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Montag, 2. Oktober 2017

Serien: "Twin Peaks: The Return" (Folgen 10-18) [USA 2017]


Phillip Jeffries, ehemals David Bowie, kommuniziert mit Rauchsignalen. Wiedererwecken konnte ihn David Lynch nicht, aber als kochender Teekessel erfüllt er seinen Zweck zwischen Raum und Zeit. Den Eintritt in jenes knifflige Sinnkarussell, das Männer nicht zu Ende gebärt, markiert Jeffries als Warnung, als eine "8", als eine Ziffer, die ein Möbiusband erzeugt. Einen borromäischen Knoten. Hinein in eine unbekannte Zeit- und Tiefenstruktur. Abermals. Was "Twin Peaks" jetzt nicht mehr ist, geht über dessen DNA kultureller Normierung weit hinaus – das Gefühl hat sich geändert, jedoch gleichfalls das Erkunden. Früher war Twin Peaks ein kontemplatives Stück märchenhafte Erde. Die Figuren haben sich darin verspätet, ihr Sprechen, ihr Handeln, ihr Denken verzögerte sich, war beinah gefroren, in schockgefrosteten Halbtotalen. Jetzt allerdings? Jetzt bewegen sich die Figuren, auf mäandernden Highways bis an das Ende der Nacht. Sie durchfahren die "8", ohne anzukommen.

Das "Aufwachen" ist sinnstiftend da und dort. Wenn eine Frage existiert, die die zweite Staffelhälfte begleitet, dann diese: Wann erwacht Dale Cooper, der Cooper (Kyle MacLachlan), endlich? Und ist er nicht das Prisma, an dem sich die Strahlen der Dimensionen brechen? So wie später, irgendwann. Dann, entkommen dem munteren Dougie-Jones-Kleidertausch, überdeckt sein Gesicht die Geschehnisse, wacht über sie, verwandelt sie zu transzendentaler Wichtigkeit. Innen wie außen. Drinnen wie draußen. Rational wie irrational. Und Lynch genießt es. Er genießt es, uns an der Warteschlange stehen zu sehen, um den Dale Cooper in Empfang zu nehmen, ihn zu begrüßen. In Twin Peaks. Fast war es geschehen, bei einem Kirschkuchendinner. Klavierbegleitung. Cooper schmatzt wie der alte Cooper, erinnert sich an den Geschmack jenseits jener rot ausstaffierten Kapsel, in der er verweilen musste. Erinnert sich an das Handfeste, Sinnfreudige. Vergehende.


Part 16, vielleicht verwehrt sich dieser als einzige Folge nicht der Heimat, zeitweise. "I'm the FBI." Worte, ein Satz, der Familie ist, sie zärtlich streichelt. Auf ihre Weise war die Dougie-Jones-Saga selbstredend auch familiär, eine überlange, übellaunige, überbeanspruchende Seifenoper, die sich für das Groteske anfeuerte: Sex und Romantik als steckdosensteife mechanistische Verarbeitung erlahmter Algorithmen, die einen tiefen Humanismus entfesselte. Ausgerechnet einer von Lynchs Lieblingsfilmen, "Boulevard der Dämmerung", zwingt Cooper, sich zu erinnern. Cordon Cole zwingt ihn, sich zu erinnern. "Dämmerung" ist das wohl treffendste Wort für eine Zustandsbeschreibung, die der dritten Staffel inhärent scheint. Denn alles meldet sich mit einem Flüstern, Winseln, Kleckern zu Wort, das von dem bedrohlichen Summen des Ventilators unterbrochen, von der erschütternden Melancholie schaler Tankstelleneinsamkeit unterwandert, von ohrenbetäubenden Schüssen auf offener Straße zerstört wird.       
     
