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Mittwoch, 4. April 2018

"Ready Player One" [USA 2018]


Wade Owen Watts (Tye Sheridan), genannt Parzival, ist frei in seinen Spielzügen, was auch der Grund dafür ist, warum das Individuum frei in seinen Spielzügen ist: Es ist klein, dürftig, belanglos, und erst in seinem Misstrauen gegenüber allem Festgefügten und Normierten erlangt es Größe, Heiligkeit, wird es ein Kunstwerk. In den 80er Jahren – eine tiefgreifende Medialisierung und Fetischisierung kennzeichnet dieses Jahrzehnt opernhafter Oberfläche – bildete sich eine Jugendkultur "auf der Basis des Empfindens, dass alles Große schon gelaufen ist." (Georg Seeßlen) Diese Epoche etablierte wagemutigere ästhetische Systeme, die die Wahrnehmung jener Intensitäten, jenes Abdriftens potenzierten, das als befreiender Akt im Medium die Botschaft (nach Marshall McLuhan) bereithielt. Wenn man will, kann man diesen Akt, diese Tat, dieses Risiko in "Ready Player One" erleben, und dies immersiv und performativ: in Gestalt einer wütenden Fragemaschine, die Schneisen in die Realität schlägt. Frag' mich, und die Antwort wird dich entsetzen. Frag' mich, und die Antworten werden genug Erlebnis sein. Genug Traum. Oder auch nicht. Hauptsache, du fragst. 

Nun stellt Steven Spielberg selten Fragen. Eher erwärmt er deren Antworten, und in "Ready Player One" ist es so, dass die Antworten am Bildrand, oben wie unten, rechts und links, aufflackern. King Kong, das "Akira"-Motorrad, der DeLorean sind Antworten, ebenso der Gigant aus dem All, Chucky und die Zwillinge des Overlook-Hotels. Sie alle sind Antworten auf die Frage, ob sich die Wirklichkeit nur noch in die Segmente gestriger Popeinfälle aufspaltet – und wie sich Jugendliche abnabelten, um mit Leib und Leben, Körper und Seele ihre Kindheit magisch simulierten, festhielten, einfroren. Obgleich Spielberg in früheren Filmen futuristische Weltenbaukonzepte bereiste – "A.I. – Künstliche Intelligenz", "Minority Report" zum Beispiel –, war sein Filmemachen ein ordnungsgemäß "naturalistisches", denn es widerstand den intertextuellen Daten- und Informationsströmen des postmodernen Filmemachens. Auf den großen Kinokassenerfolg schielte Spielberg nicht mehr. Er drehte kleine Filme der Umarmung, bei denen aber nicht das Kino, sondern der Mensch umarmt wird – vielleicht aber auch beides, und vielleicht bedeutet bei Spielberg gar das eine zugleich das andere.

"Ready Player One" ist möglicherweise Spielbergs erster postmoderner Film, weil dieser Film als der allererste Film Spielbergs an Tiefensinn einbüßt: Die mikrotechnologische Revolution befreite ein einheitliches Glaubensverständnis, pluralisierte Lebensformen und entlegitimierte das Private. Die Technik, im Film mit dem schillernden Namen OASIS, fungiert als Transformationszauberkasten, zu einer Biografie zu werden, anstatt sie erschöpfend entwerfen zu müssen. Um das Wahre, Wahrhaftige, um Wahrheit geht es in "Ready Player One" nicht mehr. Es geht um das Spiel. Nie zuvor ging es konsequenter um das Spielen. In drei Hauptattraktionen, die "Doc" James Donovan Halliday (Mark Rylance) als sein Erbe schuf, rauschen die Player der OASIS drei Schlüsseln hinterher, um ein Easter Egg zu finden, das über die Zukunft einer Welt, Hallidays Welt und Welten, bestimmt. Sowohl innerhalb einer turbulenten Autoraserei über Hindernisse und Monstermäuler als auch innerhalb des ausgewälzten Showdowns – einer Schlacht zwischen einer Unendlichkeitskette von Avataren – verstopft Spielberg Anklänge von Zusammenarbeit mit der Ablenkung durch das nicht mehr Sagbare.


