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Freitag, 23. Februar 2018

"Shape of Water - Das Flüstern des Wassers" [USA 2017]


Das Tragische an den Filmen Guillermo del Toros ist, dass das Zusammengehörige Zeit benötigt, sich dem Abweichenden anzupassen. Angst, Bosheit, Ablehnung – in "Shape of Water – Das Flüstern des Wassers" erzählt del Toro von einem passiv-aggressiven Unterdrückungsapparat, der in den 1960er Jahren einen bis heute nachwirkenden, gelegentlich retropathetisch verklärenden Zeitabschnitt hinterließ. Die frühen 1960er Jahre, verwurzelt im Materialismus einer sich ordinär ausschmückenden Zukunftswirklichkeit amerikanischer Süßigkeitenfarben, stattet del Toro in ihrem ideologischen Wertekonflikt sowohl gruselig als auch wehmütig aus. Obgleich die Politik der 1960er Jahre gegen das Annäherungsmärchen zwischen – und dies kann doppeldeutig gelesen werden – Mensch und Kreatur letztlich keine herausgehobene Sonderrolle einnimmt, sondern der Fantasie mit Hilfe von Scherben politischer Agonie ihre Utopie begrenzt, tropft das Wunder unaufhörlich durch die weniger schönen Dinge. 

Zum Beispiel anhand eines Törtchenladens, einem "Familienunternehmen", in dem Afroamerikaner sich nicht setzen dürfen. Zum Beispiel anhand von hierarchischen Geschlechterstrukturen und ökonomischen Mitarbeiterentbehrungen. Zum Beispiel anhand von Richard Strickland, den Michael Shannon als sinisteren Maschinengentleman mimt – die Familie ein funktionaler Algorithmus, der Cadillac ein Statussymbol männlicher Potenz, die Arme beim Pinkeln in die Hüften gestemmt. Der Film verlässt selten zwei Schauplätze, verlässt selten die zwei Wohnungen zweier wichtiger Figuren (Elisa Esposito, Giles) und das Labor, wodurch die Konfrontation mit dem Andersartigen gleichzeitig die Konfrontation mit dem Verdrängten ist. Das Leben in diesem Film scheint, unabhängig jedweden Blickes nach draußen, den del Toro dem Zuschauer verwehrt, ein randständiges, einsames zu sein, ein perpetuiertes: Das Masturbationsritual in der Badewanne, wenngleich ekstatisch, ist dem Gefühl entfremdet, Empfindung zu sein. 

Wo Strickland den Gegenspieler des exzentrischen, Bonbons zerknackenden, mit einem äußeren Makel behafteten Gegenspielers karikiert – Jack Arnolds Amphibien-Mensch-Kreation biss ihm zwei Finger ab –, kann die Protagonistin Elisa (Sally Hawkins) durch ihren neuen Freund, ebenso Beschützer wie Partner, wieder fühlen, ohne das Gefühl mit ihren Fingern hektisch zu forcieren. Ihr gemeinsamer Liebesreigen romantisiert del Toro in poetischen Untertönen inmitten eines überflutenden Badezimmers, wo sich die Sprache, häufig ausschließend, in Gebärden unbegreiflicher Wörter verflüssigt. Das Dionysische dieses Moments ist triebgesteuerte Auslebung des Urgrundes wie elegische Erfüllung eines Urwunsches und ausschließlich deshalb Teil einer Solidarität gegenüber dem Fremden, das sich als unerwartet neugierig und unerwartet selbstlos herausstellt. Mögen del Toros Filme auch Träume sein und sich freudianisch lesen, so richten sie doch stets ihr Auge auf die irdischen Fehlbarkeiten. 


David Mamet schrieb in "Die Kunst der Filmregie", dass das Märchen für Regisseure eine großartige Schule sei, da Märchen mit den einfachsten Mitteln und ohne Ausschmückung und ohne den Versuch der Charakterisierung erzählt werden würden. In "Shape of Water – Das Flüstern des Wassers" reflektiert das Märchen seine eigene Darstellung, denn greifbar naturalistisch wird del Toros Märchen zu keiner Zeit. Schwindelerregend eklektisch manövriert sich der Film durch die Gewässer des konspirativen Spionagefilms, des schattenreichen Monsterfilms, des taumelnden Liebesfilms, durch die surreal überkreuzten Rohre und dämonischen Verwissenschaftlichungen Lovecrafts, durch die stepptänzelnden Choreografien eines Musicals sowie durch die humoristischen Abzweigungen Richard Jenkins', der angesichts der Absurdität, die sich vor ihm auftürmt, auf direkteste und wunderlichste Weise die Bodenhaftung verliert – und immerhin als trotteliger Fluchtwagenfahrer die Chance ergreift. Jenkins' Spiel gehört ganz und gar der Naivität des Slapsticks in dessen Anfängen. 

