Samstag, 7. März 2009

Literatur: Love (Stephen King), 2006



Story:

Seit zwei Jahren ist Lisey nun schon Witwe, und doch hat sie immer noch das Gefühl, dass zu ihrem Mann, dem berühmten Autor Scott Landon, eine unerklärliche Verbindung besteht. Als Lisey nun den Nachlass ihres toten Mannes regelt, stößt sie auf seltsame Hinweise - Hinweise, die direkt von Scott an sie gerichtet zu sein scheinen. Immer tiefer gerät Lisey in den Sog der Erinnerungen an eine dunkle Vergangenheit, die sie mit Scott geteilt hat. Längst vergessen geglaubte Dämonen tauchen plötzlich wieder auf, Bruchstücke einer verbotenen Welt, die sie mit ihrem Mann besucht hat, verlangen nach Beachtung. Außerdem ist da auch noch eine reale Bedrohung in Form eines wahnsinnigen Psychopathen, dem jedes Mittel recht ist, an Langdons schriftstellerischen Nachlass heranzukommen, absolut jedes Mittel...

Kritik:

Hingegen weitläufiger Meinungen, dass es sich bei Stephen Kings "Love" um einen seiner persönlichsten Romane handelt, muss jedoch ganz entschieden dagegen gestimmt werden. Denn "Love" ist keinesfalls ein autobiographisch konzipierter Roman, auch wenn das von King geschilderte Familienkonzept durchaus einige Parallelen zu seinem eigenen aufweist, hat seine Frau Tabitha doch bespielsweise auch fünf Schwestern. Nein. Mit "Love" erzählt King eine anrührende Geschichte. Eine herzergreifende, eine ungemein romantische Geschichte. Eine epische Lovestory voller Wärme und Emotionen. Ein Streifzug durch die Vergangenheit der Hauptprotagonistin, die ihre früheren Erlebnisse nach dem Tod ihres Mannes mithilfe sogenannter "Bool-Stationen", also eine mehr oder weniger klassische Schnitzeljagd, durchlebt. Lisey heißt sie, diese clevere und zweifelsohne mutige Frau, die von King - und es sei es auch nur weitestgehend subtil - durch die Hölle geschickt wird. Die aber auch mit soviel Liebe zum Detail gezeichnet ist, dessen Ehe mit Scott so wunderbar harmoniert, eben ein durch und durch verschworenes Paar (Bonny und Clyde lassen grüßen, oder auch Sailor und Lula.), dass man das Buch einfach nicht weglegen kann. Erstaunlich vor allem, dass der Autor dabei nicht ins Kitschige abdriftet, was bei dem Thema einerseits überraschend ist, andererseits aber auch dem Roman einen zusätzlichen realistischen Stempel aufdrückt. Ansonsten ist die Welt, die King uns präsentiert, komplex, kraftvoll bebildert, mitunter so atemberaubend geschrieben, dass ein kompletter Film vor dem geistigen Auge ablaufen kann. King offenbart unter der Oberfläche dieser geheimnisvollen, aber doch so gefährlichen Phantasiewelt (mit Namen Boo´ya Mond), die als letzte Station, der Angst und dem Alltag zu entfliehen, fungiert, ein Versprechen, dass wohl jeder seine ganz eigenen Kindheitserinnerungen in einer Art Traumwelt fest verschlossen hält. Es ist dieser dunkle Vorhang von Erinnerungen, dessen King sich widmet. Dass man sich früher oder später nicht mehr an sie erinnern will, wiederum früher oder später ist man dann aber doch kraftlos und sie kommen wieder, seine verdrängten Erinnerungen, egal wie viel Mühe man sich gegeben hat, sie noch so stark zu unterdrücken.

