Phillip Jeffries, ehemals David Bowie, kommuniziert mit Rauchsignalen. Wiedererwecken konnte ihn David Lynch nicht, aber als kochender Teekessel erfüllt er seinen Zweck zwischen Raum und Zeit. Den Eintritt in jenes knifflige Sinnkarussell, das Männer nicht zu Ende gebärt, markiert Jeffries als Warnung, als eine "8", als eine Ziffer, die ein Möbiusband erzeugt. Einen borromäischen Knoten. Hinein in eine unbekannte Zeit- und Tiefenstruktur. Abermals. Was "Twin Peaks" jetzt nicht mehr ist, geht über dessen DNA kultureller Normierung weit hinaus – das Gefühl hat sich geändert, jedoch gleichfalls das Erkunden. Früher war Twin Peaks ein kontemplatives Stück märchenhafte Erde. Die Figuren haben sich darin verspätet, ihr Sprechen, ihr Handeln, ihr Denken verzögerte sich, war beinah gefroren, in schockgefrosteten Halbtotalen. Jetzt allerdings? Jetzt bewegen sich die Figuren, auf mäandernden Highways bis an das Ende der Nacht. Sie durchfahren die "8", ohne anzukommen.
Das "Aufwachen" ist sinnstiftend da und dort. Wenn eine Frage existiert, die die zweite Staffelhälfte begleitet, dann diese: Wann erwacht Dale Cooper, der Cooper (Kyle MacLachlan), endlich? Und ist er nicht das Prisma, an dem sich die Strahlen der Dimensionen brechen? So wie später, irgendwann. Dann, entkommen dem munteren Dougie-Jones-Kleidertausch, überdeckt sein Gesicht die Geschehnisse, wacht über sie, verwandelt sie zu transzendentaler Wichtigkeit. Innen wie außen. Drinnen wie draußen. Rational wie irrational. Und Lynch genießt es. Er genießt es, uns an der Warteschlange stehen zu sehen, um den Dale Cooper in Empfang zu nehmen, ihn zu begrüßen. In Twin Peaks. Fast war es geschehen, bei einem Kirschkuchendinner. Klavierbegleitung. Cooper schmatzt wie der alte Cooper, erinnert sich an den Geschmack jenseits jener rot ausstaffierten Kapsel, in der er verweilen musste. Erinnert sich an das Handfeste, Sinnfreudige. Vergehende.
Part 16, vielleicht verwehrt sich dieser als einzige Folge nicht der Heimat, zeitweise. "I'm the FBI." Worte, ein Satz, der Familie ist, sie zärtlich streichelt. Auf ihre Weise war die Dougie-Jones-Saga selbstredend auch familiär, eine überlange, übellaunige, überbeanspruchende Seifenoper, die sich für das Groteske anfeuerte: Sex und Romantik als steckdosensteife mechanistische Verarbeitung erlahmter Algorithmen, die einen tiefen Humanismus entfesselte. Ausgerechnet einer von Lynchs Lieblingsfilmen, "Boulevard der Dämmerung", zwingt Cooper, sich zu erinnern. Cordon Cole zwingt ihn, sich zu erinnern. "Dämmerung" ist das wohl treffendste Wort für eine Zustandsbeschreibung, die der dritten Staffel inhärent scheint. Denn alles meldet sich mit einem Flüstern, Winseln, Kleckern zu Wort, das von dem bedrohlichen Summen des Ventilators unterbrochen, von der erschütternden Melancholie schaler Tankstelleneinsamkeit unterwandert, von ohrenbetäubenden Schüssen auf offener Straße zerstört wird.
Nach 25 Jahren darf Dale Cooper kein Held mehr sein. Gott hat die Moderne nicht mehr lebend erlebt, Helden die Postmoderne. Was sich heute "Held" nennt, entspricht jemandem, der Ordnung hineinzutragen vermag, Beständig- und Sanftheit. Der sich rettet, seine "Geworfenheit" zum Anlass nimmt, sich zu entwerfen. Frei. Freier. Geschichte dabei zu ändern, ändert den Verlauf dessen, was wir sind. Das ist Coops Verhängnis. Laura (Sheryl Lee) zu retten, setzt eine Kettenreaktion in Gang, die Cooper nicht voraussehen konnte. Was ist er doch für ein Narr gewesen, wenn er glaubte, dass er die Identität überlisten konnte. Wie sah Twin Peaks danach aus? Verlassen und geisterhaft, weil kein Geist mehr sich hier niederließ. "Twin Peaks" endet schreiend – es ist der Schrei der erneuten Niederlage, der "8" unterlegen zu sein. Lynchs Menschenverständnis, bei aller Gespaltenheit, verweist auf die Notwendigkeit, uns trotz verlockender Alternativen im Hier und Jetzt zu bekennen.