In Mamets Sinn reduziert sich dieses Märchen eher figurenimmanent (Michael Stuhlbargs unaufgeregte Schlichtheit ist das in Wahrheit liebenswerteste Geschöpf dieses Films) denn motivisch, weil es mit den willkürlichen Strömungen des Wassers und der Liebe zu einem Stummfilm wechselnder Ideen kollaboriert. Und immer lässt del Toros väterliches Grinsen bessere Zeiten erahnen, wenn der Fernseher eingeschaltet ist und die großen Stars das große Damalige umarmen, abklopfen, besingen. Das Kino ist auch in "Shape of Water – Das Flüstern des Wassers" eine Pilgerfahrt für ein Zeichen im Unerforschlichen, und es bändigt selbst die Hartgesottensten, ja die Götter vor der Leinwand durch das Heldenmonumentale. Wo "A Cure for Wellness" das Wasser dem Publikum einst brutal injizierte, mit einer Spritze, die so bedrohlich wie tödlich war, greift del Toro zu einer sanfteren Methode, Wasser behutsam einzulassen – als lebensvitalisierende, verführerische, erotische Sozialmacht offenherzigerer Verständigung.

7 | 10

Freitag, 28. Oktober 2016

"Renoir" [F 2012]


Aller Sonnenschweif, alles Licht, alle Luft – die naturalistischen Wucherungen, die impressionistische Kinobilder erschaffen, sind in "Renoir" ein Trugbild. Erbittert versucht sich ersatzweise, die Schönheit gegen die Hässlichkeit zu erwehren, das Scharfe gegen das Unscharfe, das sich vordrängelt. Die Malerei gegen das Schwarz. Die Jugendhaftigkeit gegen die Krankheit. Wir erblicken von Arthritis verstümmelte Gliedmaßen, Kriegsverletzungen, Unfallsnarben, ein stockendes Gehen, ein hinkendes Reagieren. Gilles Bourdos sah kein lehrbuchmäßiges Biopic Pierre-Auguste Renoirs vor. "Renoir" verharrt im Moment, in der Spannung, sich durch kontrastierende Eindrücke zu treiben, Eindrücke von unbedingter Sinnlich- und Schmerzhaftigkeit. Michel Bouquet haucht diesem Renoir Leben ein, konfus-mäanderndes Altherrenschnurren zwischen Libido und Leidenschaft. Er hegt ausgiebigen Kontakt zu seinem neuen Nacktmodel Andrée (etwas zu barsch: Christa Théret), erweckt eine Ästhetik des Fleisches, wird umsorgt und sorgt sich gleichzeitig um seinen Kriegsheimkehrer Jean (etwas fahl: Vincent Rottiers), der als naiv-aufbruchsbereiter Sohn in den Kriegsdient zurück und danach zum Film will. Die zwischendrin plumpen politischen Implikationen schaden "Renoir" nicht, aber sie lenken ab. Wie die organischen Farbkompositionen Renoirs plädiert Bourdos' hochgradig schöngeistiger Film vielmehr dafür, auf einer entlegenen, flüchtig parfümierten Fläche nicht die (sprunghafte) Entwicklung zu erwarten, sondern die (friedfertige) Beobachtung einzufordern; notfalls die Pflicht aufzuschieben, um das zu bewältigen, was unerklärlich ist.  

6 | 10

Mittwoch, 14. Mai 2014

"Godzilla" [USA 2014]


Nichts simplifiziert "Godzilla", diesen maßgeschneidert-modernisierten Monsterclash, so sehr wie Alexandre Desplats rasendes, aber kontinuierlich lästig werdendes Crescendo von Einwegmusik: die Lustbefriedigung im pinselfetten Bild. Immer wenn Gareth Edwards das animalische Bild, das zersetzende, zugleich aber auch von makabrer Schönheit flankierte Untergangsbild über die Leinwand zieht (Bonmot am Rande: Edwards aufgesetzte Michael-Bay-Affinität zu akkurat fotografierten Fluggerätschaften), wenn die Kamera zur Seite schwenkt, sich nach oben zittert, panisch andauernd in Ritzen, Lücken und Schlitze vorstößt, wenn das Inferno dadurch zum (zurückgedrängten) Überrest abgemildert wird, dann ist "Godzilla" interessanterweise ein Film, der erfinderisch genug ist, eine speziellere, verdichtete Perspektive klassischen B-Monstertrashs einzunehmen, während sich dessen Naturgewalten in verkleinerten Sichteinheiten auswickeln. Aber "Godzilla", und das war vornherein verständlich, ist selbstverständlich kein Drehbuchfilm und sollte auch keiner sein. Die Geschichte, die der Film versucht zu bebildern, erfüllt trotzdem alle Vorlagen des (megaschrecklichen) Stumpfsinns: unbelehrbare, diskussionsresistente Militärdeppen, indiskutable Schauspielverelendung und eine riesen Portion familiäre Glückseligkeit, die mit einem feuchten Froschschmatzer im Sportstadium besiegelt wird. Was zur Hölle? Echt? Dumm? "Godzilla" trägt dies alles derart innbrünstig mit weißen Knöcheln auf, dass einem die Guilty-Pleasure-Qualitäten des quietschvergnügt-schrillen Emmerich-Films ernsthaft fehlen. Ach ja: Godzilla, der jetzt für alle Zeiten tragische, entmystifizierte Held wider Willen, warum verdrückte er keine Träne?    

