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Mittwoch, 26. September 2018

"The Man Who Killed Don Quixote" [E, F, B, POR 2018]


1989 erwähnte Terry Gilliam zum ersten Mal "Quixote". In den folgenden 29 Jahren sollte Terry Gilliam ein paar Mal mehr "Quixote" sagen, "Quixote" hoffen und, nach 29 Jahren, aus "Quixote" endlich "The Man Who Killed Don Quixote" herauskatapultieren. Dieses Projekt, das phantasmagorische Epos von Miguel de Cervantes leinwandtauglich zu verarbeiten, ist Gilliams Napoleon-Film. Aber im Gegensatz zu Stanley Kubrick, dem "Waterloo" (1970, Sergej Bondartschuk) einst in die Quere kam, um die jahrelang geträumte Biografie über den französischen Diktator umzusetzen, erfüllte sich Terry Gilliam seinen Traum. Und er installierte einen Spiegel, ein Alter Ego, die fleischgewordene Verängstigung: Toby, ein Regisseur, Spezialgebiet: Werbeclips. Toby, den Adam Driver breitenwirksam spleenig entstellt, ist der enttäuschte Mann inmitten von Enttäuschungen und einer enttäuschenden Crew. Funktionieren, nach Plan verlaufen, will wenig – Don Quixote (Jonathan Pryce) kämpft zu verweichlicht und zu unheroisch, der Organisationsaufwand handgemachter Special Effects ist enorm und der "Boss" (Stellan Skarsgård) sitzt Toby zu alledem im Nacken. Wie Gilliam, dessen ineffektive Windmühlenbezwingung in "Lost in La Mancha" (2002) dokumentiert wurde, wird Toby von Umständen zurückgeworfen, die sich auftürmen, vereinigen und sich über ein klappriges Kartenhaus fragiler Verständigung ergießen. Ihre Zwangshandlung – Terrys wie Tobys –, das Material luftleerer Ideen zielbewusst in Form zu bringen, wurde allerdings dadurch entscheidend beschleunigt.

Nun also ist er da, angekommen, der Gespiele und Auserwählte seit 29 Jahren. Die Menschen dürfen ihn bewundern, ihm zujubeln. Lange haben sie gewartet. Ernüchtert müssen sie feststellen: Ein Jahrhundertticket löst Gilliam nicht ein, er liefert noch nicht einmal einen Jahrhundertfilm. Kam mit seinen letzten Werken der Verdacht auf, dass sich der kultige Filmemacher ohnehin in die repetitiven Karussellverdrehungen seines Trapezkunstuniversums flüchtete, ohne den Zeichen zu genügen, die sowohl anstrengend arrangiert als auch anspruchslos dekoriert wurden, nivelliert Gilliam in "The Man Who Killed Don Quixote" das Bespiegelnde zugunsten einer wehmutsvollen Selbstbespieglung: Toby sehnt sich nach der Imagination, und Gilliams Umschalten von Drehendem zu Gedrehtem, Echtem zu Falschem, von der Wahrheit zur Lüge, der Lüge zur Wahrheit (je nachdem) metaphorisiert des Filmerschaffers Fernweh nach den Bildern und Welten, in denen er Schöpfer, Gott sein darf und in denen er heimisch ist, von Zuneigung empfangen zu werden. Insofern entschied sich Gilliam richtig, keine historische Parodie oder etwa ein historisches Abenteuer nachzustellen, sondern den Verlaufsprozess kreativer Ergründung als einen ambivalenten Zweifel zwischen Ablehnung und Anschmiegen zu inkludieren. Auf andere Weise ist "The Man Who Killed Don Quixote" somit postmodern: Die geträumten Träume des Künstlers bohren sich in die Erzählung, die sich daraufhin selbst traumgleich verrätselt und sich als illusionistische Spielfläche zu verstehen gibt.


