Montag, 4. Mai 2009

"Bonnie und Clyde" / "Bonny and Clyde" [USA 1967]


Story

Die Wirtschaftskrise hat in den amerikanischen Südstaaten der Zwanzigerjahre tiefe Wunden hinterlassen. Die Menschen haben keine Hoffnung mehr, es herrscht Chaos. Hier nun begegnen sich Bonnie Parker, eine Kellnerin mit dem Traum von der großen Filmkarriere, und Clyde Barrow, ein soeben aus dem Gefängnis entlassener Kleinganove. Die beiden haben eines gemeinsam: Autorität. So was wie Regeln oder feste Normen gelten als Fremdwörter, stattdessen stehen bei ihnen Rebellion und Gewalt an der Tagesordnung. Bonnie und Clyde verlieben sich ineinander und halten die amerikanische Welt mit spektakulären Banküberfällen in Atem. Von der Bevölkerung als Helden gefeiert, hat das Paar jedoch kaum Chancen gegen das Establishment...

Kritik

Sie avancierten innerhalb kürzester Zeit zu Volkshelden während der Weltwirtschaftskrise in den USA. In einem Land, in dem Chaos und Hoffnungslosigkeit vorherrschten, in einer Periode, die gemeinhin als "Ära der Volksfeinde" bezeichnet wurde. Stets durch den Südwesten reisend, spezialisierten sie sich hauptsächlich auf Banküberfälle, doch wenn man des Mordens nicht drumherum kam, mordeten sie eben auch. Das Resümee ihrer Verbrechen von 1931-35 ist beachtlich: Schätzungsweise dreizehn Morde und unzählige Raubüberfälle, noch dazu ungezählte Überfälle auf kleinere Läden gehen auf ihr Konto. Großes Aufsehen erlangten ihre Verbrechen in den Medien, so sehr, dass sie sich schon bald "Fans" ausgesetzt sahen, die ihnen angesichts ihres Mutes und ihrer Verwegenheit nacheiferten und sich ihrer Bande anschließen wollten. Die Rede ist natürlich vom berühmt-berüchtigen Gangster- und Liebespaar Bonnie Elisabeth Parker und Clyde Chestnut Barrow, besser bekannt unter dem heutigen legendären Namen Bonnie und Clyde, welche förmlich als Helden ihrer sozialen Schicht gefeiert wurden. Bonnie, ihres Zeichens in Rowena (Texas) geboren und als einsame Kellnerin vom Leben frustriert, gab sich vor allem der Schriftstellerei (darunter das Gedicht "The Story of Bonnie and Clyde", das von ihren ganz persönlichen Eskapaden mit Clyde berichtet) und der Malerei hin, während Clyde einer armen Landarbeiterfamilie nahe Dallas entsprang, und der schon früh durch kleinere Delikte wie Autodiebstahl mit dem Gesetzt in Konflikt kam. Nachdem sie sich im Januar 1930 kennengelernt hatten und schnell ein Paar wurden, begann Bonnies und Clydes kriminelle Karriere zwei Jahre später, als Clyde aufgrund eines Verbrechens mittels Bewährung aus dem Gefängnis kam. Eine Karriere, die neben denen von John Dillinger, Al Capone und Ma Barker zu den berühmtesten unter Amerikas größten Gangstern zählt – und deren Untergang letztlich einer Tragödie gleichkommt.

