwerden, die Verwandlung hinderte Lynch nicht daran, mit bis zum Anschlag aufgedrehtem Subwoofer einerseits wagemutig, andererseits voller tröstlicher Offenherzigkeit eine Persiflage zur Parabel auszuweiten – nicht in einer Farbe, in einem Ton. In Tönen innerer suggestiver Logik, wie sie Diane (Laura Dern) als Nagellack trägt. "Twin Peaks" in diesem Mythenkarussell wiederzusehen, tat weh, weil die Serie, die ihren Erlebnishorizont gar zu steigern vermochte, den Boden damaligen Saatguts aufreißt. Daraus resultierte ein experimentelles Vervielfältigungsprozedere, das Narzissmen freisetzt, gleichwohl seltsamerweise statt einer Form anfänglichen Heimwehs einen Kompromiss von einem, gewohntermaßen, heimtückischen Ersatzzuhause vorschlägt. Angenommen. 

Freitag, 31. August 2012

Die imposanten 7: Lynch-Spielfilme

 #7 
»INLAND EMPIRE«   
(F, PL, USA 2006)


Der Emanzipationsprozess einer Frau, sich von ihrem Ehemann loszusagen, gerät zum narrativen Kriegsgrund in Lynchs erstem und letztem Kriegsfilm, einer stürmischen Romanze und einem überschwänglichen Schaffensfilm, einem irrsinnigen Requiem der Weltenkollision und einer temperamentvollen Hymne an die Spannkräfte des transzendenten Seins im weiblichen Körper, egomanisch, fragmentarisch und gleichermaßen ursprünglich wie unergründlich. So wie die Verben in der Filmgrammatik der Kausalität fehlen, so packt der Film die Hauptgedanken seines Schöpfers, des Eigenbrötlers und des Melancholikers, um sie ein letztes Mal mit glühender Lust dem Stinkefinger gegen das Dogma zu umwickeln, verweichlichte Zuschauer an die Hand nehmen zu müssen. Mit "Inland Empire" wird man Angst haben, noch verstörender wird es aber sein, wenn man ihn tatsächlich überlebt hat – den Krieg. 

#6 
»LOST HIGHWAY«
(USA, F 1997)


Verzwickte Möbiusschleifen, falsche Autoritäten, sexuelle Niederlagen, männliche Versagensängste: "Lost Highway" wickelt einen dämonischen Eheabgrund in fleischiges Interieur, in eine Wohnung, die – wie in "Blue Velvet" – einer Gebärmutter ähnelt, die verschlingt und ausspuckt, anzieht und abstößt in einer sinnbetäubenden Rammstein-Hölle, die von Schnappschüssen und Stöhnlauten begrenzt wird. Lynch verortet Goethes "Faust" postmodern, umrandet Figuren zu verloren-erstarrten Gemälden ihrer selbst und zwingt zum Blick in die Vergangenheit unschuldiger Planschbecken und trauernder Gefühle, die nie wieder einholbar scheinen. "Lost Highway" stimuliert im Innersten, weil die Vergänglichkeit der Schönheit irrealer Lust inmitten des Deliriums in Verdammnis lediglich in Zeitlupe begreifbar ist. Patricia Arquette in High Heels dürfte bei aller soziopathischen Komik, die Lynch lakonisch streift, ein Donnerwetter verursachen, und zwar ein stöhnendes.   

  #5
     »TWIN PEAKS - DER FILM«    
»TWIN PEAKS: FIRE WALK WITH ME«
(USA, F 1992)


Eine Rückkehr in die unvergleichlichen Wälder. Ein blauer Dunstschleier liegt (wieder) über dem Paradies der Hölle. Ein Fernseher zerberstet. Das ist Film. Voller Chiffrierung und kommunikativer Kollision. Bevor der Finger genauer untersucht wird – und einem ein Buchstabe einfällt. "Twin Peaks" empfahl sich als spirituelle Phantasmagorie seifenopernhafter Beziehungsüberschneidungen von neurotischen Spinnern, gefräßigen Geschäftemachern und symbolischen Geistern, atmosphärisch führte sie stets ein organisches Eigenleben und ergründete mit Hilfe eines suggestiv-grinsenden Kameraauges eine Weltendämmerung, die in den heiligen vier Wänden einzustürzen drohte. "Twin Peaks – Der Film" hingegen ist die reichlich fremdartige(re) Mysterien aufwerfende Vorgeschichte der berühmtesten Leiche der Fernsehgeschichte, ein ebenso transzendent-existenzialistisches wie schmerzlich-ermattendes Spuk- und Missbrauchsmanifest, das um das Leiden der elterlichen Entfremdung rotiert, metaphorisch dem Rot des wahnhaften Sinnestaumels zuarbeitet und manche mustergültige Experimentalsequenz vertiefter Gedankenverlorenheit dichtet. Während der Donna-Ersatz (Moira Kelly) danebengeht und sich Lynch, vermehrt im letzten Drittel, in hochgradig entmystifizierende, sensationsplakative Bilder flüchtet, schickt er Laura Palmer (Sheryl Lee), knüpfend an die detaildurchtriebene Vorarbeit der Serie, von Traum zu Traum, an dessen Ende ein Rausch wartet, das Loslösen, das Versinken, das Sterben. Die Versöhnung an uns: Cooper sitzt in einem gleißenden Licht verheißungsvoller Unsterblichkeit, seine Hand auf Lauras Schulter – und er lächelt freundlich, sie lächelt mit, friedlich, weiß.

