Mehr Schmackes, mehr Verblüffung hätte "Geheimagent" vertragen können,
in dem sich jeder, ob unbewusst oder bewusst, eine falsche Identität
verschafft. Eine dick aufgetragene Liebesgeschichte (Madeleine Carroll
spult ihr schales Programm als sittenstrenge Zicke ab) musste Hitchcock
aus unerfindlichen Gründen genauso angezogen haben wie ein
Vergnügungspark an Albernheiten in diesem sonst lebendigen, aufwändig
getricksten und nie zu ernst geratenen Spionage- und Kriegsradau. Das
Duo aus John Gielgud (ein versunken schauender Gentleman) und Peter
Lorre (ein nonchalanter, unverschämter "Mexikaner") repräsentiert in
seinem heiteren, bisweilen doppelsinnigen Zusammenspiel der Kulturen
hingegen die Quintessenz eines Werks, das als eines der einzigen
Hitchcock-Buddy-Movies gesehen werden kann. Von einem toten
Orgelspieler, dessen weihevolle Musik wie eine böse Vorsehung in den
verlassenen Hallen einer Kirche nachhallt und wogt, bis zu einem Hund,
der den durch ein Fernglas parallel gezeigten Tod seines Herrchens
auditiv eindringlich betrauert, verspricht "Geheimagent"
Hitchcock-Schwank, aber auch erlebnisreich variierende Requisiten:
Schneeberge, Züge, eine Schokoladenfabrik, verlorene, sinnverzerrende
Knöpfe. Belangloses eben, das sich innerhalb der nächsten Ereignisse als
folgenschwer erweist. Die moralische Schwarzseherei, trotz Krieg einen
Auftragsmord zu begehen, verglüht, denn viel bedeutender sind die
verschlüsselten Briefe (auf Schokoladenpapier!), mit denen "Geheimagent"
bezaubernd zum Publikum kommuniziert. So bezaubernd, dass ein
angehängtes Kitschbonbon das Ende besiegeln muss.
5 | 10