Dienstag, 11. August 2009

"Boulevard der Dämmerung" / "Sunset Boulevard" [USA 1950]


Hollywood ist böse. Richtig böse. Eine Traumfabrik, oder? Eben nicht. Es gibt wahrlich nicht viele Filme, die einen kritischen Blick hinter die scheinbar glänzende Fassade eben jener gutbürgerlichen Gesellschaft werfen, in denen sich Stars die Klinke in die Hand geben und von Millionen geliebt werden. Hollywood ist abhängig von einer Vision immerwährender Glückseligkeit. Man glaubt, dass derjenige, der es hier zu etwas bringt, ein Leben lebt, von dem wir nur träumen können. Doch auch Hollywood hat seine Kehr- und Schattenseiten, die bedauerlicherweise systematisch verschwiegen und brav unter den Teppich gekehrt werden. Wenn schon in filmischer Art und Weise all der Glamour und Glanz konsequent weggefegt wird, so wie in Robert Altmans "The Player" oder in Joseph L. Mankiewicz' "Alles über Eva", dann ist der Aufruhr entsprechend groß.

Es gibt nicht viele Hollywood-Filme über Hollywood, da es vor allem immer die Großmächte im Hintergrund sind, die solch ein schamloses Fiasko, das einem emotionslosen Konglomerat gleicht, in dem die Grenzen zwischen dem Drama auf der Leinwand und dem Drama im Leben verschwimmen, und in denen Menschen für jedes Mittel zu jedem Preis über Leichen gehen, um voran zu kommen, verhindern wollen. Billy Wilder, seines Zeichens einer der vielseitigsten Regisseure aller Zeiten, lieferte mit "Boulevard der Dämmerung" den Höhepunkt solcher Filme ab, die einen zynischen Blick hinter bisher verschlossene Türen eines bisher verschlossenen Metiers wagen, und die beweisen, dass die verborgensten Facetten der "Traumstadt" ungemein faszinierender sind, als die von den Medien suggerierte und von den Zuschauern stets begrüßte Oberflächenpolitur.

Wie ein Schlag ins Gesicht wirkte seinerzeit "Boulevard der Dämmerung". Billy Wilder wurde nicht nur von Publikum, der Kritik und selbst von seinem Produktionsteam (darunter eine folgenschwere Auseinandersetzung zwischen Wilder und seinem langjährigen Freund, Drehbuchautor und Produzent Charles Brackett, die schließlich darauf hinauslief, dass beide nie wieder einen Film zusammen machten) verspottet, sein Film kam darüber hinaus einem mittelschweren Skandal gleich, weil Wilder sich etwas traute, was sich die meisten vor ihm nicht im Entferntesten vorstellen konnten: Er porträtiert mit Genauig- und Klugheit das Schicksal von Stars, die anfangs hochgejubelt, dann wieder von der Unterhaltungsmaschine ausgespuckt und schlussendlich fallengelassen und verdrängt werden.

Hollywood verhilft seinen Stars und Sternchen nicht zu Ruhm und Ehre, nein, es macht sie krank, seelisch kaputt und manchmal sogar wahnsinnig. Wilder kommt somit der Wahrheit des verlogenen Hollywood bedrohlich nahe und landete dennoch einen kommerziellen Welterfolg. Bereits die Eingangssequenz vom Straßenbelag hin zum legendären Tracking-Shot eines toten zweitklassigen Drehbuchautoren, wie er auf dem Swimming Pool mit weit offenen Augen treibt – eine Einstellung, bei der die Kamera aus technischen Gründen nicht auf dem Grund des Pools angebracht wurde, sondern mithilfe einer Reflektion der Sonnenstrahlen und der Positionierung der Kamera auf der Wasseroberfläche im richtigen Winkel zu einer der berühmtesten Einstellungen führte –, könnte für die damaligen 50er Jahre brachialer nicht sein.


Was nach diesem eindrucksvollen Start folgt, ist nichts weiter als die Geschichte des Ablebens der Hauptfigur, des unglücklichen Joe Gillis (eingesperrt hinter symbolischen Gittermotiven unter den wachsamen Augen der Türklinkenlöcher: William Holden), dem erschossenen Mann auf dem Wasser, der zuvor in einen Strudel aus Wahnsinn und krankhafter Liebe geriet, aus dem er nicht wieder herausgekommen ist. Die Geschichte seines Lebens. Ehe jedoch Wilder den Mechanismen der Traumfabrik und ihrer bigotten Gesellschaft pessimistisch und durchaus reich an unterschwelligem Spot den moralischen Spiegel vorhält, muss allerdings konstatiert werden, dass es sich bei "Boulevard der Dämmerung" schlicht und ergreifend um einen klassischen Film Noir handelt, der alle typischen Elemente mitbringt.

