Sekunden verstreichen, aber wir wissen augenblicklich, dass wir uns
unmittelbar in einem Hitchcock befinden – der erste gediegene
Kameraschwenk vom Öffentlichen ins Private, zum Fenster, dessen Sicht
unter dicken, schwabbeligen Vorhängen verborgen bleibt, zum
markerschütternden (Mords-)Schrei dahinter, zum Hitchcock-Kalauer, zur
schwarzen Komödie, deren Grauen im Zentrum der Geschichte allezeit einen
perversen Gag bereithält. Das ist Hitchcock. So wie das
Erdrosselungsseil, das, wenn die Tür schwingt, in eine Schublade fällt,
oder der Hut mit den verräterischen Initialen, und wir zu den wenigen
Personen gehören, die über weit mehr Geheimnisse informiert sind, als eine sich stetig zur Wahrheit voranbohrende, versammelte
Partygarnitur.
Hitchcocks straffe Erzählökonomie schickt die Kamera auf
voyeuristische Entdeckungsreise; sie nimmt das Zittern der Hände wahr,
das animalische Platzen des Glases und James Stewarts beißenden Blick,
primär jedoch die Last des Gewissens. Um eine italienische Truhe herum,
die zur angekurbelten Situationsspannung sicherheitshalber einen Winkel
des Bildes (und damit einen Teil des gefilmten Raumes) ausfüllt,
moderiert der Altmeister einen intellektuellen Diskurs über Nietzsches
ideologische Gedankenrhetorik, machthaberische Herrenmenschen und
philosophisch kleingeredete Menschenverachtung, der in seiner Motivik
innerhalb des Hitchcock-Bausatzes – die Auswüchse des
perfekten Mordes für den Einzelnen – ebenso ursprünglich wie bedeutend
ist.
Weniger das theatralisch Theaterhafte in unsichtbaren, kreativen
Schnittspielereien, sondern die homosexuell gebrochenen Partner einer in
der Vergangenheit codierten, intensiven Dreiecksliebschaft sollten
dabei die geistige Auseinandersetzung mit dem Film tragen. Während die
ungestillten Gelüste der Protagonisten auch im servierenden Fleisch
symbolisch verschlüsselt werden, das auf einem Grabmal präsentiert, aber
nicht entschlossen genug angerührt wird, schaukelt sich der Film
schließlich zu einem emotional durchdringenden Finale fiebriger
Verdachtsmomente hoch.
Mitsamt in befremdlichen Neonfarbflächen hereinbrechenden
Lichtstrahlen komplettiert das Schlussbild den irren Hitchcock-Witz vom
Beginn dieses makabren Stücks: Trotz einer bedenklichen Theorie, aus
deren Praxis Hirngespinste hervortreten, fallen beide Täter, die
verschworene Übermenschgemeinschaft, in ihren evolutionär angestammten
Platz zurück. Einer spielt Klavier, der andere genehmigt sich den
letzten Drink; sie sind normalsterblich, gewöhnlich geworden. Und ihr
Mentor Rupert (Stewart) spielt nicht mehr den Totenverächter. Er sichert
die Truhe, als Totenwächter.
7 | 10