Unmissverständlich bleiben einem nach Sichtung
von Billy Wilders "Frau ohne Gewissen" drei Dinge im
Gedächtnis. Erstens – Mrs. Dietrichsons (Barbara Stanwyck) mit ihrem Namen
eingraviertes Beinkettchen, das unseren Antiheld, den Versicherungsvertreter
Walter Neff (Fred MacMurray), beinah um den Verstand bringt. Zweitens – Barton
Keyes' (Edward G. Robinson) analytisches Gedächtnis, das seine Analytik aber
nur dann ausspielen kann, wenn sich der "kleine Mann" zu Wort meldet,
eine Art abgespaltener Teil Keyes' Bewusstsein. Drittens – Mrs. Dietrichson
höchstpersönlich als Essenz der Femme fatale aller Femme fatales in sämtlichen
Film Noirs jeglicher Produktionsjahre. Billy Wilders "Frau ohne
Gewissen" ist allerdings ebenso die Essenz des Noirs schlechthin. Ob
er der erste ist, sei mal dahingestellt, ob er als einer wenigen dieses
mythische Genre (vorausgesetzt, dass es tatsächlich eines ist) revolutionierte,
das lieber nicht.
Harte Kontraste, bedrohliche Schatten, spärliche
Beleuchtung, düsteres, wenngleich des Öfteren geradezu "unschuldiges"
Ambiente (eine Kegelbahn), gediegener Schnitt – "Frau ohne
Gewissen" ist handwerklich der olbigatorische Film Noir, mixt diese
Elemente zu einem stimmigen audiovisuellen Cocktail und verdeutlicht damit
nicht zuletzt die Ausweglosigkeit der Protagonisten, wenn sie in einem
verdunkelten Raum vor aufgezogenen Jalousien stehen und das Licht lediglich
durch die kleinen Schlitze fällt, wodurch im metaphorischen Sinne die
Gefangenheit aller Beteiligten auf die Spitze getrieben wird. Viele Teile des
Films spielen komplett im Dunkeln. Die Eingangssequenz ist ein Musterbeispiel
perfekten zeitlich- wie räumlichen Spannungsaufbaus mit Hilfe formaler
Ingredenzien. Da, genau dort, wo alles anfängt, in einem kalten,
gottverlassenen Versicherungsgebäude, fast so gottverlassenen, dass es fast ein
wenig surreal wirkt, dort wo Walter Neff mit Schweißperlen auf dem Gesicht sein
Geständnis ablegt, dort wird alles enden; in nächtlicher Umgebung hat es
angefangen, mit den Sonnenstrahlen des Tages wird es enden, der durch
Manipulation und Betrug einhergegangene, psychische Verfall Walter Neffs.
Der perfekte Mord, sexuelle Anzüglichkeiten,
Lügen, Lust, Begierde: Ganz in der Tradition des Film Noirs nimmt sich "Frau
ohne Gewissen" trotz des – und das ist bei dem sich stets durch
Studiokonventionen hindurchmogelnden Regisseur keine Überraschung – damalig
vorherrschenden Hays Codes zur strengen Zensur moralisch verwerflicher Filme
all der Themen jener "Schwarzen Serie" an, die Hollywood besonders
missbilligte. Billy Wilder und der erstmalig an einem Drehbuch mitarbeitende
Raymond Chandler, dessen Romanvorlage "Tote schlafen fest"
später von Howard Hawks verfilmt
werden würde, erzählen die Geschichte des Romans von James M. Cains in
Rückblenden mit Voice-Over-Kommentaren, einem weiteren gern verwendeten Mittel
des klassischen Noirs, das die Zuschauer unvorbereitet traf, weil es bis dato
noch nicht verwendet wurde und der Augenmerk weniger auf unkonventionellen,
mehreren Zeitebenen spielenden, als vielmehr auf geradlinigen
Handlungsabschnitten lag. Obwohl man weiß, wie das teuflisch-suggestive
Versteckspiel zwischen Mrs. Dietrichson und Neff sein Ende finden wird, dreht
sich die alles entscheidende Frage um das Wie. Wie konnte es dazu kommen, obwohl
es man vorher weiß?
