Agent, "Katze", Werbefachmann: wundervoll, wenn Cary Grant bei Hitchcock
vorbeischaut. Flink, abenteuerlich und komödiantisch nuanciert besiegt
er das Böse, als ob er sich beim Schnüren der Schnürsenkel gleich an
einer Tischkante wider Erwarten den Kopf verbeulen, sich aber dennoch
aufrappeln und die Mundwinkel spitzbübisch zu einer Grimasse schneiden
würde. Die Schnürsenkel wären immerhin gebunden. Cary Grant ist nicht
von dieser Welt. Bis zu "Verdacht". Denn "Verdacht"
konterkarierte sein Image als figurativ eindimensionaler
Publikumsliebling mit dem zentimeterweiten Zahnpastalächeln, der die
Frauen reihenweise ins Bett schubst. Übrig geblieben ist zwar der
exzessive, charmante Playboy, der verschwenderische Nutznießer unter der
Sonne des Mittelmeeres, der dekadente Draufgänger.
Neu dagegen ist Cary Grant als innerlich komplexer Bad Guy, als brillanter Lügner, als undurchsichtiger, zwischenmenschlich herber, grober Ganove, dem es gelingt, das Publikum anzuekeln, anzuflunkern, anstatt es durch eine erlösende Pointe in die Hände klatschen zu lassen. Berühmt wurde "Verdacht" aufgrund zweier aufeinanderfolgender Szenen. Guillermo del Toro ließ sich ausführlich über die einer ballettähnlichen Komposition entsprechenden Montage der in mehrfacher Hinsicht "letzten" Autoraserei enthusiastisch aus, während das (vielleicht vergiftete) Glas Milch in der expressionistischsten Sequenz (der ein gewaltiger Schatten Grants unheilschwanger vorausgeht) das Zentrum des Bildes auf ein leuchtendes Licht begrenzt, umgeben von trister, vieldeutiger Dunkelheit.
Aber nicht nur anhand dieser zwei Beispiele werden wir, die Zuschauer, aufs Glatteis geführt, wo wir auszurutschen drohen. Davor buchstabierte Joan Fontaine – über ihre Naivität möchte man heute nur schmunzeln – in einer Frühversion des Scrabble das Wort "Murder". Es folgt eine Vision, dass ihr Ehemann (Grant, der der Schulden wegen über Leichen zu gehen scheint) seinen besten Freund und Investor (alkoholgehemmt: Nigel Bruce) an einer Klippe herunterstößt. Vision einer Zukunftswirklichkeit? Oder einer Wunschfantasie? Spielt Cary Grant in der Tat den Bad Guy? Einbildung? Wahrheit? Lüge? Alle Indizien lassen einen Schluss zu, aber ist es deshalb richtig? Ein Doppelleben? Oder bloß der Einbruch einer fiktiven Groschenkrimihandlung in einen psychotischen Geist? Nur ein Hirngespinst?
Hitchcock sperrt den Zuschauer allein mitsamt seinen Verdächtigungen in ein Refugium mit gitterähnlichen Gegenstandsschatten ein. Warum annähernd jeder sich selbst als Genrefilmemacher bezeichnende Künstler Hitchcock vergeblich imitierte, ist in "Verdacht" ablesbar – die psychopathologische, beißende, fleischige Spannung definiert sich über Gesichter, auf denen wir das ablesen, was wir wissen wollen, über die Reaktion der Körpersprache. Cary Grants Gesicht verfinstert sich giftig, sobald herauskommt, dass der verstorbene Vater seiner Frau lediglich ein Porträt für das Ehepaar ins Testament schreiben ließ. Auch die herzlich gemeinte Umarmung nach dem Studioschluss ist verführerisch, ja trügerisch. Hier sprechen die überlegt arrangierten Bilder, um uns das zu geben, womit wir uns in unserer (gerechtfertigten?) Paranoia verlieren. Keiner konnte es stilsicherer.
7 | 10