Dienstag, 3. Februar 2009

Literatur: Wolfsmond 'Der Dunkle Turm V' (Stephen King), 2003



Story:

In dem kleinen Örtchen Calla Bryn Sturgis scheint alles eigentlich in Ordnung zu sein. Doch dies ist nur auf den ersten Blick so, denn alle 23 Jahre kommen die "Wölfe", unheimliche Wesen auf grauen Pferden, und rauben je ein Kind pro Ehepaar. Manchmal kommen die Geraubten nach Calla Bryn Sturgis zurück, doch sind sie dann zu begriffsstutzigen Idioten, zu einer "leeren Hülle", geworden. Als Roland, Eddie, Susannah, Jake und Oy hier eintreffen, steht der Besuch der Wölfe kurz bevor, und diesmal haben sich einige Bewohner vorgenommen ihr Kind nicht einfach seinem Schicksal zu überlassen. Die Revolvermänner werden von ihnen um Beistand gebeten. Ein Kampf, der in rätselhafter Verbindung mit dem New York des Jahres 1977 in Verbindung stehen mag...

Kritik:

Die Suche nach dem Dunklen Turm geht weiter. Doch spätestens mit dem fünften Band "Wolfsmond" Stephen Kings epischer Fantasy-Saga, basierend unter anderem auf Robert Brownings poetischem Gedicht "Herr Roland kam zum finstern Turm", dürfte sich endgültig herauskristallisieren, das jene Suche nach eben jenem architektonischen Bauwerk, dem ewigen Mysterium der Zeit, weitaus komplexer und weitaus größer als bisher angenommen daherkommt. Das fängt schon damit an, dass "Wolfsmond" viele neue Aspekte thematisiert, sie tangiert und die Geschichte somit einen nicht gerade kleinen Bruch macht. Anders als wie im meisterhaften Vorgänger "Glas", bringt King allerdings wieder seine Protagonisten, allen voran sein gesamtes Ka-Tet ins Spiel, er entwickelt es weiter, er bringt abermals völlig noch unbekannte Aspekte ins Spiel. Jake Chambers (deutlich erwachsener geworden) darf nun seine erste Zigarette rauchen, er hat außerdem einen etwa gleichaltrigen Freund gefunden, der jedoch ein tragisches Ende finden wird. Susannah Dean steht vor einem neuen Problem. Ihre Shizophrenie nimmt in Form ihres dämonischen Kindes einer wiederum dämonischen Persönlichkeit (Mia) groteske Züge an. Unser Revolvermann Roland kann zudem seine Gesangs- und Tanztalente erstmals unter Beweis stellen. Hinzu kommt in der Gestalt Pere Callahans eine weitere Figur, die King als neues Mitglied der Gemeinschaft konzipiert. Und der abermals aus dem King´schen Universum entspringt – Leser werden sich an "Brennen muss Salem" erinnern. Ein Frühwerk des Autors, dem später noch eine besondere Rolle zu teil werden wird. Aber auch sonst ist die Vielfalt der Charaktere um ein Vielfaches gewachsen, was an gewissen Stellen leider impliziert, dass man manchmal gar den Überblick zu verlieren vermag – vor allem durch diverse tendenziell eher uninteressante Figuren, die in "Wolfsmond" doch zur Genüge auftreten.

