"Über den Dächern von Nizza" nimmt den Platz jener Ausnahme-Hitchcocks
ein (ein anderer Verwandter: "Immer Ärger mit Harry"), denen man partout
nicht böse sein sollte. Die Seele baumeln, im Sandstrand räkeln, die
Perlen des Meerwassers auf der gebräunten Haut glitzern sehen – für
einen Krimi ist Hitchcocks entkrampfter Postkartenclip zu schwerfällig
auf seine paradiesische Bilderabfolge fokussiert, für eine strahlende
Romanze hingegen zu kühl wie der Windstoß während einer auf den
Hotelzimmerbalkon verlegten, nächtlichen Zigarettenpause. Also was ist
nun mit "Über den Dächern von Nizza"? Gar nichts. Zu knuddelig, zu
entspannt der Gegenwart entflohen ist dieser Film, als dass man sich
seiner ebenso gelösten, regenerierenden Intensität wie französisch
angehauchten Akkuratesse gänzlich entziehen könnte. Da sind die
Head-Kostüme (extravagant im Maskenfinale kollidierender Identitäten),
die gravitätischen Burks-Fahraufnahmen, die sexuell chiffrierten
Zweideutigkeiten, der Feuerwerkskuss, die wie ausgeschnitten wirkende
Steinarchitektur "wilder Renaissance", die knalligen
Farbtableaus und der kultivierte, verhängnisvoll in falsche Schubladen
hineingeschobene Welten- und Dachbummler (Cary Grant), dessen Geliebte
(dickköpfig-fesch: Grace Kelly) erstmalig darauf vertrauen kann, vom
Herz denn Geld erobert worden zu sein. Halb hässlich durchschimmernder
Studiofilm (die Rückprojektionen… oh, die Rückprojektionen), halb
neckische Liebestollerei, hält "Über den Dächern von Nizza" Sätze für
die holzgetäfelte Willkommenstür bereit. Geld verdirbt jeden. Wir alle
sind Diebe.
6 | 10