Freitag, 22. November 2013

"Im Schatten des Zweifels" / "Shadow of a Doubt" [USA 1943]


Angehimmelt wird er, Onkel Charlie (Joseph Cotton), vergöttert, naiv umschwärmt, erdrückend belagert. Doch Onkel Charlie, Geschäftsmann, geschmackvolle Kleider, viel Geld, bringt die Finsternis ins geruhsame Städtchen Santa Rosa, in dem die einzige Gemeinheit in einem von romantisch verklärter Freundlichkeit beschaffenen Mikrokosmos der Lebensunschuld die (über)anständigen Sitten sind. Onkel Charlie trifft am Bahnsteig ein, der Zug donnert und wütet, der ausgestoßene, pechschwarze Dampf verdunkelt den Himmel – wie eine längst verdrängte Schattenseite, die sich über das märchenhaft-Alltagsbanale legt und es rigoros hinunterschluckt. Cotton symbolisiert (mit automatisch angelernten Bewegungen, doktrinärem Schwiegervater-Gehabe und wucherndem Augenkontakt) vielseitig animalisch den Teufel, der in einen unzivilisierten Schlachthof hineingeboren wurde. Sein zerstörerischer Disput mit dem in blendendem Weiß herausgehobenen Engel und zugleich Kehrseite seiner Persönlichkeit (Teresa Wright spielt ebenfalls eine "Charlie") verdichtet Hitchcock konsequent vom vermeidbar-Sicheren daheim zum Unausweichlichen Auge in Auge im Zugabteil direkt neben den schneller vorbeischießenden Schienen. Wenn "Im Schatten des Zweifels" Hitchcocks persönlichen Lieblingsfilm markiert, dann auch wegen der exakt kartografierten Struktur des Drehbuchs: Die kraftvollen Randfiguren (ein über seine vorrangige Mordmethode philosophierender Literatur-Pappenheimer, eine allerhand spitzfindiges Zeug schäumende, bebrillte, gebieterische kleine Schwester, der leichtfertig ins Liebesverderben stürzende Detektiv von nebenan) lenken, unterstützen und entscheiden die Geschehnisse zu noch mehr Missdeutungen, Lippenbekenntnissen und Machtlosigkeit. 

6 | 10