Nach 25 Jahren darf Dale Cooper kein Held mehr sein. Gott hat die Moderne nicht mehr lebend erlebt, Helden die Postmoderne. Was sich heute "Held" nennt, entspricht jemandem, der Ordnung hineinzutragen vermag, Beständig- und Sanftheit. Der sich rettet, seine "Geworfenheit" zum Anlass nimmt, sich zu entwerfen. Frei. Freier. Geschichte dabei zu ändern, ändert den Verlauf dessen, was wir sind. Das ist Coops Verhängnis. Laura (Sheryl Lee) zu retten, setzt eine Kettenreaktion in Gang, die Cooper nicht voraussehen konnte. Was ist er doch für ein Narr gewesen, wenn er glaubte, dass er die Identität überlisten konnte. Wie sah Twin Peaks danach aus? Verlassen und geisterhaft, weil kein Geist mehr sich hier niederließ. "Twin Peaks" endet schreiend – es ist der Schrei der erneuten Niederlage, der "8" unterlegen zu sein. Lynchs Menschenverständnis, bei aller Gespaltenheit, verweist auf die Notwendigkeit, uns trotz verlockender Alternativen im Hier und Jetzt zu bekennen. 




Ein Hier und Jetzt, dem Lynch seinen Tribut zollt. Für Catherine E. Coulson findet er eine bewegende Wärme. Angekündigt hatte sich seit Beginn ihr Hinübertreten in den "großen Anderen", das, was nicht mehr einsehbar, nur erfahrbar ist. Ihr Holzscheit – an die Brust geschmiegt. Sauerstoff, wenige Haare. In der Waldhütte lodert ein Feuer, aber es wird schwächer: Lynch war immer auch Romantiker, aber seine Liebe drückte sich nie in dem was, wodurch eine handelnde Filmfigur gezielt berechnete Affekte über die Leinwand hinaus anbietet, sondern in dem, dass die Leinwand Teil des Lebens selbst ist. Mit dem Tod der "Log Lady" endet ein Kapitel milder, seliger Bürde. Im "Wild Wild West" der Serie, von Annie urwüchsig besungen, mag das unscheinbar wirken. Trotzdem: Sie war die Brandung, ein geografischer Fixpunkt, wo die (vertraute) Geografie außer Kontrolle geriet. Bis zuletzt fächelte sie uns in ihrer Sesshaftigkeit eine Prise Einkehr zu. Beständig, wie sie war. Danke.

Stille, die quasi das erzähllastigste, parallel dazu bizarr wucherndste Element der Staffel(hälfte) überhaupt nicht aufwertet. In den Szenen rund um Las Vegas, stringent nach vorn tragendes Genrewissen, entwickelt Lynch einen im Martin-Scorsese-Milieu verorteten Gangstersleaze inmitten der harten Fakten der Marktwirtschaft. Die Gebrüder Mitchum (Robert Knepper, Jim Belushi) werden zu denjenigen ikonischen David-Lynch-Skulpturen, die sich ihrer Sache gewiss sind, zwar kaltblütig ihrer Gier zu gehorchen, aber reflektiert das Gegebene zu bewerten. Wenn sie Cornflakes mampfen oder der Familie von Kumpel Dougie den Haushalt stärken (sie spendieren sogar ein Klettergerüst!), dann begegnet ihnen Lynch mit aus- und einnehmender Sympathie. In ihnen erlischt der Schmerz, dass Dougie nicht Coop ist. Die Gebrüder Mitchum fungieren als Surrogat – ihre vergleichbare Neugier auf die Welt, die reiner ist als sie, verschleppt den Trost in ein Glitzerparadies.




