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Mittwoch, 28. November 2018

"The House That Jack Built" [DK, D, F, S 2018]


Fünf Kapitel, fünf Vorfälle, ein Epilog. 

Erster Vorfall. Die Frau und der Wagenheber.

Zweiter Vorfall. Die Frau und das Blut.

Dritter Vorfall. Die Frau und ihre Kinder.

Vierter Vorfall. Die Frau.

Fünfter Vorfall. Die Kugel.

Epilog. Die Hölle.

Die Geschichte des Serienkillers Jack (Matt Dillon) umfasst fünf Lebensepisoden und ein Urteil. Jack ist Architekt, er hat einen Wasch- und Ordnungszwang. Sein Traum ist ein Haus. Er tötet ohne Mitgefühl. Er schlüpft in Kostüme, um seinen Opfern aufzulauern. Seine Opfer, die toten Leiber, werden Kunstwerke. Obwohl die Idee verlockend klingt, einen Film von Lars von Trier als Genrefilm zu rezipieren, versagt "The House That Jack Built" als Genrefilm. Der Serienkiller hat es nicht (mehr) leicht, sich unter den vielen Serienkillern durchzusetzen, die Kino und Wohnzimmer heimsuchen. Einen letzten originellen Zugriff zeigte David Fincher in seiner Netflix-Serie "Mindhunter" auf, in der der Killer forensisches Beobachtungsobjekt war. Der Killer Jack hingegen ist ein tumber Killer – nicht besonders hintergründig, nicht besonders einfallsreich. Er mordet. Er liebt die Zerstörung und Zersetzung. Das ist alles. Lars von Trier liebt die Frauen und vergöttert seine Charaktere, aber Jack ist ein Abziehbild, das von jedem anderen hätte entworfen werden können. Wenn "The House That Jack Built" als vorhersehbares, psychotisches Verdammnistraktat scheitert, dann überzeugt er, im zweiten wie im dritten Nachgang, als polemische Groteske und als didaktischer Exkurs. 

Man könnte sarkastisch behaupten, dass "The House That Jack Built" die Neugierde des Künstlers bändigt. Nach "Nymphomaniac" (fünf Jahre vorher) glaubt der dänische Provokateur, den anekdotischen Diskurs adaptieren zu können – nicht nur Charlotte Gainsbourg und Stellan Skarsgård führten einen platonischen Dialog. An ihre Stelle treten Matt Dillon und Bruno Ganz, die eine Metaebene nach der anderen abklopfen, damit der Mord durch die Kunst legitimiert wird. Ganz ist Verge, ein apokalyptischer Botschafter, der die Beichte Jacks mit Fußnoten, Kommentaren und Pointen (meist) neugierig wie (allzu oft) entlarvend entlastet. Jack erfindet Scheingründe, seine "Arbeit" zu verteidigen. Der Eindruck, dass der Filmemacher prophezeit und nicht der Schauspieler seinen Text spricht, vergeht zu keiner Sekunde. In der Theorie verteidigt von Trier seine Arbeit – eine Arbeit, die mit dem Schönen zusammentrifft, wenn sie das Schrecklichste preist. Wie Weintrauben, deren Gestalt durch Frost, Dürre und Pilze entstellt wird. Wie eine Eiche in Buchenwald, unter der Goethe vor Jahrhunderten dichtete. Diese beiden Analogien und gewitzten Metalepsen ordnen sich einem Film unter, der ansonsten unwahrscheinlich komisch jegliche Skandalhaftigkeit erstickt.


Die Komödie ist "The House That Jack Built" nicht auszutreiben. Selbst jene zwei Szenen, die in Cannes eine schlagzeilenwürdige Massenflucht und gesteigerte Empörung auslösten – die Erschießung von zwei Kindern, eine gewaltsame Brustamputation –, werden in deren jeweiliger Vorgeschichte ironisch demaskiert. Ein Gewinn ist, wie von Trier Missdeutungen, Schizophrenien und Improvisationsfantasien zerdehnt, die eine ebenso absurde Heiterkeit wie selbstreflexive Interpretation erzeugen. Uma Thurman schwadroniert ausgerechnet über Serienkiller, die des Weges mit einem Lieferwagen kommen und vorgeben, ihr zu helfen. Jack flüchtet vor der Polizei, während der Kopf des toten Körpers seines Opfers blutige Asphaltstriemen zieht. Jack inspiziert den Tatort – vielerlei wahnhafter Eingebungen zufolge handelnd – nach Blutspuren, die sich, dem Auge nicht sofort erkenntlich, versteckt halten. Jack versucht darüber hinaus, mit einer einzigen Kugel mehrere Kopfschüsse zu verursachen. Dafür fehlt ihm das erforderliche Vollmantelgeschoss, das er sich in einem roten Pyjama besorgt. Matt Dillon ist teuflisch und ragt in den Film, in seine Geschichte hinein, die er seelenentspannt vor der Moral rettet. 

