Mittwoch, 22. Juli 2009

Literatur: Die Pfeiler der Macht (Ken Follett), 1993



Story:

Die Bankiersfamilie Pilaster gehört Anfang des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Familien der Londoner Finanzwelt. Eisern hält Familienoberhaupt Augusta im Hintergrund die Fäden fest in der Hand. Sowohl die Geldgeschäfte als auch das gesellschaftliche Leben ihrer Familie bewacht sie mit Argusaugen. Grausam beendet sie auch die junge Liebe ihres Neffen Hugh, der seine Geliebte Maisie einem ungewissen Schicksal überlassen muss. Nichts ahnend, dass sie von ihm schwanger ist, gehen beide getrennte Wege. Die ewige Rivalität zwischen Edward dem Erben und späteren Seniorpartner und seinem Cousin Hugh weiß die intrigante Augusta über Jahrzehnte für sich auszunutzen. Ohne zu ahnen, dass sie mit ihrer Gier nach Macht und Anerkennung geradewegs auf eine Katastrophe zusteuert und die Fassade des Bankhauses schon bald zu bröckeln beginnt...

Kritik:

War es in seinem vielschichtigen Meisterwerk "Die Säulen der Erde" das Mittelalter, welches von Ken Follett tangiert wurde, ist es nun im gänzlich kürzeren Nachfolger "Die Pfeiler der Macht" das viktorianische London des ausklingenden 19. Jahrhunderts, auf dem der Fokus liegt. Einmal mehr schafft es Follett dabei, eine antike und längst vergessene Epoche wiederauferstehen zu lassen. Einmal mehr schildert er die Lebensweise einer Bevölkerung, die zwischen Elend und Glanz so allerhand Intrigen und Schicksalsschläge über sich ergehen lassen muss. Dabei erzählt "Die Pfeiler der Macht" im Kern eine klassische Rise-and-Fall-Story, eine Geschichte über Aufstieg und Fall also. Es ist die Geschichte des Bankhauses Pilaster, aber auch die kriminalistisch angehauchte Geschichte eines unglückseligen, sich schnell zum Mord ausweitenden Badeunfalls, mit dem der Roman beginnt, und dessen Schatten sich über die folgenden 640 Seiten werfen wird. Follett blickt hinter die Kulissen einer zutiefst konservativen englischen Ordnung. Das gelingt ihm nicht nur durch eine stringente, spannende Handlung, sondern vor allem durch des Autors akribische Recherche, wodurch "Die Pfeiler der Macht" zum Buch avanciert, bei dem sich Realismus und Hintergrundwissen, historische Details und Fiktion de facto nicht ausschließen oder gar im Weg stehen.

"Die Pfeiler der Macht" evoziert im Prinzip all das, was einen echten Ken Follett-Roman ausmacht. Da gibt es Liebe und Machenschaften, verzweifelte Taten, viel Geld (logisch, wir befinden uns ja in der Finanzwelt), Aufopferung, egoistisches Gerängel, Irrungen und Wirrungen sowie Bankgeschäfte und das krankhafte Verlangen nach Macht. Neben der Bank der Familie Pilaster, welches als Zentrum innerhalb der sich über 30 Jahre erstreckenden Story fungiert, gibt es außerdem noch den Handlungsstrang um den verbecherischen, um den skrupellosen Sohn eines Viehzüchters aus Cordoba, der durch eine immer höhere Stellung in England die Möglichkeit in Erwägung zieht, seinem Vater in seinem Land mehr Ansehen und Geld zu verschaffen. Hinzu kommt die Geschichte vom "schwarzen Schaf der Familie", Hugh Pilaster, seines Zeichens zwar der sympathischste und charismatischste Akteur, jedoch immer wieder vom grausamen Schicksal des Pechs verfolgt, ebenso wie eine große Liebesgeschichte, die zunächst verloren scheint, letzten Endes aber dann doch zu ihrem verdienten Ende gelangt. Und es gibt Augusta Pilaster. Augusta, Folletts erster weiblicher Antagonist. Eine kalte, herrlich bösartige, eine hinterhältige, eine fiese, aber ungemein faszinierende Intrigantin, die bei ihren Mitmenschen ein ungeahntes Potenzial an krimineller Energie entfachen kann, und die ihre Kollegen, Mitglieder und Freunde wie ein Planet umkreist, sodass sie von Augustas unbeschreiblicher Kraft angezogen werden und sich ihrem Bann nicht entziehen können. Augusta, eine kaltblütige Frau, verheiratet mit dem geachteten Bankier Joseph Pilaster, die ihre feinen, aber wirkungsvollen Intrigen nie zum Vorteil der Betroffenen denn zu ihrem eigenen spinnt.