Wo Las Vegas daher die Quelle einer hinreißenden, hartherzig-erweichenden Männerschnulze verkörpert, entfernt sich Lynch kontinuierlich, "Geschichte" zu entsprechen. Das originale "Twin Peaks" erzählte ein wohlgenormtes Krimistück. Bei aller dadaistischen Raffinesse der Traumausschüttung lieferte es nichtsdestotrotz einen Erzählmodus, der tonal die Strömungen der Gezeiten (in sich) logisch verband. Nun allerdings: eine Entleerung des Komfortablen, Fragmentierung der Fragmentierung willen. Ein Vorteil dabei ist, dass "Twin Peaks" leidenschaftlich seine Freiheit auf die Probe stellt. Noch freier zu sein meint, dass unter dem "Twin-Peaks"-Überrest eines Monica-Bellucci-Traums sich stets ein geheimnisvolles "Sieben"-Paket verbergen kann. Oder ein hyperventilierender "Weekend"-Stau. Oder ein Marvel-Superheldenhandschuh, der mit dem Bösen Baseball spielt. Zitatreiche Zeitzuckungen; hinwegatomisiert die Grenzen der Beschaffenheit und des Sozialen.

Irgendwie eine Zumutung, nicht? Eine Zumutung, dass das Heilige nichts bedeutet, das Profane dagegen heiliggesprochen wird (quälend lähmend: ein Flirt mit einer Französin). Vielleicht fordert Lynch lieber zum Tanzen auf, es wäre schön. Er fordert uns auf, wenn seine Hand unsere Schulter berührt. Das Verbundensein zwischen Ed (Everett McGill) und Norma (Peggy Lipton) schafft einen Link, einen Seelenlink, der den Zuschauer mit einer Serie versöhnt, die ihre eigenen Wege beschritt, der aber nie das Herz erkaltete. Auch wenn Angelo Badalamentis Stücke, die gleichzeitig von einer Klasse künden, die sich verstreute, zerstreute, die sich betäubte, hinter den Beat der Zerstückelung, des musikalischen Schauplatzschichtens, zurücktreten musste, so ist doch die Musik der Rahmen für den Ausdruck allen Übels – und allen Glücks. James (James Marshall) und Audrey (Sherilyn Fenn) singen davon ein Lied, tanzen. Irgendwo, Mitternacht. In der Heimat. 

9 | 10

Mittwoch, 19. Juli 2017

Serien: "Twin Peaks: The Return" (Folgen 01-09) [USA 2017]


Andere Serien waren Steine, "Twin Peaks" hingegen ein Monolith. Mein Monolith. Nach "Twin Peaks" habe ich zwar mit vielen anderen Serien gekuschelt, von denen ich teils noch liebohnmächtiger wurde, aber das Städtchen Twin Peaks bleibt für immer eine Postkartenerinnerung, deren Urwüchsiges, Aufgeladenes und vor allem heimelig Beladenes mich in wärmende Holzstuben, in die schlimmstenfalls verstellte wie bestenfalls verstrahlte Twin-Peaks-Seifenkiste, lockte. Das sonst provozierende wie knallige Kino David Lynchs entfaltete sich in Twin Peaks unerhört schüchtern, neugierig, sentimental: langatmige Rhythmen, melodramatische Seufzer, Verbrechen und Strafe unter einem Schleier des Ungefähren, dazu der ausgiebige Genuss von (verdammt gutem) Kaffee und (verdammt frischem) Kuchen. "Heil" war in Twin Peaks nur so lange etwas, bis ein roter Vorhang die Gemütlichkeiten der Runde verdeckte. Und doch war das "Suchen" ein Reifeprozess nicht nur der Figuren, auch der Serie – das Resultat derselben führte in ein erneutes Bewusstseinsrätsel, das zunehmend kosmischer die Beschwernisse der Liebe und des Hasses herausforderte.

