Sonntag, 1. Februar 2015

"Tabu der Gerechten" / "Gentleman's Agreement" [USA 1947]


Story

Der angesehene Journalist Phlilip Green erhält von einem renommierten Magazin den Auftrag, über die oftmals unmenschlichen Lebensumstände jüdischer Bürger in den USA zu recherchieren und einen größeren Leitartikel zu schreiben. Da er aber nur schreiben kann, wenn er sich stets in die betreffenden Personen hineindenkt, gibt er sich schließlich als Jude aus, was ihm allerdings mehr und mehr zum Verhängnis wird, in dem er zum gesellschaftlichen Außenseiter avanciert. Green begegnet während seiner Arbeit sämtlichen Hässlichkeiten: versteckte Vorurteile, offener Hass, ja, sogar Juden, die aufgrund von Angst und Scham ihre eigene Herkunft verschleiern. Als seine Verlobung zu zerbrechen droht, als plötzlich sein Kind von Klassenkameraden eingeschüchtert wird, spitzt sich die Lage zu...

Kritik

Elia Kazans kontrovers-gesellschaftskritisches Essay über die Rassendiskriminierung in einem angeblich liberalen und toleranten Amerika, das half, die Juden vor den Nazis zu befreien, nur um selber dem latenten Antisemitismus zu verfallen, basierend auf dem Besteller von Laura Z. Hobson. Obgleich mittlerweile über 60 Jahre auf dem Buckel, analysiert Kazan und Drehbuchautor Moss Hart das Entfernen insbesondere von Juden, aber auch von anderen unerwünschten Personen aus sämtlichen sozialen und kulturellen Bereichen nach wie vor auf eine bemerkenswert differenzierte Art und Weise. Die geschliffenen Dialoge, anfangs noch wunderbar pointiert, evozieren mit zunehmendem Maße kraftvolle Argumentationen, bei denen Kazan beide Seiten beider Parteien beleuchtet und mit interessanten Thesen stützt, die er von den Protagonisten begründen lässt. Dabei tangiert "Tabu der Gerechten" merkwürdigerweise keinen Querverweis zu deutschem Antisemitismus der NS-Zeit, sondern behandelt das Problem eigenständig, sodass die Gefahr einer Relativierung gar nicht erst aufkommen kann. Auch wenn man den Holocaust verurteilt, auch wenn man gewissermaßen Antifaschist ist, kann man trotzdem Antisemit sein. Die scheinbar aufgeklärte Kathy (Dorothy MacGuire) spürt das am eigenen Leib, als sie in einer der Schlüsselszenen sagt: "Ich hasse die Juden, überall machen sie Probleme!", und schließlich hinzufügt, dass sie froh darüber sein kann, nicht Jüdin zu sein, so wie sie lieber reich denn arm, gesund denn krank ist. Eine ergreifende, ungemein wuchtige Szene. Somit thematisiert "Tabu der Gerechten" nicht nur den eigentlichen Fremdenhass innerhalb aller Klassen (Handgreiflichkeiten in einem Nobelrestaurant; unerwünschte Gäste anderen Glaubens in einem renommierten Hotel werden einfach ignoriert; die Sekretärin, die ihren Namen ändern musste, um einen Job zu bekommen etc.). Mehr noch, nicht nur den linken und jüdischen Fremdenhass per se, es wird außerdem – natürlich eher oberflächlich – die Palästina-Frage angerissen, ebenso wie die Reaktionen angeblicher "Gutmenschen" (der Originaltitel "Gentleman's Agreement" unterstreicht dies geradezu zynisch), die lediglich in Stillschweigen verharren; jene wie Kathy, welche das Problem zwar benennen, aber keine Kraft haben, zu handeln und vor allem zu kämpfen. Jene Menschen, welche offiziell nichts gegen Juden haben, hinter vorgehaltener Hand dennoch mit Boykottierung, Denunziation und Distanzierung jener ethnischer Minderheiten kokettieren und somit als Feiglinge entlarvt werden.


Ein mutiges Statement also, ein zutiefst menschliches noch dazu. Schade jedoch, dass der Film gegen Ende seine Schärfe und seine direkten Aussagen verliert, in dem er ein aufgesetzt und unnötig optimistisches Ende zeichnet. Schade auch, dass, sobald das Script sein Rassismus-Thema verlässt und sich stattdessen auf die aufkeimende Lovestory zwischen Kathy und Philip (Gregory Peck) konzentriert, "Tabu der Gerechten" hier und da bestimmte Längen vorzuweisen hat. Ebenfalls irrelevant für die Handlung darf die Herzkrankheit Mrs. Greenes (augenzwinkernd: Anne Revere) gesehen werden, da zu keiner Zeit näher drauf eingegangen wird und sich besagte Krankheit tendenziell wie ein Fremdkörper in der Handlung anfühlt. Nichtsdestotrotz werden die inhaltlichen Schwächen zumeist von den hervorragenden Schauspielern kompensiert. In erster Linie sticht dabei Gregory Peck heraus, der den anfangs desillusionierten, später aufrichtigen Journalisten vortrefflich verkörpert, und letztlich sämtliche Formen der Ausgrenzung kennenlernen wird. Um seine Person dreht sich die Kernfrage des gesamten Films: Soll ich Diskriminierung tolerieren, wenn ich kein Jude bin? Als Demokrat, als Christ, als vorbildlicher Bürger? Seine Antwort, unsere Antwort, die Intention: Nein. Ich muss immer aufstehen, immer Diskriminierung jeder Art bekämpfen, selbst als Nichtjude, selbst als Mensch anderen Glaubens, selbst wenn dadurch eine Liebesbeziehung zerbricht. Immer. Ohne Kompromisse. Ihm zur Seite steht eine tatkräftige Moderedakteurin (Celeste Holm) und ein langjähriger Freund, seines Zeichens selber Jude, von einem großartigen John Garfield gespielt.

Fazit

Der erste Hollywoodfilm über Antisemitismus (hier: dem religiös motivierten) ist zugleich ein überaus brisantes, vielschichtiges Werk, heute wie damals, das den Zuschauer wachrüttelt, ihn zum Nachdenken zwingt, ihn vielleicht sogar beeinflusst, seine jetzige Meinung zu hinterfragen. Die Anklage gesellschaftlicher Missstände, das engagierte Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz, all das hinterlässt einen zeitlosen Eindruck.

7,5/10