Mittwoch, 4. Juli 2012

"Apocalypse Now" [USA 1979]; Redux


Über Weltenkollisionen und der Wiederherstellung der alten Ordnung

Über 30 Jahre sind vergangen, und über "Apocalypse Now" weht nach wie vor der Mantel der Filmgeschichte. Das wahnsinnigste Werk New Hollywoods mit der wahnsinnigsten Produktionsgeschichte, schlicht und ergreifend eine Bestie, schlicht und ergreifend ein Kriegsfilm, der keiner ist, ein Genrefilm, der nie in die Nähe des Genres rückt, am ehesten ein künstlerischer Bewältigungsprozess, der allen Beteiligten die Kraft raubte. Vielleicht ist "Apocalypse Now" deshalb so kraftvoll, weil er die Widerstandsfähigkeit des Körpers und die Mechanik des Geistes in sich trägt, vielleicht ist "Apocalypse Now" deshalb eine Lehrstunde des Filmemachens, ein Mammutwerk, ein erschöpfender Akt zerstörerischer Energie, so weit sein Horizont, so tief seine Aussagen, so groß und verstörend der Abgrund, an dem der Film zwischen extremer Gegensätzlichkeit taumelt und dies verhandelt wissen will.

"Apocalypse Now" ist anstrengend, und wenn er nicht anstrengend ist, dann ist er imponierend, und zwar so imponierend, dass jede einzelne Sekunde Zelluloid in ihren tiefsten Bestandteilen mit der Ohnmächtigkeit nach dem totalen Chaos angereichert scheint. Eine Weltordnung zerbricht, der Mensch radikalisiert sich zu seinen archaischen Wurzeln, weg von der Technik, dem Tastendruck des Tötens, hin zum Werkzeug, der Klinge des Aufspießens, Zeit und Raum verschieben sich; "Apocalypse Now" spielt in einem irrationalen, der Chronologie der Ereignisse entrückten Gefüge, das keinen Anfang und kein Ende kennt. Es kennt nur Inhalte einer Welt im Rückwärtsgang – Schlick, Matsch, Morast, Napalm, Vergewaltigung, Mord, abgeschossene Hubschrauber, abgehackte Gliedmaßen, abgelegte Unschuld, den Horror, die Droge danach. Es flattert, es schwirrt, es bebt und es zittert, es riecht nach der Qual, etwas dagegen tun zu müssen. 

Und die Bilder des Infernos erst – Wälzen im Blutbett, Surfen im von Explosionen erschütterten Strand des Feindes, Massakrierung mit Wagner, Apokalypse mit den Doors. Irgendwie ist die Zeit verloren gegangen, aber was zählt die Zeit in der Hölle, einer animalischen? Willards Reise entlang der Halsschlagader des Universums bis zum schwarzen Herzen seines Verstandes ist mit Blut geschrieben, ihr fehlt jegliche Orientierung, jegliche innere Bewegung, aber Coppola verrät sein Sujet nicht, indem er es bedient. Coppola begreift Vietnam als allegorische Überleitung zu tiefen, existenziellen Schichten des Menschseins, aus denen sich die verheißungsvolle Verführung und schlussendlich die Heirat mit dem Bösen manifestiert, angezogen vom gesetzlosen Dschungel, abgestoßen vom Humanismus der westlichen Welt. 

Nach der Brücke – der Do-Lung-Brücke –, die der Film zum letzten Tor der Zivilisation erklärt, bevor alles in einem vorzeitlichen Matsch aus psychedelischer Mystik und surrealem Führerkult untergeht und ein schwarzes Loch am Himmel Ungeheuer gebärt, hat Marlon Brando seinen ikonischen Auftritt als in der Zeit Reisender, um dahin zu gelangen, wo er dem ultimativen Grauen ein Stück näher kommt. Coppola filmt ihn im Schatten, dessen Licht er als Requisite gebraucht. Kurtz wird als Opfer auf die Schlachtbank geführt, während Willard im gleichen Licht-und Schattenspiel zum Nachfolger emporgehoben wird. Alle legen ihre Waffen nieder, vorbei ist es mit dem Krieg. Willard umarmt seinen Partner vom Patrouillenboot und reißt ihn mit sich. Er zerrt in eine neue Ära, in der hoffentlich die Waffen schweigen. Unter dem Berg voll Scheiße findet Coppola einen Hauch von Ausblick für den Frieden in den Generationen nach der Wiedererrichtung der Neuen Welt.

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