Story
Ivan gehört zu den Gutmenschen dieser Welt. Er glaubt nicht an das Böse und sieht in allen Steinen, die ihm in den Weg gelegt werden, eine Prüfung des Teufels. Gerade hat er es sich zur Aufgabe gemacht, auf seinem ländlichen Anwesen ehemalige Häftlinge zu bekehren und zu resozialisieren. Bislang stehen der Vergewaltiger und Alkoholsüchtige Gunnar und der gewalttätige Tankstellenräuber Khalid unter seiner Obhut. Zu ihnen gesellt sich nun der Neonazi Adam, der es sich wiederum zur Aufgabe gemacht hat, Pfarrer Ivan von seinem wahnwitzigen Grundgedanken, dass es nichts Böses auf dieser Welt gibt, zu befreien. So beginnt ein fulminantes Duell zwischen einem Gläubigen, der sich Gott verpflichtet fühlt, und einem Gläubigen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Hitler zu folgen...
Kritik
Nach "Blinkende Lichter" (2000) und "Dänische Delikatessen" (2003) präsentiert Anders Thomas Jensen einen weiteren Film dänischer Schmiede, der sich dem Grotesken, Schwarzhumorigen und dem Skurrilen verschreibt. In "Adams Äpfel" prallen grundverschiedene, an Karikaturen grenzende Charaktere aufeinander: Da trifft ein mehr oder weniger überzeugter, pragmatischer Neonazi auf einen mehr oder weniger gutgläubigen, weltfremden Pastor, ein Araber fungiert als dreister Tankstellenräuber, da existiert eine hochschwangere Alkoholikern, die selbst in der Schwangerzeit bis zum Exzess säuft, und da gibt es der Komplettierung halber noch einen trotteligen Triebtäter. Eine durch und durch illustre Runde, die zudem geschickt die mit den jeweiligen Individuen verbundenen Erwatungshaltungen des Zuschauers außer Kraft setzen. Der Araber ist weder Opfer noch hilflos, der Neonazi versucht einen Apfelkuchen zu backen, tja, hier verkehren sich die Rollenklischees und driften ab ins Absurde. Abgesehen davon sind die unterschiedlichen Konstellationen der Figuren (egal, ob Freund oder Feind), wie sie de facto auf engstem Raum ohne Ausweichmöglichkeiten zusammenprallen, wie sie neue Facetten ihres Wesens untereinander entdecken, wie sich ihr schwarz-weiß-Denken, ihr karges Weltbild so langsam mit Farbe füllt, wie sie sich quasi selbst entdecken, all das stellt sich letzten Endes als zutiefst anrührend und lobenswert heraus. Jensen hat mit diesem liebenswürdigen Personengeflecht alle Asse in der Hand, was sich vor allem in den Darstellern widerspiegelt. Mads Mikkelsen brilliert kraftvoll als ambivalenter Ivan – steht Gott nun auf seiner Seite oder gar der Teufel? -, Ulrich Thomson als Glatze, maulfaul und stets monoton in seiner Mimik, aber auch Ole Thestrup als vulgärer Arzt, der irgendwie nicht dem typischen Bild eines Arztes entspricht, weiß zu gefallen, sodass es dem Zuschauer eine Menge Spaß bereitet, ihren aberwitzigen verbalen Gefechten beizuwohnen. Und davon gibt es in "Adams Äpfel" selbstverständlich genug.
Neben all dem erfrischenden und lakonischen, aber immer unterschwellig konnotierten Humor, und der unnötigerweise mit viel Blut getränkten Handlung, dessen urplötzliche Gewaltakte allerdings manchmal den Anschein machen, als ob sie Fremdkörper wären (erste körperliche Auseinandersetzung zwischen Adam und Ivan), schafft es der Regisseur mit seinem klugen Script dennoch, "Adams Äpfel" nicht nur als plumpe Groteske erscheinen zu lassen. "Adams Äpfel" ist mehr als das. Einerseits liebäugelt Jensen mit einem Sozialdrama theologisch-philosophischem, jedoch wunderbar unpolitischem Grundgerüst, eben eine durch und durch moralische Fabel mit einer Vision eines zutiefst humanistischen Menschenbildes, was nicht nur per se durch die ständigen symbolischen Verweise auf das Alte Testament (Buch Hiobs, die Plagen, die den Apfelbaum heimsuchen, der brennende Apfelbaum, die Würmer, die zur Schlange werden...) gefestigt wird, andererseits ist "Adams Äpfel" vor allem vordergründig erst einmal Komödie und Tragödie, dessen Balanceakt dem dänischen Filmemacher hervorragend gelingt. Nicht selten mutet der Film durch seine teils märchenhafte, teils düstere, teil surrealistische, dann wieder teils heitere Inszenierung zum Lachen und Weinen an (die kongeniale Szene mit einer Diskussion über die richtige Anzahl an Keksen sei hier erwähnt), manchmal aber auch zum Nachdenken (Ende). Die Frage, ob der Glaube an das Gute nun entweder Irrsinn oder ob er etwa der einzige Weg durch eine ausnahmslos schlimme Welt ist, wie es denn eigentlich mit der Güte und den Schwächen des Menschen aussieht, oktroyiert der Narrative einen komplexen Sockel. Technisch ist dem Film darüber hinaus wenig bis gar nichts vorzuwerfen, lediglich der Score Jeppe Kaas ist durch seine ausgesprochen "muntere" Komposition mehr nervend denn fördernd, ja, er wirkt stellenweise in der Tat ein wenig redundant. Hinzu kommt der verhältnismäßig einfallslose Streich, dass der ungläubige Skinhead namens Adam (ohne Eva und Schlange; braucht er auch gar nicht) nur mit Donner, Blitzen und prasselndem Regen zu Gott und zum resultierenden Glauben findet, was sich im Kontext des restlichen narrativen Gefüges als einzige zu stark konstruierte Angelegenheit entpuppt.
Fazit
In seiner Summe ist "Adams Äpfel" ein interessanter Film fernab jeglichen Mainstream-Konventionen. Voller witziger Einfälle, voller zündender Pointen, voller überbordener Fantasie, voller verschrobender Details, voll von Charakteren, deren Gegensätze bei ihren verqueren Richtungsänderungen im häufigsten Fall ein großes Maß an Irritation beim Zuschauer hervorrufen. Diese Äpfel sind bitterböse und erstaunlich tiefgründig, süß sowie vor allem bemerkenswert lustig, aber letztlich zu unbefriedigend im Geschmack, als dass man sie wieder und wieder kaufen möchte.
7/10