Wie Augusta Gift in ihre Familie träufelt, wie es langsam, aber tödlich wirkt, wie ihre Familie dadurch nach und nach in den Ruin getrieben wird, das beschreibt Ken Follett vorzüglich und ohne jeden Anflug von Humor. Überhaupt ist das grau getönte Sittengemälde und die damit verbundenen Tätigkeiten im Alltag dieser Zeit brillant eingefangen. Follett skizziert ein England mit seiner sozialen Ungerechtigkeit, der vorgeschobenen Prüderie, mit seiner Prostiution und der aufkeimenden Frauenbewegung, die beweist, dass selbst unerfahrene Frauen eine ihr unbekannt erscheinende Gesellschaft beherrschen können. Der Autor serviert dem Leser neben einem konstant anhaltenden Spannungsbogen (der etwa bei einer Bridge-Spielszene kulminiert, der vielleicht besten Stelle im Buch), grandiosen Wortgefechten eben auch plastische Figuren, welche durch Folletts einfachen, aber präzisen Schreibstil lebendig werden. Interessant ist, dass "Die Pfeiler der Macht" zwar weitestgehend eine von Männern dominierte Welt porträtiert, die sich jedoch fast alle gleichermaßen durch Frauen beeinflussen lassen. Gier und sexuelle Obsession auf der einen Seite (Edward, Augusta, Micky etc.), Tugend und Pflichtbewusstsein (Hugh, Maisie etc.) auf der anderen als strenge Gegensätze bestimmen gewissermaßen das Handeln der Protagonisten.

Leider tappt der Autor dabei hin und wieder in die Klischee-Falle. Das beginnt bereits damit, dass er sich viel Zeit für das verkorkste Sexualleben einiger Personen nimmt und es entsprechend als störend konstatiert werden kann, wenn sich einer irgendwo in irgendeinem Bordell-Schuppen einen runterholen lässt, wenn dort entjungfert wird, wenn pausenlos miteinander geschlafen wird. Das ist weder handlungsfördernd noch sonderlich professionell geschildert, das entbehrt stattdessen einer gewissen unfreiwilligen, einer geradezu lächerlichen Komik und zwingt sozusagen Folletts restliches narratives Konstrukt in die Knie, in dem es sich wie ein Fremdkörper anfühlt. Wie schon im letzten Akt von "Die Säulen der Erde" ist auch "Die Pfeiler der Macht" bei aller Detailverliebtheit ganz schön konstruiert und bisweilen unstimmig in der unausgegorenen Narration (beispielsweise die Auflösung des Badeunfalls, bei dem Follett seine Kreativität doch sehr hinter sich herzieht). Einige Dinge werden zu schnell abgehakt oder gar nicht thematisiert – wie Hughs Amerika-Reise, wodurch es sich Follett verschenkt hat, einen neuen abwechslungsreichen Schauplatz in die Handlung zu integrieren -, einige Sachen kommen zu schwarz/weiß, zu undifferenziert, zu trivial daher (Hughs Rettung der Bank im Besonderen; jedes Hindernis wird im letzten Augenblick überwunden/Augustas Intrigen, die alle auf Anhieb funktionieren) und einige Passagen im Buch neigen stark zur Vorhersehbarkeit, so wie das mit dem Holzhammer präsentierte Finale (Augustas urplötzliche Wandlung innerhalb weniger Sekunden – zu holprig, zu schnell; gerade bei einem Menschen, der ihr als Einziger etwas bedeutet hat) samt Happy End samt zu abruptem Schluss, in dem die Guten die wahren Helden sind und alle Bösen natürlich das bekommen, was sie verdient haben. Eine kitschige Traumwelt ist das, die Ken Follett gen Ende fabriziert – der Vergleich mit einer eindimensionalen und platten Seifenoper liegt somit nicht fern.

Fazit:

"Die Pfeiler der Macht" ist in seiner Summe ein ordentliches, ein unterhaltsames Buch, welches allerdings an keiner Stelle die Komplexität, Epik und das meisterhafte Spiel mit den Handlungssträngen eines "Die Säulen der Erde" erreicht. Dafür beherbergt Ken Folletts Ausflug in das doch sehr heikle Reich der "feinen englischen Gesellschaft" zu viele Defizite in seiner Erzählweise, zu viele Schwachstellen im storytelling, profitiert dann aber im Gegenzug von den Menschen, die sich hinter dieser scheinbar glänzenden Fassade bewegen. Auch wenn das Meiste in dieser Familiensaga über böseste Gemeinheiten oberflächlich abgefrühstückt wird, so darf man trotzdem eine Empfehlung aussprechen.

6/10