Dass der Zuschauer, ungeachtet vorweggenommener
Lösung, mitfiebert und miträtselt, dafür lassen sich Wilder und Chandler
besondere inszenatorische wie schriftstellerische Kabinettstückchen einfallen.
Das Drehbuch ist verwinkelt, wenn auch, gerade in Bezug auf die nebulösen
Motive Lolas (Jean Heather) und Ninos (Byron Barr), bisweilen etwas zu
ungelenk, bezieht seinen Reiz vordergründig aus der Ermittlungsarbeit, einen
Versicherungsbetrüger, später gar einen Mörder zu finden, der in Wirklichkeit
in den eigenen Reihen sitzt, aus seiner Angst, irgendwann doch enttarnt zu
werden, und seinen Zweifeln, das scheinbar perfekte Verbrechen vielleicht doch
nicht perfekt genug ausgeführt zu haben, jenem Walter Neff nämlich, dessen
aufkeimende Beziehung sowohl in sexueller als auch in dienstlicher Hinsicht zu
Mrs. Dietrichson einem Pakt mit dem (hier: femininen) Teufel gleicht. Begleitet
von gepfefferten Dialogen, die so geschliffen wie poetisch daherkommen,
verantwortlich für Wortspiele und Zweideutigkeiten, wie sie nur Wilder und
Chandler schreiben können. Selbst das Urklischee aller Klischees in einem
Krimi, der nicht anspringende Motor im entscheidenden Moment, verdichtet das
Script zur nervenzerreißenden Spannung, ebenso wie jene Szene, als Neff im
Zimmer seines Chefs auf den einzigen Zeugen beim initiierten Selbstmordversuch
trifft, in der Hoffnung, dass er von eben diesem nicht erkannt wird.
Konträr des obligatorisch coolen, abgebrühten
Detektivs aus einschlägigen Noirs wie Philip Marlowe aus "Tote
schlafen fest", porträtiert Wilder dagegen einen relativ normalen
Durchschnittstypen, der keine attraktive Frau sein Eigen nennen kann und von
dem ganz großen Geld noch ein ganz großes Stück entfernt ist. Da ist es
logisch, dass er die Chance ergreift, zum ganz großen Geld zu gelangen, zur
attraktiven Frau, auch wenn der Gewinn mit einem abscheulichen Plan und der
daraus resultierenden Gefahr bei Festnahme durch den elektrischen Stuhl
verbunden ist. Bei Walter siegt schlussendlich die Sehnsucht nach Phyllis, nach
ihrem goldenen Beinkettchen, ihrem Jasminduft, den hohen Schuhen, alles, was
seinen Untergang bedeuten wird.
"Ein Freund von mir hat eine feine Theorie. Er sagt, wenn Zwei einen Mord begehen, fahren sie in der gleichen Richtung und können nicht anhalten. Keiner kann vor der Endstation abspringen. Sie müssen gemeinsam fahren und ihre Endstation ist der elektrische Stuhl."
Während Fred MacMurray die Rolle des amoralischen
Versicherungsagenten famos und mit pointierten Sprüchen zwischen den Lippen
interpretiert, gelingt es seinem weiblichen Gegenpart ebenfalls die Sympathie
des Zuschauers auf seine Seite zu ziehen, obwohl er mindestens genauso
skrupellos handelt und mindestens genauso intrigant und kokett erscheint.
Stanwycks blonde Perücke, Phyllis' eiskalte Augen, als der Plan zu gelingen
scheint, wird man so schnell nicht vergessen. Ihr Schauspiel ist außerordentlich,
nach außen hin charismatisch, innen hingegen brodelt es, da ist ihre Gier nach
materiellem Reichtum verankert, vielmehr schier grenzenlos, das billige
Versprechen vom Traum der großen Liebe mit Walter billige Attrappe. Sie weiß,
wie man spielt, wie man mit den Reizen Walter einwickelt, um ihn zu
hintergehen. Walter ist Werkzeug, Phyllis befehlsgebende Instanz, die auch dann
nicht aufgibt, wenn der Plan längst aufgeflogen ist. Legendär, wenn sich beide
im Supermarkt treffen und alles genau kalkulieren, Phyllis ihrem eleganten Stil
wegen konsequenterweise mit schwarzer Sonnenbrille.
