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Mittwoch, 19. Februar 2014

"Die Taverne von Jamaika" / "Riff-Piraten" / "Jamaica Inn" [GB 1939]


"Die Taverne von Jamaika" (deutscher Alternativtitel: "Riff-Piraten") ist Daphne-du-Maurier-Schauertheater, wie es sein sollte: flüsterleise, schattenfixiert, vage. Angsterfüllt. Der Sturm spült die Wellen an die Klippen des Ufers, an dem sie brechen – wie schallgedämpftes Feuerwerk hört sich das meist an. Und mitten in einer englischen Grafschaft, verlassen, abgestorben und isoliert, durchsetzt von Erde, Schlick und Geröll, liegt ein verrufenes, verwunschenes, rustikal gearbeitetes Landhaus, eine "Räuberhöhle" (mit einer Hoffnungsspendendes und Verderbendes in sich vereinenden Hitchcock-Treppe zum Schatz), ein Nest stinkender, unrasierter Gauner, Schmuggler und Mörder, tief verstrickt in Diskussionen, Anteile und Stammtischgejohle. In den ersten Minuten evoziert Hitchcock atmosphärische Kälte allein aus der verwinkelt-expressiv gefilmten Kulisse, die, etwa wie in "Nummer Siebzehn" oder "Rebecca", nicht auf ikonografische Horrorcodes verzichtet. Als einem nie überflüssiger Weitschweifigkeit unterworfenen, beziehungsvertrackten Kostüm-, Versteck- und Abenteuerschinken (drollig: die dilettantische Studioherkunft) schrulligster Verkomplizierungen zählt dieser Film zu den kurzweiligsten, wiewohl altmodischsten Hitchcocks, dessen tragisch-konfliktbeladene Note aufgrund des manipulativen Zuschauervorwissens über bestgehütete Geheimnisse eigens verführt, berührt und schmerzt, wenn sie wissen, dass sie, die unglücklichen Helden, ihr Unheil nicht abwenden werden. Ins Gedächtnis brennend derweil: Charles Laughtons unwiderstehliche Eitelkeiten, der einen prall gefüllten, aufgedunsenen Rechtsverdreher gebührend großtuerisch verzerrt und auch im Untergang über allen thronen muss. Ein archaischer, passgenauer Groschenheft-Hitchcock. 

6 | 10

Donnerstag, 10. Oktober 2013

"Verdacht" / "Suspicion" [USA 1941]


Agent, "Katze", Werbefachmann: wundervoll, wenn Cary Grant bei Hitchcock vorbeischaut. Flink, abenteuerlich und komödiantisch nuanciert besiegt er das Böse, als ob er sich beim Schnüren der Schnürsenkel gleich an einer Tischkante wider Erwarten den Kopf verbeulen, sich aber dennoch aufrappeln und die Mundwinkel spitzbübisch zu einer Grimasse schneiden würde. Die Schnürsenkel wären immerhin gebunden. Cary Grant ist nicht von dieser Welt. Bis zu "Verdacht". Denn "Verdacht" konterkarierte sein Image als figurativ eindimensionaler Publikumsliebling mit dem zentimeterweiten Zahnpastalächeln, der die Frauen reihenweise ins Bett schubst. Übrig geblieben ist zwar der exzessive, charmante Playboy, der verschwenderische Nutznießer unter der Sonne des Mittelmeeres, der dekadente Draufgänger.

Neu dagegen ist Cary Grant als innerlich komplexer Bad Guy, als brillanter Lügner, als undurchsichtiger, zwischenmenschlich herber, grober Ganove, dem es gelingt, das Publikum anzuekeln, anzuflunkern, anstatt es durch eine erlösende Pointe in die Hände klatschen zu lassen. Berühmt wurde "Verdacht" aufgrund zweier aufeinanderfolgender Szenen. Guillermo del Toro ließ sich ausführlich über die einer ballettähnlichen Komposition entsprechenden Montage der in mehrfacher Hinsicht "letzten" Autoraserei enthusiastisch aus, während das (vielleicht vergiftete) Glas Milch in der expressionistischsten Sequenz (der ein gewaltiger Schatten Grants unheilschwanger vorausgeht) das Zentrum des Bildes auf ein leuchtendes Licht begrenzt, umgeben von trister, vieldeutiger Dunkelheit.

Aber nicht nur anhand dieser zwei Beispiele werden wir, die Zuschauer, aufs Glatteis geführt, wo wir auszurutschen drohen. Davor buchstabierte Joan Fontaine – über ihre Naivität möchte man heute nur schmunzeln – in einer Frühversion des Scrabble das Wort "Murder". Es folgt eine Vision, dass ihr Ehemann (Grant, der der Schulden wegen über Leichen zu gehen scheint) seinen besten Freund und Investor (alkoholgehemmt: Nigel Bruce) an einer Klippe herunterstößt. Vision einer Zukunftswirklichkeit? Oder einer Wunschfantasie? Spielt Cary Grant in der Tat den Bad Guy? Einbildung? Wahrheit? Lüge? Alle Indizien lassen einen Schluss zu, aber ist es deshalb richtig? Ein Doppelleben? Oder bloß der Einbruch einer fiktiven Groschenkrimihandlung in einen psychotischen Geist? Nur ein Hirngespinst?