Jonathan Pryce stolziert wacklig und schnappt nach Sauerstoff auf dieser Spielfläche. Er ist nicht mehr der jüngste "Ritter von der traurigen Gestalt." Der liebevolle Blick auf einen liebevoll zerzausten, wirren Don Quixote, den Pryce meint zu spielen, taugt als Gegenmittel zu jenem "Labyrinth der Schönheit" (Chef-Ausstatter Edou Hydallgo), das düster-vergessen verglüht. Vertraute Toby den Diensten eines zerbrechlichen spanischen Schuhmachers, um die Hauptrolle seines Don-Quixote-Studentenabschlussfilms zu besetzen, so geraten beide – während Tobys zweitem Don-Quixote-Projekts – in die Verwünschungen eines Märchens, das zugleich Reinkarnation ist: An den Bruchstellen des Modernen reiten Don Quixote und Toby als Don Quixote und Sancho Panza vorbei und überstülpen das Heutige mit der Extravaganz gestalterischer Vorstellung. Das ist die Utopie, die Don Quixote, aller Aufrüttelungsversuche Tobys zum Trotz, lebt, die Terry-Gilliam-Utopie, sich nicht den Gegebenheiten zu beugen (mitsamt ihren Restriktionen), sondern eigenhändig Geschichten zu erfinden und, im fanatischen Glauben an sie, an ihnen resolut festzuhalten. "The Man Who Killed Don Quixote" will nicht als völliger Kostümfilm wahrgenommen werden, aber dafür umso mehr als vollgestopfter Metakarneval, dessen Luftschlösser vom Ernst der Inszenierung, der Künstlichkeit immer wieder durchbrochen werden. Jodorowskys "Montana Sacra – Der heilige Berg" dürfte in "The Man Who Killed Don Quixote" das eine oder andere Echo vernehmen.

Die Luftschlösser des Films gipfeln dort, wo Don Quixote zu einer "Reise zum Mond" frenetisch animiert wird und auf einem Maskenball sich die Imaginationseben verschachteln. Die Komik ist eine wilde, sauertöpfische Monty-Python-Komik, die ihre demonstrative Impulsivität über die Dialektik von Natur und Kulisse herstellt (so zum Beispiel Windmühlen, die, je nach Perspektive, zu Monstern, Bestien werden). Manche Kalauer treffen ins Schwarze, andere wiederum berühren nicht einmal die Zielscheibe. Gilliam weiß um den Wahnsinn seiner Filme, der sich in der Produktion und im Produktionsdesign spiegelt, aber auch in dem, was seine Figuren darin sagen, tun, vorspielen. "The Man Who Killed Don Quixote" ist dann am unterhaltsamsten, sobald Toby in einhelliger Verzweiflung die "Illusion" in Don Quixote wachschlagen will – und Don Quixote daraufhin von einem englischsprachigen Buch seiner Heldentaten schwärmt. In den Momenten betäubenden Gesangs, dem sich der unsterbliche spanische Wunderritter hingibt, sowie in unzähligen erotischen Verwicklungen (Verführerinnen: Olga Kurylenko, Joana Ribeiro) scheint Gilliam nichtsdestotrotz die Flachheit der Gags zu überdehnen. Überhaupt nimmt sich der Film in der zweiten Hälfte eine Auszeit – ernster als ernst erzählt Gilliam die Geschichte einer Prinzessinnenbefreiung nach, die von einem sadistischen Russen (Jordi Mollá) verhindert werden soll. Terry Gilliams Seemannsgarn hält nicht unbedingt durchweg einer hörenswerten Geschichte stand, aber er erinnert an sie und friert sie gegen alle Sterblichkeit ein.

6 | 10

Mittwoch, 22. August 2018

"BlacKkKlansman" [USA 2018]


