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Mittwoch, 5. Juni 2013

"Heaven's Gate - Das Tor zum Himmel" [USA 1980; Langfassung]


Michael Ciminos Fetisch für die großen Gedanken und Visionen, mit denen er sich in der Vergangenheit mit ausgelassener Leidenschaft herumgeschlagen hat, führte ihn im epochenübergreifenden Siedlerepos "Heaven's Gate" zu einem Maximum an Verfehlung und Verklausulierung, das er danach nicht mehr überbieten konnte. "Heaven's Gate" war ein kommerzielles Desaster, ein für Hollywood mythisches Missverständnis. Heute ist Ciminos schöpferische Leistung erhalten geblieben. Sein Werk, ein schwelendes, sperriges Erzählstück, voll an überschwänglicher Emotion und einer Menge Geduld, ähnelt einem Panoramablick quer über das akkurat nachgestellte Leben in Angst und Armut, das dennoch erfüllt ist von einem Verständnis tiefer Poesie, während Amerikas über die Jahrhunderte ausgetragener Nationenkonflikt auf keiner vertragsgesicherten Harmonie basiert, sondern auf der Xenophobie und Gewalt Vieler. 

Die ebenso opernhafte Monumentalität wie fatalistische Unumgänglichkeit, mit der Cimino etwa an Sergio Leone, Stanley Kubrick und, speziell im bleigetränkten Finale, Sam Peckinpah erinnert, steht für eine Art kosmisches Spielfeld, auf dem sich drei vergleichsweise unbedeutende, aber mit sich und ihrer Identität hadernde Figuren einfinden, die zueinander existenziell in Beziehung stehen, heroisch ins Verderben stürzen und dem klassischen Cimino-Bild der Außenseiter und Entfremdeten in einer Zeit innerer Widersprüche entsprechen. Rund wirkt "Heaven's Gate" nicht, eher elliptisch und konfus zusammengewürfelt. Der dauerbesoffene John Hurt verkommt zur Persiflage ohne Fundament und die Überlänge zum ständigen Begleiter eines Films, in den man sich hineinarbeiten muss, weil er von einer Stimmung und Bewegung geleitet wird. 

Reizvoll hierbei: Mehrere Gruppentänze und eine rasante Kutschfahrt zweier Verliebter dokumentiert Cimino, ein bleibender Ausdruck für die Unschuld des Moments, wohingegen er die imposantesten Konfrontationen zwischen zwei feindlich gesinnten Völkern in einen Staubnebel hüllt, der vom Stampfen der Pferde aufgewirbelt wurde und in denen Silhouetten einen demokratisch abgestimmten Freiheitskampf austragen. Diese Ästhetik einer pessimistischen, westlichen Welt im Umsturz und Aufbruch, die im Dreck geboren wurde – nur gerecht, dass sie ihre künstlerische Bedeutung wiedererlangt hat.

 6 | 10

Mittwoch, 26. September 2012

"Akte X - Der Film" / "The X-Files: Fight the Future" [USA 1998; Erweiterte Fassung]


"Akte X" völlig bei sich, untergetaucht im popkulturellen Fahrwasser und mit dem Wink mit dem Zaunpfahl: Fox Mulder (David Duchovny) gibt sich die Ehre, einen anderen freien Platz zum Urinieren zu suchen, nachdem der in der Kneipe außer Betrieb ist. Da geht er raus und pinkelt an die Wand in einer dampfigen Hinterhofgasse vor einem "Independence-Day"-Filmplakat. Der glühende Wahrheitsverfechter und schonungslose Glaubensbruder (an kleine grüne Männchen glaubt er), alleingelassen von seiner Regierung, die die Existenz nicht namentlich bekannter Rassen jenseits des Erdplaneten gleichermaßen verleugnet wie vertuscht, steht Genrekino gegenüber, in dem ein Regisseur den Untergang durch kleine grüne Männchen heraufbeschwor, jenen Untergang, den Mulder zu prophezeien versucht, aber nur auf taube Ohren stößt.

