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Freitag, 11. August 2017

"Dunkirk" [GB, USA, F, NL 2017]


Cobb wollte seine (träumerischen) Kinder wiedersehen, Cooper hingegen die Erde anlaufen, wo seine Kinder wiederum auf ihn warten. Und Batman aus der Gefangenschaft nach Gotham City entfliehen. Konkret war "Heimat", die Heimat, bei Christopher Nolan unaufhörlich, eine wehmütig schippernde Boje inmitten von Zerrissenheit, Schuld und strukturellen Hemmnissen. Heimat als Belohnung jenseits des endlos vertrackten Kaninchenbaus, die, sobald sie sich sich nähert, zugleich von der Überraschung der Überraschungen übermannt wird, dass sogleich ein Rätsel, ein, zwei Ebenen tiefer, das Ich lediglich undurchdringlicher verschüttet – und Heimat sich zu einer entschwundenen Erwartung verflüchtigt. Die "Heimat" in "Dunkirk" aber geht unter. Wie grausam, lärmend, lähmend ein Kriegsfilm sein darf, betont "Dunkirk", wenn sie, ebenjene Heimat, ein Versprechen darstellt, irgendwann nach dem Krieg, das im Rauch und Ruß gleichermaßen ein krächzendes Echo hinterlässt. Eingekesselt zu sein, bedeutet in "Dunkirk" de facto, das Fassbare der Heimat, die Chance, ihr zu begegnen, in ein Abstraktum zu verwandeln, mehr noch, nicht länger in eine Möglichkeit, sondern in eine Sehnsucht.

Was zeigen, erspüren, erfühlen in einem Kriegsfilm, dessen Bilder, Motive und Absichten unlängst verhandelt wurden? Die besten Kriegsfilme (oder: Antikriegsfilme, je nachdem) legen sich nicht auf den Kriegskörper fest – auf den dämonischen, verschlingenden Krieg, auf die Soldaten, die als psychisch labile Patienten (nach Hause) zurückkehren. Die besten Kriegsfilme stattdessen, sie teilen elementarste Überlegungen über den Menschen, grundsätzliche Vergänglichkeitsgedanken über das Sein, ob menschlich, tierisch oder pflanzlich, nahe der extremsten Verderbensstruktur, dem Krieg. Die besten Kriegsfilme sind durchweg Abstraktionsfilme, dekonstruieren das Objekt Krieg, indem das Subjekt Mensch im Krieg kein Projektil mehr sein darf. Auf dieser theoretischen Basis fußt auch "Dunkirk". Es handelt sich, demgemäß, um ein analytisches Kriegsdrama, das dokumentierte Wirklichkeit mit immersivem Erleben kreuzt. Bewegungen, Bewegungen über den Strand, der Mole, Bewegungen durch die Luft wie auf dem Wasser, repräsentieren nicht nur eine umfassende Situationsanalyse, sondern die Kriegsfilmoptik von heute: Wenn des Kriegsfilmes Intentionen hinlänglich bekannt sind, so aber noch lange nicht dessen Impressionen. 

Innerlich distanziert schildert Nolan eine historische Fußnote, eine Rettungsmission als Beklemmungszustand, ohne dafür den Krieg zu instrumentalisieren, ihn aufzulösen in, zum Beispiel, grobschlächtige Feindschemata. Vom "Feind" als solchen wird gar wenig (plakativ) gesprochen, sowohl Deutsche als auch Briten zeichnen sich durch eine Uniformität aus, durch eine Klassennichtzugehörigkeit, durch eine (eben abstrakte) Profillosigkeit, die es erst gestattet, den Krieg auf menschlich nachvollziehbares Überleben einzig und allein zu reduzieren, bei dem scheinbar ohnehin keine Zeit für nähere Reflexionen bleibt. Das Sturzbachstromartige über "die da oben", während "die da unten" überleben wollen, ist ein seriell-fabrikmäßiges Rattern, das in den konstruktionssicheren Widescreen-Bildern von Hoyte van Hoytema unter der Kontrolle eines Meisters sich entfaltet. Gestückelt in Minimomentaufnahmen der Angst, vermittelt speziell der Handlungsstrang um einen gestrandeten Soldaten (Cillian Murphy), der, wider Willen, auf einem Boot Richtung Dünkirchen mitgenommen wird, genau diese zeitenthobene (eben abstrakte) "Naturangst". Des Soldaten. Des Menschen.


