Zum letzten Mal formieren sich die Rächer und Gerächten zum theatralischen Leben und Sterben in einem metallenen Ungetüm an Großstadt. Der Kreis schließt sich melodramatisch, die Angst als Triebfeder übernimmt allmählich die Kontrolle, die Reise endet hier. Nur so viel: "The Dark Knight Rises" erreicht nicht die soziologische Brillanz des Vorgängers und auch nicht die in Unterhaltungssegmenten ohne doppelten Unterboden pragmatisch wildernde Finesse des Vorvorgängers. Dafür will "The Dark Knight Rises" schlicht und ergreifend zu viel Substanzielles beitragen, dafür will der Film jeden Schlupfwinkel ausfüllen, als dass er über jede einzelne Minute zu geistigen Luftsprüngen beim Zuschauer anregt. Vielleicht erweist sich "The Dark Knight Rises" somit als ambitioniertestes Minusgeschäft im Schaffen Christopher Nolans, der nicht nur seine obligatorischen Schwächen wie selten zuvor befeuert, sondern sie zu neuen Höhen führt. Oder andersherum: Der Film ist ein konsequentes Opfer seiner Inkonsequenz.
Der Abschluss von Nolans breitgetretener, ebenso politischer wie auch ein wenig reaktionärer Trilogie über den Superheld als Symbol am Himmel porträtiert nunmehr Superhelden, die keine mehr sind. Während sich Gotham City in feuchtfröhlicher Dekadenz sonnt, weil eine stattliche Verbrechensrate seit Harvey Dent auf sich warten lässt, ziehen sich die Superhelden in ihre geheimen Löcher zurück, vereinsamen, isolieren sich, verstecken sich wieder hinter ihrer Maske und suchen stärker denn je ihre Identität in einer Welt, die nichts mehr für sie bereithält. Bruce Wayne alias Batman (auf dem Maskenball ohne Maske: Christian Bale) humpelt unübersehbar eingefallen, veraltet, zerrissen und verbittert an Krücken seinem Leben hinterher, Harvey Dent wurde Geschichte durch eine Lüge und James Gordon (immer noch auf Zack: Gary Oldman) wird von Nolan nach einem ersten größeren Angriff seit Jahren handlungsgehemmt ins Krankenhaus geschickt – das sind von sich selbst und ihren Mitmenschen entfremdete Gefangene. "Rise" bedeutet hierbei nicht unbedingt das Erheben seines Körpers für die Probleme anderer, es symbolisiert vielmehr die Flucht aus dem seelisch verankerten Gefängnis.
Nolan tut gut daran, dass er all diese Figuren gleich in einer der ersten Szenen gemeinsam versammelt, woraus sich die Charakterzüge, Querverbindungen und verzweifelten Hilfeschreie mit wenigen dramaturgischen Inszenierungskniffen speisen. Blöd nur, dass Nolan jede Szene mit kommentierendem Inhalt füllen muss, um auch dem schlecht sehenden Zuschauer in den hintersten Reihen zu verklickern, worin der Sinn dieses oder jenes Gezeigten besteht, als ob nicht ein Gesichtsausdruck, nicht eine einzige lautlose Geste reichen würde. Und das ist Nolans Hindernis spätestens seit "The Dark Knight" und dem Erklärbär namens "Inception": Nolan vertraut weniger dem Kino und seinem Publikum als geschwätziger Trivialliteratur, die anfügt, ausschweift und ohne Unterlass zum Leser redet. Aber Kino kommuniziert mit Bildern, die für sich allein sprechen sollten. Sehr selten kommunizieren die Bilder jedoch im Nolan-Kino mit der Imagination, da sie viel zu oft sprachlich mit entweder Kindergartenironie oder Missionierungsesoterik unterstrichen werden, ebenjene formschönen Bilder aus Stadtpanoramen und heißen Verfolgungen auf dem Asphalt, Bilder, die nicht sprechen können und auch nicht sprechen dürfen. Und wenn, dann nur kurz. Höchstens.