Ein Schwarzer (John David Washington) wird als Undercover-Cop eingeschleust. Routine. Normalität. Sein Ziel ist der Ku-Klux-Klan. Häh? Ja. Daraus bezieht Spike Lees Cannes-Liebling seinen Titel: "BlacKkKlansman". Mit drei "K". Unschwer zu erkennen. "BlacKkKlansman" ist Spike Lees bester Film seit langem. Nicht, weil sein Film die prototypischen Rassenfragen anstandsgemäß moralisch verhandelt, sondern weil sein Film hinter die Oberfläche der Empörung, hinter die Hautfarbe blickt – hinter beide Hautfarben. Schließlich bedarf es keiner Anstrengung, den Ku-Klux-Klan mit den Mitteln der Groteske zum Abschuss freizugeben. Dessen weiße, ausgestochene Bettlaken benötigen, in aller Regel, den Gag nicht mehr. Das Groteske pendelt sich in "BlacKkKlansman" allerdings auf einem gleichbleibend spitzzüngigen, schwarztrockenen Niveau ein. Der Film ist schreiend amüsant, ohne beißend witzig zu sein. Denn auf dem Boden der Gegenwart erscheinen jene Pointen, die Lee in der ideologischen Unvereinbarkeit zweier agitatorischer Weltanschauungen sucht, gegenwärtig genug. So könnten, zum Beispiel, die Weißen, die Rassisten denken, sprechen, und mit dem Oberhaupt der KKK-"Organisation" David Duke (Topher Grace) verschränkt der seit Jahrzehnten das afroamerikanische Kultursystem offenherzig porträtierende Filmemacher Spike Lee historische Verortung und das postmoderne Trump-Amerika, in dem die Historie neu entflammt.

Nicht zuletzt beschließt Lee "BlacKkKlansman" intelligenter, als sich ausschließlich auf eine persönliche, anklagende Vendetta zu verlassen. Das schwarze, aber auch das weiße Opfer (dem Lee eine Texttafel widmet) zählen für den Filmemacher gleichviel. "BlacKkKlansman" begegnet den realen rassistischen Ausschreitungen, etwa in Charlottesville, mit einer Tagesaktualität, die das Satirische ummünzt in eine Wahrheit über das Herz Amerikas. Es schlägt in dessen Flagge, wenn die Streifen schwarz und weiß verfärbt werden, es schlägt in einem immergleichen herzzerreißenden Rhythmus. Der Fehler ist daher, den Film als nostalgischen Rückruf zu betrachten. Das ist er auch, aber die geschichtlichen Gespenster suchen das Land, in dem Lee heimisch ist und das er zur Besserung mahnt, heim, für alle Zeiten. Adam Driver steht diese wehmutsvolle Verleugnung von Identität und Heimat ins Gesicht geschrieben – Flip Zimmerman fühlt sich als Jude nicht zugehörig, trägt gleichwohl eine Kette mit einem Davidstern, solidarisiert sich und solidarisiert sich nicht. Man wird aus Zimmerman nicht schlau, er ist seinem Standpunkt entwurzelt. Driver schlüpft in die Rolle eines Geistes, durchlässig für die Thesenhaftigkeit der einen wie der zweiten Gruppe, die sich noch betäubender mitteilt als die jeweils andere. Was Zimmerman glauben soll, bleibt im Dunkeln. Widerwillig beteiligt er sich an einer konspirativen Aktion, bei der er als Doppelgänger agiert.


Lee betont im Rahmen dieser polizeilichen Aktion sowohl den idealistischen Befreiungsgedanken des Black Cinema (Corey Hawkins hält eine minutenlange, die Fesseln der Unterdrückung theatralisch aufbrechende Rede) als auch die cartoonesken Unsinnigkeiten des Blaxploitation-Kinos (Pam Grier posiert als Raubkatze auf dem "Coffy"-Kinoposter). Bereits der Initiationsritus Zimmermans, den er durchlaufen muss, um ein Mitglied des KKK-Clans (pardon: der KKK-Organisation!) zu werden, kommt nicht ohne verquere Vergnügtheit aus: Einem (antijüdischen) Lügendetektortest muss er sich stellen sowie einer Diskussion über den Holocaust. Lee bereitet es herzhafte Freude, Charaktere zu karikieren, die in ihrer Schizophrenie das Lächerlichkeitspathos ihrer Geisteshaltung bloßlegen. Der Organisation gehe es um keine Gewalt, heißt es von Seiten Walters (Ryan Eggold), des Vorstandsvorsitzenden, sondern vielmehr um das Verbrennen von Kreuzen. Diese Meinung teilen der paranoide Felix (Jasper Pääkkönen), seine Stammtischdampfdame Connie (Ashlie Atkinson) und der dauerbetäubte Ivanhoe (Paul Walter Hauser) nicht. Was im alltagspolitischen, institutionalisierten Diskurs einer differenzierten Parteienlandschaft fester Bestandteil ist – die Neuausrichtung von Konzepten, die Neukonzeption von Leitmotiven – setzt sich auch in archaischen, ethnozentrischen Selbstwertplauderrunden bei Billiard und Schnaps fort.

