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Freitag, 16. Januar 2015

"Zeugin der Anklage" / "Witness for the Prosecution" [USA 1957]


Nicht nur die verborgenen Zigarren, der versteckte Schnaps, die verheimlichten Herzprobleme, der klapprige Anwalt, für den der letzte anstrengende Mordprozess über Leben und Tod richtet. Marlene Dietrich als geschlechtlich-herbe Akkordeonspielerin, Elsa Lanchester als wunderlich-schnippisches Nervenbündel – auch sie bringen den Männern den Wahnsinn, aber verlieben kann man sich in sie schnell, genauso wie sich Billy Wilder in diese Damen verguckt hat, wohlwissend, dass er sie nie verstehen wird. Als alleiniges erregendes Spannungselement involviert, geleiten Dietrich und Lanchester "Zeugin der Anklage" zum Meilenstein einer unvergänglichen Hollywood-Könnerschaft, in der erhabene Figuren so dringlich und so bestechend wandelbar ihre List ausspielen, dass ihr Publikum ohne Zweifel an der gespielten Wahrheit entlang auf das vertraut, was auch immer es zu hören glaubt. Obwohl alles unter der Hitze des Verhörs und der Schärfe der Indizien Lüge sein muss, abenteuerlichste Verhüllungen und raffinierteste Mätzchen, um der Absolutheit eines Todesurteils mit maximalen Drehungen zu entfliehen, festigt das Drehbuch eine Suggestivobjektivität, die jedem Heuchler, Schwindler und Betrüger trügerische Tatsachen einredet, die gar nicht existieren dürften. Jede Seite in Wilders körperdichtem Gerichtsdenkspiel ist essentiell für die (Oberflächen-)Wahrheit, und vor allem in den letzten erschöpfenden, kochenden Minuten wird erkennbar, dass Oberflächenwahrheiten auch Verwandlungen durchlaufen müssen, wenn sich die Gerechtigkeitswaage allmählich ausbalanciert.

8 | 10

Montag, 25. November 2013

"Die rote Lola" / "Stage Fright" [USA 1950]


Wie "Mord – Sir John greift ein", dessen Bestandteile ironischerweise einige Parallelen beherbergen, gesellt sich "Die rote Lola" gleichfalls zum Reserveplatz aller Hitchcock-Filme, maximal interessant für eifrige Werkschauspezialisten und von sich überzeugte Anhänger des fülligen Briten. Auszusetzen hat man an Hitchcocks Bühnenschinken viel: Die ostentativen Kunstgriffe (darunter eine "falsche Rückblende"), der vergammelte, in die Jahre gekommene Handlungsverlauf eines "Undercover-Krimis", omnipräsent mit der (behaupteten) Gefahr belastet, enttarnt zu werden, die bräsigen Dialoge und darin eingeschlossene, massenhafte Lethargieszenen, von denen man hofft, Hitchcock würde sie endlich aufbrechen, mit einem pointierten Spruch, mit dem Facettenreichtum seines Handwerks etwa. Falsch gedacht, denn "Die rote Lola" schüttelt alle Vorzüge frühzeitig aus dem Ärmel, fungiert als schleppender (Halb-)Whodunit, der seine metafiktionale Prämisse – alle beteiligten Personen, Bewerber fürs Theater, spielen im echten Leben ihre erste Hauptrolle in einem auf Gedeih und Verderb zurechtgebogenen Dramastück – zusehends aufgibt zugunsten falsch zündender Spannung, die nie bedrohlich, ja tödlich ihre Dichte eines Doppelspiels nahebringt. Ein Film, der in gleichförmiger Routine abgrast und abfrühstückt. Nie zu stromlos (die herausquellenden Augen des überführten Täters: ein Ewigkeitsbild), nie außergewöhnlich katastrophal (anhand der genial visualisierten Puppenszene blitzt Hitchcocks Genie ein einziges Mal auf), sondern wie Marlene Dietrich: erstickend in exklusiver Künstlichkeit, aber darunter ohne gezieltes Einfühlungsvermögen.