Es liegt (auch) an Janusz Kaminskis schichtender, freidrehender Kamera, dass "Ready Player One", wenngleich der Zuschauer distanziert davorsitzt, die 80er Jahre erfolgreich und erlebensreich neubelebt, ohne sich im Nerdsein vollkommen zu verlieren. Sonst wäre dies ein manierierter Film aus den 90er Jahren geworden, eine Kopie, die das Gegenteil erreicht hätte von dem, was sie erreichen wollte: in ihrer Spießigkeit trist, in ihrer Liebe tumb, in ihrer Wertschätzung treudoof. Nicht so sehr der Eskapismus eines biomorphen Baukastens bereitet in Spielbergs Werk enthemmtes Feuer, sondern die vielen kleinen Klugscheißereien (über John Hughes) und den Fundus des Deutens. Spielbergs verlorene Kinder, die unter der Hand eines Fantasten erblühen, wirken selbst dann nicht fehl am Platz, wenn sie "Shining" interpretieren lernen – in Zimmer 237, im Ballsaal, inmitten von Blut und Verfall. "Ready Player One" schließlich ist eine Verschmelzungscharade des Versöhnlichen mit dem Beschönigenden, ebenso des Gewöhnlichen mit dem Außergewöhnlichen: reisefertig, gemeingefährlich. Spielberg war, so viel steht fest, der Filmemacher, Ernest Cline zu verstehen. 

Da "Ready Player One" in einem artifiziellen und mehrdimensionalen Universum spielt, kann Spielberg gleichwohl nicht jene Emotionen entfachen, die seinen Filmen sonst inhärent sind. Als Avatare erfüllen etwa Parzival, Art3mis (Olivia Cooke) und der lakonische i-R0k (T.J. Miller) ihren Zweck, mit ihren spezifischen Eigenschaften spezifische Gefahrensituationen zu bespielen. Aber ein Rest Langeweile bleibt, ein Rest Künstlichkeit, ein Rest Mechanik. Wie Marionetten lässt Spielberg seine User tanzen – die Stricke jedoch verhindern grundsätzliche Spielberg-Intimmagie ganz entscheidend, indem sich die Charaktere einer Fiktion stellen, die von ihnen hauptsächlich Handeln und Handlung verlangt, selten Stillstand, Zuwendung, Liebe (wie in einer schwerelosen Bee-Gees-Tanznummer, dem einzigen Moment transzendenter Vergegenwärtigung). Es ist dieses Lodernde und Welterschütternde, das in "Ready Player One" nicht gelingen will. Der Kreis schließt sich, so oder so: Mit Spielbergs erstem Film über digitale Masseninbesitznahme erschuf er seinen kältesten Film, einen fremdgesteuerten sogar, bei dem der Regisseur nie richtig das Herz entdeckt. Oder die Seele.

Bilder, die bleiben – das sind ironischerweise nicht Bilder der OASIS, vielmehr Bilder des "Realen" (ein fragiler Begriff, definitiv). Das Reale ist in "Ready Player One" dystopisch, reich an apathischen Menschen, Kreaturen gleich, die mit ihrer VR-Brille das letzte Stückchen Sinnerfüllung erspielen, oft herspielen. Wo das Künstliche zu künstlich erscheint, erscheint das Wirkliche zu gegenwärtig, und Spielberg hätte tatsächlich einen mutigeren postmodernen Zivilisationskommentar abgegeben, wäre er erwacht: Die Entgrenzung des Realen, das alptraumhaft in zwei Klassen vegetiert, wäre ein ausdrucksstarker Kontrast von Flucht, Verzweiflung und Ventil gewesen. So aber degradiert Spielberg diese zweite Welt zum randständigen Gimmick, das ominös anmutet. Wenn das Reale (einer, der Spielberg-Gemeinschaft), Fleischliche (ein Kuss), Mitfühlende (Tränen) dem Aseptischen vorzuziehen ist, verfehlt der Film seine Intention. Denn in dieser asymmetrischen Kopplung zwischen Witz und Tristesse hat Spielberg Gegenteiliges bewiesen: Das Wirkliche ist deprimierend, lustfeindlich, überlebenshart, während das Unwirkliche Zwischenräume entdeckt. Zwischenräume von wahrhaft unstillbarer identitätsstiftender Vernetzung.

6 | 10

Freitag, 11. August 2017

"Dunkirk" [GB, USA, F, NL 2017]


Cobb wollte seine (träumerischen) Kinder wiedersehen, Cooper hingegen die Erde anlaufen, wo seine Kinder wiederum auf ihn warten. Und Batman aus der Gefangenschaft nach Gotham City entfliehen. Konkret war "Heimat", die Heimat, bei Christopher Nolan unaufhörlich, eine wehmütig schippernde Boje inmitten von Zerrissenheit, Schuld und strukturellen Hemmnissen. Heimat als Belohnung jenseits des endlos vertrackten Kaninchenbaus, die, sobald sie sich sich nähert, zugleich von der Überraschung der Überraschungen übermannt wird, dass sogleich ein Rätsel, ein, zwei Ebenen tiefer, das Ich lediglich undurchdringlicher verschüttet – und Heimat sich zu einer entschwundenen Erwartung verflüchtigt. Die "Heimat" in "Dunkirk" aber geht unter. Wie grausam, lärmend, lähmend ein Kriegsfilm sein darf, betont "Dunkirk", wenn sie, ebenjene Heimat, ein Versprechen darstellt, irgendwann nach dem Krieg, das im Rauch und Ruß gleichermaßen ein krächzendes Echo hinterlässt. Eingekesselt zu sein, bedeutet in "Dunkirk" de facto, das Fassbare der Heimat, die Chance, ihr zu begegnen, in ein Abstraktum zu verwandeln, mehr noch, nicht länger in eine Möglichkeit, sondern in eine Sehnsucht.

