Montag, 8. Oktober 2012

Aktion Lieblingsserie: Mit Dana Scully beim Tanz


Wissen Sie, das mit den beiden und mir, das liegt lange zurück, das reicht bis in meine Kindheit. An die Ursprünge erinnere ich mich, ich kann sie fühlen. Ich kann Ihnen sagen, dass ich normalerweise keine fanatischen Gläubigen mag, aber er war der erste fanatische Gläubiger, den ich mochte. Normalerweise mag ich auch keine verbohrten Wissenschaftler, aber sie war die erste verbohrte Wissenschaftlerin, die ich mochte. Er war der erste Gläubiger, dessen leidenschaftlicher Glauben an irgendetwas da draußen jenseits der Sterne eine Wahrheit formulierte, die nicht aus Wörtern bestand, sondern aus dem Auf- und Untergehen der Sonne.

Und sie? Sie war die erste Wissenschaftlerin, die sich breitschlagen ließ zu lächeln, wenn etwas nicht ihren naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten entsprach. Wirklich. Lachen und Freude und Schadenfreude und die Hoffnung und der ganze Rest – uns hält etwas zusammen, wir haben etwas Unergründliches gemeinsam, wir sollten tanzen. Sie, das sind Agent Dana Scully und Agent Fox Mulder, das sind zwei Helden, an denen ich mich klammere und vor der reinen, aufrichtigsten aller Wahrheiten, der Liebe, nicht mehr loslassen will. Ich will nicht mehr loslassen. Ich habe mich verliebt. Verzeihen Sie mir, dass ich Ihnen das gestehen muss, wenn sie gerade eine Scheidung hinter sich haben, aber so ist es nun mal.

Ich spiele die Rolle des passiven Beobachters, während die beiden vor mir das tun, was sie tun. Sie untersuchen, erforschen, ergründen, sie plündern die Wissenschaft und beackern die Religion, sie stellen die Wahrheit dem Glauben gegenüber und andersherum, sie ziehen sich auf und belächeln den anderen verschmitzt. Sie sind zwei Seelen, die einander brauchen, gewissermaßen zwei Außenseiter, was sie aber nicht daran hindert, dass sie das weiterhin tun, was sie tun müssen, weil es kein anderer macht: Sie beißen sich fest. Und sie schauen und beobachten ganz genau. Er glaubt alles, sie glaubt gar nichts, ich wiederum glaube, dass da draußen etwas existiert, woran es sich zu glauben lohnt.

Wie Scully und Mulder sich zum ersten Mal begegnet haben, wie könnte ich das vergessen. Es war in der Hauptzentrale des FBI, in einem eng gestaffelten Raum eines Alien-Freaks, bunt, nostalgisch, verrückt und Resultat einer unbegrenzten Fantasie. Sie hatte eine große runde Brille, er saß vertieft an seiner Arbeit, ihr Gesichtsausdruck besagte, dass sie sich unwohl fühlte, umringt von Geheimnissen und Verschwörungstheorien. Ich muss gestehen, ich würde mich auch unwohl fühlen, ist es doch so, dass Verschwörungen, also der unverfälschte, der andere Blick in die tieferen Schichten und Zusammenhänge, stets etwas Irritierendes an sich haben. Ich weiß nicht genau, wie ich das beschreiben könnte. Ich muss kapitulieren.


Zu Mulder: Der war erstaunt ob eines neuen Partners, eines – wie geschieht mir nur?! – weiblichen Partners. Um Himmel Willen, ein weiblicher Partner, eine Frau, gleichermaßen naiv wie grün hinter den Ohren, eine befehlsempfangende Marionette jener Regierung, die Mulder an der Nase herumzuführen versucht. Wie könnte das gut gehen? Mulder wird angetrieben von der Entführung seiner Schwester, die, wie er glaubt, außerirdischen Ursprungs ist. Scully wird angetrieben von ihrer persönlichen Zeitenwende, der Ziellosigkeit nach ihrem Medizinabschluss, die sie bis ins FBI getrieben hat. Scully und Mulder sind vor allem zwei Suchende, wahlweise nach Erlösung oder dem persönlichen Glück am Ende einer Reise, die sie bestreiten müssen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig. Sie wählen ihre Pfade und Lebensabkürzungen, die ihnen vermutlich doch vorherbestimmt sind.

Sie müssten für mich bescheuert halten, wenn ich Ihnen sagen würde, dass die beiden in Methode und Handwerk ungleichen Ermittler, und zwar so ungleich wie das Verhältnis der Nacht zum Tag, sich anfänglich mehr voneinander distanzierten oder gar entfremdeten, wenn sie eigentlich füreinander geschaffen sind. Das war aber kurzzeitig tatsächlich so. Sie belauerten sich und hielten den jeweils anderen für – ich benutze dieses Wort noch einmal, weil es den Sachverhalt trifft – bescheuert, was sich zum Beispiel im genervten Augenroller äußerte. O je, schon wieder Außerirdische, Mulder, glauben Sie etwa an alles? Nach dem Motto eben. Doch je auswendiger sie die Marotten ihres Partners kannten, desto stärker näherten sie sich ihnen an. Kurze Gesten, das Berühren der Hände, ein verträumter Blick der Vertrautheit, die Bewegung eines angedeuteten Kusses im Nebel der Wahrheit, festigten das Fundament, auf dem sie gemeinsam standen. Und mehr und mehr waren sie nicht mehr zu trennen. Wir waren nicht mehr zu trennen.

Ich sehe sie gerade vor mir, müssen Sie wissen. Scully und Mulder sitzen an einem Tisch in einer Kneipe, in der im Hintergrund Cher einen poppigen Song in die Menge schmettert, es ist "Walking in Memphis", alle tanzen sich in Ekstase dem Gefühl der Freiheit hinterher. Ich möchte Scully darum bitten, dass sie mit mir tanzt. "Es Augenblicke, in denen die Zeit tatsächlich stehenbleibt. Und wir müssen wachsam sein, um sie auch wahrzunehmen", hat John Irving geschrieben. Ich gehe zu ihr. Darf ich bitten, Schätzchen? Denn Tanzen, meine Liebe, ist Leben.

Gemeinsam bewegen wir uns weiter. 


unbearbeiteter Originalartikel