4 | 10

Montag, 24. November 2008

"Im Zeichen des Bösen" / "Touch of Evil" [USA 1958; Director's Cut]


Wir befinden uns in Los Robles, einem kleinen Städtchen an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Ein Schmelztiegel ist das. Hier wird mit Bordellen, Prostitution und Drogen das ganz große Geld gemacht. Schmutziges Geld. Gangs sind an der Tagesordnung, Gewalt allgegenwärtig. Man kann dieses dreckige Lob Robles durchaus als die Nachtseite der Zivilisation bezeichnen. In dieser Stadt bekommen wir zunächst einmal eine Bombe zu sehen, die von einem nicht zu erkennenden Mann in ein Auto gehievt wird. Danach taucht die Kamera ab in das Straßen- und Nachtleben, schwebt über Häuserdächer, vorbei an einem Liebespaar, folgt dem Auto stillschweigend und schnörkellos. 

Erst als die Kamera festen Boden gefunden hat, als die ortsansässigen Grenzpolizisten lachend salutieren und das Auto in die Staaten hinüberlassen, als der mexikanische Rauschgiftermittler Miguel Vargas (Charlton Heston) mit seiner Frau Susan (Janet Leigh) unbefangen einen Schokoshake trinken will, fliegt genau in diesem Augenblick der angesprochene Wagen in die Luft. Etwa vier Minuten dauert diese filmisch genuine, da schnittlose Szene, die sowohl als Eingangssequenz in Orson Welles' "Im Zeichen des Bösen" fungiert, als auch als ekstatisches Todesballet aus der Fotografie, der Musik und den Darstellern interpretiert werden kann. Ein Strom der Bewegung, ein Paradebeispiel in Form einer "einfachen" Begebenheit von unglaublich anmutiger Imposanz. 

Dabei hatte es der Exzentriker Welles mit seinem "Im Zeichen des Bösen", der sich unter Amerikas "Schwarzer Serie", dem Film Noir, einordnet, nicht leicht. Vor allem gestaltete sich die Produktion als äußerst schwierig, sodass die Produzenten von Universal gegen seinen Willen letztlich mit einer komplett umgestalteten Fassung reagierten, die jedoch erheblich gekürzt und abgeändert zum Leinwandstart herauskam und Welles' in erster Linie unversöhnliche Aggressivität in den Bildern mildern, aber auch durch erklärende Szenen aufgelockert werden sollte.

Der Regisseur schrieb daraufhin ein leidenschaftliches 58-seitiges Memorandum, in dem er sich über die übrig gebliebene, "zerstückelte" Fassung seines Werkes aufregte und um Änderungen in den meisten Szenen bat. So gibt es seit 1998 auf der Basis dieses Memorandums einen Director's Cut, der Welles' ursprünglich vorgesehene Fassung zum Vorschein bringt, die zugleich aber auch düsterer und härter daherkommt als die Kinofassung von 1958, und auf der sich gleichzeitig diese Rezension stützt. Trotzdem war Orson Welles von der Bevormundung kommerzieller Interessen derart frustriert, dass er danach nie wieder einen Film in Hollywood drehte, sondern nur noch in Europa produzierte.


Im Kern erzählt die auf dem wilden, pulpigen Kriminalroman "Unfehlbarkeit kann tödlich sein" ("Badge of Evil") von Whit Masterson basierende Geschichte, die Welles nichtsdestotrotz komplett umgeschrieben hatte, von Korruption, Gewalt, Hass, Intrigen und sogar Mord. Sicher: Keineswegs ist Welles' Drehbuch in diesem Zusammenhang komplex oder gar mehrschichtig, schon gar nicht stringent oder linear. Kompliziert und wirr trifft es schon eher. Nach der atemberaubenden Anfangssequenz findet sich der Zuschauer nämlich in einem dichten Gestrüpp, in einem verwinkelten Labyrinth aus scheinbar zusammenhanglosen Ereignissen wieder, sodass es einem nicht immer leicht fällt, der teils etwas auf der Stelle tretenden, dennoch dramaturgisch überzeugenden und intelligenten Geschichte einwandfrei zu folgen.