Mögen in den ausgelassenen Telefonaten zwischen Detective Stallworth (Washington) und Duke (Grace) insbesondere Spike Lees Überwindung der postulierten Differenz von "weißer Sprache" und "schwarzer Sprache" kulminieren, so ist der vorrangig strittige Punkt beider Hautfarben nicht die Sprache, eher das Bild, das Sprache erzeugt. Eine denkwürdige Parallelmontage vermittelt uns, wie Bilder "gemacht", "gelenkt" werden – auf beiden Seiten. Die einen putschen sich während einer Vorführung von "Die Geburt einer Nation" (1915, D. W. Griffith) auf, die anderen werden von manipulativen Fotografien eines "weißen Verbrechens" emotionalisiert. Weit entfernt – und dies ist eine der klugen Erkenntnisse des Films – sind die Indoktrinierungs- und Instrumentalisierungsstrategien weißer wie schwarzer Autoritätsverkultungen nicht entfernt. Beides geht ineinander über, die Wirklichkeit in das Bild, das Bild in die Wirklichkeit. Geschaffen wird eine Gegenwart aus "zweiter Hand", an die geglaubt werden soll und in der es schwerfällt, seine (vor Bildnarrativen sichere) Identität zu bewahren, festzuhalten, zu beschützen. Detective Ron Stallworth erlebt das hautnah, wenn er den Bildern der Black Community seine Bilder entgegensetzt – er infiltriert von "innen" heraus statt das Megafon in die Hand zu nehmen und von "außen" einzuwirken. Er stellt sich den großen Bildern quer, handelt nach den Werteanleitungen seiner selbst.

6 | 10

Montag, 25. Dezember 2017

"Star Wars: Episode VIII - Die letzten Jedi" / "Star Wars: Episode VIII - The Last Jedi" [USA 2017]


Nach "Star Wars: Episode VIII – Die letzten Jedi" darf Rian Johnson durchaus weiterhin Filme drehen, aber es wäre für alle das günstigste Los, wenn er dies auf Jakku tun würde. Traditionen zerbröseln und auf dem Aschehaufen des Träumens gleichzeitig einen neuen Traum konstruieren, wie es ihm angedichtet wird – wo? Obschon Johnson im All den Ästheten spielt, der in rotfleischigen Refugien, sandaufkratzenden Bodenschlachten und lautlosen Explosionen ganz zu sich selbst findet (oder zu einem Verständnis von eigenwilliger Atmosphäre, die sich über jene anachronistische von "Star Wars" interessanterweise erhebt), erschöpft sich sein kanonischer Eintrag im Milchmelken, Tierchenbestaunen und depressiven Unkrautgrimassieren. Das ist nicht "Star Wars", das ist noch nicht einmal ein "Star-Wars"-Seitfallzieher, ein spannendes Spiel mit hinterfragenden Perspektiven auf den Mythos durch den Mythos. Hauptsächlich ist das würdelos. Was sollte es sonst sein? Von der Leia (Carrie Fisher), die zu Beginn auf einen Bildschirm blickt, der die soeben verstorbenen Piloten mit einem Kreuz rahmt (wie niederschmetternd geräuschlos dies Johnson porträtiert, kommt einer subtilen Trauer gleich, deren Schwermut der Film nachfolgend lieber parodistisch unterläuft), bleibt nicht viel übrig. Im Gegenteil: Eine Leia bleibt übrig, die dem Tod davonfliegt. Carrie Fisher hätte Besseres verdient gehabt. Die Ehrung, die ihr im Abspann zuteilwird – Hohn geradezu. 