Sei es die teilweise gespenstische Stimmung, durch Nebel und Staub evoziert, sei es der urbane und leicht surreale Look einer Umgebung, in der es nur zu regnen scheint, sei es der symbolische Einsatz von Licht und Schatten, sei es die Low-Key-Beleuchtung oder sei es die spezielle Narrationstechnik, bei der Wilder gezielt auf zahlreiche Rückblenden und einen Off-Erzähler zurückgreift: "Boulevard der Dämmerung" ist Noir pur – und zudem der letzte Film, für den der Zelluloidfilm verwendet wurde. Auch vermag Wilder in seinem Werk den obligatorisch schwarzen Humor zu pflegen, der beispielsweise in einer grotesken Beerdigung eines Schimpansen kulminiert.

Im Zentrum der Handlung steht Norma Desmond (manisch: Gloria Swanson), ein ehemaliger Stummfilmstar (hier: die Femme fatale), verbissen kämpft sie den aussichtslosen Kampf um den Ton, Normas Ankündigung des Todes. Eine von der Filmindustrie fallengelassene, tragische und gebrochene Figur, die sich verzweifelt an ihrer Illusion ewigen Ruhmes festhält, vom realen Leben vergessen, abgeschottet von der Welt in ihrer protzigen und zerfallenen Villa; ihr Butler ist die einzige Bezugsperson in ihrer Nähe. Eine längst vergessene Filmdiva, deren Aufgabe darin besteht, den Tonfilm zum Schweigen zu bringen. Eine ambivalente Diva, einerseits charismatisch, charmant und spendabel, andererseits irrsinnig, starrköpfig und extrem eifersüchtig. Ihr eigenes kleines bizarres Universum mit dem gebohnerten Fußboden, dem redundanten Wohnzimmer mit den Norma-Desmond-Bildern (die eigentlich alle von ihrer Darstellerin stammen) und dem privaten Heimkino fungiert dabei sinnbildlich als Metapher für Normas Verstand und Charakter.

Umso beeindruckender Gloria Swansons Schauspiel, das weit über die Grenzen des herkömmlichen Method Actings hinausgeht, bei der vor allem die Ironie überhandnimmt, ist das Schicksal – Stummfilmstar erhält in der Ton-Ära von Fans und Filmemachern gleichermaßen kein Engagement mehr – von Hauptdarstellerin Swanson und der fiktiven Norma Desmond fast deckungsgleich und beweist dadurch, dass sich in "Boulevard der Dämmerung" viele hochbrisante Parallelen zur Realität manifestieren. Swanson spielt eine äußerst vielschichtige und schwierige Rolle, sie spielt quasi eine Schauspielerin als Schauspielerin, für die die Grenze zwischen Vorstellung und Realität praktisch nicht mehr existiert und ihre Performance zugleich mit der Theatralik der ehemaligen Stummfilme verziert. Ihr Ringen um Anerkennung und Bedeutung ist jederzeit spürbar. Gloria Swanson setzte sich damit eines von jenen Denkmalen, das ihr das undankbare Hollywood so lange verwehrt hat.


Und überhaupt: Das gesamte illustre Darstellerensemble scheint sich selbst zu spielen. Da sehen wir Altmeister Cecil B. DeMille, das menschliche Antlitz eines Inszenators von Normas größter Triumphe, da sehen wir Normas Butler, Max von Mayerling (Erich von Stroheim), ehemaliger kontroverser Regisseur, der wie im Film keine Aufträge mehr bekam. Wie alle anderen wird auch er vergessen und ausgestoßen und hielt sich fortan mit niveaulosen Rollen von klischeehaften Nazis in primitiven B-Movies über Wasser. Eine Beleidigung für sein Können.

Wenn Max zu Joe "Damals gab es drei Regisseure, denen man eine große Zukunft zutraute: Cecil B. DeMille, D.W. Griffith – und mich" sagt, dann ist genau in diesem Augenblick die Trennlinie zwischen Fiktion und Realität überwunden, was sich dahingehend äußert, dass sich die ersten beiden durchaus ihren Platz im Olymp des Films gesichert haben und längst als Großmeister ihrer Ära gelten, während Max/Stroheim zusehen musste, wie andere ihr Geld kassierten. Seine Rolle spricht daher für sich, die stille Bitterkeit seiner Rolle spricht für sich. Gelegentlich tut "Boulevard der Dämmerung" derart weh, dass es einem die Sprache verschlägt, weil er so nah an der Wirklichkeit verankert ist, weil Wilder vielmehr ohne Skrupel und Gnade die Brutalität eines Geschäfts offen auf den Tisch legt, dass sich weder um Menschlichkeit kümmert, noch um die Probleme seiner "bezaubernden" Akteure. Ein Geschäft als verdorbenes Paradies und Oase der Desillusion.