Das soll heißen, dass die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, zwischen obsessiver Verbrechersuche und giftigem Rausch, zwischen Tag und Nacht, zwischen Moral und Verbrechen; nichts ist so, wie es scheint. Alles, selbst Recht und Ordnung, ist aus den Fugen geraten. Welles streut mit Absicht einige Teile eines großen Puzzles aus, nur um ganz am Ende selbiges vernünftig zusammenzusetzen und gleichzeitig ad absurdum zu führen. Ein Puzzle, bei dem der Regisseur weder auf gezielt entfesselte, dann aber ausufernde und rohe Gewalt (nicht umsonst hatte der Film vor seiner Herunterstufung eine Altersfreigabe ab 18 Jahren vorzuweisen) noch auf "unlogische" Handlungen seiner Protagonisten verzichtet.

Vielmehr legt "Im Zeichen des Bösen" gewichtigen Wert auf seine Atmosphäre, auf seine Stimmung denn auf eine ausgefeilte Narration. Frivol, düster und dreckig entfaltet sich Los Robles, diese abgrundtief finstere Halbwelt. In seinem Tenor ist dieses grenzwertige Städtchen stets bedrückend und pessimistisch, deren Einwohner zwielichtige, gefährliche Gestalten sind. Los Robles wird durch Russel Mettys stilvoller Bebilderung zum Leben erweckt, indem sich ein kleiner, aber effektiver Rausch der Gewalt hierbei entfaltet.

Und trotzdem sorgt Mettys dynamische Kameraarbeit oftmals dafür, dass die wie im Delirium gefilmte Atmosphäre einen surrealen, ferner durch unkonventionelle Schrägperspektiven einen irrationalen, ja gar opernhaften Charakter bekommt und somit den Untergang der Charaktere obendrein theatralischer erscheinen lässt, ähnlich einem Weltuntergang. Komplettiert durch Henry Mancinis stimmigen, dem Geschehen angepassten Score, der seinerzeit die erste große Partitur im Filmbereich mit lateinamerikanischem Jazz darstellte, zelebriert Welles handwerklich alle typischen Stilelemente des Noir und fügt sie mit souveräner Eleganz und Leichtigkeit zu einer meisterlich komponierten Kinematografie zusammen.


Hauptsächlich funktioniert "Im Zeichen des Bösen" jedoch vordergründig aufgrund seiner Figurenkonstellation. Welles' dunkle, erdrückende, aber ambivalente Figuren, die einmal mehr riesigen Skulpturen Michelangelos gleichen, und die sich im gesamten Film in viel zu engen Räumen befinden, werden vorzugsweise von befreundeten Stars (Zsa Zsa Gabor, Joseph Cotton) des Regisseurs interpretiert, einige andere geben sich wiederum vergleichsweise effektiven Cameo-Auftritten hin – in bleibender Erinnerung wird beispielsweise Marlene Dietrich als leider viel zu kurz kommende Nachtclubbesitzerin Tanya sein. Nicht selten kommt ein Gefühl der Klaustrophobie hinzu, wenn diese Individuen miteinander interagieren, sich gegenseitig auszuspielen versuchen in diesen unsympathischen Örtlichkeiten. Ob sie sich nun diesseits oder jenseits der (auch moralischen) Grenze befinden, wird an keiner Stelle richtig deutlich.

