Die Faszination von "Marnie" ist kompliziert zu beschreiben.
Möglicherweise liegt das Faszinierende an "Marnie", Hitchcocks letztem
großem, psychopathologischem Melodram, darin, dass seine kaum zu
fassende Unnahbarkeit etwas Halluzinatorisches garantiert, mit einer
außerweltlich schönen, zerbrechend zarten Kleptomanin (die Vögel hat sie
überleppt: Tippi Hedren) eine überkünstlich stilisierte, umwerfend
traumtrunkene Welt wahrzunehmen. Unter Hitchcock-Aficionados rangiert
"Marnie" gühlsmäßig unter denjenigen Arbeiten, die man verteidigen
muss, gegen die, zugegeben, zum Teil alberne Fingerschnipp-Psychologie
und deren redselige Ausschmückungen (vgl. "Ich kämpfe um dich", "Der Fall Paradin"), gegen eine unscharf geschriebene Sean-Connery-Rolle, die
triebhaft zwischen besitzergreifenden und freudschen Haltungen eine
versteinerte, mürrische Miene verzieht. Aus einem Guss ist "Marnie"
bestimmt nicht, unfreiwillig amüsant eher (die Rückprojektionen),
assoziativ, sehr unfertig, tastend und fühlend. Genau das fasziniert –
Hitchcock transferiert die Erinnerungsbruchstücke und verzerrte Realität
der Protagonistin in wacklige, wabbelige, fragmentarische Bilder, die
dem ohnehin ausgedehnt dialoggefüllten Film Finesse verschafft. "Marnie"
hinterlässt außerdem einen eigentümlichen Nachgeschmack. Das letzte
gemeinsame Beisammensein des Triumvirats aus Robert Burks (Kamera),
Bernard Herrmann (Musik) und George Tomasini (Schnitt) ließ eine
künstlerisch unausgefüllte Lücke zurück. Nicht nur das. An der
handwerklich heillos klobigen Reit-Unfall-Sequenz kommt "Marnie"
schließlich, wie "Vertigo", einer allumfassenden Totenmesse von
grotesker Schönheit näher, die in Zeit und Raum verweilt, sucht, stürzt,
trauert.
6 | 10