Eigentlich handelt "The Return", ein aus 18 Episoden auseinandergestückelter Film, betitelt als die (sensationell nach 25 Jahren ein Versprechen eingelöste) dritte Staffel, ebenso von einer "Suche". Einer umgekehrten. Einer, die vielleicht nach Twin Peaks zurückwill, aber vorerst nicht kann. Oder darf. Ist das eine Schwäche, eine Stärke? Ich persönlich fühlte mich nicht heimisch. Was während der Jahrzehnte geschah, war nicht mehr mein Ort, der Kaffee abgestanden, der Kuchen abgepackt. Ich entfremdete mich von Twin Peaks, wurde hin- und hergerissen zwischen Twin Peaks und… New York und… Las Vegas, hin- und hergerissen zwischen der Wärme und der Kälte, obgleich die Wärme selbst kälter geworden ist, entschieden kälter. In den 90ern hat Lynch sein "Twin Peaks" erschaffen. Bonbonfarben, wichtig und seicht, zu ungewollter Stunde hysterisch. Ein Kind der 90er gleichermaßen, aber auch diese ironisierend wie dekonstruierend. Jetzt, 2017, begnügt sich Lynch mit einer Videoinstallation. Unnahbar, gleichwohl keineswegs entbehrlich. "Twin Peaks" anno 2017 bedeutet zuvorderst eine doppelcodierte Suche nach dem Vertrauten. Irgendetwas war da, verschüttet unter Erinnerungen.    

Studie nach dem menschlichen Körper (Francis Bacon, 1949)

Mit Nostalgie gibt sich Lynch entsprechend nicht zufrieden. Glücklicherweise. Nostalgie nachzustellen, wäre ein billiger Trick, "Twin-Peaks"-Atmosphäre herzustellen, die trotzdem anders gewirkt hätte als in den 90ern. Möglicherweise ein wenig forciert, ja verlogen. Die Sichtweise im Rahmen der "neuen" Fassade namens "Twin Peaks" ist eine nicht nur globalisierte (zahlreiche Schauplätze ergeben ein Puzzle an Überschneidungen), sondern auch eine materialistische. Während eine (Monster-)Maschine bewacht werden muss, wackelt Kyle MacLachlan als apathischer Zombie seiner selbst durch ein absurdes bürokratisches Kapitaldelirium. Ein Poster Franz Kafkas im Büro David Lynchs (der abermals den schwerhörigen Gordon Cole spielt) zeigt die Marschroute an, die Methodik, im Abstoßenden des Alltäglichen das Alltägliche des Abstoßenden zu durchleuchten, und zwar durchweg hinter dem roten Vorhang. Der Zuschauer indes schlüpft in die Rolle Dale Coopers (MacLachlan): hier ein Erinnerungsrest, dort ein Erinnerungshäufchen, aber wohlfühlen? Hier? War "Twin Peaks" 1990-1991 an den Atompilzrändern heimisch, bewegt sich das "Twin Peaks" 2017 rigoros zum Atompilzkern. Wie auf einem anderen Poster. Einem anderen Planeten.

MacLachlans übersteuerte Mimik, genauso die steif-schlurfenden Bewegungen, ist köstlich, neuerfinderisch gar. Er, der nach 25 Jahren durch eine Steckdose (!) in Las Vegas endlich den rot ausstaffierten Warte- und Höllensaal überwindet, muss sich erst an seine Umgebung gewöhnen, zu viel weicht von dem ab, woran er glaubte. Die Brutalität, die aufgeweichten Bindungen, das Triebgesteuerte. Nirgendwo mehr Romantik. Dafür allerdings gezieltes Zurechtkommen in einer monströs reglementierten, postpostmodernen Welt, in der der Kaffee portioniert in Pappbecher gehört. Und die Menschen an Spielautomaten vegetieren, den großen Ausschüttungsgewinn vor Augen, der sich nie verwirklicht. Wenn sich Cooper jedoch an die "andere" (postmoderne) Welt erinnert, anhand einer Waffe, des Kaffees vor allem, wünscht man ihm, nein: erhofft man sich die endgültige Transformation zum "echten" Dale Cooper. Zum echten "Twin Peaks" fern aller Demenz. Bis dahin ist es weit, umso emotionaler das Gewicht jener Sehnsuchtsfetzen. So denkt Bobby (Dana Ashbrook) an einer Stelle an Laura (Sheryl Lee). Auch weil Angelo Badalamenti diesen Moment schmelzend begleitet, zerfließt dieser im Wahnhaften des Gegenwärtigen – und wird wahrhaftig. 