Für die hiesigen Serieneinsteiger hinterm Mond hat der Film, seines Zeichens fungiert er als Bindeglied zwischen der fünften und sechsten Staffel, als die X-Akten verbrannt und geschlossen wurden, eine weitere süße Leckerei im Angebot, wenn Mulder – diesmal angetrunken – die Geschehnisse davor rekapituliert. Er sei eine Hauptfigur in einer Verschwörung auf höchster Machtebene operierender Mitverschwörer, der Squashball, der immer wieder an einer dicken Wand abprallt und zum Ausgangspunkt zurückfliegt. Für die hiesigen Serienfans vor dem Mond rekapituliert der nahezu eine gesamte Mythologie-Doppelfolge plus Überlänge abdeckende Spielfilm dagegen den Kanon an allem, was "Akte X" Identität verleiht.

Neue Felder beackert er also eher nicht, düngt alte auf, als dass er sich kreativer zeigt. Ob das Sinn hat oder nicht, ob das handlungsvorantreibend ist oder nicht, steht nicht zur Debatte. Die hinlänglich bekannten Situationen und Geschehnisse aus der Serie werden so selbstverständlich aneinandergereiht, dass es bisweilen abgekupfert und nur noch abgedroschen wirkt. Wieder wird Scully (Gillian Anderson) entführt, wieder wird sie kurz vorher mit einer tödlichen Krankheit angesteckt, wieder schaufelt sich das Ermittlerduo beiderseitige Alibis zu, wieder setzt sich Mulder über alle Vorschriften hinweg, um Scully zu retten, die sich im entscheidenden Augenblick dem UFO abwendet (das ist gelungen): Bowmans und Carters grundlegende Problematik fordert, die Klischees zu entfachen, ohne sie zu brechen. Dass Figuren wie Direktor Skinner (Mitch Pileggi), der Krebskandidat (William Bruce Davis) und klassische Serienstars wie Terry O'Quinn zudem kommentar- wie konturlos in den Raum gestellt werden, während sie ihren Prinzipien in Anlehnung des gleichen mürrischen Gesichtsausdrucks aufsitzen, forciert das Gefühl, "Akte X – Der Film" wolle möglichst nur verweisen, aber nicht kohärent schweißen. 


Dem latenten Trash-Appeal verpflichtet, schreibt das von Serienschöpfer Chris Carter verfasste Drehbuch außerdem die wohl unerquicklichste Szene im Leben und Wirken von Scully und Mulder – der angedeutete Kuss wird jäh unterbrochen, sobald eine in Scullys Jackenkragen eingenistete Biene in genau diesem Moment zusticht. Peinlich! Gegenüber dieser Ausnahmeerscheinung herrscht jedoch ein lockerer, flapsig-romantischer Umgang zweier wissenschaftlich diametral gepolter FBI-Agenten, die sich im Laufe der dahinschwindenden Jahre besser verstehen, tiefer gebunden haben und sich mehr und mehr aufeinander verlassen müssen, ohne jemals ihr Vertrauen hinsichtlich des anderen in Frage zu stellen. An einer Weggabelung versuchen sie gar, über die korrekte Richtung auszudiskutieren und entscheiden sich letztlich pragmatischerweise für die Staub aufwirbelnde Mitte. Der geneigte Fan ist versucht, diese gallige Ironie als Wiederauflage einer ähnlichen Hürde der Episode "Energie" dritter Staffel zu deuten.