Spannungssentenzen aus dem Lehrbuch – ein auf dem Wasser notgelandeter Soldat, der vor dem herannahenden Nass das Cockpit seines Flugzeugs nicht erfolgreich öffnen kann sowie eine Gruppe von eingeschlossenen Soldaten, die beschossen werden – spielt Nolan allerdings viel zu selten aus. Die häufig anstrengende Erzählmechanik seiner vorangegangenen Filme, ein Zauber quasi, der seine Tricks allzu unzweideutig wiederholt, trifft in "Dunkirk" andererseits auf eine existenzielle Menschenlosigkeit, die, mit der Hand am Joystick, analytisch gerechtfertigt sein mag, aber nichtsdestoweniger von zahlreichen Lenkungen in die andere Richtung neutralisiert wird. Inkonsequent bleibt dieser Film – denn die Immersion, jene Unmittelbarkeitsspontanität, die Nolan anstrebte, ist letztlich nur Teil eines Films, der in der wohlkalkuliert multiperspektivischen Zersplitterung das Korsett eines letztlich unnötig verschwurbelten, unerhört redundanten (Tom Hardy als Fliegerass) und unvorteilhaft chaotisch geschnittenen Zahnradfilms enger schnürt. Die Taschenspielertricks Nolans sind in "Dunkirk" lästiger denn je – evozieren sie doch ein Planspiel namens Krieg, das es in den Augen der Opfer und Überlebenden nie war. 

Sobald Tom Hardy sein Flugzeug am Ende, nach anfänglich genretypischen Schwierigkeiten, im Sonnenlicht landet (aus dem "Pearl-Harbor"-Schneideraum Michael Bays womöglich zweckentfremdet) und die Überlebenden, eine Churchill-Rede stolz rezitierend, im Zug frenetisch von der Zivilbevölkerung gefeiert werden, ist es nahezu unglaublich, mit welcher hymnischen Klebrigkeit Nolan angestaute metallisch-brutalistische Seelenpein unterläuft. Dies hätte "Dunkirk", zweifellos, nicht gebraucht. Wo dem Film zuvor das letzte Quäntchen Dringlichkeit gefehlt hat, so überlagern sich abschlusssicher die überschüssigen Quäntchen Empfindsamkeit bis ins Bodenlose – und rückverwandeln den im vorherigen Verlauf des Films stoisch skizzierten Soldaten, bloßes Fleisch, einen vor allem einfach Geretteten, abermals zum Sinnbild triumphaler Verehrung. Über 100 Jahre Kriegsfilmgeschichte haben nicht viel anderes hervorgebracht, als einen Kommandanten (Kenneth Branagh) zu idealisieren, der ebenso tatenmutig wie selbstlos auf die ankommenden Franzosen wartet, haben nicht viel anderes hervorgebracht, als in einer heroischen Gestenschau zu münden.

Zusatznotiz: Hans Zimmers metadiegetische "Musik" (oder Geschrammel) ist nah am Geschehen, wiewohl zu nah. Zimmers Abmischungen durchliefen dabei eine kompositorische Entwicklung, und "Dunkirk" legt Zeugnis ab über diese Entwicklung als eine Art "Endpunkt" melodischer Texturen: Offenkundig scheint Musik nur noch ein experimentelles Variationskabarett für Zimmer zu sein, der mit minimalistischem Donner an den Stellschrauben von "Dunkirk" dessen bestialisches Sound Design imitiert. Diese Synthese zwischen Zimmers tackernden Klangflächen und den zuckenden Umgebungsgeräuschen kündigt an, wann eine Szene spannend, nervenaufreibend oder, selbstverständlich, dramatisch (!) zu sein hat. Eine Steigerung des Bedrohlichkeitspotenzials infolge zu kurzen Reagierens in zu wenig Zeit, die gewiss intendiert war, aber angesichts unverhältnismäßigen Verkleisterns schlicht für Kopfzerbrechen, Unruhe, Unwohlsein sorgt, geleitet jedoch zu dem, was Zimmer mittlerweile im Kinosaal vorzufinden glaubt: eine Techno-Bude, die dauerhaft beschallt.   