#4 
 »THE STRAIGHT STORY«   
 (USA 1999)
 

 #3  
  »MULHOLLAND DRIVE«  
(USA, F 2001)


Die Straße der Finsternis wird von dem Begehren gesäumt, das Provinzielle gegen das Üppige auszutauschen. "Mulholland Drive" ist die Fantasie der traurigen Engel in der Abstellkammer des Himmels, ein Hollywood der desillusionierten Fratzen und lieblosen Küsse offener Augen. In seiner Hommage und Fülle selbstreferentieller Archetypen bewegt sich Lynch kulturübergreifend in einem deterministischen Traum-Essay über die bloße Ideologie einer stichprobenartigen Kino-Sezierung hinweg, in dem die Ebenen des Wach- und Tagtraumzustandes durch das Einschlafen und Wecken in zwei formal voneinander abgegrenzte Hälften unterbewusst miteinander verknüpft werden. Indem Lynch die Haltestellen der Chronologie überfährt, sortiert er die Stimmungen der Farben und Objekte zur Illusion über die Logik. Frauen und Identitäten und Scheinidentitäten und Wunschidentitäten. Ein Traum der Wärme in der Dunkelheit.

   #2   
  »BLUE VELVET«      
(USA 1986)


David Lynch als Konstrukteur seelischer Unterwerfung. Isabella Rossellini und Dennis Hopper spielen leidenschaftlich erregt den Abgrund unter der blütenreinen Normalität, das Fressen im Vogelschnabel, den Vogelschnabel selbst, obwohl sie nicht wissen, wohin sie gehen und fühlen sollen, ebenso wie jene ungezügelte Libido als abgestoßenes Partikel der Unberührtheit in einer fremden, seltsamen Welt voller Rätsel herhalten muss. Mit Einbruch der Nacht gebärt Lynch Ungeheuer, die schrecklichsten, die man sich vorstellen kann. "Blue Velvet" ist metaphorisch unterfütterter Noir, Erotik, Sinnlichkeit, Folter, Traum, Alptraum, vor allem Alptraum, während die Grenzen der Qual und Würde am Hölleneingang der Wohnungshaustür ineinander zerfließen. Lynchs verträumt-versunkene Schmerzballade gerinnt zur Träne in einer verletzlichen Tragödie in Blau unweit des alltäglichen Weltuntergangs im Herzen des Menschen.

#1  
  »DER ELEFANTENMENSCH« 
 »THE ELEPHANT MAN«
(GB 1980)


David Lynch auf den Spuren des Frühwerks von David Lean, ein viktorianisches Melodram in industrieller Kälte zu inszenieren. Die funkenschlagende Elektrizität und das Flackern des Lichtes sowie die befremdliche Mutation der Körperlichkeit als gedankliche Fortsetzung des "Eraserhead"-Monsters umgarnen den Lynch-Katalog avantgardistischer Scheußlichkeiten, denen der Regisseur zunächst mit dokumentarischer Objektivität begegnet. Je kraftraubender der Elefantenmensch in einer ungesitteten Sensationsgesellschaft die Liebe sucht, desto entschlossener wechselt Lynch die Seite der Subjektivität, um hochemotional eine an den Geist und die Würde appellierende Verletzlichkeit herauszufiltern, die jeden starken Mann und jede Frau zu Tränen auf den Boden zwingt. So herzlich wie sanft ist sie, die Mahnung, Feindbilder und Stereotypen nicht aufgrund von Äußerlichkeiten zu generieren. Der Elefantenmensch steckt in uns allen.