Ganz unabhängig davon, dass
"Kill Bill – Volume 1" unterm Strich tatsächlich scheinbar kaum auffällig-selbstzweckhafter mit Stil, Zauber und Verweis seines verrückten Videothekars maßlos vollgefressen ist, markiert
"Kill Bill – Volume 1" nichtsdestotrotz eine Art Zäsur in Quentin Tarantinos bisheriger Regiekarriere, die sich vor seinem Epos aus drei Filmen zusammensetzt. Verschwunden ist sie, die schmuddelige, abgefuckte, triste, ausgelaugte Großstadtatmosphäre aus
"Reservoir Dogs", aus
"Pulp Fiction", stattdessen werden die Bilder geglättet, beleuchtet, auf Vordermann gebracht und auf Hochglanz poliert. Tokio erstrahlt, das Blut erstrahlt, die Wunden zerschnittener Körper erstrahlen, wie alles in diesem ersten
"Kill Bill". Verschwunden ist es, das verschachtelte, sprunghafte, ehrgeizig auf episodische Kurzgeschichten manövrierende Erzählwerk. In
"Kill Bill – Volume 1" wird zwar auch kapitelweise und gegen die Chronologie der Ereignisse erzählt, aber insgeheim folgt Tarantino einer für seine Verhältnisse geradezu stringenten Rachehandlung ohne explizite Verzweigung. Verschwunden ist er, der hemmungslos illustre Cast aus fünf, sechs, sieben, acht weltberühmten Gesichtern und der damit einhergehenden Fokussierung nicht etwa auf einen Protagonisten, sondern gleich aller.
Nein, erstmals schrieb Tarantino ein Drehbuch, passgenau zugeschnitten auf eine einzige Figur, der Rache auf kalt servierenden *piep*, gespielt von einer ebenso physisch durchtrainierten wie psychisch mannigfaltigen Uma Thurman, die ihre persönliche Abrechnung in aalglatten Gesten schultert. Genauso eliminiert: das bedeutungsschwangere Quatschen über die unwichtigen Dinge des Lebens, bekannt als "Tarantino-Dialoge", längst verankert im Einmaleins postmodernen Filmemachens. Keine Diskussionen über Fußmassagen mehr; die Füße samt Zehen werden gleich in Großaufnahme eingefangen, spart ja Zeit und ist direkter im Umgang mit des Regisseurs ausgeprägter Fußliebe. Überhaupt opfert Tarantino zugunsten der Geradlinigkeit seiner überraschend spektakulären Geschichte ausschweifenden Klamauk und empfiehlt sich – auch hier: erstmals – für ein Bewerbungsgespräch als veritabler Actionregisseur, dessen famos durchchoreographierte Faust- und Schwertkämpfe trotz ihres eigenwilligen Comiccharakters genau das evozieren, was man heute mit der Ausrede des Mittendrin und der auf kommerziellen Aspekten fußenden Familienunterhaltung zu zerstören versucht: Überschaubarkeit, Härte, Kinetik, Energie.

Alle anderen filmischen Motive lassen sich auf die kleinste gemeinsame Steigerung herunterbrechen, gleicht man sie mit dem Debüt
"Reservoir Dogs", dem vergötterten
"Pulp Fiction" und dem unterschätzten Meisterwerk
"Jackie Brown" ab: durchtriebener. Durchtriebener das Plündern in der Querverweiskiste. Hier Eastern, da Asia, dort wieder Augenpaare (Italo-Western), darüber die 70er-Jahre (facettenreiche Niederkniemusik) und dazwischen sanfte japanische Weisheiten, zwischen dem brutalen Anime und dem traditionellen Hong-Kong-Film. Verehrung gleich Verbeugung gleich Referenz; niemals war Tarantino kompromissloserer Art-Director, leidenschaftlicherer Kinogänger, cineastischerer Nerd, spielfreudiger, so spielfreudig wie ein kleines Kind beim Geschenkeaufreißen zu Weihnachten. Im Gegensatz zu den seelenlosen Albernheiten eines Robert Rodriguez bleibt es bei Tarantino eben nicht bei der bloßen Aufschichtung popkultureller Haupt- und Nebenströmungen. Seine rot-gelb verfärbte Gewaltoper erweitert das regellose Tarantino-Universum mit neuen unorthodoxen Gesetzmäßigkeiten, in denen sekundenlange Fontänen an Blut aus sämtlichen Körperteilen bis an die Decke spritzen.
Vor allem jedoch manifestiert sich Tarantinos Bildsprache in der Gratwanderung zwischen Grausamkeit und Ästhetik. Tarantino, der Ästhet, der Künstler. Immer bereit, dem Ekel seinen Ekel mit Hilfe der Schönheit zu nehmen. Die Beispiele in
"Kill Bill – Volume 1" sind diesbezüglich lang, der gesamte Film ist berauschendes Sinneschaos. Den Split Screen hat Tarantino aus
"Jackie Brown" entnommen, ein erstes Highlight im Krankenhaus, wenn in der linken Seite die Arme und Venen der Braut gezeigt werden, während im rechten Bereich die hineinstechende Spritze vorbereitet wird. Oder der erste Frau-gegen-Frau-Kampf zu Anfang, die nicht enden wollenden Filter und, natürlich, schwarz-weiß. Nicht zu vergessen der tobende Showdown im Haus der Blauen Blätter, ein wahnwitziges Massaker, dem eine wahnsinnige Plansequenz voraus geht (Kamera: Robert Richardson). Infolge dieses Finales findet Tarantino kraftvolle Montagen und betörende Kontraste, aus denen die Farben sprießen. So kämpfen die schwarz schattierten Schwertschwinger in blauem Licht und der minimalistische, aus Schritten und Blicken geformte Endkampf gegen Lucy Liu wird vor einer poetischen Schneekulisse ausgetragen, ehe
"Kill Bill – Volume 1" eine fiese Brücke zum zweiten Film schlägt. Formidabler Größenwahn auf eleganteste Art.