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Freitag, 23. September 2016

Jarmusch-Retro #7: "Year of the Horse" [USA 1997]


Backstage-Making-of-Konzertmitschnitte wie "Year of the Horse" geben selten vielsagende Einblicke. Größtenteils entpolitisieren sie komplexe Zusammenhänge. Auch Jim Jarmusch, der liebevoll als pseudohipper Regieguru aus NYC wahrgenommen wird, bittet zur Teestunde hinter der Bühne. Eingeladen: Neil Young mitsamt seiner Band Crazy Horse. In den anschließenden knapp zwei sympathischen Stündchen befragt Jarmusch diese unprätentiösen, losgelösten Scherzkekse; über die Epik der Rock'n'Roll-Schmuseschnulze, freigeistige Überzeugungen und vergängliche Impressionen teilen sie eine gemeinsame Erfahrung, als Musik noch Transzendenz entstehen ließ – und alle Seelenpein reinigte. Daneben begleitete Jarmusch das Ensemble bei dessen 1996er-Tournee, filmte streitlustigen Meinungsaustausch sowie präpubertäre Faxen, schickte vor allem aber die Kamera in das Gedränge der Publikumsmasse einer halbreligiös scheppernden, gleichgeschalteten Tagung. In diesen Massenaufläufen, wie sie kollektiv auf Reize des Hochgenusses reagieren, entwirrt Jarmusch die energetische Explosivität einer Musik, die parallelisiert wird mit Bildern aufgebrochener Wolkenformationen, einer Verfolgung also des Unbestimm- und Fühlbaren, das etwa während Neil Youngs aufschäumenden Gitarrensolos vollends kulminiert. Ebenfalls (Zeit-)Reise und Bestimmungsverortung, wappnet sich "Year of the Horse" mit den Ingredienzen des Jarmusch-Kinos und expediert sie.

5 | 10


Originaltext

Mittwoch, 14. September 2016

Jarmusch-Retro #6: "Dead Man" [USA, J, D 1995]


William Blake (Johnny Depp) verkörpert den zivilisierten Buchhalter, der ersten Keimen von Industrialisierung beim Wachsen in einer wabernden Wildnis zusieht. Belagert von primitivsten Destruktionsprozessen der weißen Siedler, schreibt Jarmusch die historisch erkämpfte Freiheit um, den Mythos des amerikanischen Gründerlandes zu demaskieren, anstatt ihn "nur" zu entwurzeln. Dieser Mythos zieht, mehr als bildlich gesprochen, an den Zugfenstern vorbei, vorstoßend zu einer Dystopie, die kannibalistische Kopfgeldjäger und das Versprechen einer metaphysischen Weiterschreibung der Geschichte hervorbringt. "Dead Man" ist tendenziell als experimenteller (Anti-)Western zu verstehen, in dem eisige Lakonie schlussendlich die ihr innewohnende Wertlosigkeit überlagert – misstrauisch gegenüber der neuen Welt (der Technologisierung und Ökonomisierung), schippert Blake, seines Zeichens ein Vertreter jenes im Aufbruch befindlichen Kapitalmarktes, gen Natur zurück, der alten Welt, nachdem er von rohester Gewalt entmachtet wurde, die sich zyklisch trotzdem Bahn bricht. Dem Film gelingt es indes, nicht mehr nur "Reise" zu sein, sondern "Erlebnis" entlang des Fegefeuers: somnambul, schelmisch, bisweilen parodistisch (wie in einer zirkusartistischen Sexszene ersichtlich). Neil Youngs metallisch-zerfetzende Gitarrenrisse gemahnen daran, dass der Mensch "seine" (animalische) Natur nicht wegrechnen kann, wenn andere Zeiten anbrechen. Ungeachtet jener zirkulierenden biografischen Geschichten, die den Mensch empathisch im Sinngefüge verankert, ist dem natürlichen Lauf der Auslöschung bei gleichzeitiger Neuordnung keine Macht entgegenhaltbar.

6.5 | 10