4 | 10

Mittwoch, 12. November 2014

"Interstellar" [USA, GB 2014]


Cinephile Neandertaler konnten sich im geschniegelten Labyrinthsystem des Anzugträger-Kinos Christopher Nolans stets verbergen. Denn dort konnten sie sich (alt)klug fühlen, dort wurden sie zu Leonardo Da Vinci – auch wenn sie ganz schön doof aussahen. "Interstellar" aber, angedockt zwischen schauwertbändigendem Fragmentgeflecht (vgl. "Godzilla") und astrophysikalischer Liebesgravitation, zwingt sich diesmal, den Kopf nach unten zu neigen, anstatt hoch oben in ein ausgetrampeltes (Nolan-)Räderwerk verschlungener Aufschichtphasen zu verfallen: Die kindliche Innenansicht einer kosmisch-demutsvollen Amerikaerzählung, die auch dann überkocht, wenn der Raketenstart naht und die transzendente Liebe in ihrer wissenschaftlichen Unbegreiflichkeit abschließend die Unbegreiflichkeit der Wissenschaft selbst an den Rand drängt, gewinnt entscheidend an spontaner Ergriffenheit, ohne dass sich hierbei der Film auf die Apotheose der Spiritualität verlässt. Seine entladenen und ausladenden Wikipedia-Dialoge, sein erklärlastiges Genre-Sediment ohne Auslassungen, sein gestalterischer Fehlschluss, Universumsoriginalität mit Wasser und Schnee zur Vorstellungskraft umzudichten – wie gehabt. Aber all' das beflügelt "Interstellar", neues Terrain zu erschließen. Die Reise des Christopher Nolan führt (jetzt) über diese Konstanten, über den Horizont, hinaus, umrankt von sphärischem Orgelgeschrei und, sieh' an, flapsigem Witz. Mit Steven Spielberg hat sich Nolan, nebenher, eine Hommage ausgedacht, deren intimkitschiger Figurenschmerz aufs Angenehmste entgleist. Feuer (Spielberg) und Eis (Nolan) verbrüdern sich im "A.I."-Stil, selbst szenisch. Insofern "nur" kurzweilige Science-Fiction-Melange.

 6 | 10

Mittwoch, 7. August 2013

Kurzfilme: "Doodlebug" [UK 1997]


Man traut sich gar nicht zu glauben, wie sich künstlerische Ambitionen verändern können, und was für reduzierte, lakonische Kreativfrühwerke sowie Hobby- und Studentenfilme die bekanntesten Erfolgsregisseure von heute realisierten. So auch Christopher Nolan. Insgeheim flirtet "Doodlebug", einer der ersten Kurzfilme des so umstrittenen wie gefeierten Messias, mit allem, was in den Blockbuster-Jahren Nolans zur Ausgestaltung seiner Themenschwerpunkte gehören wird. Nicht nur an strukturellen Endlosschweifen, die auf Überraschungen, Irritationen und Pointen fußen, zeigt sich "Doodlebug" interessiert – das (mechanisch-manische) Prinzip der Überlappung und Überladung, hier in Form einer körperlichen Vervielfältigung dargestellt, ist maßgeblicher Bestandteil der Erzähltechniken von einer Reihe an Nolan-Filmen, etwa "Prestige" oder, noch zentraler, "Inception". Zusätzlich thematisiert der Film einen Protagonisten (Jeremy Theobald), der in seinen psychotischen Wahnvorstellungen und pathologischen Realitätsstörungen dem Kreislauf der rationalen Welt entfliehen will, um maximale Freiheit für sich zu beanspruchen. Ein Protagonist, dessen Nachfahren Figuren sind, die Jahre später in "Memento" und "Insomnia" wiederauferstehen. Für sich allein betrachtet, funktioniert "Doodlebug" allerdings auch ohne den Versuch, den Kurzfilm in den Nolan-Kosmos einzugliedern. Es ist in erster Linie eine ironische Arbeit, die in ihrer Reduktion und Beobachtung, in einem Zimmer alltägliche Dinge in groteske Paranoia zu verwandeln, eine verspielte, unkommentierte Strenge aufweist, die Nolan leider kaum noch gebraucht. 