4.5 | 10

Freitag, 14. März 2014

"Philomena" [GB 2013]


Böse, fiese Nonnen, Unterdrückung und Keuschheit. Mit diesen Schlagworten hinterfragt "Philomena" die Ablagerungen religiöser Züchtigung in einer modernen Welt, der Welt von Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit und Eigenverschulden. Von Smartphones, "Big Mamas Haus" als ablenkende Abendunterhaltung, Katastrophengier. Eine Mutter (Judie Dench spielt sie hervorragend schattiert) sucht ihren verschollenen Sohn. Sie ist eine temperamentvolle Irin, religiös gefestigt, wunderlich, willensstark. Hilfe erhält sie vom ehemaligen BBC-Reporter (und ehemaligen Katholik) Martin Sixsmith (Steve Coogan). Er ist ein auf die nächste Riesenstory mit Riesenworten riesiger Emotionen fixierter Sensationsschnüffler, Blasphemist, bohrend, zynisch. Anhand zweier divergierender Weltanschauungen, die "Philomena" in seinen zunächst gegeneinander abprallenden Protagonisten verankert, kristallisiert sich ein in seinen feinen Magenhieben und Spitzen gegen eingerostete Ideologien agierendes, geistreiches Drama heraus, bei dem Vorzüge, aber auch Nachteile eines als absolut gehaltenen Standpunktes hervortreten. Stephen Frears begleitet sein Traumduo, das sich mit verbundenen Augen abgeklärt die Bälle zuwirft, auf einem Weg der Antworten und Rückschläge. Rückblicke und Videoaufzeichnungen zeigen ein kontrastreiches Leben, reich an Schrecken und Schönheit. Und genau wie etwa auch "Die Queen" zeichnet sich "Philomena" aufgrund seiner britisch-lässigen Lakonie als pointiertes Haltestellenstück aus, das in seiner intimsten, verletzlichsten Nachdenklichkeit die entlarvende (Schaden-)Freude im Geiste zelebriert: Die Kirche hat es zum Schluss, immerhin, in den Merchandising-Vertrieb geschafft. 

6 | 10

Mittwoch, 26. Februar 2014

"Grand Budapest Hotel" [GB, D 2014]


Vorerst prototypischer Wes-Anderson-Schwank, hysterisch wie zum Spießrutenlauf, in bizarr-sentimentales, teutonisches Süßigkeitenpapier gewickelt, symmetrisch, hibbelig, noch hibbeliger; schließlich hüpft "Grand Budapest Hotel" nach oben und unten, nach rechts und links, und Szenenabläufe werden von keinen Grenzen mehr behindert, sondern verschlingen und verknüpfen einander in einem Flechtwerk. Wer allerdings gedacht hätte, Anderson ruhe sich auf einem Stil aus, auf den Erfolgen künstlerischer Stagnation, der hat diesen Film nicht gesehen, diesen infantilen, beherzt in Skurrilitäten verknallten Ensemblefilm. Anarchischer war Wes Andersons eigenwilliges Kino der Überdosis vermutlich nicht. Überfallartig kreuzt der Amerikaner Gemälderaubfilm, Gefängnisausbruchsfilm und ein Tableau an Streitkultur über Hotels und Hochwohlgesinnte, die irgendwie alle in einem Boot in die jeweils andere Richtung zu paddeln versuchen. In seiner Bewegungslust, wenn Arme und Beine und Körper vorwärts preschen (aber auch dabei manchmal abgehackt werden), verzeichnet "Grand Budapest Hotel" seinen trashigsten, zugleich aber auch nostalgischsten Gestus: Charlie-Chaplin-Slapstick erweitert Anderson erstmals und montiert mit Hilfe dessen schrägste Playmobil-Verfolgungsjagden, die in einer überkünstelten James-Bond-Schneeactioneinlage zusammenfließen (Blofeld: Zuhälter Willem Dafoe). "Grand Budapest Hotel" ist hierbei dem logischen Umkehrschluss zufolge eine radikale Steigerung artifizieller Anderson-Unterhaltung, bei der unzählige wohlbekannte, (vereinzelt zu) kurz vorbeischauende Gesichter dazu anwesend sind, die richtigen Schalter (oder Typen) an den richtigen Stellen umzulegen – und loszulegen. 

6 | 10