Eine Frage allerdings stellte sich bei Lars von Trier nie: Die Frage nach der Erkenntnis im Zuge des platonischen Dialogs. Was bleibt haften von "The House That Jack Built"? Womöglich eine narzisstische, verspielte Collage, die mit weitaus weniger Raffinesse verleimt wurde. Ab und zu fragt sich der Däne selber, was in einem Sujet noch herausholbar ist, das längst – wie die Sensen, die im Atemschritt über das Gras pflügen – vollautomatisiert einer Vorlage Rechnung trägt. Lars von Triers Antwort liegt, neben gelegentlich satirischem Nonsens, zwischen Botticelli und Bosch. Der Epilog ist die einzige rauschhafte, die einzige aufregende Szene. Dabei war Jacks Schicksal vorgezeichnet, der Abstieg in die Hölle folgerichtig. Jack und Verge schweben in zwei Seifenblasen hinab zu Gestein und Wasser, laufen an einer romantischen Erinnerung Jacks vorbei und stehen schließlich auf einer Brücke, deren Weg hinauf, aus der Hölle heraus, zerstört ist. Jack wählt die Abkürzung, er kraxelt an den Wänden hoch, um auf die andere Seite zu gelangen. Ob Jack das schafft, was viele nicht geschafft haben, dürfte einzig vom Kunstverständnis Lars von Triers abgeleitet werden können, das in der poetischen Brutalität nach einer Erweiterung des Mordbegriffs strebt.

Freitag, 27. Mai 2011

"Kill Bill - Volume 1/2" [USA 2003-2004]


Ganz unabhängig davon, dass "Kill Bill – Volume 1" unterm Strich tatsächlich scheinbar kaum auffällig-selbstzweckhafter mit Stil, Zauber und Verweis seines verrückten Videothekars maßlos vollgefressen ist, markiert "Kill Bill – Volume 1" nichtsdestotrotz eine Art Zäsur in Quentin Tarantinos bisheriger Regiekarriere, die sich vor seinem Epos aus drei Filmen zusammensetzt. Verschwunden ist sie, die schmuddelige, abgefuckte, triste, ausgelaugte Großstadtatmosphäre aus "Reservoir Dogs", aus "Pulp Fiction", stattdessen werden die Bilder geglättet, beleuchtet, auf Vordermann gebracht und auf Hochglanz poliert. Tokio erstrahlt, das Blut erstrahlt, die Wunden zerschnittener Körper erstrahlen, wie alles in diesem ersten "Kill Bill". Verschwunden ist es, das verschachtelte, sprunghafte, ehrgeizig auf episodische Kurzgeschichten manövrierende Erzählwerk. In "Kill Bill – Volume 1" wird zwar auch kapitelweise und gegen die Chronologie der Ereignisse erzählt, aber insgeheim folgt Tarantino einer für seine Verhältnisse geradezu stringenten Rachehandlung ohne explizite Verzweigung. Verschwunden ist er, der hemmungslos illustre Cast aus fünf, sechs, sieben, acht weltberühmten Gesichtern und der damit einhergehenden Fokussierung nicht etwa auf einen Protagonisten, sondern gleich aller.

Nein, erstmals schrieb Tarantino ein Drehbuch, passgenau zugeschnitten auf eine einzige Figur, der Rache auf kalt servierenden *piep*, gespielt von einer ebenso physisch durchtrainierten wie psychisch mannigfaltigen Uma Thurman, die ihre persönliche Abrechnung in aalglatten Gesten schultert. Genauso eliminiert: das bedeutungsschwangere Quatschen über die unwichtigen Dinge des Lebens, bekannt als "Tarantino-Dialoge", längst verankert im Einmaleins postmodernen Filmemachens. Keine Diskussionen über Fußmassagen mehr; die Füße samt Zehen werden gleich in Großaufnahme eingefangen, spart ja Zeit und ist direkter im Umgang mit des Regisseurs ausgeprägter Fußliebe. Überhaupt opfert Tarantino zugunsten der Geradlinigkeit seiner überraschend spektakulären Geschichte ausschweifenden Klamauk und empfiehlt sich – auch hier: erstmals – für ein Bewerbungsgespräch als veritabler Actionregisseur, dessen famos durchchoreographierte Faust- und Schwertkämpfe trotz ihres eigenwilligen Comiccharakters genau das evozieren, was man heute mit der Ausrede des Mittendrin und der auf kommerziellen Aspekten fußenden Familienunterhaltung zu zerstören versucht: Überschaubarkeit, Härte, Kinetik, Energie.