In seiner Narration ist "Wolfsmond" durchaus kreativ erzählt. Es gibt wieder einmal viele interessante Probleme zu bewältigen, Lösungen sind nicht wirklich in Sichtweite. Auch wenn Band Nummer fünf in Punkto Kurzweiligkeit nicht ganz an seine Vorgänger anknüpfen kann, kann man ihm schon eine ungemein erzählerische Kraft attestieren, die vor allem in etwaigen Rückblenden zur Geltung kommt. Rückblenden, bei denen King in erster Linie Gegenwart und Vergangenheit, Wirklichkeit und Fiktion, Wirklichkeit und Roman zusammenmixt und immer wieder zwischen diesen hin- und herspringt – New York spielt dabei eine nicht unwichtige Rolle. In diesem Kontext ist es hauptsächlich die kolossale und nichtsdestotrotz grandiose Rückblende Pere Callahans, von seinem Leben als hoffnungsloser Säufer und sozialer Versager, die einen ganz und gar besonderen Stellenwert im Roman einnimmt und eigentlich locker für ein ganzes Buch prädestiniert wäre. Doch King teilt sie in drei Bereiche ein und lässt nebenher den Leser teilhaben, teilhaben an des Autors letzte Stadt der Vampire - Jerusalem´s Lot -, die das Leben des Protagonisten entscheidend verändern wird, und somit also einen zusätzlichen, schlussendlich auf jeden Fall adäquaten Vampir-Touch in die metaphorische Allegorie einbettet. Abgesehen davon, ist "Wolfsmond" um einiges mehr King, als es noch bei "Glas" der Fall war. Diesmal muss nämlich wieder eine ganze Stadt für so allerhand mysteriöse Vorkomnisse und Scherereien herhalten. King schafft es dabei, Calla Bryn Sturgis gar eine realistische Fassade zu verleihen, mit originellen Marotten, Ritualen seitens der Bewohner und allem, was dazu gehört. Diesen Mikrokosmos lebendig werden zu lassen – allen voran die Sache mit der Lady Oriza und den gleichnamigen Waffen überzeugt auf ganzer Linie. Doch letztlich ist die Stadt nur ein Vorwand, denn alles läuft auf den großen Showdown hinaus, auf den eigentlichen Kampf zwischen dem Ka-Tet und den Wölfen, deren Geheimnis und eigentliches Aussehen mit viel Spannung in die Tat umgesetzt ist. Dieser finale Kampf ist in seiner Summe jedoch ein wenig zu kurz geraten, sodass die (im wahrsten Sinne des Wortes) blutige Schlacht schnell zu Ende ist und King nach dieser, seinen obligatorischen Cliffhanger aus dem Ärmel zieht, um die narrative Brücke zu "Susannah" zu schlagen.

Und genau an diesem Gesichtspunkt scheiden sich nicht nur die Geister, sondern auch eingefleischte King-Fans. Denn "Wolfsmond" ist der erste Band der Saga, der einige richtige Kontroversen mit sich zieht. Nicht nur der skurrile Cliffhanger als solches, in dem ein bestimmtes Buch eines bestimmten Autors plötzlich für Furore sorgt, dürfte Anlass zu Diskussionen und Spekulationen geben, nein, es sind vor allem die zahlreichen popkulturellen Seitenhiebe, welche "Wolfsmond" in anderem Licht erscheinen lassen. Seien es nun Laserschwerter aus "Star Wars" oder hochtechnisierte "Kugeln" aus "Harry Potter", mit denen die Wölfe kämpfen, sei es die Grundkonstellation der gesamten Thematik als solches, die nicht von ungefähr an John Sturges "Die glorreichen Sieben" erinnert, Kurosawas "Die sieben Samurai" oder auch viele andere Referenzen und Bezüge zu Kings gesamtem Schaffen. Man kommt um den Anschein nicht drumherum, als wenn sich im "Der Dunkle Turm"-Zyklus alle fantastischen Geschichten mehr oder weniger auf einmal versammeln und dort ihren Ursprung finden. Alle in einem einzigen Universum, in Kings schriftstellerischem Lebenswerk. Ob das nun unbedingt so gewollt war, ist allerdings fraglich. Faszinierend ist es aber allemal.

Fazit:

Was ist zum Abschluss noch großartig zu sagen? Ganz einfach: Stephen King macht weiter, so wie wir ihn kennen und lieben. Er verknüpt in "Wolfsmond" nicht nur die Mythologie der Serie, sondern auch tiefergehende Charakterzeichnung seiner Protagonisten. Er lässt viele neue Ideen aufblitzen, bei dem es von allen Dingen die kleinen, aber wichtigen Details sind. Auch wenn der fünfte Band nicht ganz die Qualität seiner Vorgänger erreicht und im Mittelteil aufgrund seiner Überlänge ein wenig träge und undurchsichtig (die Zahl 19, die schwarze Dreizehn, Cuthberts letzter Kampf auf dem Jericho Hill) daherkommt, die typischen magischen Momente eines Stephen King, seinen lebendigen Schreibstil, findet man auch hier zuhauf. Alles steuert also so langsam auf ein großes Finale zu.

8/10