Kurios ist, dass John Carpenter in den Vereinigten Staaten als
akzeptierter Genrefilmemacher gilt und in Europa, speziell in
Frankreich, als tiefgründiger Künstler. Auf die Frage, warum das so sei,
konnte sich Carpenter während eines Live-Interviews allerdings zu
keiner befriedigenden Antwort durchringen. Er wisse es selbst nicht,
obwohl er sich imstande sah, die Frage des Fragestellers trotzdem zu
korrigieren. Er gelte in Amerika nicht als "akzeptierter Genrefilmemacher",
wie sich der Mann aus dem Publikum rücksichtsvoll auszudrücken pflegte,
sondern, wie sich Carpenter persönlich auszudrücken weiß, als… Penner.
Großes Gelächter. Der Saal tobt.
Für die Amerikaner gelte er deshalb als Penner, weil sein erster lakonischer Spielfilm "Assault – Anschlag bei Nacht" beispielweise, der mit seiner tollkühnen künstlerischen Vision, wie eine in sich kaum abgeschlossene Momentaufnahme zu wirken, deren Zusammenhänge sich zwar erschließen sollen, die das Drehbuch aber nicht preisgibt, dem erklärfreudigen US-Kino Enge, Stille und Dichte aufzwinge. Kein Wunder demnach, und später sollte Carpenter durch "Das Ding aus einer anderen Welt" die schlechtesten Kritiken seines Lebens erhalten. Da kommt einer an, bringt zeitgleich mit "E.T." – mit süßem Weltraumkitsch also – ordinären Weltraumekel in die Kinos. Ein Affront. Was man Carpenter nicht vorwerfen kann, ist, dass er keinen absoluten Willen hätte zu provozieren. Ein Sonderling eben. Ein Sonderling sondergleichen.
George A. Romero verwies darauf, dass ihn Carpenter eins gelehrt habe: dass Spannung nicht mit einem donnernden Orchester illustriert werden müsse, sondern dass simple Takte weniger Tasten auf einem handelsüblichen Instrument reichen würden, Situationen musikalisch so zuzuspitzen, dass man ihnen nicht mehr entkommen kann. John Carpenter, der Musiker eben, der Synthesizer, beinah alles tanzt im 4/5-Rhythmus bei ihm. Ein Schlagzeilengewitter für eine Bewerbung: John Carpenter, der Produzent, der Drehbuchautor, der Kamerafetischist. Und, natürlich, John Carpenter, der Nerd, der Geek, der Freak, das Kind im Manne, das sich, wie er gestand, gern vom Dunkel fesseln lasse. Carpenters cineastische Sozialisation begann passend dazu mit Science-Fiction-Kult, den Gruselklassikern (als er einen davon im Kino sah, flüchtete er laut schreiend) und dem Western.
Western sind sie irgendwie alle, die John-Carpenter-Filme. Western aufgrund einer abgeschotteten Polizeistation im fernen Nirgendwo ("Assault"), Western in der Großstadthitze ("Die Klapperschlange"), Western auf dem Mars ("Ghosts of Mars"), stets mit den obligatorischen leinwandausfüllenden Breitbildern ("The Fog – Nebel des Grauens") versehen. Howard Hawks ist nie weit entfernt von John Carpenter. Der eine hat dem anderen den Weg zum Kino geebnet, bei beiden definieren sich die Figuren durch ihr rationales Handeln, durch den freien Willen vielmehr, deren Aktionen, worin auch immer diese bestehen mögen, so schnell verfliegen, wie sie sich spontan dazu entschieden haben, dieses oder jenes anzupacken, sich zu schützen, zu erwidern, mit Waffengewalt oder keiner.