6 | 10

Dienstag, 31. Juli 2012

"The Dark Knight Rises" [USA 2012]


Zum letzten Mal formieren sich die Rächer und Gerächten zum theatralischen Leben und Sterben in einem metallenen Ungetüm an Großstadt. Der Kreis schließt sich melodramatisch, die Angst als Triebfeder übernimmt allmählich die Kontrolle, die Reise endet hier. Nur so viel: "The Dark Knight Rises" erreicht nicht die soziologische Brillanz des Vorgängers und auch nicht die in Unterhaltungssegmenten ohne doppelten Unterboden pragmatisch wildernde Finesse des Vorvorgängers. Dafür will "The Dark Knight Rises" schlicht und ergreifend zu viel Substanzielles beitragen, dafür will der Film jeden Schlupfwinkel ausfüllen, als dass er über jede einzelne Minute zu geistigen Luftsprüngen beim Zuschauer anregt. Vielleicht erweist sich "The Dark Knight Rises" somit als ambitioniertestes Minusgeschäft im Schaffen Christopher Nolans, der nicht nur seine obligatorischen Schwächen wie selten zuvor befeuert, sondern sie zu neuen Höhen führt. Oder andersherum: Der Film ist ein konsequentes Opfer seiner Inkonsequenz.

Der Abschluss von Nolans breitgetretener, ebenso politischer wie auch ein wenig reaktionärer Trilogie über den Superheld als Symbol am Himmel porträtiert nunmehr Superhelden, die keine mehr sind. Während sich Gotham City in feuchtfröhlicher Dekadenz sonnt, weil eine stattliche Verbrechensrate seit Harvey Dent auf sich warten lässt, ziehen sich die Superhelden in ihre geheimen Löcher zurück, vereinsamen, isolieren sich, verstecken sich wieder hinter ihrer Maske und suchen stärker denn je ihre Identität in einer Welt, die nichts mehr für sie bereithält. Bruce Wayne alias Batman (auf dem Maskenball ohne Maske: Christian Bale) humpelt unübersehbar eingefallen, veraltet, zerrissen und verbittert an Krücken seinem Leben hinterher, Harvey Dent wurde Geschichte durch eine Lüge und James Gordon (immer noch auf Zack: Gary Oldman) wird von Nolan nach einem ersten größeren Angriff seit Jahren handlungsgehemmt ins Krankenhaus geschickt – das sind von sich selbst und ihren Mitmenschen entfremdete Gefangene. "Rise" bedeutet hierbei nicht unbedingt das Erheben seines Körpers für die Probleme anderer, es symbolisiert vielmehr die Flucht aus dem seelisch verankerten Gefängnis.

Nolan tut gut daran, dass er all diese Figuren gleich in einer der ersten Szenen gemeinsam versammelt, woraus sich die Charakterzüge, Querverbindungen und verzweifelten Hilfeschreie mit wenigen dramaturgischen Inszenierungskniffen speisen. Blöd nur, dass Nolan jede Szene mit kommentierendem Inhalt füllen muss, um auch dem schlecht sehenden Zuschauer in den hintersten Reihen zu verklickern, worin der Sinn dieses oder jenes Gezeigten besteht, als ob nicht ein Gesichtsausdruck, nicht eine einzige lautlose Geste reichen würde. Und das ist Nolans Hindernis spätestens seit "The Dark Knight" und dem Erklärbär namens "Inception": Nolan vertraut weniger dem Kino und seinem Publikum als geschwätziger Trivialliteratur, die anfügt, ausschweift und ohne Unterlass zum Leser redet. Aber Kino kommuniziert mit Bildern, die für sich allein sprechen sollten. Sehr selten kommunizieren die Bilder jedoch im Nolan-Kino mit der Imagination, da sie viel zu oft sprachlich mit entweder Kindergartenironie oder Missionierungsesoterik unterstrichen werden, ebenjene formschönen Bilder aus Stadtpanoramen und heißen Verfolgungen auf dem Asphalt, Bilder, die nicht sprechen können und auch nicht sprechen dürfen. Und wenn, dann nur kurz. Höchstens.