Jene Bonnie und Clyde sind seit 1937, in dem sie ihr Leinwanddebüt in Fritz Langs "You Only Live Once" feierten, mehr oder weniger essentieller Bestandteil in den Medien, in Filmen, aber auch in der Musik. So hat sich nicht nur Bollywood (logischerweise romantisch) dem Thema angenommen, auch "Die toten Hosen" nutzten das Gangsterpärchen respektive ihr Leben für einen Song auf ihrem Album "Opium fürs Volk". Das Phänomen Bonnie und Clyde ist bis heute bestehen geblieben und wird es auch in Zukunft. Ebenso lassen sich filmgeschichtlich einige Plagiate feststellen, die sich von dem Motiv – Paar auf selbstzerstörischerer Tour de force gegen die Gesellschaft - inspirieren haben lassen, so wie Oliver Stones "Natural Born Killers" oder Ridley Scotts "Thelma & Louise", die ein ähnliches Gangsterpärchen tangiert und die originalen Bonny und Clyde sozusagen in die Gegenwart verfrachtet. Arthur Penns "Bonnie und Clyde" war seiner Zeit in vielerlei Hinsicht gegen den Strich gebürstet und löste noch dazu eine kleine, aber mehr und mehr bedeutende Revolution aus. "Bonnie und Clyde", das ist kein familientaugliches Unterhaltungskino mehr, der Streifen spinnt diese Tradition konsequent nicht weiter. Stil, Narration und Charaktere versprachen etwas Ruppiges, etwas Böses und etwas Erwachsenes, mit dem sich insbesondere Kinder nicht mehr identifizieren konnten. Heute unlängst als Klassiker der Filmgeschichte angepriesen, vermochte "Bonnie und Clyde" dem Publikum früher etwas gänzliches Neues zu präsentieren. Im heutigen Zeitalter wirkt der Film zwar etwas dated und seine vielfach diskutierte Gewalt vermag nicht mehr zu schocken, trotzdem ist und bleibt "Bonnie und Clyde" ein besonderer Tipp für den Liebhaber im Kultfilmbereich.


Als Vorbote, als wegweisender Pionier der New-Hollywood-Ära gilt Penns "Bonnie und Clyde". Betrachtet man die narrative Seite des Films, fällt auf, dass der Streifen diesem Ruf durchaus gerecht wird. "Bonnie und Clyde" beherbergt keine traditionelle Erzählweise, kein obligatorisches Happy End, stattdessen setzen David Newman, Robert Benton und Robert Towne auf einen dem europäischen Kino orientierten Erzählstil. De facto stützt sich Penn auf eine Abfolge vieler aufeinanderfolgender, in sich geschlossener Szenen, die jedoch nicht zusammenhanglos erscheinen, sondern vielmehr zu einem kohärenten Ganzen verschmilzen. Darüber hinaus macht "Bonnie und Clyde" nicht selten den Eindruck eines Bühnenstückes der damaligen Zeit, eben kein perfektes Make Up, keine stets "sitzenden" Dialoge, keine perfekte Ausleuchtung, sodass der Film auch das unfreiwillig Komische, wie in der ersten "Bettszene" zwischen Bonnie und dem in der Sequenz stümperhaft und hölzern agierenden Clyde, tangiert. Hinzu kommt die stets gesellschaftskritische Grundhaltung, also die Demaskierung des American Way of Life, und der vorzugsweise radikale, ungewohnt offene Umgang mit Gewalt.

