Das Kino der Gebrüder Coen ist keines einer mörderischen Nacht, wie
uns der deutsche Nebentitel ihres schrullig-schroffen Regiedebüts "Blood
Simple" weismachen will. Um Himmels Willen, nein. Ist es mörderisch?
Irgendwie schon. Einfach auch. Von Blut erzählt es. Soweit richtig. Aber
nicht alle Coens verketten geerdete Einfach- in missverständliche
Kompliziertheiten, und zwar nachts. "Blood Simple" gilt als Ausnahme.
Denn dort spießen die Coens den Mythos Texas auf. Nach einer einzigen
Nacht bleibt vom Mythos Texas ein noch größerer Mythos Texas übrig,
darin suhlt sich eine unverschämte Pointe. In Texas laufen die Dinge
eben anders, am Anfang sehr und am Ende noch mehr; dort muss der
Cowboyhut sitzen und notfalls zurechtgerückt werden, und zwar mehrmals.
Dort, in Texas, denken die Kinder, die Zigarette wäre ein Joint. Dort,
in Texas, erweitert der Privatdetektiv sein Handwerk in etwas, wofür man
eine gute Absicherung braucht.
In Texas wird geschwitzt und gefeiert im heißen Clublicht vor der
sabbernden Aufsichtsbehörde, im Hinterzimmer dagegen gestorben und
geblutet, post mortem. Seltsame Welt, keine simple. Durch und durch
hetereo. Und einsam. Und dann noch diese Ventilatoren, diese Landstraßen
und diese Wassertropfen. Dieser eine Wassertropfen, der swingt, nachdem
sich alle Beteiligten – die meisten tot – schuldig gemacht haben, weil
sie von dieser Coen-Welle schicksalsbesiegelnder Missverständnisse
mitgerissen wurden, aufs offene Meer hinaus, wo es keine Rettung gibt,
nur das Ertrinken, das Ertrinken in Blut. Das Kino der Gebrüder Coen ist
wie ein mörderischer Traum; sie sind die Traumarchitekten des
Unterbewusstseins, die mit codiertem Auge allegorische Wechselwirkungen
erforschen und uns, den Träumenden, dabei immer mehr Informationen
geben, als der Restsippe an Betrügern, Versagern, intellektuellen
Falschspielern. An Coen-Archetypen.
Wir sehen die ganze Zeit über das verschwundene Feuerzeug und rufen
diesem dämlichen Typen heimlich zu, dass er doch endlich unter den
Fischen nachsehen soll! Wir wollen die Katastrophe abwenden, sehen ihr
aber unentwegt zu, müssen es; die Coens wollen unseren Schmerz spüren,
sie sind mörderisch gerissen. Wer Träume konstruiert, dekonstruiert
Realitätsgesetze. Das ist klar. Von nachhaltiger Akkuratesse beherrschen
die Coens eine unorthodoxe Präzisionsökonomie, die jedes Bild zum
Kommunikationsträger lakonischer Sinneinheiten erhöht. Sie sehen, was
andere schauen. Zum Beispiel den (anscheinend) erschossenen Kneipenboss,
der eingesunken auf seinem Kneipenstuhl zusammengefallen ist, vor ihm,
auf dem Kneipentisch, liegen mehrere tote geangelte Fische. Alles in
einem Bild – natürlich ist das schwarzer Humor, wer käme auf die Idee,
das italienische Mafiamachtwort "…liegt bei den Fischen" wortwörtlich zu
nehmen?
Die Coens werden nicht müde zu erwähnen, dass der unnötige Ballast an
aufgedunsener Handlung, den man eh nicht braucht, vornherein abgeworfen
werden muss. In Anbetracht dessen zeigen sie das Nötigste (oder
vielleicht auch das Unnötigste), das allerdings eine Geschichte allein
zu erzählen vermag: der Sex zwischen einem Licht- und Schattenspiel, mit
der Kamera lässt man sich zudem aufs Bett fallen, während der Finger
kurz vor der Telefonwählscheibe gegengeschnitten wird, mit dem Finger,
der sich auf eine blutige, kreisrunde Stelle auf der Rückbank des
(Tat-)Autos zubewegt. Noch Fragen? Die Coens nehmen auch den für sie
klassischen Motelkampf vorweg ("No Country For Old Men"), ein
irrwitzig-irrealer Gewaltrausch, ein wüstes Finale, das pures Adrenalin
ist und selbstverständlich in einem… Missverständnis mündet.
Überhaupt sterben die Figuren in "Blood Simple" einen dreckigen Tod,
werden lebendig begraben und erschossen – die berüchtigte
Begräbnissequenz verkörpert einen der authentischsten Gewaltmomente;
nach ihm springt sogar der Motor des Fluchtfahrzeugs nicht an. Texas
kann böse sein. Dieser Tod der Figuren hinterlässt jedoch, seien wir
ehrlich, akute Kopfschmerzen, obwohl schlussendlich der Regentropfen
Tango tanzt und der mit zerstochener Hand ballernde Oberfiesling ein
letztes Mal die Wände auseinanderreißt, indem er schallend feixt. Man
gewinnt ohnehin den Eindruck, dass in diesem Film jeder sein eigenes
schallendes Lachen unterdrücken muss. Die Coens analysieren das Leise,
sind aber manchmal auch sehr laut. So laut, dass wir ruckartig erwachen.
Nur ein Traum, ein Coen-Missverständnis. Beruhigen Sie sich. Gehen wir
lieber angeln.
6 | 10