Dem Dreh- und Angelpunkt des abgrundtief Bösen, Bane, bereitet es aufgrund dessen enorme Schwierigkeiten, sich ambivalent auszutoben, sich vor allem so zu entfalten, dass er angesichts von idiotischen Vorgeschichten und sepiafarbenen Rückblenden im Abgründigen verborgen bleibt. Tom Hardy ist sicher kein schlechter Schauspieler, leidet allerdings merklich hinter einer eingeschränkten Ausdrucksmöglichkeit, kraftvollen Erkennungssprüchen und wird lediglich physisch definiert. Zieht man den Vergleich zum Joker, der jeglicher rationalen Moralität und analysierenden Hintergründen enthoben schien – das heißt, er war lediglich da und verschwand wieder – wird deutlich(er), wie seelenlos Nolan diese Bane-Rolle eigentlich schrieb, irgendwo zwischen archaischem Totschläger und muskelbepacktem Profi-Wrestler, der handelt, weil er gern dabei zusieht, ein austauschbarer Sadist eben. Sein Plan, Gotham zu zerstören und der Oberschicht ihre Ausbeutung gegenüber den 99% an Restmenschlichkeit und Armut vorzuhalten, will einen Bezug zu den vorherigen Teilen "Batman Begins" (die Stadtzerstörung) und "The Dark Knight" (die Abschottung mittels Bomben und gesperrten oder zerstörten Zufahrtswegen) herstellen, konterkariert jedoch im gleichen Atemzug durchaus eine unkonventionelle Eigenständigkeit innerhalb des Sujets, die nicht immer das provoziert, was man bereits zu kennen glaubt.
Eine fehlende Eigenständigkeit, ein Stempelaufdrücken des Regisseurs also, das den gesamten Film wie ein Virus befällt. "Batman Begins" war die Exposition, "The Dark Knight" hatte Heath Ledger. Aber "The Dark Knight Rises"? Irgendwas aus beiden, dazu Hollywood und die offene Tür für ein Anknüpfen nach der Nolan-Ära; dem Wahnsinn per se fehlt es insgesamt an künstlerischer Kraft. Der unbändige Eifer Nolans, zwingend die Verbindung aller Handlungsstränge aller drei Filme zu suchen, bemächtigt ihn, eine Vielzahl an Figuren hin- und herzuschieben wie es ihm beliebt. "The Dark Knight Rises" bündelt Kurzgeschichten und Nebenhandlungen, türmt Beziehungen aufeinander auf, ohne dass das Ziel erkennbar wäre, wohin diese Fragmente führen, ganz gewiss fehlt die eine übergreifende Geschichte. Resultat dieser erzählerischen Hetze und Figurendichte sind Charaktere, die entweder kaum oder wenigstens marginal psychologisch durchleuchtet werden (Gordon, Fox, Miranda Tate), verschwinden (Alfred), hübsche Cameos darbieten (Ra's al Ghul, Crane) oder wiederum eine Überakzentuierung erfahren (Bane), während das Einknicken Nolans vor der Kompromissbereitschaft des kommerziellen Industriekinos Spuren hinterlässt: Wenn Bane zur Tat schreitet, schneidet der Film unschön die Szene weg.