Diesmal mag "Twin Peaks" mit aller defätistischen Weitsicht eine logische Fortführung des späten David Lynch sein, den humanistischen Überzucker aufzulösen und stattdessen ein vertracktes theoretisches Zeichensystem zu etablieren, das jedes Schnittbild eine Spur zu spät verpasst, jede Szene eine Spur zu lang aufrechterhält. Mit der Feststellung einer Ballung des gesamten David-Lynch-Kosmos, wie sie sich Stück für Stück entblättert, wird man diesem "Twin Peaks" aber eher gerecht. Die Komik vieler seiner Werke maßlos übersteigernd (zum Beispiel während eines großartig getimten Pointenwettstreits am Frühstückstisch), adaptiert Lynch gleichzeitig leise Anklänge eines Hardboiled-Krimis entlang nächtlicher Straßenmarkierungen. Denn Cooper – ihn gibt es zweimal. Diese Aufspaltung scheint paradigmatisch für das Verständnis der Serie, dass Gut und Böse geografisch getrennt sein mögen, aber dennoch in der eigenen Brust walten, wann immer sie wollen. "Bad Coop" ist dabei die wilde, sinnliche Umkehrung dessen, was "Good Coop", öde, fleischlos, antreibt. Die langen, unkontrollierten Haare, der tückische Blick, das Rohe seiner Gewalt – war dies 25 Jahre vorher vom Nichtechten aufgefangen worden, ist es nun die Welt als solche.

Eine gänzlich naturalistische Deformation des Magischen (oder: des magischen Realismus, je nachdem) sah Lynch aber auch nicht vor. Die ersten neun Folgen sind irritierend genug, gerade in ihrer Ambition, das Geheimnis (per Glockenschlag) zu lüften. Der Gefahr der Entmythologisierung setzt sich Lynch folglich aus, sicher. Sobald Dämonen das Gefüge erschüttern, hat der kraushaarige Avantgardist weitaus mehr handwerkliche Möglichkeiten, dies zu zelebrieren. Selten kippt "Twin Peaks" hierbei ins Künstliche. Wie bei einem sprechenden Baum. Häufiger betont er hiermit vielmehr die ewige liebesgeschichtliche Verschmelzungsdialektik der Reinheit mit der Zersetzung: Bob (ehemals Frank Silva) und Laura (Lee) vervollkommnen sich zu deterministischen, überirdischen Konstrukten. Sie, die (in einem hemmungslos romantischen, buchstäblich naturreinen Tableau) auf die Erde geschickt wurde, um den Widerpart von ihm zu verkörpern. Die Abschirmungsmaßnahme gegen den Urknall. Der erschöpfend diskutierte achte Part beschwört eine Seinsvergessenheit, wie sie nie im Fernsehen derartig zu sehen war. 




Das mikrofeine Gewusel, die blitzartigen Wirbel, das Partikelgestochere, als wenn Lynch eine Brakhage'sche Reagenzglasbrühe zusammengebraut hat und deren Reaktion betrachtet: Konnte "Twin Peaks" Gut und Böse anhand eines ländlichen, affirmativen Naturlebens beurteilen, das unter Zugzwang gerät, wenn die Idylle zu idyllisch wird? Ja, konnte es. Aber das reicht Lynch nicht, zumindest jetzt nicht (mehr). Laura Palmer, einst Chiffre für das Unsagbare, für das Unfassliche, für die Wolke, die einen blauen Himmel verschmutzt, ist Lynchs Aufhänger, das Gute, gleichfalls wie das Böse genealogisch zu erforschen – und hiermit "Twin Peaks" an dessen Wurzel zu packen, herauszureißen quasi. Ob mir das gefällt, tritt hinter den Reigen, den Lynch entfesselt. Im All, auf einer Glocke, in irrealen, stockenden, aufplatzenden Schwankungen, Störungen, Entgleisungen. David Lynch möchte uns nach Twin Peaks bringen, ohne dass wir uns gleich in Twin Peaks einrichten können. Zugleich will er "Twin Peaks", auch Twin Peaks verstehen (lernen), Ungeklärtes klären, die Lücke schließen, beispielsweise die Diane-Lücke. Lynch wendet sich der Universalsprache zu.