Auch die Verfolgung eines Zuges mitsamt leichtem Roadmovie-Charakter, der hochgiftige Substanzen außerirdischer Natur transportiert, erinnert an "Das Täuschungsmanöver" (erste Staffel) sowie an das Teilstück "Der Zug" eines Zweiteilers aus der dritten Staffel, wohingegen der Schwarze Krebs längst zum Baukastenrepertoire ungelöster Geheimnisse gehört, dessen Radius extraterrestrische Kolonialisierung und Versklavung einschließt und mehrmals den "Alien"-Mythos mal mehr, mal weniger plump herbeizitiert. Ungefähr so: Bahnen sich Scully und Mulder im Finale einen Weg durch ölig-feuchte Lüftungsschächte (James Camerons "Aliens"), entkommen sie gleichzeitig vor glitschigen Organismen der nächsten Stufe der Evolution, die dem Brustkorb ihres Wirts entspringen (Ridley Scotts "Alien"). Diese Elemente setzt der Film allzu deutlich ins Bild, was heißen soll, dass Subtilität fortwährend zur repetitiven Ausstellung der sonst hervorragenden Maskenarbeit – vor allem in den obligatorischen Scully-Autopsien zersetzender Gewebestrukturen – verkommt.

Dass "Akte X" nicht davor Halt macht, ein Serienkonzept nahtlos auf die Leinwand zu übertragen, sondern dem Prinzip überhöhter Schauwertakzentuierung folgt, definiert den Film als bildgewaltig. In den Ortswechseln die Temperaturunterschiede auslotend, hakt die Geschichte das ebenso Eisige wie Heiße ab, schwenkt zur Antarktis, endet in der Wüste. Neben gigantischen Feldern von genmanipuliertem Mais, aufbrausenden Bienenattacken (siehe "Herrenvolk")  und futuristischen Gebärstationen (Marke H. R. Giger) dürfen Bowman und Carter ihre Visionen in die Tat umsetzen, die aufgrund des niedrigen Budgets in der Serie an sich keinen Platz fanden. So zerberstet ein mehrstöckiges Gebäude nach einer druckvollen Explosion und die Computertechnik ermöglicht es, Schneeschichten (etwas künstlich) versinken zu lassen, wenn ein UFO dem Himmel entschwindet. Das (Brief-)Versprechen, dass Scully und Mulder schlussendlich wiederkehren werden, obwohl sie ihre gegenseitige Trennung aus beruflichen Gründen bekannt gaben, verdeutlicht hingegen eine glanzvolle Wiedergeburt einer verloren geglaubten Niederlage.    

5 | 10

Dienstag, 21. August 2012

Serien: "Lost" [USA 2004-2010]


Sehen wir davon ab, dass "Lost" im Finale tatsächlich die große, geheimnisvolle Antwort auf die größte, geheimnisvollste aller Fragen in einer humanistischen Religionsallegorie gibt, nämlich, wohin diese Serie steuern, was sie uns mitteilen, womit und weshalb sie unsere Gegenwart und Zukunft reflektieren will: Wer "Lost" ernsthaft in dem Bestreben angesehen hat, jemals alles auf dem Präsentierteller vorgesetzt zu bekommen, dessen kausaler Zusammenhang sich nicht sofort erschließt, der hat weder die Mythologie der Serie, das ihr zugrundeliegende Konzept noch die Intention ihrer Schöpfer verstanden. 

Zunächst ein gewagter Vergleich, aber "Lost" weist Parallelen zu "Twin Peaks" auf. Denn beide, obschon sie unterschiedlich dramatisieren – die eine aus dem Drehbuch heraus, die andere mit assoziativen Codes – und in ihren eigenen Quellcode-Universen wiederum eine eigene verschlüsselte Programmiersprache herauszufiltern gedachten (wahrscheinlich die eine mehr als die andere), verdichten sie ihre Geschichte nach einer ähnlichen Maxime. Das Irrationale – sowohl die Insel als auch die Hütten – fungiert vielmehr als handlungsvorantreibender MacGuffin, um zuallererst Menschen zu porträtieren. Ist es dann so überaus überraschend, dass das Irrationale wie in "Lost" irrational bleibt und die Menschen bis zuletzt in den Mittelpunkt gedrängt werden?

