Dienstag, 30. Juli 2013

Spielberg-Retro #17: "Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn" / "The Adventures of Tintin" [USA, NZ 2011]


Von "Hook" zu "Indiana Jones" zum unsichtbaren Dritten, von reflektierenden Wassertropfen, Blasen, Spiegeln und Stichwerkzeugen, die eine Geschichte in ihren absurden Windungen und kleinen Details selbstständig erzählen, zur Haarlocke, die aus dem Wasser lugt und sich, ähnlich der (bildmotivisch ikonischen) Flosse des Weißen Hais, zielgenau vorwärts bewegt. 3D und das anmutige Ballet einer entfesselten Animationschoreographie befähigen es Spielberg in einem weiteren Filmexperiment, die Comic-Serie Hergés vom großen Reporter und kleinen Hund ohne Grenzen und Schranken insgeheim als etwas zu verstehen, was den Eskapismus der Spielberg-Schatztruhe hier noch einmal aufleben, ja unter Einsatz unbegrenzter dichterischer Ausdrucksmöglichkeiten übersteigern will. 

"Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn" kennt demzufolge schlichtweg keine Stagnation, keine Ruhe, keinen Punkt, an den man sich festhalten kann, sondern nur Hetze und Dringlichkeit, nur die wahnwitzige und irrwitzige Laune des laufenden Geschehens, nur das Ziel, an beste Zeiten des hitzigen Überrumpelungskinos anknüpfen zu wollen, wenn die Verschnaufpausen einer Behauptung unterliegen, die nächste quirlige Verfolgungssequenz in diesen wenigen Wimpernschlägen heimlich vorzubereiten. Höhepunkt an Höhepunkt, nicht weniger als die Praxis der Theorie, es geschieht und geschieht und geschieht. 

Eine tosende Bildmaschine über Land, Wasser und Luft ist das, die Zusammenführung unzähliger Ideen, wie sie Spielberg in den vergangenen Jahrzenten buchstäblich hinter sich gelassen hat und ein Remake seiner eigenen Schaffensmotive. Wenn der Handrücken den Szenenwechsel zur Sahara einleitet, Sicherheitsglas durch die grelle Stimme einer korpulenten Starsängerin zerberstet oder die Jagd nach drei Pergamenten neben einem gefluteten Staudamm zur sagenhaft schwerelos fotografierten Rutschpartie verkommt, dann hat Spielberg einen flippigen, charmanten Spaß, treibende Bilder zu arrangieren, die im Animationsbereich keiner Strenge eines kohärenten Schnitts unterliegen. Janusz Kaminski und Michael Kahn erfinden im Austausch dafür die wundersamsten Übergänge zwischen dem erzählerischen Moment und seiner ständig auf Abruf bereiten, zappeligen Bewegung, Montage wie Collage treppenförmig zu vereinen. Und mit Selbstironie zu proben – in den einleitenden Credits stampfen etwa die Klaviertasten den Schriftzug "John Williams" in Form. 


Da "Das Geheimnis der Einhorn" keinen gedrosselten Gang kennt und folglich ein turbulentes Abenteuereinerlei zelebriert, das Opfer seiner Redundanz wird, walzt der Film aber auch die (Spielberg-)Emotion platt, und die Figuren sind Randnotizen im Straßengraben, die sukzessive verschwimmen; denn je höher die Geschwindigkeit des Plots, desto silhouettenhafter die Umrisse ihres Selbst. Mit Ausnahme des versoffenen, charismatischen, prolligen Kapitäns Haddock (Andy Serkis), der immerhin kämpferisch an die gute Sache der Hoffnung appellieren darf, bleiben die Charaktere mechanisch, formelhaft gestrickt und verharren im Offensichtlichen. Dreikäsehoch Tim (Jamie Bell) ist lediglich für die nachdenklich zu sich selbst sprechende Besserwisserei zuständig und sein Hund Struppi für die intuitiven Geistesblitze in einer Lage, aus der es scheinbar kein Entrinnen gibt, während Daniel Craig den antagonistischen Part verkörpert: abschätzig, kultiviert, impertinent. 

Überraschungsarm eben, jenseits jeglicher Grautöne. Wie im Kinderfilm. Deshalb vermutlich konsequent. Spielberg begeht jedoch den Fehler, dass sein Kinderfilm fast keinerlei Sympathien und empathische Rollenverteilungen für das Kinderherz anbietet, auch oder gerade weil er es nicht versteht oder nicht verstehen will, dass lockerer Humor getimt, erst einmal erzeugt werden muss. In den langweiligen, unpointierten Dialogen ist der Humor nämlich längst von der Technik ausgebremst worden, sodass sich dieses im Kern vergnüglich entwirrte Seemannsgarn häufig um mehr Ernsthaftigkeit kümmert, als um die lächelnden Mundverrenkungen eines Kindes. So ist das aber mit Experimenten, sie entstehen unter laborähnlichen Bedingungen, in der Zukunft des Kinos sowieso. 

5 | 10