
90 Minuten Pedro Almodóvar, das bedeutet 90 Minuten Bilderstürmerei,
90 Minuten Frauen, 90 Minuten Techtelmechtel, 90 Minuten Nagellack und
nicht zuletzt 90 Minuten überdrehte Indizienprozesse, an deren Urteile
sich der Geschlechterkampf zerreißt: Die Technik sei leichter zu
verstehen als die menschliche Psyche, heißt es da, mindestens ein ganzes
Leben lang.
"Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs", damit ist nicht
nur der Film per se gemeint, es ist der freche Titel für die
Protagonistinnen, der ihnen auf den Leib geschrieben wurde mit all ihren
Marotten und Volltreffern und Querschlägern. Ein überreiztes,
schrilles, sattes Wirrwarr bizarrer Entgleisungen, angefangen bei dem
Werbespot über ein neues Waschmittel für blutige Gangsterprobleme, über
Gazpacho mit Schlafmittelbeilage bis hin zu, aus dem Sanatorium
(Spezialgebiet: Irre) entlassenen, eifersüchtigen Schwiegermüttern, die
Rache an denjenigen verüben wollen, die ihnen das Herz aus der Brust
gerissen haben. Waffe im Anschlag auf Motorrad Richtung Flughafen. Man
ist ja unzurechnungsfähig.
Almodóvar versteht definitiv etwas davon,
sich bildästhetisch dem Exzess zu unterwerfen; die sich in den Fußboden
reinrammenden High Heels von rechts nach links und zurück,
experimentelle Farbspielereien, präzise geschnittene Aufschichtungen
thematisch bedingter Motive (am Anfang: Uhren auf Uhren), allgemein die
Bewegung der Kamera, das Szenenbild, der Rhythmus des Zusammenspiels
beider. So ungezwungen, wie Almodóvar seinem spielerischen
Gedankenkosmos aufgedonnerte Bildkaskaden folgen lässt, so gesättigt
ist der Film von seinen Begehrlichkeiten. In der ersten schwachen Hälfte
vor allem, da scheint dies nicht immer dem Zwecke untergeordnet zu
sein, der Geschichte hinzuarbeiten, als dass es erfreuen würde, wenn
jede Montage, wirklich jede Regung der Figur unbedingt Kunst sein will.
Diagnose: Das Almodóvar-Syndrom, ein bisschen Selbstzweck und ein
bisschen Selbstverliebtheit in die eigene Genialität.
Die viel schönere zweite Hälfte versteht sich dann als die
verzwickt-verknotete Beziehungskiste aller untereinander in einem Raum.
Fetzen fliegen, Lösungen überdacht, Wörter abgeschnitten. Hysterie und
Wahnsinn. Alltag. Um diese aufzudröseln, benötigt es eine Menge
feministischen Willen gegen den altertümlichen Chauvinismus, der es
nicht einmal fertig bringt, ein Treffen mit der Ex zu arrangieren. An
dieser Stelle vermischt Almodóvar zwei grundlegende Dinge. Ob er dabei
allerdings die subversive Satire in Form jener schiitischen Terroristen
ausschöpft, die, na klar, eine Frau ausnutzen, wodurch jeder ab sofort
Angst hat, dass sie etwas ausplaudern könnten, nachdem sie geschnappt
wurden, oder eine entzweigeteilte Liebe dank Telefon und
Anrufbeantworter wieder aneinander bindet, droht der Unstimmigkeit
anheim zu fallen. Im Grunde sind die Schiiten schnell vergessen und ein
dramaturgisch gewohnheitsmäßiges Rettungsmanöver konterkariert die
Liebe.
Dieser Almodóvar hat nicht viel von der Liebe zu erzählen, er ist
zu sehr in sich selbst verliebt. Wären da nicht diese schiefen Typen
und diese verschrobenen Konflikte, "Frauen am Rande des
Nervenzusammenbruchs" wäre ein kompletter Zusammenbruch. So aber
erfreuen wir uns am Taxifahrer samt eingerichtetem Supermarkt
(Augentropfen nicht vergessen!), an der emanzipatorischen Anwältin
(keine Hilfe, Strafe: Ohrfeige), an der telefonaffinen Sekretärin, am
kusswütigen Antonio Banderas mit Brille und zwei nicht gerade
verhörsicheren Polizisten. Und es gibt da eine Szene, die meisterhaft
getimt ist. Eine sich verdichtende Konstellation von vier Personen an
verschieden, nah beieinander liegenden Orten, die sich erst einander
begegnen, wenn es längst zu spät ist: Fahrstuhl, Auto, Bürgersteig,
Telefonzelle. Manchmal ist das Unübersehbare doch übersehbar. Wie in der
Liebe.
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