"Lost" hausierte seit jeher als Charakterserie, nicht als Kreuzworträtselserie mit den Auflösungen auf der nächsten Seite, Ecke rechts unten. Wenn wir das wollen, genehmigen wir uns andere Serien, aber falls wir uns "Lost" zuwenden, erfahren wir Existenzielles von zerrütteten Menschen, die anhand befremdlicher Ereignisse nie wieder diejenigen sein werden, die sie vorher waren. Nicht, dass sich einer beim Geschenke aufreißen über den Inhalt nachher ärgert. Exemplarisch dafür das letzte dichterische Bild dieser Serie. 

Da liegt er nun, Dr. Jack Shephard (Matthew Fox), blutend, erschöpft, halbtot, sein Auge schließt sich, das finale, das ikonische Augensymbol; er ist im Begriff zu sterben, während er im zweiten Erzählstrang auf dem Flughafen des Fegefeuers darauf wartet, abzufliegen und nicht abzustürzen. Hier spiegelt "Lost" seine Anfänge und stellt der allerersten Szene der allerersten Folge der allerersten Minuten eine nahezu identische gegenüber, klammert sie ebenso narrativ wie staffelübergreifend. Und eins wird ganz deutlich: Die Bestimmung dieser Serie liegt in ihrer warmherzigen Jack-Figur, die auf der einen Seite zum Glauben konvertiert und auf der anderen zu einer wunderbaren Erkenntnis gelangt: Unter dem Sinn des Lebens verstehe man auch die Poesie von der Kraft der Erinnerung dank der intimen Berührung eines geliebten Menschen, den zu vergessen man sich nicht leisten darf.


Darüber hinaus ist "Lost" eine Serie, angesichts ihrer regen virtuellen Zuschauerbeteiligung vermutlich die erste wirkliche Web-2.0-Serie, die spielerisch mit ihrem prallgefüllten Sammelsurium an intertextuellen Verweisketten umgeht, erzählerisch zwischen den Welten experimentiert, Glaube und Wissenschaft, Spiritualität und Rationalität, Rache und Vergebung argumentativ unterfüttert und very meta zum Schmunzeln animiert, sodass sich "Lost" stets im selben Glauben festhält wie seine Protagonisten, sich immer wieder weiter entwickeln zu müssen. 

Man erinnere sich an Desmonds (Henry Ian Cusick) Einführung per Plansequenz zu Beginn der zweiten Staffel, an Dr. Juliet Burks' (Elizabeth Mitchell) per Cliffhanger zu Beginn der dritten sowie der Einführung jener Vorausblenden, die dem dritten Staffelfinale dem unvorbereiteten Zuschauer den Boden unter Füßen wegzureißen drohen. Oder an die Momente, in denen selbstreferentielle Gags kaum pointierter erzwungen worden waren, so, als Hugo "Hurley" Reyes (Jorge Garcia) im Jahr 1977 ein modifiziertes Script George Lucas' in der Planung steckendem Sequel zum Sternenkrieg schreibt. Oder an die immens makabren, an die verteufelt spitzzüngigen, wenn Nikki und Paulo (Kiele Sanchez, Rodrigo Santoro) lebendig begraben werden, um sie, die bekanntlich sowieso die Rolle der Gaststars übernommen haben, möglichst sarkastisch abkratzen zu lassen.

Jede Staffel bietet für sich unerschöpflich gescheite Abwechslung, weil unsere authentischen Figuren über 120 Episoden lang durch Zeitreiseparodoxien, Robinson-Crusoe-Szenarien, Raum-Zeit-Gefüge, Rauchmonster, ägyptisch-buddhistische Metaphorik, persönliche Niederschläge und unpersönliche Sonnenstrahlen watschen müssen; hin zum Glück, hin zum Leid, hin zum Paukenschlag, hin zum "Lost"-Schriftzug, dem berühmt-berüchtigt surrenden. 

"Wir sind nicht tot, aber Teil einer Gemeinschaft, die sich aufeinander verlässt, und wir hatten eine unglaubliche, erinnerungswürdige Erfahrung mit lauter Fremden." 

8 | 10