Hitchcock sperrt den Zuschauer allein mitsamt seinen Verdächtigungen in ein Refugium mit gitterähnlichen Gegenstandsschatten ein. Warum annähernd jeder sich selbst als Genrefilmemacher bezeichnende Künstler Hitchcock vergeblich imitierte, ist in "Verdacht" ablesbar – die psychopathologische, beißende, fleischige Spannung definiert sich über Gesichter, auf denen wir das ablesen, was wir wissen wollen, über die Reaktion der Körpersprache. Cary Grants Gesicht verfinstert sich giftig, sobald herauskommt, dass der verstorbene Vater seiner Frau lediglich ein Porträt für das Ehepaar ins Testament schreiben ließ. Auch die herzlich gemeinte Umarmung nach dem Studioschluss ist verführerisch, ja trügerisch. Hier sprechen die überlegt arrangierten Bilder, um uns das zu geben, womit wir uns in unserer (gerechtfertigten?) Paranoia verlieren. Keiner konnte es stilsicherer. 

7 | 10

Freitag, 31. Mai 2013

"Mr. und Mrs. Smith" / "Mr. & Mrs. Smith" [USA 1941]


"Mr. und Mrs. Smith" verbucht aus drei hauptsächlichen Gesichtspunkten einen VIP-Platz in Alfred Hitchcocks Œuvre.  Einerseits nahm Hitchcock bereits 1941 mit seiner ersten und letzten amerikanischen Komödie (hier: Screwball-Komödie) die erst in der nachfolgenden Generation sich vollständig verfestigende Erkenntnis vorweg, wonach der Master of Suspense über ein unbeirrbar reichhaltiges Gesamtwerk unterschiedlicher Couleur – vom dunklen Krimi zur leichten Komödie – verfügt. Andererseits war "Mr. und Mrs. Smith" eine der einzigen Hitchcock-Regiearbeiten, mit dessen Drehbuch (Norman Krasna) Hitchcock alles andere als einverstanden war, weil er  sich mit keiner Figur und ihren jeweiligen Marotten identifizieren konnte und deshalb das Drehbuch nicht entscheidend verfeinerte, sondern meist in seiner Ursprungsfassung beließ.

Vor allem aber konterkariert "Mr. und Mrs. Smith" beliebte Hitchcock-Rezeptionsmuster, die darauf hinauslaufen, dass wir erst einen Hitchcock mit eingebürgerten Hitchcock-Strömungen "gut" finden und im Gegenzug von den untypischen Hitchcocks ohne explizite Hitchcock-Motive eher die Finger lassen, als wäre die bloße Erwähnung des alteingesessenen Hitchcock-Stils (was immer auch darunter zu verstehen ist) ein Qualitätskriterium, das es zu wahren gilt.

Exemplarisch funktioniert "Mr. und Mrs. Smith" vielleicht nicht über die gesamte Zeit, so doch aber über einen großen Zeitraum als feurig-furioses Eheschlachtfeld zwischen eitler Machtbesessenheit und neurotischer Eifersucht, das heute nicht weniger als altbackenen Normen innerhalb der staatlich unterschriebenen Zweisamkeit huldigt: Sobald gestritten wird, schließt sich das Paar gemeinsam im Schlafzimmer ein, was in Extremfällen mehrere Tage dauern kann. Und falls der Streit nicht beigelegt werden kann oder ein neuer entflammt, hat die Gattin das Recht, ihren Gatten blindlings hinauszuschmeißen.

Insgesamt erinnert der Film weder formal noch narrativ an Hitchcock, an Kriminalität, an Depressivität, an Psychologie und an Soziologie, höchstens seinen situationsbedingt unnachahmlich absurden Humorstempel kann Hitchcock hier und da – etwa in der Szene mit der Klospülung oder der amüsanten Sanierung des 100-Dollar-Edelrestaurants zum 75-Cent-Schuppen – aufdrücken. Dass Hitchcock Neuland betrat, ist trotzdem in der einen oder anderen Szene deutlich zu beobachten und stützt die dramaturgische Unsicherheit des Drehbuchs. Wenn der Film sein Gewicht in eine abwechslungsreiche Schneelandschadt verlagert und dort endet, ist es ein viel zu überhastetes, fast schon grotesk überstürztes Ende (nach 90 Minuten Terror, Enttäuschung, Gewissenlosigkeit benötigt der Frieden einen unfreiwilligen Stolperer); anscheinend wollte Hitchcock den Film schnell zu Ende inszenieren, damit er sich wieder auf sicherem Terrain fühlen darf.

Seinen beiden Schauspielern gönnt er im Verhältnis gesehen faire Momente, in denen sie sich behaupten dürfen. Carole Lombard gibt die von Hitchcock auf ihre Person zugeschnittene, vulkanartige Naturgewalt sichtlich souverän, während Robert Montgomery den bis zur Unkenntlichkeit verzweifelten Verlierertyp (auch gegenüber seinem besten, dem zugleich angehimmelten Freund, Gene Raymond)  zumeist halbwegs vergnüglich meistert, obgleich der ursprünglich vorgesehene Cary Grant möglicherweise ein würdigerer Kontrahent gewesen wäre. Hitchcocks süffige ménage à trois ist klein, kurzweilig, unspektakulär, aber nicht derart klein, kurzweilig, unspektakulär, als dass wir nicht einen Blick riskieren könnten – trotz Hitchcock ohne Hitchcock.    

6 | 10