Dem Dreh- und Angelpunkt des abgrundtief Bösen, Bane, bereitet es aufgrund dessen enorme Schwierigkeiten, sich ambivalent auszutoben, sich vor allem so zu entfalten, dass er angesichts von idiotischen Vorgeschichten und sepiafarbenen Rückblenden im Abgründigen verborgen bleibt. Tom Hardy ist sicher kein schlechter Schauspieler, leidet allerdings merklich hinter einer eingeschränkten Ausdrucksmöglichkeit, kraftvollen Erkennungssprüchen und wird lediglich physisch definiert. Zieht man den Vergleich zum Joker, der jeglicher rationalen Moralität und analysierenden Hintergründen enthoben schien – das heißt, er war lediglich da und verschwand wieder – wird deutlich(er), wie seelenlos Nolan diese Bane-Rolle eigentlich schrieb, irgendwo zwischen archaischem Totschläger und muskelbepacktem Profi-Wrestler, der handelt, weil er gern dabei zusieht, ein austauschbarer Sadist eben. Sein Plan, Gotham zu zerstören und der Oberschicht ihre Ausbeutung gegenüber den 99% an Restmenschlichkeit und Armut vorzuhalten, will einen Bezug zu den vorherigen Teilen "Batman Begins" (die Stadtzerstörung) und "The Dark Knight" (die Abschottung mittels Bomben und gesperrten oder zerstörten Zufahrtswegen) herstellen, konterkariert jedoch im gleichen Atemzug durchaus eine unkonventionelle Eigenständigkeit innerhalb des Sujets, die nicht immer das provoziert, was man bereits zu kennen glaubt.

Eine fehlende Eigenständigkeit, ein Stempelaufdrücken des Regisseurs also, das den gesamten Film wie ein Virus befällt. "Batman Begins" war die Exposition, "The Dark Knight" hatte Heath Ledger. Aber "The Dark Knight Rises"? Irgendwas aus beiden, dazu Hollywood und die offene Tür für ein Anknüpfen nach der Nolan-Ära; dem Wahnsinn per se fehlt es insgesamt an künstlerischer Kraft. Der unbändige Eifer Nolans, zwingend die Verbindung aller Handlungsstränge aller drei Filme zu suchen, bemächtigt ihn, eine Vielzahl an Figuren hin- und herzuschieben wie es ihm beliebt. "The Dark Knight Rises" bündelt Kurzgeschichten und Nebenhandlungen, türmt Beziehungen aufeinander auf, ohne dass das Ziel erkennbar wäre, wohin diese Fragmente führen, ganz gewiss fehlt die eine übergreifende Geschichte. Resultat dieser erzählerischen Hetze und Figurendichte sind Charaktere, die entweder kaum oder wenigstens marginal psychologisch durchleuchtet werden (Gordon, Fox, Miranda Tate), verschwinden (Alfred), hübsche Cameos darbieten (Ra's al Ghul, Crane) oder wiederum eine Überakzentuierung erfahren (Bane), während das Einknicken Nolans vor der Kompromissbereitschaft des kommerziellen Industriekinos Spuren hinterlässt: Wenn Bane zur Tat schreitet, schneidet der Film unschön die Szene weg.