Carpenter erwähnt in diesem Zusammenhang auch gern die Beeinflussung der Frauenrolle durch Hawks. Carpenter setzt genau wie Hawks auf starke, betuchte, emanzipierte Ladys mit dem Finger am Abzug, deren mysteriöses Lächeln ihre erotische Sinnlichkeit betont. Mit "Vampire" widmete Carpenter schließlich einem anderen Großmeister des Westerns seine Hommage, Sam Peckinpah, indem er die männlichkeitsbestärkte Peckinpah-Montage samt Zooms, Zeitlupen und kiloweise Gedärm minutiös nachstellte. "Die Mächte des Wahnsinns", vermutlich letzter ambitionierter Carpenter-Film, verweist hingegen direkt auf Stephen King, während "Das Ding aus einer anderen Welt" sowohl Hawks-Remake als auch erweiterte "Alien"-Versuchsanordnung darstellt.
Man sieht, die Reminiszenz, das postmoderne Plündern im Konglomerat stereotypischer Genremuster zur fantasievollen Jahrmarktsunterhaltung, erweist sich insofern als ein unerschütterlicher Eckpfeiler im Schaffenswerk Carpenters, der sich stets selbstironisch zitiert und augenzwinkernd referenziert, vor allem seine Leidenschaft zum Fantastischen, zum Skurrilen, aber auch zum Hintersinnigen inmitten des Erheiternden. Seine dramaturgischen Schablonen verschiebt er dagegen selten, die Leitgedanken ähneln sich. Es geht in Carpenter-Filmen um die Reduktion des filmischen Mittels, um formale Strenge und Simplizität, um verschlungene Räume, Fassaden und Labyrinthe, um handwerklichen Minimalismus, ebenso wie um die leisen Töne des Genregesetzes, um Spannung, die gar keine ausufernde Effekthascherei braucht.
Bei Carpenter wartet die metaphorisch konnotierte Apokalypse im sonnigen Vorgarten, damit sie zur Haustür geleitet werden kann, wenn der Regen tropft und der Donner grollt. Ob in Gestalt eines undurchdringlichen Nebels ("The Fog"), zum Leben erwachter Plymouth Furys ("Christine"), zerstörerischer Kinder ("Das Dorf der Verdammten") oder in Gestalt eines gefrierschrankkühlen Beelzebubs ohne Emotion ("Halloween"): Wenn das Unvorstellbare, oft auch ebenso metaphysisch wie ideologisch beschwert, in den Alltag der Normalität einbricht, dann züchtet es Monster. Unruhe, Anspannung, Belagerung und urbaner Zerfall spielen hierbei eine thematische Hauptrolle, zu der Carpenter immer wieder zurückkehrt.
So visionär Carpenter den Slasher auch revolutionierte, so ikonische Charakter er auch erfand (Snake Plissken, Michael Myers, die Screem-Queen Jamie Lee Curtis) und so bedrohlich-schön eine stattliche Anzahl seiner Filme auch heute noch nachwirken (eine weitere Reminiszenz: zu "Assault" erklärte Carpenter, dass er sich selbstverständlich von Romeros "Night of the Living Dead" inspirieren ließe, denn wenn ein junger aufstrebender Filmemacher das verneine, lüge er), so seicht geriet sein Spätwerk, so glanzlos seine Selbstvertrashung. Jedem, der sich Carpenter filmisch annähern will, sei deshalb empfohlen, bis zum "Ding aus einer anderen Welt" zu schauen und gegebenfalls "Die Mächte des Wahnsinns" hineinzunehmen. Als ob Carpenter nicht mehr die künstlerische Energie hätte, sich vom Kino vereinnahmen zu lassen. Waren es die miesen Reaktionen zu "Das Ding aus einer anderen Welt", von denen er sich angeblich nie wieder erholte? Oder ist es schlicht der Spaß, der Carpenter abhandengekommen ist?
Die Zeiten jedenfalls, als Carpenter spitzzüngig sein "Sie leben!" als politische Allegorie auf die Reagan-Ära verstanden wissen wollte – im symbolischen Kostüm der Aliens jene Republikaner, über die sich Carpenter so unaufhaltsam amüsierte –, die sind lange vorbei. Legen wir ihn der Ahnengalerie ehemaliger Meister bei. Wenn etwas in der Apokalypse garantiert überlebt, dann sein Denkmal. Sicher.