Vieles ist "Minority Report", Spielbergs unmittelbar nach "A.I. – Künstliche Intelligenz" folgender, zweiter Zukunftsentwurf im neuen
Jahrtausend; er ist detektivischer Kriminalfilm, ein verschraubtes,
vordergründig auf den Twist schielendes Überraschungsdrama und
deterministische Schicksalsphilosophie über die Unumkehrbarkeit der
Zeit, über die anzuzweifelnde Ethik des vorverurteilenden Strafvollzugs,
über Schulfragen, Todesbotschaften und Rachegedanken in einem nicht
näher beschriebenen Zeitalter ausufernder Gewalt, staatlich
legitimierter Kontrolle und informationsvernetzter Transparenz, in dem
mehr Maschinen das menschliche Zusammenleben definieren, als Menschen
den Nutzen ihrer technologischen Helfershelfer gegenrechnen. Ein
widersprüchlicher Zwischenraum, Utopie wie Dystopie.
Dieser farblich ausgewaschene Knotenpunkt ist in seinem überbordenden
Detailreichtum stimmig, ein von künstlichem Licht angestrahltes Moloch
hypersteriler, ja durchsichtiger Architektur aus Glas, Beton und noch
mehr Glas in einer einzigen fließenden, mechanischen Bewegung, bei der
selbst die Zeitungen aus ihrer starren Gegenständlichkeit herauswachsen.
Spielberg studiert diese artifizielle Welt, die wirkt, als ob sie das
staubfreie Miniaturmodell eines Wissenschaftslabors sei, ausgiebig.
Manches unterstreicht den Selbstzweck des CGI-Einsatzes (lebendige
Pflanzen), manches bleibt inhaltlich vage (Slums und Drogen, der
Ursprung jener sich gesteigerten Mordstatistik), anderes ist dagegen
konzeptionell raffiniert erdacht (die Spinnen und Autos, der Puff als
Visualisierungsschnittstelle).
Da Spielberg aber entschieden mehr nüchtern dokumentiert – und zwar
durchweg Spektakuläres –, als dass er dies freiwillig klug kommentiert,
fällt ihm ausgerechnet zur unbegrenzten Metaphorik der Geschichte selten
etwas Tiefschürfendes ein. So vermag er es beispielsweise kaum, das
bereits aus einer anderen berühmten Science-Fiction-Geschichte von
Philip K. Dick, nämlich "Blade Runner", omnipräsent bediente Augenmotiv
von der offensichtlichen Plumpheit austauschbarer Identität für ein Mehr
an Spannung zu entkoppeln, um es stattdessen in den Dienst eines
moralisch rückschrittlichen Makrokosmos zu stellen, der mit den
(trügerischen) Bruchstücken der Erinnerung tatsächlich glaubt, den
Fortgang der Dinge zu verstehen, insbesondere zu… sehen.
Resultat? "Minority Report" weicht jedwedem existenzphilosophischen
Unterbau aus, der sich schwer in zwei Zeilen präzisieren lässt, wodurch
der Film im Gegenzug lediglich ein den Genreregeln angelehntes, schräg
bis zittrig fotografiertes Flucht-Erkenntnis-Szenario mit
komödiantischen Einsprengseln nachstellt. Sackgassen, Codes (ein sich
drehendes Karussell als cleverer Vergleich stetig voranschreitender
Zeit) und pfiffige Wendungen (insbesondere in der Luftballonszene)
reichen aber aus, das irgendwie bis zum Schluss interessant und
atmosphärisch zu finden. Tom Cruise als traumatisierter Prä-Killerjäger
beherrscht seinen staksigen Fußgang durch Noir-Schatten und
halbverdunkelte Geheimecken ebenso souverän, wie Spielberg die
Beeinflussung mit verschachtelten Rätseln, deren große subversive
Sprengkraft, konträr zur Vorlage, aber ebenso ein großes Rätsel bleiben
dürfte.
6 | 10