Es scheint, dass "Star Wars: Episode VIII – Die letzten Jedi" aus den postmodernen Nervattacken eines "Star Wars" hassenden Proleten stammt, der sich lustig schimpft. Die üppige Laufzeit verwandelt diese Episode in ein Spiegelkabinett repetitiver Bedienungsmöglichkeiten (davon völlig haarsträubend: das Casino samt hässlich animiertem "Jurassic–Park"-Befreiungspathos), die eine Taste nach der anderen bedient: Aktion, Reaktion, Todesgefahr, Rettung, ausatmen, einatmen. Weiter, immer weiter. Dieses kalkulierte, diktatorisch zerfranste "Star Wars" schafft keinen Raum mehr für die Wunderdinge der Macht, die, wie ironisch sich das auch anhören mag, bis zur allerletzten Konsequenz nun von jedem erspürt, angewendet werden kann. Von jedem – das heißt auch von denjenigen, die sich der Macht um der Macht willen verschreiben. Einst ging es in "Star Wars" um etwas. Um etwas den Sinn Überwindendes, um eine Andacht in der Kathedrale der Popkultur. Der Glaube war stark, aber nie zu missionarisch. Disneys "Star Wars" glaubt nichts mehr, und Rian Johnson – sein Mut ist ihm gleichwohl nicht zu nehmen – fängt diesen Transzendenzverlust auf, indem er über ihn lacht. Er lacht über die Bösen, die Guten, er belacht das Gefühl, mit dem sich "Star Wars" fassen ließ: dem Unerklärlichen der Heimat, der Heimkehr, ummantelter, warmer Umarmung. Jetzt zeigt ein Loch auf einer Insel direkt auf den Kopfschuss. Es führt kein Weg mehr zur Heimat, nicht ins Irgendwo, sondern ins Nirgendwo: Das Lichtschwert, oh, wirf' es doch weg!

3 | 10

Freitag, 25. August 2017

"Logan Lucky" [USA 2017]


Steven Soderberghs Comeback. Der eine Soderbergh ist an Strukturen interessiert, Distanzaufnahmen, Verfolgungsperspektiven. Er betrachtet, rahmt, porträtiert. Kühl, wissenschaftlich gar. Der andere Soderbergh ist tief(en)entspannt. Chillig, lässig, spritzig. Kino, das mit den Fingern schnippt. "Logan Lucky" hingegen rückverwandelt die Stille zum extrovertiert Gelockerten. Der Dramaanteil versucht sich zwar einerseits zu behaupten, aber andererseits hat dieser Film, endlich wieder ein stoisches Soderbergh-Meditationsmanifest, "Eier" (in mehrfacher Hinsicht). Aber nicht nur das, auch eine Armprothese, ein Hinken, knalllange Fingernägel. Die Crew um Channing Tatum und Adam Driver (Daniels Craigs zerramschter, ausgetrockneter Joe Bang verdient ein Spin-off), selbstvergessen erleichtert sie eine Rennbahn um eine Menge Knete, besteht aus pathologischen Fällen dummdreister Durchschnittshalunken. Minutiös verkeilt Soderbergh die Komplikationen und Rechenschiebereien, einschließlich eifrigen chemischen Vorrechnens, wie eine Heimwerkerbombe funktioniert, als wenn es die "Ocean's"-Trilogie nie gegeben hätte. Aber die gibt es, und "Logan Lucky" wagt im Vergleich nie den letzten Schritt vollkommenen Verlierens. Was "Logan Lucky" mitunter abgeht, ist Esprit, Geschwindigkeit, Unerhörtes wie Überraschendes. Demzufolge kann Soderberghs Spätspätwerk nur eine Kreuzung sein – unter gar keinen Umständen zetern, wobei Spaß haben (beispielsweise während einer "Game-of-Thrones"-Knastdebatte) zwingend empfohlen wird. Dieser "Spaß" muss sich allerdings den Beschützerinstinkten fügen, ein guter Vater zu sein und ein reglementierter Film sein zu müssen.  