Alle anderen filmischen Motive lassen sich auf die kleinste gemeinsame Steigerung herunterbrechen, gleicht man sie mit dem Debüt "Reservoir Dogs", dem vergötterten "Pulp Fiction" und dem unterschätzten Meisterwerk "Jackie Brown" ab: durchtriebener. Durchtriebener das Plündern in der Querverweiskiste. Hier Eastern, da Asia, dort wieder Augenpaare (Italo-Western), darüber die 70er-Jahre (facettenreiche Niederkniemusik) und dazwischen sanfte japanische Weisheiten, zwischen dem brutalen Anime und dem traditionellen Hong-Kong-Film. Verehrung gleich Verbeugung gleich Referenz; niemals war Tarantino kompromissloserer Art-Director, leidenschaftlicherer Kinogänger, cineastischerer Nerd, spielfreudiger, so spielfreudig wie ein kleines Kind beim Geschenkeaufreißen zu Weihnachten. Im Gegensatz zu den seelenlosen Albernheiten eines Robert Rodriguez bleibt es bei Tarantino eben nicht bei der bloßen Aufschichtung popkultureller Haupt- und Nebenströmungen. Seine rot-gelb verfärbte Gewaltoper erweitert das regellose Tarantino-Universum mit neuen unorthodoxen Gesetzmäßigkeiten, in denen sekundenlange Fontänen an Blut aus sämtlichen Körperteilen bis an die Decke spritzen.

Vor allem jedoch manifestiert sich Tarantinos Bildsprache in der Gratwanderung zwischen Grausamkeit und Ästhetik. Tarantino, der Ästhet, der Künstler. Immer bereit, dem Ekel seinen Ekel mit Hilfe der Schönheit zu nehmen. Die Beispiele in "Kill Bill – Volume 1" sind diesbezüglich lang, der gesamte Film ist berauschendes Sinneschaos. Den Split Screen hat Tarantino aus "Jackie Brown" entnommen, ein erstes Highlight im Krankenhaus, wenn in der linken Seite die Arme und Venen der Braut gezeigt werden, während im rechten Bereich die hineinstechende Spritze vorbereitet wird. Oder der erste Frau-gegen-Frau-Kampf zu Anfang, die nicht enden wollenden Filter und, natürlich, schwarz-weiß. Nicht zu vergessen der tobende Showdown im Haus der Blauen Blätter, ein wahnwitziges Massaker, dem eine wahnsinnige Plansequenz voraus geht (Kamera: Robert Richardson). Infolge dieses Finales findet Tarantino kraftvolle Montagen und betörende Kontraste, aus denen die Farben sprießen. So kämpfen die schwarz schattierten Schwertschwinger in blauem Licht und der minimalistische, aus Schritten und Blicken geformte Endkampf gegen Lucy Liu wird vor einer poetischen Schneekulisse ausgetragen, ehe "Kill Bill – Volume 1" eine fiese Brücke zum zweiten Film schlägt. Formidabler Größenwahn auf eleganteste Art.


8 | 10



Quentin Tarantino schlägt dem Zuschauer mit "Kill Bill – Volume 2" ein Schnippchen, veräppelt und verarscht ihn grandios. Glaubte man ihn im ersten Film ohnehin gar nichts (Tarantino, der Actionhero?), so wird man ihn im zweiten Teil anhand der Attitüde, dass die überbordenden Blut- und Schwerteinlagen meditativer Ruhe gewichen sind, garantiert verdammen. "Kill Bill – Volume 2" ist das narrative Gegenstück zu "Kill Bill – Volume 1" und konterkariert vollständig all das, was "Kill Bill" zur kurzweiligen Ketchup-Sause machte. Wo Tarantino ein, zwei Gänge nach oben schaltete, so schaltet er stellvertretend zur Einhaltung des Geschwindigkeitsschilds diesmal ein, zwei Gänge nach unten. Statt Anstieg plötzlich Drosselung, statt unaufhaltsamem Vorwärts mit Verve nun vermeintliche Stagnation ohne artifizielles Rambazamba. "Kill Bill – Volume 2" ist von diesem Standpunkt aus mehr Tarantino, aber deshalb nicht weniger doppelbödig im Umgang mit Brechung, Codierung und Selbstreferenz. Ganz anders, eine Sensation: "Kill Bill – Volume 2" übertrumpft unspektakulär-spektakulär den Vorgänger. Denn Tarantino inszeniert nicht nur erwachsen(er), er inszeniert nebenbei einige der denkwürdigsten Momente seiner Karriere, aus denen Urkräfte herausplatzen.