Hinzu kommt ein herrlich sarkastischer Seitenhieb, als Wilder beiläufig eine beklemmende Szene von einem Bridge-Spiel einstreut, bei dem Norma gegen ihre ehemaligen Stummfilmkollegen (sie verkörpern sich selbst: Komödien-Legende Buster Keeton – welch' Ironie –, Anna Q. Nilsson und H.B. Warner) spielt, die von Gillis augenzwinkernd und mit erbarmungsloser Härte als "Wachsfiguren" bezeichnet werden. Oder die Szene, als Norma Gillis einen ihrer Filme aus längst vergangenen Tagen zeigt. Es handelt sich dabei um Erich von Stroheims "Queen Kelly" aus dem Jahr 1929 mit ebenjener Gloria Swanson in der Hauptrolle, der damals einem finanziellen Desaster gleichkam.

Als wäre das noch nicht alles, greift Wilder in einem weiteren Subplot nicht nur eine Liebesgeschichte auf, sondern kritisiert außerdem den Beruf und das geringe Ansehen des Drehbuchautors, was im Film durch Joe Gillis und der idealistischen Betty Schaefer (sinnlich: Nancy Olson) repräsentiert wird. Betty, sie will ihre erste große Geschichte mit Hilfe des alten Hasen Gillis schreiben. Ein ambitioniertes Werk soll es werden, damit gehört sie zu jenen, die noch besondere Filme auf Zelluloid bannen wollen. Doch Gillis weiß inzwischen, wie es wirklich läuft. Verkaufen kann man nur die Groschenstorys nach dem immerwährenden Schema F. Menschen wie Betty werden nur ausgenutzt in diesem jenseits von gut und böse liegenden, narzisstischen Höllenloch.


Formal stellt sich "Boulevard der Dämmerung" als mindestens genauso meisterlich heraus. Denn erst der leichte Gothic-Look Norma Desmonds Villa (designt von Hans Dreier) einschließlich morbider Stimmung, beladen mit Wilders Affinität für eine unspektakuläre, aber nicht minder elegante Kameraführung samt dem facettenreichen und kongenialen Score Franz Waxmans sorgt wunderbar für ein permanentes leichtes Schaudern beim Zuschauer. Auch die für den Film entworfenen, unzeitgemäßen Desmond-Kostüme von Edith Head, die sich dabei an der Mode der frühen 40er Jahre orientierte, lassen "Boulevard der Dämmerung" zum minutiös durchkomponierten Gesamtwerk avancieren, das erst aufgrund seiner berühmt-berüchtigten Schlussszene den letzten Schliff erthält.

Norma, die zuvor ihre letzte Hoffnung Gillis getötet hat (was sich Wilder insofern verschenkt, dass er  früh die Pistole zeigt und den Tod somit recht vorhersehbar und überhastet skizziert), steigt ein letztes Mal die Treppe ihres Hauses hinunter, in der Hoffnung, sich auf einem Filmset zu befinden, in der Hoffnung, die Journalisten wären Kameraleute. Alles blickt auf sie. Dann das Zitat für die Ewigkeit: "All right, Mr. DeMille, I'm ready for my close-up." Norma Desmond, sie wird immer ein Symbol der Schattenseiten Hollywoods bleiben – und ihre Zeile ist ein weiterer Beweis dafür, mit welch' kühler Konsequenz Billy Wilder Hollywood demontiert.

Billy Wilders "Boulevard der Dämmerung" ist ein absolut zeitloses Filmjuwel, mehr noch, eine unvergleichlich bissige, selbstreflexive und tragisch-komische Parabel auf die Traumfabrik Hollywood, die schnell zur unmenschlichen Scheinwelt degradiert wird, aber auch über auf falsche Liebe, gescheiterte Sehnsüchte, Ruhm, Vergessenheit und zügellosen Opportunismus, voll an spritzigen Dialogen und grimmiger Verlierer inmitten eines herausragenden Drehbuchs. Eine ironische Satire, ein ergreifender Noir, so kraftvoll wie wagemutig.

7 | 10