So ungewöhnlich des Altmeisters Spätwerk auch sein mag, "Love" hat dann aber doch noch für den Leser und jeden echten King-Fan etwas in petto. Es ist also nicht nur dieses ruhige und bodenständige Trauerspiel, das sich anfangs vielleicht ankündigt, vielmehr verknüpft King Elemente aus früheren Zeiten, für ihn obligatorische Elemente – Schreckensmomente -, bei denen man letztlich den Eindruck gewinnt, der Horror-Großmeister habe sich doch nicht vollständig von seiner Chose distanziert. "Love", das ist in erster Linie eine Parabel um den alltäglichen Wahnsinn in verschiedensten Formen. King stellt Thesen auf, die er auf den folgenden Seiten begründet. Und "Love" ist eine Geschichte des Blutes (Von grotesken Selbstverstümmelungen, über des Autors gewohnte Fäkalsprache bis hin zu expliziten Sexszenen ist alles an Absurditäten vertreten.) und kommt nicht selten einem psychadelischen Alptraum gleich, einer psysischen Odyssee durch tiefste menschliche Abgründe. Hierbei sei vor allem dem Höhepunkt des Buches besondere Aufmerksamkeit zuteil, der von Scotts Kindheit in intensiven Schilderungen berichtet. De facto eine in mehrere Dekaden eingeteilte Rückblende, die erst viel später zu Ende erzählt wird. Aber auch in Form des bizzaren, nichtsdestotrotz aber geheimnsivollen Jim Dooley gewinnt King einige sehr löbliche, weil spannende und dichte Psychothriller-Elemente ab, die den Roman stellenweise gar ein wenig gruselig und, ja, surreal erscheinen lassen – nicht zuletzt durch die eigentliche Person Dooleys, dessen Beweggründe fast durchweg im Dunklen bleiben. Allenfalls die mitunter überhand nehmenden phantastischen Elemente in der ach so realistischen Handlung bieten Anlass zur Kritik, bei dem gerade gegen Schluss eine eindeutige Differenzierung zwischen Wirklichkeit und Traumwelt nicht mehr möglich ist – zumindest nicht mehr problemlos, denn King flüchtet immer häufiger vorankündigungslos nach Boo´ya Mond, schlägt also immer häufiger den Spagat zum klassischen Horror-Roman ein, der in seiner Konzeption nur an den wenigsten Stellen gelingt.

"Love" ist unglaublich vielschichtig, unglaublich detailliert skizziert. "Love" ist ebenso unglaublich kompliziert und verlangt vom Leser einige Konzentration ab, die insbesondere King-Neueinsteiger abschrecken werden. Ohnehin eignet sich "Love" nicht unbedingt für selbige. Denn der Roman springt wie oben schon rudimentär erwähnt, von einer Zeit zur anderen. Nicht selten wechselt die Geschichte sogar von der Vergangenheit in die Vergangenheit und wieder zurück, dann wieder in die Gegenwart und so weiter. Hinzu kommen Kings kreative Wortschöpfungen, die einen großen Reiz beherbergen, so erfindet man anstatt dem berühmt-berüchtigten Wort mit "f" dann "schmicken". Oder mit Floskeln wie "SUWAS", mit skurrilen Betitelungen wie "Inkunks" und mit kleineren Wortspielen wie "bösmüllig" schafft King eine unverwechselbar dichte Atmosphäre. Das sind die Wörter im Leben von Lisey Langdon. Also müssen sie auch in Liseys Geschichte über ihr Leben vorkommen. Rein stilistisch betrachtet fällt darüber hinaus auf, dass King mit vielen Metaphern, Parabeln, Analogien, Wortwitz und sonstigen rhetorischen Mitteln arbeitet, was in erster Linie Freunde des Interpretatorischen auf den Plan rufen wird. Schwarzer Humor wird natürlich auch bedient, sodass sich der Meister summa summarum sprachlich beinah selbst übertroffen zu haben scheint und seine erfrischend natürliche Sprache, die von hoher Begabung zeugt, "Love" nur veredeln kann. Und das macht sie auch.

Fazit:

So ist "Love" nach einigen vorangegangenen schwächeren Werken des Kultautors endlich mal wieder eine rundum überzeugende Angelegenheit, die wohl viel mehr Fragen stellt, als diese zu beantworten. Das ist sowohl sprachlich als auch narrativ ganz hervorragendes Tennis, mit Figuren, die für den Leser greifbar und lebendig werden, de facto erwacht ihr Innenleben so grandios zum Leben, wie es nur Stephen King schreiben kann. Oder: Kings ungemein tiefgründige Allegorie, die verschiedenste Genres und logischerweise Verknüpfungen/Elemente zu/aus anderen Büchern des Meisters bedient, ist ein gutes Beispiel dafür, wie groß ein Roman eigentlich sein kann, dessen wahre Stärke sich erst zwischen den Zeilen erschließt.

9/10