"Bonnie und Clyde" siedelt sich irgendwo zwischen Gangsterdrama und Actionkomödie an. Von einem fast schon beschwingten Wechsel vom Tragischen und Komödiantischen (Demütigung des Polizisten, die "Fast Foot lastige Autofahrt"), zwischen Gewalt und Humor profitiert in erster Linie der Film. Da ist es nicht verwunderlich, dass Penn einmal mehr zwei Individuen in den Fokus rückt, die mit wilden Taten auf sich aufmerksam machen, die aus einem vorgezeichneten Lebensentwurf fliehen und dementsprechend Alternativen ausprobieren, welche sich letzten Endes aber schmerzvoller als vorher angenommen entpuppen. Hier manifestiert sich am ehesten Penns Gegenentwurf klassisch bürgerlicher Existenzformen – und der sozialkritische Tenor, der in New-Hollywood-Filmen nicht selten die Bühne des Geschehens betritt. Doch es ist nicht alles wunderbar an "Bonnie und Clyde". Newman, Benton und Towns Drehbuch krankt häufig an verschiedenen Gesichtspunkten. Erst mal präsentieren sie dem Zuschauer gleich zu Beginn die beiden Figuren, ferner wie sie schon nach rund 10 Minuten Spielfilmlänge zueinander finden und ein Paar werden, was gleichzeitig bestimmte Fragen aufwirft. Aufgrund der anfangs zu hektischen Exposition wird an keiner Stelle so richtig klar, durch welche Motive Bonnie und Clyde vorangetrieben werden. Ist es wirklich der Reichtum oder doch etwas Anderes, vielleicht sogar das Spiel mit dem Risiko? Niemand erfährt zudem, woher sie kommen, warum sie genau in einem immer ärmer werdenden Land so eine Revolte wagen. Auch kann sich "Bonnie und Clyde" nicht vollständig von diversen Klischees befreien, die sich dahingehend äußern, dass beispielsweise gerade Bonnies Mutter ihrer Tochter sagt, dass ihr Weg der falsche ist, oder dass gerade das schwächste Glied in der Verbrecherbande (Blanche) zum Verräter wird und das Meiste über Bonnys und Clydes derzeitigen Aufenthaltsort ausplaudert, demnach also erheblich zur Fassung (später zur Tötung) des Gangsterpärchens beiträgt.


Abgesehen davon, fährt "Bonnie und Clyde" mit einem relativ hohen Tempo gen Ende, so sehr, dass es an Abwechslung tendenziell nicht mangeln kann. Nichtsdestotrotz beherbergen auch diese 106 Minuten ein paar kleinere Längen, speziell da, als Buck Barrow (Gene Hackman) einen qualvollen Tod erleidet. Danach stagniert die Story im Leerlauf, die aufkommenden Dialoge zwischen Bonnie und Clydes Faher, C. W. Moss mit seinem Vater, bringen bestimmte Ermüdungserscheinungen mit sich, bis es dann endlich wieder im großen Showdown richtig krachen kann. Wie weiter oben schon beschrieben oder zumindest rudimentär angedeutet, stützen sich Penn und seine Drehbuchautoren auf einen sehr stringenten, geradlinigen Erzählfluss, der es jedoch leider zulässt, dass "Bonnie und Clyde" auf der narrativen Ebene kaum Überraschungen zulässt, Höhepunkte oder "Aha-Momente", sodass der Film bisweilen (besonders im Mittelteil) eine gewisse Spannungsarmut vorweist. Des Weiteren wäre es vielleicht wünschenswert gewesen, wenn man nicht nur die Polizeiarbeit näher beleuchtet hätte, auch über den weiteren Fortgang des Pärchens bzw. ihre Gesamtbilanz ihrer Verbrechen in Form von Texttafeln im Abspann aufgeklärt werden würde. Somit wirkt das Ende, wenngleich wir uns in einem New-Hollywood-Film befinden, zu abgehackt und zu abrupt, was aber wieder im Umkehrschluss bedeutet, dass der Zuschauer konsequent mit einem flauen Gefühl im Magen zurückgelassen wird.

Handwerklich zieht "Bonnie und Clyde" alle Register. Arthur Penn zieht alle Register, wenn er Actionsequenzen, visuelle Farbfilter, Jump Cuts und Zoom-Effekte dem Zuschauer offenbart, die von so einer hohen Virtuosität zeugen, dass man nicht annehmen würde, dass man sich hier tatsächlich in einem Film aus den 60ern befindet. Diese radikalen Actioneinlagen kommen erstaunlich roh, brutal und sogar teilweise ästhetisiert, aber dennoch brillant choreographiert rüber. Penn inszenierte mit "Bonnie und Clyde" eine knüppelharte Gewaltballade, die nicht vor expliziten Blutbädern zurückschreckt und in der letzten Szene sogar einen gewaltigen shoot out für die Ewigkeit präsentiert. In Zeitlupe und mit Dede Allens virtuosem Schnittgewitter versehen, werden Bonnie und Clyde förmlich von den Kugeln zersiebt. Lobenswert ebenso die Kameraführung Burnett Guffys, die beispielsweise bei einem Banküberfall ihre Stärke ausspielen kann, in dem sie sich den Kopfbewegungen Clydes anpasst.