5 | 10

Freitag, 24. März 2017

"Silence" [USA, GB, TAIW 2016]


Aus einem übergeordneten Blickwinkel heraus sind alle Filme Martin Scorseses theologisch. Theologische Konstruktionen, "sakrale Räume" (Georg Seeßlen). Manche weniger, manche mehr, manche motivisch, manche thematisch. "Silence", nach Jahrzehnten der Vorbereitung vollendet, kulminiert in dem Bestreben Scorseses, die unlösbaren Abwehrreflexe zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen fortan zu studieren, und wie das Göttliche nicht menschlich, das Menschliche nicht göttlich werden kann. Der Film erzählt über die Religion, anstatt, dass er eine materialistisch-urbane Interpretation theologischer Ikonografie liefert. Trotzdem – das "unauflösbare Dreieck von Ich, Welt und Gott", das Menschen schafft, die sich wiederum in "unauflösbaren Beziehungsfallen bewegen", "nach Gott rufen", aber "auf die Straße zurückkehren, um ihr Leben als 'Schauspiel vor dem Angesicht Gottes' zu führen", prägt ganz, ganz eindeutig Scorseses demütigsten, persönlichsten Film (obgleich alle Filme Scorseses freilich eine "magische Biografie" bilden). "Silence" ist der Versuch, dem Fanatiker zu widerstehen. Ihn zu verstehen, ohne ihm zu verzeihen. Nur aus dem Schaffenswerk eines Martin Scorsese konnte sich so ein Film herausschälen. 

Andrew Garfield spielt eindrucksvoll den Jesuiten Sebastião Rodrigues, der im von Christenverfolgungen heimgesuchten, daher buddhistisch verordneten Japan des 17. Jahrhunderts seinen Mentor Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) sucht. In einem Land, dessen existenziellster Brennstoff ein unumwunden spiritueller ist, echot die Gefangenschaft der Scorsese-Heiligen (besser: Heiligwerdenden), in kulturellen, sozialen wie ästhetischen Strukturen hineingeboren worden zu sein, die einen ideologischen Ausbruchsversuch verunmöglichen. Sebastião Rodrigues' innere Überzeugung, den Welt- und Wertevorstellungsblick zu schärfen, mutiert zusehends von frohgemuter Empathie zu einem pathologischen Zorn, zu einer "Passion des Einzelnen", die "nirgendwo zu einer gesellschaftlichen Veränderung" hindeutet. Das Christentum hat es schwer in dieser Welt, was aber lange kein Grund ist, es zum Opfer zu verklären. Denn Scorseses feinsezierende Abtragung religiöser Inbesitznahme auf der einen wie auf der anderen Seite evoziert ein Grundinteresse an beiden Positionen. "Silence" gruppiert sich mit "Die letzte Versuchung Christi" und "Kundun": vordergründig erbauliche Kanzelreden, hintergründig säkulare Analysen.

Dieser "weltliche" Ansatz, akzentuiert in metaphorischen Dialogverkettungen, entfesselt eine "kleine" Wucht. Gewalt, bei Scorsese stets etwas Manisches, stets das letztmögliche Tor vor der Verdammnis "verfehlter Erlösung", kommt in diesem Werk nicht offen zum Tragen. Scorsese zeigt die Gräueltaten der Japaner – kochend heißes Wasser, das über den Körper ätzt, Schlammgruben, Enthauptungen – aus der Distanz, trist, lethargisch. Überhaupt nicht unkontrolliert, vielmehr meditativ und resignativ. Von Altersmilde keine Spur. "Silence" ist zornig, erfinderisch, neuerfinderisch gar. Wo in vielen anderen Scorsese-Filmen eine Ballung der Ereignisse das eigentliche Ereignis zu einem Mosaiksteinchen zermalmt, haben wir es hier mit einer Stauchung der Ereignisse zu tun. Die Reise des Sebastião Rodrigues ist eine gänzlich unaufgeregte, stoisch verschränkte. Und dieser Sebastião Rodrigues übernachtet unterwegs in bescheidenen Hütten, engen Kammern. Die räumliche Topografie – in ihrer asketischen Kargheit chiffriert sie eine Reise, die Exil, die Freiheitsentzug gleichermaßen bedeutet, in der Gewalt das Wort Gottes abschneidet. Kein anderer Scorsese-Film "erspürt" Gewalt wie dieser, indem er sie nie körperlich exakt nachempfindet.   