Der in Part acht prominent platzierte Käfer steht zweifellos für eine Metamorphose, die in mehrfacher Hinsicht das Glück dieses Revivals bedeutet. Älter geworden sind viele, unsere, meine Schauspieler (Dana Ashbrook), Figuren (als Polizist!), Menschen. Viele von ihnen bereichern nicht mehr Twin Peaks, sie bevölkern es. Nebenbei. Das Spielfeld ist größer, Bedeutung, Sein überall. Aber das Älterwerden, die Verwandlung hinderte Lynch nicht daran, mit bis zum Anschlag aufgedrehtem Subwoofer einerseits wagemutig, andererseits voller tröstlicher Offenherzigkeit eine Persiflage zur Parabel auszuweiten – nicht in einer Farbe, in einem Ton. In Tönen innerer suggestiver Logik, wie sie Diane (Laura Dern) als Nagellack trägt. "Twin Peaks" in diesem Mythenkarussell wiederzusehen, tat weh, weil die Serie, die ihren Erlebnishorizont gar zu steigern vermochte, den Boden damaligen Saatguts aufreißt. Daraus resultierte ein experimentelles Vervielfältigungsprozedere, das Narzissmen freisetzt, gleichwohl seltsamerweise statt einer Form anfänglichen Heimwehs einen Kompromiss von einem, gewohntermaßen, heimtückischen Ersatzzuhause vorschlägt. Angenommen. 

Freitag, 19. Dezember 2014

"Bug" [USA 2006]


Draufgänger und Desperado William Friedkin, eine Koryphäe New Hollywoods, die ihre besten Zeiten bereits hinter sich zu haben scheint, ist frohen Mutes noch im Geschäft, ein Geschäft, ein Friedkin-Geschäft, das immer noch daraus besteht, einen unkommerziellen Krieg gegen sein Publikum zu führen, das sich freiwillig in die Hände eines zynischen Polemikers begibt. Mit "Bug" führt er die Konsequenz einer Philosophie fort, die keine Erwartungen weckt, sondern sie reihenweise zertrümmert – seine Filme sind Traum und Erwachen zugleich. Sie haben sich am Puls der Kontroverse eingenistet, an der Geilheit und unwiderstehlichen Anziehungskraft des Tabus.

Dass der Mann, ein Rentner und eine Spaßbremse, die Energie besitzt, einen durch den Minimalismus des Raumes erdrückenden, kammerspielartigen, streng durchkomponierten Stoff wie "Bug" umzusetzen, bedarf höchsten Respekt, denn "Bug", so schwer, haltlos und lästig sich der Film auch schauen, auch durchstehen lässt, so unnachahmlich roh, ehrfürchtig befreiend und bewundernswert empathisch (ja!) trägt Friedkin in giftigem Neonlicht neben bizarren Schmutz- und Hautwucherungen die Schutzmechanismen der Sitten und Moralitäten sowohl des Kinos als auch jener Figuren ab, die es oft zu asexuell, zu verklemmt, zu körperlos bevölkern. Und treiben.

Wenn sich Ashley Judd und Michael Shannon bis zur Unkenntlichkeit entblößen und ihre Wahnvorstellungen multiplizieren, dann entblößt Friedkin ein Kino von seinen Stoppschildern zur wahren Liebe zweier Kreaturen, die miteinander verschmelzen. Es gibt kein Halten mehr, "Bug" ist endgültig und ultimativ. Hintergründig ist er auch. In der paranoiden Allmacht der Schauspieler spiegelt sich Amerikas exorbitanter Verschwörungslobbyismus, dessen Maschinerie nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 neu justiert wurde. Ab und zu zwinkert also dieser William Friedkin, aber man ist sich unsicher, ob er es ernst meint. Geändert hat sich wirklich nichts.