Gotham mutiert derweil vollständig und unumstößlich zur amerikanischen Großstadt alter Schule, wohingegen Batman ein neues Fluggefährt austesten darf. Die Fantasie- und Gestaltungslosigkeit Nolans beflügelte den Regisseur einst, aus einem sinnlichen, expressiven Traumfilm einen akademischen, glattgeschürften zu machen, eingehüllt in eine britische Gentleman-Attitüde von Welt. Dies ist mit Gotham City, äh New York City, und dem klobigen Flugzeug aus dem, so scheint es, Elektronikfachmarkt nicht unbedingt anders, die Nolan als ein Teil versteht, dessen großes Ganzes über das hinausgehen soll, was man sieht: Wieder verpflanzt Nolan sein Figurenschema in eine etwas plumpe, eine etwas drangeklatschte und nicht immer differenzierte Zeitgeistcollage, in eine Sozialkritik von politischer Aktualität, deren alternative Lösungen weder nach vorn noch zurück weisen. Mit Bane identifiziert sich Tom Hardy als Aktivist, als Occupy-Anführer gegen das herrschende Etablissement an gierigen Bankern (klar) und stumpfsinnigen Millionären (auch klar) im Land des uferlosen, virtuellen Kapitalreichtums per Mausklick, und verwandelt das westliche und weltliche Gotham schließlich in einen gescheiterten, diktatorisch geführten Staat ohne Gesetze, der an einem gesonderten Zeitpunkt so brutal Regeln bricht, dass sich seine Bevölkerung allmählich gegen ihn auflehnt. Der Arabische Frühling zum Zweiten, eine Bestandsaufnahme der heutigen Verhältnisse.


Zerfetzte US-Flaggen, Rauchsäulen und Kampfjets am Himmel beschwören zudem einmal mehr die Analogie zu 9/11 herauf, die althergebrachte Ordnung aus dem Gleichgewicht zu heben. Die imposanteste Sequenz hat der Film damit gleichzeitig zu Beginn des zweiten Aktes, als Bane mit Gefolgschaft ein Footballstation in die Luft sprengt, während er davor unter der von einem Kind gesungenen amerikanischen Nationalhymne aus dem Schatten des Spielertunnels tritt. Im Verhältnis von leiser und aufgedrehter Lautstärke gelingt Nolan ein mitreißendes Pathosmoment, wo die Bilder sich nicht von anderweitigen, verbalen Präzisierungen stören lassen. Viel zu selten entfesselt Nolan seinen Film. Es sind dann Augenblicke wie dieser, das entbrannte Batman-Logo, der Prolog als choreographiertes Ballett oder etwa jener, in der sich der Dunkle Ritter wieder auf Gothams Straßen zeigt, die einen Einblick geben, wie der Abschluss der Trilogie wirken könnte, wenn Nolan mehr, keiner zusätzlichen Erörterung benötigendes Bilderkino machen würde. Meist fesseln auch die kleinen Szenen von fragiler Wucht in diesem Film: Gordons Lächeln, als er Batman auf dem Bildschirm sieht, Batman und Catwoman in ihren Kostümen Seite an Seite, die Tribunal- und Eisgeschichte oder Banes Träne, die ihn zur tragischen Gestalt umdichtet.    

Am meisten Spaß macht "The Dark Knight Rises" selbstredend dann, wenn er sich formal und narrativ – konträr den Vorgängern – unumwunden dem Comic zugehörig fühlt: Gerade das deutsche Tonstudio verleiht (verschenkten) Schauspielern wie Marion Cotillard eine piepsige, eine honigsüße Barby-Stimme von hoher Frequenz als unfreiwillige Karikatur ihrer selbst, eben typischer Comic-Gestus. Die dumpfen Schläge im Zweikampf zwischen Batman und Bane, die Wirbelsäulenszene, fledermausartige Kreidezeichen in Form einer Markierung und das über alle Maßen zerstörungswütige Finale auf Gothams Weg- und Straßenkreuzungen mit unterschiedlichen futuristischen Fortbewegungsmitteln binden den Comic verstärkt in die Dramaturgie ein – trotz einem konservativen Spannungsverlauf (der ständige Blick auf den Zeitzünder der Bombe), einer konstruierten Verkettung von Dauerwendungen, wovon die eine aufgrund einer Narbe in der Liebesszene davor lange vorher angekündigt wurde, und einem prätentiösen "Inception"-Finale. Anne Hathaway mit stahlharten High Heels (tierisch erotisch; eine wunderbare Rolle) besorgt allerdings nicht nur angesichts ihres trocken-tödlichen Schusses gegen Bane schlussendlich die Ironie in diesem bleischweren Abschluss: Auch wenn Nolan nicht alles begreift und ergreift, so ist sein Film dennoch irgendwie sexy.      

6 | 10