Ein Hier und Jetzt, dem Lynch seinen Tribut zollt. Für Catherine E. Coulson findet er eine bewegende Wärme. Angekündigt hatte sich seit Beginn ihr Hinübertreten in den "großen Anderen", das, was nicht mehr einsehbar, nur erfahrbar ist. Ihr Holzscheit – an die Brust geschmiegt. Sauerstoff, wenige Haare. In der Waldhütte lodert ein Feuer, aber es wird schwächer: Lynch war immer auch Romantiker, aber seine Liebe drückte sich nie in dem was, wodurch eine handelnde Filmfigur gezielt berechnete Affekte über die Leinwand hinaus anbietet, sondern in dem, dass die Leinwand Teil des Lebens selbst ist. Mit dem Tod der "Log Lady" endet ein Kapitel milder, seliger Bürde. Im "Wild Wild West" der Serie, von Annie urwüchsig besungen, mag das unscheinbar wirken. Trotzdem: Sie war die Brandung, ein geografischer Fixpunkt, wo die (vertraute) Geografie außer Kontrolle geriet. Bis zuletzt fächelte sie uns in ihrer Sesshaftigkeit eine Prise Einkehr zu. Beständig, wie sie war. Danke.
Stille, die quasi das erzähllastigste, parallel dazu bizarr wucherndste Element der Staffel(hälfte) überhaupt nicht aufwertet. In den Szenen rund um Las Vegas, stringent nach vorn tragendes Genrewissen, entwickelt Lynch einen im Martin-Scorsese-Milieu verorteten Gangstersleaze inmitten der harten Fakten der Marktwirtschaft. Die Gebrüder Mitchum (Robert Knepper, Jim Belushi) werden zu denjenigen ikonischen David-Lynch-Skulpturen, die sich ihrer Sache gewiss sind, zwar kaltblütig ihrer Gier zu gehorchen, aber reflektiert das Gegebene zu bewerten. Wenn sie Cornflakes mampfen oder der Familie von Kumpel Dougie den Haushalt stärken (sie spendieren sogar ein Klettergerüst!), dann begegnet ihnen Lynch mit aus- und einnehmender Sympathie. In ihnen erlischt der Schmerz, dass Dougie nicht Coop ist. Die Gebrüder Mitchum fungieren als Surrogat – ihre vergleichbare Neugier auf die Welt, die reiner ist als sie, verschleppt den Trost in ein Glitzerparadies.
Wo Las Vegas daher die Quelle einer hinreißenden, hartherzig-erweichenden Männerschnulze verkörpert, entfernt sich Lynch kontinuierlich, "Geschichte" zu entsprechen. Das originale "Twin Peaks" erzählte ein wohlgenormtes Krimistück. Bei aller dadaistischen Raffinesse der Traumausschüttung lieferte es nichtsdestotrotz einen Erzählmodus, der tonal die Strömungen der Gezeiten (in sich) logisch verband. Nun allerdings: eine Entleerung des Komfortablen, Fragmentierung der Fragmentierung willen. Ein Vorteil dabei ist, dass "Twin Peaks" leidenschaftlich seine Freiheit auf die Probe stellt. Noch freier zu sein meint, dass unter dem "Twin-Peaks"-Überrest eines Monica-Bellucci-Traums sich stets ein geheimnisvolles "Sieben"-Paket verbergen kann. Oder ein hyperventilierender "Weekend"-Stau. Oder ein Marvel-Superheldenhandschuh, der mit dem Bösen Baseball spielt. Zitatreiche Zeitzuckungen; hinwegatomisiert die Grenzen der Beschaffenheit und des Sozialen.
Irgendwie eine Zumutung, nicht? Eine Zumutung, dass das Heilige nichts bedeutet, das Profane dagegen heiliggesprochen wird (quälend lähmend: ein Flirt mit einer Französin). Vielleicht fordert Lynch lieber zum Tanzen auf, es wäre schön. Er fordert uns auf, wenn seine Hand unsere Schulter berührt. Das Verbundensein zwischen Ed (Everett McGill) und Norma (Peggy Lipton) schafft einen Link, einen Seelenlink, der den Zuschauer mit einer Serie versöhnt, die ihre eigenen Wege beschritt, der aber nie das Herz erkaltete. Auch wenn Angelo Badalamentis Stücke, die gleichzeitig von einer Klasse künden, die sich verstreute, zerstreute, die sich betäubte, hinter den Beat der Zerstückelung, des musikalischen Schauplatzschichtens, zurücktreten musste, so ist doch die Musik der Rahmen für den Ausdruck allen Übels – und allen Glücks. James (James Marshall) und Audrey (Sherilyn Fenn) singen davon ein Lied, tanzen. Irgendwo, Mitternacht. In der Heimat.
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