Eigentlich lebt und fällt "Frau ohne Gewissen" angesichts seines Dreiergespanns, nicht seines Zweiergespanns aus Phyllis und Walter. Für die wohl nachwirkensten Suspense-Augenblicke sorgt nämlich der Mann, der die illustre Runde erst komplettiert und letztendlich seinen besten, klügsten Mitarbeiter des Mordes überführt. Man fragt sich dauerhaft: Was würde Barton Keyes machen, wenn er keinen "kleinen Mann" hätte, der ihm die zahlreichen Versicherungsbetrügereien aus dem Bauch heraus mitteilt? Robinson verkörpert einen durchweg gerissenen Hund, der nicht locker lässt, immer schnüffelt, immer etwas wittert, wenn es was zu wittern gibt, etwas stinkt, insbesondere nach Geldprellung. Man kann sicher sein: Wo es nichts herauszufinden gibt, findet er es heraus. Keyes verfügt über eine kleine Körperstatur, doch umso größer und effektiver sein Riechorgan.
Paradoxerweise ist es ausgerechnet Keyes, der den
Rücken seines Arbeitskollegen freihält, nur um am Ende zu der Einsicht zu
gelangen, dass ihn sein unwiderstehlicher Helfer das erste Mal im Stich
gelassen hat, als er den falschen Täter in Verdacht hatte. Unvergessen der Monolog
Keyes beim Chef, als er die These aufgrund guter alter Statistiken in der Luft
zerfetzt, es würde sich bei dem betreffenden Fall um Selbstmord handeln.
Schließlich beweisen Statistiken alles. Sie sind unfehlbar, zumindest in Keyes'
Universum. Unvergessen auch die Tatsache, dass Keyes sich in regelmäßigen
Abständen beim Verlangen nach einer Zigarette das Feuer von Neff borgen muss,
respektive von Hand entzündbare Streichhölzer. Nur ein einziges Mal hat er selber
Streichhölzer für Neff übrig. Der Moment könnte ironischer nicht sein – in der
entscheidenden Schlusssequenz, wo Neff vor seinem Tod (sei es auf dem
elektrischen Stuhl, durch Gas oder anhand seiner Schussverletzung; Wilder hat
die gedrehte Sequenz wieder verworfen) die letzte, wirklich allerletzte
Zigarette rauchen will. Das Skurrile: Neff, der sonst zu jeder Zeit Feuer
hatte, ist jetzt auf das Feuer Keyes' angewiesen.
Eine promiskuitive Raubkatze, ein idealistischer Schäferhund und ein besessener Mörder, auf dessen Seite sich der Zuschauer auch noch schlagen muss – dass Hitchcock den Film außerordentlich mochte, ist kein Geheimnis, warum er ihn mochte, wird schnell deutlich. Über "Frau ohne Gewissen" weht einerseits einmaliger Noir-Hauch, andererseits fatalistischer, erotisch aufgeladener und in den künstlerisch memorablen Hell-Dunkel-Kontrasten gar expressionistisch wirkender Krimiduft, der andere Wege einschlug als seine Genrekollegen und seinen Sog in einer schäbigen Welt entfesselt, bei der man förmlich den Staub fühlen kann. Einmal mehr entpuppt sich Wilder als richtungsweisender Regisseur, dessen Werk eine Sonderstellung innerhalb der "Schwarzen Serie" einnimmt. Dennoch gilt es zwei Dinge zu beachten: Die Inhaltsangabe auf der Rückseite der deutschen DVD lässt man lieber links liegen und den deutschen Filmtitel gleich mit. Wilder: "Frau ohne Gewissen? Das trifft doch auf nahezu jede Frau zu".
7 | 10