Charakteristisch für den Film Noir, demnach auch in diesem Krimi-Thriller, ist die Aufspaltung und Verkehrung der Rollenverhältnisse. Da hätten wir zunächst den stark schwitzenden, nuschelnden und fettleibigen Inspektor Quinlan (Orson Welles), dessen Methode es ist, sich auf das Zucken seines Beines zu verlassen. Quinlan, der zwar ein Vertreter des Gesetzes ist, ein Star unter den hiesigen Polizisten zu sein scheint, sich letztlich aber als korrupter, brutaler Betrüger entpuppt, der es vorzieht, Beweise zu fälschen, Verdächtige zu einem Geständnis zu zwingen, ja selbst vor Mord nicht zurückschreckt. Und trotzdem ist dieser Quinlan der interessanteste aller Charaktere.

Denn nicht nur angesichts seiner körperlichen Eigenschaften erlangt er diesen Status. Nein, er ist es, der die zynischen Kommentare auf seiner Seite hat; er, dieser desillusionierte Mann, avanciert obschon seiner abgehalfterten Eigenart zur Identifikationsfigur für den Zuschauer und wird durch seine Fehler, durch seine fehlgeleiteten Moralvorstellungen erst menschlich und greifbar. Unerwähnt sollte darüber hinaus nicht bleiben, dass Welles, obgleich ein brillanter Schauspieler – nicht nur Filmemacher –, alle anderen Beteiligten mit seinem kinetischen Schauspiel eindrucksvoll an die Wand spielt und zugleich das große Duell gegen den "aufrichtig" konnotierten Protagonisten Miguel Vargas aka Charlton Heston spielerisch gewinnt.


Auf diesen Kampf läuft es hinaus. Miguel Vargas gegen Quinlan. Heston gegen Welles. Es scheint, als ob Vargas der strenge Gegenpol zu Quinlan ist, der scheinbar moralisch vorgehende, hagere Idealist. Doch beim genaueren Hinsehen offenbaren sich Vargas' wahre Charakterzüge. Seiner Karriere wegen bringt er selbst seine Frau (Janet Leigh) in Gefahr, die sich in einer Art "Psycho" bei Tag in einem Motel mit einer Heroinbande und einem wirren Portier bei Nacht herumschlagen muss – Hitchcock hat sich davon inspirieren lassen. Ohne Rücksicht auf Verluste geht er konsequent seinem Ziel nach, ohne irgendeine Sensibilität an den Tag zu legen.

Heston passt ausgezeichnet in die Rolle, eine Rolle, die, wenngleich angesichts des Schnurrbartes und den Haaren, von einem altertümlichen Klischee-Mexikaner weit entfernt ist. Nichtsdestotrotz birgt Vargas aufgrund seiner Kälte und Härte nur weniges bis gar kein Identifikationspotenzial in sich. Das verfestigt und manifestiert sich auch im denkwürdigen Showdown, der nicht nur als künstlerisch anregende Montage gesehen werden darf. Welles hingegen wirft mit nur einem einzigen lapidaren Satz die Konventionen über Bord und führt sie ad absurdum; er demontiert sie in gewisser Weise und lässt den sterbenden Quinlan über den integren Vargas triumphieren. Siegt denn bei einem ordentlichen Film Noir immer der standhaftere, intelligentere Held? Ganz und gar nicht: "Im Zeichen des Bösen" liefert mit seiner bösen Schlusspointe den Gegenbeweis.

Orson Welles' letzter in Amerika realisierter Film verknüpft dementsprechend gekonnt seine majestätische Liebe zum Kino mit rauen, kühlen Kulissen und einer ruppigen Besetzung, die sich in einer gegen den Strich gebürsteten Geschichte, die einem düsteren Trip ähnelt, zurecht finden muss, jenseits jeglicher abgesteckter Ideale. Dabei ist hauptsächlich Welles' gewohnt eigenwillige Art und Weise hervorzuheben, wie er mit Hilfe einer bedrückenden Atmosphäre und ambivalenten Figuren eine rabenschwarze Tragödie ungeahnten Ausmaßes entfacht, in der sich unter der Oberfläche das Abgründige entpuppt und sich dabei das Gute im Bösen und das Böse im Guten spiegelt.

6 | 10