Mittwoch, 31. Dezember 2008

Literatur: "Sara" / "Bag of Bones" (Stephen King, 1998)



Story:

Um seine Schreibblocke zu überwinden, zieht sich der Bestsellerautor Michael Noonan in sein nahe gelegenes Sommerhaus zurück. Dort angekommen, bewahrheiten sich mit der Zeit grauenvolle Alpträume, die mit dem Verschwinden der Jazzsängerin Sara Tidwell in Zusammenhang stehen...

Kritik:

Eine kontrovers diskutierte Frage in Stephen Kings Gesamtwerk beschäftigt sich immer häufiger damit, was eigentlich sein persönlichstes Werk sei. Nun, auf diese Frage gibt es sicherlich keine eindeutige Antwort. Auch "Sara" mag in dieser Hinsicht eine von vielen Lösungen sein, letztendlich ist der Roman jedoch nur eine weitere Art Mosaikstein in des Autors großen Selbstbildnisses. Die Hauptfigur – Michael Noonan, Kings Alter Ego – ist einmal mehr ein erfolgloser, von der Kritik wenig beachteter, jedoch durchaus Genre-orientierter Schriftsteller, der sich, um seine Schreibblockade zu überwinden, in ein nahe gelegenes Sommerhaus zurückzieht, nur um dort allmählich dem Wahnsinn zu verfallen. Doch dabei spielen die mit der Zeit aufkommenden Geister eine tendenziell untergeordnete Rolle. Eine subtile Rolle, die sich maßgeblich von dem Horror in "Christine" oder "Es" unterscheidet. Vielmehr ist "Sara" eine klassische Geistergeschichte, in der die Geister aber bei weitem nicht bedrohlich erscheinen, King gibt ihnen keine Namen, er lässt sie ohne Identität erscheinen, ihre Botschaften bleiben aufgrund damit verbundener Themen wie Verzweiflung, Unvermögen und Sehnsucht unverständlich. So setzt der Roman stattdessen auf den Grusel des Unbekannten denn auf Blut und Ekel – eine weitaus elegantere Art, den Leser zu fesseln. Doch "Sara" ist weit mehr als das. King tangiert in seinem Buch viele auf andere seiner Werke übergreifende Motive, Verweise, er entwirft also ein komplexes Netz, de facto viele Handlungsstränge, die sich erst am Ende zu einem Knoten zusammenfügen werden.

Der Weg bis dahin ist lang, steinig, aber doch Leseunterhaltung aller höchster Güteklasse. Und der Beweis, dass King erst so richtig aufdreht, wenn es sich um verhältnismäßig realistische Geschichten handelt. Denn erst da blitzt etwas auf, wofür man den Kultautoren als besonders lesenswert erachtet, ihm den Status als meistgelesener Schriftsteller überhaupt als adäquat konstatieren kann. "Sara" reiht sich schlussendlich ebenfalls in die Sparte ein, handelt es sich doch eher um ein Familiendrama mit gelegentlichen übernatürlichen Einflüssen. Zweifellos bezieht das Buch seine Stärke dabei aus dem detailliert und explizit beschriebenen Alltag des unglücklichen Titelhelden Michael Noonan, demzufolge der Beschreibung der realen Welt. Wie Noonan mit seiner Blockade umgeht, wie er versucht, sich ständig neuen Mut zu verschaffen, wie er Gefahren und bestimmte Situationen rund um sein geheimnisvolles Haus Sara Lacht zu umgehen versucht, seine Ängste, Trauer, seine Vorsichtsmaßnahmen, all das skizziert King glaubwürdig, mit einem hohen Maß an schriftstellerischer Begabung. Intelligent, witzig, selbstironisch, absurd und doch immer mit einem Quäntchen genau treffsicherem Sarkasmus nimmt King mithilfe eines überzeugenden Ich-Erzählers das gute alte Literaturgeschäft gehörig auf die Schippe. Natürlich werden auch die Schattenseiten von Michael Noonan bravourös skizziert. Er ist ein zerrütteter, ambivalenter Protagonist, desillusioniert, durch den Tod seiner Frau (starker Beginn im Roman) stets melancholisch, ja, depressiv. Jene Dinge veredelt King mit feinfühliger, differenzierter Sprache, mit der er gar zu früherer Form aufläuft, möchte man fast meinen. Aufgrund der sehr ausführlich, psychologisch ungemein intensiven Schilderung dieser Figur oder auch etwaiger anderer, ist es trotzdem nicht allzu überraschend (bei King sowieso nicht), dass "Sara" an einigen Passagen schlichtweg zu lang geraten ist. Oftmals vermisst man eine gewisse Geradlinigkeit und vor allem die Tatsache, dass das Buch durchgehend spannend sein sollte, was aber nicht der Fall ist.

Spätestens mit dem Auftauchen der Figur Mattie und ihrer Tochter Kyra, dem damit aufkeimenden Sorgerechtsverfahren und der ebenso sich anbahnenden Liebesbeziehung, genauer gesagt Michaels Kampf mit seinem tiefsten Inneren, sein Kampf zur Unterdrückung gegen die aggressiveren Züge seiner Sexualität, weitet sich "Sara" zu einer komplexen Liebesgeschichte, zu einer komplexen Studie über Vertrauen, Moral und juristische Sitten aus, bei der sich Stephen King einmal mehr als begnadeter Erzähler entpuppt. Aber auch sonst sind ihm gerade die Charakterisierungen der beiden Anwälte und des Detektivs gelungen. Akzente setzt er aber definitiv im Bereich der Antagonisten. Sei es nun der herrlich verschrobene, bösartige, sadistische Max Devore oder die drollig-schräge Rogette Whitmore. Sie alle werden ausgezeichnet dem Leser näher gebracht, so sehr, dass man schon bald automatisch eine tiefe Abscheu gegen diese Figuren empfindet. Ungeachtet all des Lobes beherbergt dann aber insbesondere der letzte Teil des Romans einige narrative Schnitzer – Erinnerungen an den weniger kunstvollen King aus alten Tagen. Keine Frage, das Rassismus-Thema, die Vergewaltigung als solches (eine der intensivsten Stellen des Buches), kann sich erstaunlich gut in die Handlung integrieren. Nur ist vor allem der Übergang zwischen Natürlichem und Übernatürlichem gen Ende wenig überzeugend bis gar störend entwickelt. Denn genau dort verlässt "Sara" die vorher gefahrene, im Ansatz durchaus richtige Schiene des Realistischen. Stattdessen schreibt King einen Showdown, einen überaus unpassenden Showdown, bei dem in erster Linie die aufgesetzt wirkende, leicht in Klischees verfallende Gespenstergeschichte deplaziert wirkt und das wirre Finale dadurch mit unnötigem Hokuspokus-Gedöns aufgebläht wird. Und wer ist letztendlich wieder an allem schuld? Richtig, die Geister.

Fazit:

In seiner Summe ist Stephen Kings "Sara", der sich im Übrigen von Dauphne du Mauriers Klassiker "Rebecca" hat inspirieren lassen, ein fabelhaftes, definitiv jedoch überlanges, intelligentes, handwerklich kreativ geschriebenes Stück Literatur, voll mit bissigem Humor, doppelbödiger Narration, skurrilen Existenzen, blutrünstigen Monstern und einer Portion spannendem Grusel. Doch es ist nichtsdestotrotz kein typischer King, entweder als Satire auf die Abteilung der Literatur oder eben als großangelegte, schlüssige Studie über Liebe, Tod und Trauer, über zwischenmenschliche Beziehungen, sollte man den Roman verstehen.

8/10