In Sachen Figurenkonstellation setzt Arthur Penn ganz im Stil des New-Hollywood auf ambivalente Außenseiter, auf innerlich zerrissene Protagonisten. Er berichtet von realen Personen mit realen Problemen, die jedoch an ihrer Realität (keine Scheinwelten) zugrunde gehen und das ansonsten ach so moralische System besiegen wollen, in dem sie die Macht der Rebellion nutzen. Die Zusammenstellung der Barrow-Bande war in diesem Kontext einmal mehr ein für damalige Verhältnisse gar waghalsiges Unterfangen. Ganz auf Bonnie und Clyde konzentriert, sind es daher vor allem Warren Beatty und Faye Dunaway, die dem Film nahtlos ihren Stempel aufdrücken können. Beatty spielt einen impotenten, zwar unberechenbaren, aber irgendwie schon sympathischen Gangster, Dunaway (dessen Karriere damit erst so richtig begann) dagegen eine bildhübsche, ebenso sympathische, humorvolle, charmante, aber dennoch naive und ängstliche junge Frau. Schlussendlich muss man konstatieren, dass die Chemie zwischen den beiden stimmt und der Reiz des Streifens besonders aus dessen Beziehung hervorgeht. Da ist es nicht zu übersehen, dass das Drehbuch offensichtlich die beiden Figuren als romantisch und stets komisch darstellt, de facto wird hier der Mythos des "guten" Gangsters beschworen und nicht umgekehrt. Ohne moralischen Zeigefinger, mit ebenso viel Sympathie für die Hauptdarsteller als auch für deren Charaktereigenschaften.

Die restliche Bande besteht mehr oder weniger aus schmuckem Beiwerk. Für Gene Hackman fungierte sein oscarnominierter Auftritt zugleich als Sprungbrett für seine Karriere. Spielen tut er seine Rolle als witzerzählender Buck Barrow überzeugend, wenngleich sein gelegentliches over acting (bei dem ersten Aufeinandertreffen mit Bonnie und Clyde) Anlass zur Kritik gibt. Auch Estelle Parsons als Blanche kann eine ordentliche Leistung abrufen. Auch wenn ihr hysterisches Geschrei erheblich an dem Nervenkostüm des Zuschauers rüttelt und sie eher eine der uninteressanteren Charaktere ist, kann sich ihre Performance trotzdem als schnörkellos (oscarprämiert) - ihre jeweilige Gemütslage ergibt sich fast nur aus unterschwelligen Mimiken und Gestiken (bei ihrer Abneigung gegenüber Bonnie bedarf es nur einer einzigen Kameraeinstellung) - bezeichnen, während der blasseste aller Darsteller, Michael J. Pollard alias C. W. Moss, den langweiligsten aller Akteure interpretiert. Warum dieser stets grinsende Tankstellenverkäufer plötzlich ein verhältnismäßig wichtiges Mitglied in Bonny und Clydes Bande wird, bleibt im Dunkeln. Warum er ohne zu überlegen dazu stößt, bleibt ein Rätsel des Drehbuchs.


Fazit


In seiner Summe stellt "Bonnie und Clyde" einerseits eine tragische Romanze im Milieu der Kriminalität dar, andererseits eine Parabel um echte von der Gesellschaft zurückgewiesene Außenseiter, welche die amerikanische Bevölkerung so begeisterten, dass ihre eigentlichen Verbrechen für viele nur zweitrangig waren. Aufgrund diverser Defizite in der Narration, darf sich Arthur Penns "Bonnie und Clyde" zwar nicht als Meisterwerk anpreisen, zu dem er gern mal gemacht wird, als Klassiker aber allemal, der – und das diesmal ohne Zweifel – zu den Wegbereitern des Kinos praktisch dazugehört.

7/10