Welche Frage leitet aber Scorsese daraus ab? Und welche Lösung? Abgesehen von derjenigen des Scheiterns? Die Frage an sich ist paradox: Warum bekämpfen sich zwei Glaubensrichtungen, wenngleich sie sich über ihre Gemeinsamkeiten verständigen können? "Silence" spielt in keinem "sakralen Raum", sondern in einem ritualisierten Entgrenzungsraum, in dem der eine Glaube allein einen Dogmatismus beschwört, eine "Entgeistigung" seiner geistig zusammengescharten Anhänger. Zwischen Dogmatismus und Existenzialismus argumentiert "Silence" zwischen dem Geleiteten und Leitenden, und der Vorwurf, Scorsese singe ein christliches Hohelied, stimmt keineswegs. Rodrigues' christliche, anfänglich sicher hehre Mission, bei der Scorsese, einverstanden, krude Jesus-Parallelvergleiche bemühen muss, wandelt sich, wie sich ebenso der Protagonist wandelt, zu einer christlichen Annexion. "Silence" ist ein Film des Leidens, des Haltens, genau dort, wo der Halt entgleitet. Aber auch des Trotzes, der, erneut beim Anfang angelangt, Aussichtslosigkeit, sich weder als immanentes noch transzendentes Wesen bekennen zu können. Oder als Wesen, das mit "offenen Augen bete[n]" sollte, zu einer Religion der Disparität, zu einem Gott als Vermittler.       

7 | 10

Freitag, 27. Januar 2017

Jarmusch-Retro #13: "Paterson" [USA 2016]


Allem Lebendigen sei das Zentrum der Welt gemein, schrieb Friedrich Nietzsche. Die Grenzen der menschlichen Erkenntnis erschöpfen sich an ihrer Barriere, dass Wahrnehmung ausschließlich zentralistisch und deshalb ausschließlich interpretatorisch gedacht werden kann. Wie der eigene Standpunkt eine gleichsam absolute erkenntnistheoretische Perspektive einnimmt, avanciert in "Paterson" ebenso zum Zentrum einer Erzählung ohne Spuren einer großen Erzählung. Adam Driver schlüpft in einen Anzug des Zyklenläufers, der jeden Tag deckungsgleiche Hürden seiner familiären wie beruflichen Existenz umspringt. Paterson, so sein richtiger Name, ist in Paterson, der Stadt, verwurzelt, gefangen, kulturell verstöpselt. Wie könnte es auch anders sein. Von Montag zu Montag zeigt er sich in seiner determinierten Rolle als Busfahrer, Lyriker, Freund, Hundenörgler und Kneipenkumpel. Driver mimt diesen allgewaltig am Chaos vorbei sinnierenden Zufriedenheitsbummler mit der Kunst des Nichtergebnisses, mit der Attitüde geheimnisumnebelten Eigensinns. "Paterson" erzählt über die Monotonie des Herausgebrochenen, über den Datenverlauf des sich darunter verbergend Inspirierenden.

Der Film rekurriert dabei auf den Motiven, die das Kino von Jim Jarmusch im Grundlegendsten umschlingen: Jarmusch bastelte abermals an einem Film trister Vertrautheit, der das Mysterium wählt, wenn er doch nur das schlichte Sein zur Auswahl stellt, und er ergänzt diese Schläfrigkeit zu einer selektiven Lebensermattung kurz nach dem ersten Griff zu schlafsandverkrusteten Augen. Durch Jarmusch lernen wir ein Gefühl des uns gänzlich anders erscheinenden Zeitbegriffs kennen, der uns stets den paradoxen Widerspruch zwischen dem Alltag vor und in der Leinwand verdeutlicht. Ein "langweiliger" Arthouse-Scheinphilosophiefetzen aber ist "Paterson" eigentlich nie. Sowohl der Schauplatz Paterson als auch der Protagonist Paterson bilden das Komplettierungsstück einer Kontemplation des Banalen, das im Ort wie im Menschen jenes unterdrückte Glück evoziert, das ein grimmiges Lächeln nach sich zieht. Adam Driver spielt keinen dieser plappernden Jarmusch-Nonkonformisten, die erst werden im Suchen, sondern einen rationalen Konformisten, der im Suchen längst geworden ist – zu einem unveränderlichen Mann, der sich arrangieren konnte, in Worte, aber auch in die Bewegung zu flüchten.