Was zeigen, erspüren, erfühlen in einem Kriegsfilm, dessen Bilder, Motive und Absichten unlängst verhandelt wurden? Die besten Kriegsfilme (oder: Antikriegsfilme, je nachdem) legen sich nicht auf den Kriegskörper fest – auf den dämonischen, verschlingenden Krieg, auf die Soldaten, die als psychisch labile Patienten (nach Hause) zurückkehren. Die besten Kriegsfilme stattdessen, sie teilen elementarste Überlegungen über den Menschen, grundsätzliche Vergänglichkeitsgedanken über das Sein, ob menschlich, tierisch oder pflanzlich, nahe der extremsten Verderbensstruktur, dem Krieg. Die besten Kriegsfilme sind durchweg Abstraktionsfilme, dekonstruieren das Objekt Krieg, indem das Subjekt Mensch im Krieg kein Projektil mehr sein darf. Auf dieser theoretischen Basis fußt auch "Dunkirk". Es handelt sich, demgemäß, um ein analytisches Kriegsdrama, das dokumentierte Wirklichkeit mit immersivem Erleben kreuzt. Bewegungen, Bewegungen über den Strand, der Mole, Bewegungen durch die Luft wie auf dem Wasser, repräsentieren nicht nur eine umfassende Situationsanalyse, sondern die Kriegsfilmoptik von heute: Wenn des Kriegsfilmes Intentionen hinlänglich bekannt sind, so aber noch lange nicht dessen Impressionen. 

Innerlich distanziert schildert Nolan eine historische Fußnote, eine Rettungsmission als Beklemmungszustand, ohne dafür den Krieg zu instrumentalisieren, ihn aufzulösen in, zum Beispiel, grobschlächtige Feindschemata. Vom "Feind" als solchen wird gar wenig (plakativ) gesprochen, sowohl Deutsche als auch Briten zeichnen sich durch eine Uniformität aus, durch eine Klassennichtzugehörigkeit, durch eine (eben abstrakte) Profillosigkeit, die es erst gestattet, den Krieg auf menschlich nachvollziehbares Überleben einzig und allein zu reduzieren, bei dem scheinbar ohnehin keine Zeit für nähere Reflexionen bleibt. Das Sturzbachstromartige über "die da oben", während "die da unten" überleben wollen, ist ein seriell-fabrikmäßiges Rattern, das in den konstruktionssicheren Widescreen-Bildern von Hoyte van Hoytema unter der Kontrolle eines Meisters sich entfaltet. Gestückelt in Minimomentaufnahmen der Angst, vermittelt speziell der Handlungsstrang um einen gestrandeten Soldaten (Cillian Murphy), der, wider Willen, auf einem Boot Richtung Dünkirchen mitgenommen wird, genau diese zeitenthobene (eben abstrakte) "Naturangst". Des Soldaten. Des Menschen.


Spannungssentenzen aus dem Lehrbuch – ein auf dem Wasser notgelandeter Soldat, der vor dem herannahenden Nass das Cockpit seines Flugzeugs nicht erfolgreich öffnen kann sowie eine Gruppe von eingeschlossenen Soldaten, die beschossen werden – spielt Nolan allerdings viel zu selten aus. Die häufig anstrengende Erzählmechanik seiner vorangegangenen Filme, ein Zauber quasi, der seine Tricks allzu unzweideutig wiederholt, trifft in "Dunkirk" andererseits auf eine existenzielle Menschenlosigkeit, die, mit der Hand am Joystick, analytisch gerechtfertigt sein mag, aber nichtsdestoweniger von zahlreichen Lenkungen in die andere Richtung neutralisiert wird. Inkonsequent bleibt dieser Film – denn die Immersion, jene Unmittelbarkeitsspontanität, die Nolan anstrebte, ist letztlich nur Teil eines Films, der in der wohlkalkuliert multiperspektivischen Zersplitterung das Korsett eines letztlich unnötig verschwurbelten, unerhört redundanten (Tom Hardy als Fliegerass) und unvorteilhaft chaotisch geschnittenen Zahnradfilms enger schnürt. Die Taschenspielertricks Nolans sind in "Dunkirk" lästiger denn je – evozieren sie doch ein Planspiel namens Krieg, das es in den Augen der Opfer und Überlebenden nie war. 