7 | 10

Montag, 12. August 2013

"Smoke - Raucher unter sich" [USA 1995]


 Ein wechselhaft erfolgreicher, ausgebrannter Schriftsteller (William Hurt) spricht den Satz, der nur von Paul Auster stammen kann, Quintessenz des Auskundschaftens einer Weltlichkeit und deren Strukturen, die im gemeinsamen Debattieren und Diskutieren das Chaos der übereinandergestapelten Schwierigkeiten phasenweise vergisst. Für eine gute Geschichte müsse man alle Register ziehen, sagt Hurt. Hier, in "Smoke", zu dem Auster das Drehbuch schrieb, geht es um den identitätshadernden Knaben (unverkrampft: Harold Perrineau Jr.), der seinen verschollen geglaubten Vater aufspürt, um den Tabakladenbesitzer (kumpelhaft: Harvey Keitel), der viel verliert und eine Tochter gewinnt, aber ebenso sein Heil in der Fotografie, in dem Konservieren von Zeit- und Ordnungseindrücken in einer kaum zu überblickenden Gegenwartsrasanz, sucht. Diese Geschichten, diese Anekdoten, dieses Reflektieren über die Gedanken bündelt "Smoke" und erschafft Leben im zufälligen Miteinander. Und manchmal ist dieses nostalgisch Ausgeschmückte so bittersüß, offenkundig konstruiert und traumwandlerisch der Realität entrückt, dass sich "Smoke" auch unter einem Märchenfilm subsumieren lässt, der die sentimentalsten Weihnachtsmärchen vorliest, seinen Zuhörer aber dennoch bannt, weil eine gute Geschichte so klingen muss, als sei sie wahr. Ein in verrauchten Spelunken angesiedelter Festtagsfilm, der sich am Zuhören labt und derart am Erzählen erfreut, dass der sich auf und ab bewegende Mund schlussendlich das Bild für sich einnimmt. 

6 | 10

Mittwoch, 27. März 2013

"Frida" [USA, CDN, MEX 2002]


Der Kinotradition Almodóvars zugewandtes Künstlerstück über eine Frau, die, im fragilen Panzer Körper eingesperrt und eingeschnürt, ihre zerstörte Körperlichkeit in einer Kunst poetischen Schmerzes konserviert. Frida Kahlo war eine engagierte Freidenkerin, ein zerbrechlicher Schmetterling unter starrem Gips, eine politische Malerin, die in surrealistischen Symbolwelten ihr ständig überfordertes, leidendes und entzweigerissenes Herz codierte. Das Umfeld Kahlos, bestehend aus lateinamerikanischer Leidenschaft gegen Unterdrückung, füllt Julie Taymors mondäne Biographie mit ästhetischen Prinzipien, die in ihrer selbstbewussten Schau den breiten Pinsel schwingen: satte Farben zwischen Tomatenrot, Terrakotta und Meeresblau, flammende Tänze auf überschwänglichen Partys, popkulturelle Collagen (King Kong und die Realität), aber auch Tiraden, Streit, Zerwürfnisse – und der Rettungsring Kunst schließlich. Obwohl Salma Hayek mit viel ungebremster erotischer Dringlichkeit die Titelrolle spielt (fast etwas zu plakativ), wird ihr der Film wiewohl deshalb nicht gerecht, weil sie wie eine zufällige Mitstreiterin im episodisch strukturierten Leben ihres frauenhungrigen Liebhabers Diego (Alfred Molina) wirkt. Auf die oberflächlichen Liebes- und Hassbeziehungen Diegos richtet der Film vordergründig sein Auge, womit Kahlo selbst, ihre Malerei und, vor allem, ihre inneren Bilder eines Lebens unter existenzieller Qual trivialisiert, aber nie anschaulicher vertieft wird. Dieser schauspielerisch vielfältige Bilderbogen ist erst im Schlussbild inhaltlich inspirierend, als Kahlos Lebenskunst einen stillen, gütlichen Ausklang findet. 

5 | 10