Grobe Gemeinsamkeiten hat "Paterson" wohl mit "Broken Flowers", mit einer vergleichbar fluffigen Daseinskomödie über einen Weg, der sich bis ins Unendliche fortsetzt. Beide Werke, unter dem warmen Mantel grotesker Ironie (in "Paterson" speziell: die, wie in "Coffee and Cigarettes", schwarzweiß durchdeklinierten Requisiten), ernten ihre Lebendigkeit aus der Zartheit des Antiquierten und positionieren sich gegen den modernistischen Habitus des Erreichbar-Seins. In Patersons Bücherregal im Keller steht eine Ausgabe von dem ungeheuerlichen Splitterroman "Unendlicher Spaß" – im Mikrokosmos des zufällig Wuchernden plumpst auch Paterson in die Spiral- und Parabelförmlichkeit des postmodernen Lebens, wo die gesamte Tragweite des Fassbaren nicht mehr fassbar sein kann. Dass in der Gestalt Patersons zugleich ein Vorwand liegt, über Kunst zu reflektieren, Gedichte zu lieben und Hymnen der Rezitation (eine Spur zu pathetisch) zu visualisieren, macht die Natur Jim Jarmuschs aus, das Reale durch das Fiktive zu konstituieren. Vor allem im Abschlussdialog mit einem japanischen Lyrikliebhaber bereist Jarmusch zarte Innenwelten, die frühestens im Traum sinnvoll zerplatzen, wenn der Montagmorgenwecker dann wieder klingelt.

6.5 | 10

Freitag, 25. Dezember 2015

"Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht" / "Star Wars: Episode VII - The Force Awakens" [USA 2015]


Noch einmal Kind sein durch "Star Wars" in 2015 – der ist aufrichtig zu beneiden. Denn mit dem wissensdurstigen, sakral-melancholischen Suchen nach Antworten, die außerhalb des heizofenwarmen Kinderzimmers im All vorübergehend aufleuchten, begleitet von John Williams' sanft säuselndem Sternenpathos, hat J. J. Abrams' Notfallplan eines versöhnlichen Weihnachtsgeschenks nicht mehr viel gemein. Wie auch – unter der Fuchtel eines kreativitätshemmenden Filmstudios, unter den redundanten "Action!"-Anweisungen eines Studiobrandlöschers, der Bildern noch nie ihre Bedeutung gab, die sie gebraucht haben. Als wich Abrams vor dem spirituellen Sinngehalt und dem mehr als tröstlichen Weltgefühl zurück, das "Star Wars" dem Kind versprach, verweigert er sich jedweder unschuldiger Mythologie: Dies ist ein erzkonservativ abweisender, mechanistischer, fremdgesteuert konsenswilliger Film nach einer Disney-Programmatik; in seinem beherzten Humor (Chewie als schlotternder Angstbär) bisweilen nuanciert geschrieben, aber ängstlich rezitiert. In zwei Szenen lassen sich Krümel von Magie aufsammeln, immerhin. Han Solo gegen Kylo Ren als Repräsentanten der zweiseitigen Macht (übrigens: wohldurchdacht licht- und schattenexpressiv komponiert) – und Luke Skywalker. Die alte, unsterbliche Garde um Harrison Ford, Carrie Fisher und Mark Hamill – und das ist bezeichnend – sträubt sich gegen das Neue, indem sie ein letztes Mal aufzeigt, wie das Alte funktionierte: nämlich spontan, jugendlich-leicht, unbedingt glaubenswert. Der siebten Episode möchte man nur widerwillig glauben.

5 | 10