Sobald Tom Hardy sein Flugzeug am Ende, nach anfänglich genretypischen Schwierigkeiten, im Sonnenlicht landet (aus dem "Pearl-Harbor"-Schneideraum Michael Bays womöglich zweckentfremdet) und die Überlebenden, eine Churchill-Rede stolz rezitierend, im Zug frenetisch von der Zivilbevölkerung gefeiert werden, ist es nahezu unglaublich, mit welcher hymnischen Klebrigkeit Nolan angestaute metallisch-brutalistische Seelenpein unterläuft. Dies hätte "Dunkirk", zweifellos, nicht gebraucht. Wo dem Film zuvor das letzte Quäntchen Dringlichkeit gefehlt hat, so überlagern sich abschlusssicher die überschüssigen Quäntchen Empfindsamkeit bis ins Bodenlose – und rückverwandeln den im vorherigen Verlauf des Films stoisch skizzierten Soldaten, bloßes Fleisch, einen vor allem einfach Geretteten, abermals zum Sinnbild triumphaler Verehrung. Über 100 Jahre Kriegsfilmgeschichte haben nicht viel anderes hervorgebracht, als einen Kommandanten (Kenneth Branagh) zu idealisieren, der ebenso tatenmutig wie selbstlos auf die ankommenden Franzosen wartet, haben nicht viel anderes hervorgebracht, als in einer heroischen Gestenschau zu münden.

Zusatznotiz: Hans Zimmers metadiegetische "Musik" (oder Geschrammel) ist nah am Geschehen, wiewohl zu nah. Zimmers Abmischungen durchliefen dabei eine kompositorische Entwicklung, und "Dunkirk" legt Zeugnis ab über diese Entwicklung als eine Art "Endpunkt" melodischer Texturen: Offenkundig scheint Musik nur noch ein experimentelles Variationskabarett für Zimmer zu sein, der mit minimalistischem Donner an den Stellschrauben von "Dunkirk" dessen bestialisches Sound Design imitiert. Diese Synthese zwischen Zimmers tackernden Klangflächen und den zuckenden Umgebungsgeräuschen kündigt an, wann eine Szene spannend, nervenaufreibend oder, selbstverständlich, dramatisch (!) zu sein hat. Eine Steigerung des Bedrohlichkeitspotenzials infolge zu kurzen Reagierens in zu wenig Zeit, die gewiss intendiert war, aber angesichts unverhältnismäßigen Verkleisterns schlicht für Kopfzerbrechen, Unruhe, Unwohlsein sorgt, geleitet jedoch zu dem, was Zimmer mittlerweile im Kinosaal vorzufinden glaubt: eine Techno-Bude, die dauerhaft beschallt.   

4 | 10

Freitag, 13. Januar 2017

"Bridge of Spies - Der Unterhändler" [USA, D 2015]


James B. Donovan (Tom Hanks) haut sich, er bestand (s)ein Abenteuer mit bewunderungswürdiger Auszeichnung, aufs Bett; er ist Spielbergs Moby Dick, ein angeschossener Wal, der aber nicht stirbt. Er schläft, die Gliedmaßen ausgebreitet. Vorübergehend. Bis sich ein neues Abenteuer empfiehlt. Er ist Spielbergs sentimental moralisierender Held, der zur amerikanischen Kernfamilie zurückkehren darf, nachdem er diese verlassen musste, da die makroskopische Geschichte zu mächtig ihr Antlitz offenbart, die immer auch in der mikroskopischen Geschichte der zwischenmenschlichen Komödie zu gedeihen beginnt. Spielberg wandert mit "Bridge of Spies" erneut konstruktionssicher durch die Historie, vertraut dem silbrig-weißen, Ikonen und Ritter ausformenden Kaminski-Licht, erzählt von kalten Zeiten, die schmelzen, sobald sich ein Versprechen gegen die Müh(l)en, es einzuhalten, behauptet. Ohne jeglichen verbitterten Zynismus darf "Bridge of Spies" ethische Zeitreise sein, die, akkurat nachgestellt (vor allem hinsichtlich der schneeverwehten Berliner Ost-Kälte), bis auf mancherlei gewohnt platte Analogien entlang einer zu überwindenden Mauer nicht in Gestalt ideologischer Analyse daherkommt. Im Austausch weiß Spielberg pflichtbewusst und erbaulich an Geschichte zu gemahnen und sie doch nicht zu durchdringen, weil er sie zärtlich auf Chancen abtastet. Dass sich beschwingte Unterhaltungsakrobatik und grundanständige Zuversicht dabei größtenteils ausbalancieren, nährt Spielbergs nicht wirklich schwächer gewordenes Können, wie ein Gentleman inszenieren, erzählen zu können. 

7 | 10