Freitag, 1. Juli 2016

Dokumentation: "Picasso" / "Le Mystère Picasso" [F 1956]


Liebevoll führt der Maler den Pinsel. Er schreibt Schöpfungsgeschichte, das Kind, seine Eltern, eine Familie; das Licht katapultiert sich aus der Dunkelheit bemalter Abschnitte. Henri-Georges Clouzot lockte Picasso, den Picasso, vor die Kamera. 20 Bilder sollte er umsetzen, überschreiben, nachkorrigieren, organisch entwickeln – avantgardistische Strichvernetzungen, kubistische anatomische Verzerrungen und farbexplosive menschliche Panoramen. Clouzots "Picasso" wird Picasso auf ungemein ehrliche Weise gerecht, denn er veranschaulicht und figuriert einen anstatt erschöpfend theoretisierenden eher praktisch nachweisbaren Prozess, das Innere im Äußeren auszudrücken. Der Kunst des oberkörperfrei arbeitenden, wuselnden Spaniers, gleichfalls aber auch der Kunst des Schaffens per se, verleiht Clouzot die nötige obsessive Energie, damit aus Strichen Bedeutungseinheiten werden. Diese hypnotisierende Dokumentation bildet aber nicht ausschließlich ab. Ab und zu konterkariert Clouzot die meditative Struktur seines Kunstessays: Etwa zur Halbzeit kippt dieses in einen Thriller, sobald der Regisseur (Clouzot) den Künstler (Picasso) anweist, in wenigen verbliebenen (Filmrollen-)Minuten das derzeitige Bild zu beenden und der Schnitt die Zeit verkürzt. Picasso indes kommentiert vereinzelte Werke – ohne sich allzu viel erklären zu müssen. Die "Erklärung", die "Beantwortung" sowie das "Lückenstopfen" hingegen muss der Betrachter für sich finden. Picasso war kein Suchender, sondern einer, der bereits dann gefunden hat, wo andere noch die bloße Idee zu packen versuchten.

6 | 10