Bereits in der schwarz-weißen Rückblende der Hochzeitsprobe, deren latente Angst angesichts des bald folgenden, monströsen Höhepunktes Magen- und Darmbereich heftig attackiert, trifft die Braut (gewohnt vielschichtig: Uma Thurman) auf Bill (mit durchdringendem Blick: "Kung Fu"-Star David Carradine). Beide bewegen sich aufeinander zu. Abwechselnde Schnitte zwischen ihren Schuhen und ihren Körpern. Bill genießt seinen Sadismus vor dem Masochismus. Weite Landschaftspanoramen, ein elegischer Blick der Braut gen Zukunft. Tarantino genießt die Poesie im Angesicht der Apokalypse. Und der Zuschauer die Ruhe vor dem Sturm. Mit weiten Landschaftspanoramen extrahiert Tarantino gleichzeitig die Quintessenz seines zweiten "Kill Bills" aus den Untiefen von Pop und Kultur: eine Hommage an Italo-Western. Italo-Western, wenn sich die selbst gerettete Braut mitten durch die flimmernde Hitze schleppt, um zu töten. Italo-Western, wenn Felsvorsprünge und Wüstenterrains aufgrund monotoner Kamerabewegungen von einem Hauch Epik umweht werden. Italo-Western, wenn Ennio Morricone den Taktstock zur Auflehnung des eigenen Schicksals schwingt. So auch in der unbändigen Begrabungssequenz, wo das Bild schwarz wird, die Luft dünner, der Wille stärker, die Fingerknöchel blutiger, das Holz splittriger. Zweites Highlight, überaus kräfteaufzehrend und intensiv.


Und das dritte folgt sogleich. Uma Thurman vs. Daryl Hannah (gefährlich-einäugig) im abgewirtschafteten Wohnbereich des abgewirtschafteten Budd (lakonisch hauptsächlich im gewitzten Dialog über verfluchte Hüte: Michael Madsen), jeder Schlag auf die Knochen eine laute unbarmherzige Explosion. Offen bleibt, ob die Operation "Kill Bill" wirklich abgeschlossen ist, da Elle Driver (Daryl Hannah) nach Beendigung des brachialen Handkantenaustauschs zwar blind, aber nicht tot ist. Fragezeichen, auch in den Abspanncredits. Wohingegen Tarantinos verschrobener Humor das Töten Budds durch das Gift einer Schwarzen Mamba zulässt. Kalkulation? Selbstverständlich. Thurmans Spitzname als Killerin lautete "Black Mamba"; im übertragenen Sinne war sie also die Schlange, war sie die Killerin. Intelligent! Das letzte Kapitel bietet dann die besten 20 Minuten Tarantino-Kino, aus dem die Fäden zum Netz einer ebenso melodramatisch-ergreifenden wie melancholisch-verstörenden Tragödie gespannt werden. Was muss das für ein Augenblick sein, als die Braut (mit vollständigem Namen Beatrix Kiddo) ihrer todgeglaubten Tochter gegenübersteht!

Und was ist das für ein empathischer Augenblick, als die Braut mit ihrer todgeglaubten Tochter ein Video zu den lebensbejahenden Klängen von "About Her" ansieht! Was für eine Wärme, die Tarantino entwickelt! Bill vergleicht in seinem fulminanten Monolog über Superhelden nach seiner fulminanten Analogie eines getöteten Fisches zur ewigen Dualität von Gut und Böse seine Auftragskillerin kurz darauf mit Superman, der zwei Masken und zwei Kostüme trägt (Beatrix Kiddo mit ihrem Wunsch sich als Mutter zu verkleiden, die allerdings ihr angeborenens Killerkostüm nicht ablegen kann), eine echte Tarantino-Szene, um danach die alles entscheidende 64.000-Dollar-Frage zu stellen. Ab da wissen wir endgültig, dass nicht Hass, Eifersucht oder Neid der Katalysator für Bills Rache verkörperte, nein es war bedingungslose Liebe, für die er schlussendlich selbst den letzten Gang der Verurteilten antreten muss. "Kill Bill – Volume 2" endet mit einem tröstlichen Familienbild, unentschlossen zwischen Freude und Bedauern, Läuterung und Verzweiflung über das gewonnene Schlachtfeld. Vielleicht ist der Dschungel sicherer geworden, aber noch lange nicht im Lot.

9 | 10