Gotham mutiert derweil vollständig und unumstößlich zur amerikanischen Großstadt alter Schule, wohingegen Batman ein neues Fluggefährt austesten darf. Die Fantasie- und Gestaltungslosigkeit Nolans beflügelte den Regisseur einst, aus einem sinnlichen, expressiven Traumfilm einen akademischen, glattgeschürften zu machen, eingehüllt in eine britische Gentleman-Attitüde von Welt. Dies ist mit Gotham City, äh New York City, und dem klobigen Flugzeug aus dem, so scheint es, Elektronikfachmarkt nicht unbedingt anders, die Nolan als ein Teil versteht, dessen großes Ganzes über das hinausgehen soll, was man sieht: Wieder verpflanzt Nolan sein Figurenschema in eine etwas plumpe, eine etwas drangeklatschte und nicht immer differenzierte Zeitgeistcollage, in eine Sozialkritik von politischer Aktualität, deren alternative Lösungen weder nach vorn noch zurück weisen. Mit Bane identifiziert sich Tom Hardy als Aktivist, als Occupy-Anführer gegen das herrschende Etablissement an gierigen Bankern (klar) und stumpfsinnigen Millionären (auch klar) im Land des uferlosen, virtuellen Kapitalreichtums per Mausklick, und verwandelt das westliche und weltliche Gotham schließlich in einen gescheiterten, diktatorisch geführten Staat ohne Gesetze, der an einem gesonderten Zeitpunkt so brutal Regeln bricht, dass sich seine Bevölkerung allmählich gegen ihn auflehnt. Der Arabische Frühling zum Zweiten, eine Bestandsaufnahme der heutigen Verhältnisse.
Zerfetzte US-Flaggen, Rauchsäulen und Kampfjets am Himmel beschwören zudem einmal mehr die Analogie zu 9/11 herauf, die althergebrachte Ordnung aus dem Gleichgewicht zu heben. Die imposanteste Sequenz hat der Film damit gleichzeitig zu Beginn des zweiten Aktes, als Bane mit Gefolgschaft ein Footballstation in die Luft sprengt, während er davor unter der von einem Kind gesungenen amerikanischen Nationalhymne aus dem Schatten des Spielertunnels tritt. Im Verhältnis von leiser und aufgedrehter Lautstärke gelingt Nolan ein mitreißendes Pathosmoment, wo die Bilder sich nicht von anderweitigen, verbalen Präzisierungen stören lassen. Viel zu selten entfesselt Nolan seinen Film. Es sind dann Augenblicke wie dieser, das entbrannte Batman-Logo, der Prolog als choreographiertes Ballett oder etwa jener, in der sich der Dunkle Ritter wieder auf Gothams Straßen zeigt, die einen Einblick geben, wie der Abschluss der Trilogie wirken könnte, wenn Nolan mehr, keiner zusätzlichen Erörterung benötigendes Bilderkino machen würde. Meist fesseln auch die kleinen Szenen von fragiler Wucht in diesem Film: Gordons Lächeln, als er Batman auf dem Bildschirm sieht, Batman und Catwoman in ihren Kostümen Seite an Seite, die Tribunal- und Eisgeschichte oder Banes Träne, die ihn zur tragischen Gestalt umdichtet.
Am meisten Spaß macht "The Dark Knight Rises" selbstredend dann, wenn er sich formal und narrativ – konträr den Vorgängern – unumwunden dem Comic zugehörig fühlt: Gerade das deutsche Tonstudio verleiht (verschenkten) Schauspielern wie Marion Cotillard eine piepsige, eine honigsüße Barby-Stimme von hoher Frequenz als unfreiwillige Karikatur ihrer selbst, eben typischer Comic-Gestus. Die dumpfen Schläge im Zweikampf zwischen Batman und Bane, die Wirbelsäulenszene, fledermausartige Kreidezeichen in Form einer Markierung und das über alle Maßen zerstörungswütige Finale auf Gothams Weg- und Straßenkreuzungen mit unterschiedlichen futuristischen Fortbewegungsmitteln binden den Comic verstärkt in die Dramaturgie ein – trotz einem konservativen Spannungsverlauf (der ständige Blick auf den Zeitzünder der Bombe), einer konstruierten Verkettung von Dauerwendungen, wovon die eine aufgrund einer Narbe in der Liebesszene davor lange vorher angekündigt wurde, und einem prätentiösen "Inception"-Finale. Anne Hathaway mit stahlharten High Heels (tierisch erotisch; eine wunderbare Rolle) besorgt allerdings nicht nur angesichts ihres trocken-tödlichen Schusses gegen Bane schlussendlich die Ironie in diesem bleischweren Abschluss: Auch wenn Nolan nicht alles begreift und ergreift, so ist sein Film dennoch irgendwie sexy.
6 | 10