Mittwoch, 6. Mai 2009

Literatur: Duddits (Stephen King), 2001



Story:

Pete, Henry, Jonesy und Biber sind seit Jugendzeiten die größten Freunde. Jeden November treffen sie sich zu einem Jagdausflug in den Wäldern von Maine. Doch aus diesem scheinbar harmlosen Ausflug wird realer Horror, denn etwas epidemisch Asbreitendes wütet in den Wäldern. Etwas, mit dem niemand gerechnet hätte. Schnell ist zudem die Frage geklärt, ob wir tatsächlich allein im Universum sind. Ein hoffnungsloser Kampf gegen diese Krankheit, auch gegen das skrupellose Militär steht den ungleichen Männern bevor, bis sie sich an ihren alten Freund Duddits mit seinen besondern, weil telepathischen Fähigkeiten erinnern...

Kritik:

Stephen King hat "Duddits" während eines Krankenhausaufenthaltes nach einem schweren Unfall – quasi als Erholung gedacht - vollständig mit Hand geschrieben. In der Nachbemerkung des Buches wird außerdem klar, dass er lange nicht mehr so dicht an der Sprache dran war. "Duddits" ist eine Geschichte, die sich einerseits dem Motiv der Telepathie verschreibt, andererseits der UFO-Thematik, bei denen es in Kings umfangreichem Ouevre wahrlich nicht viele Bücher gibt, die diesen Sachverhalt tangieren. "Duddits" ist aber vor allem aus des Autors Versatzstücken zusammengebastelt. Da gibt es deutliche Parallelen zu Kings Meisterwerk "Es" (Derry ist mal wieder der Schausplatz des Grauens), da gibt es ebenso die obligatorischen King´schen Zutaten á la Freundschaft, Kindheit, Aliens und Militär. Somit ist "Duddits" keineswegs eigenständig, sondern bietet im Grunde genommen nichts Neues. Macht aber nichts. Anfangs präsentiert sich "Duddits" als durchaus spannend und packend. Erstmal werden dem Leser die Protagonisten vorgestellt, de facto telepathische Figuren. Bereits hier lässt sich zwar konstatieren, dass King nicht so eine große Nähe – warum auch immer – zu seinen Charakteren wie sonst aufbauen kann, sodass man nicht vollständig in ihr Schicksal eintauchen kann, spätestens mit dem Eintreffen des ersten Opfers von den mysteriösen Aliens in der Jagdhütte der 4 Freunde wird aber klar, dass "Duddits" trotz der vielen Elemente aus Kings Mottenkiste irgendwie doch anders ist. Insbesondere in Bezug auf die Kontrastierung zwischen der Jugend und des mittleren Alters seiner Akteure, also der 4 Freunde, beweist der "Horrorpast" einmal mehr eine sowohl schriftstellerische als auch menschliche Reife, die sich in seinen Werken weiter fortführen wird. Diese Andersartigkeit spiegelt sich ebenso in der Darstellung des Militärs wider. King hat mit der Figur des Offiziers Kurtz einen wahrhaft bösen, zynischen und kalten Antagonisten erschaffen, der durch seine urplötzlichen, ausufernden und unberechenbaren Gewaltausbrüche vielleicht der einzige ist, bei dem die Charakterisierung am gelungensten ist. Aber auch sonst betrachtet Stephen King das Militär mit einem gewissen Augenzwinkern als gewissenlose Macht, die alles unter Kontrolle zu haben scheint, letztlich dann aber doch den Kürzeren ziehen muss, auch wenn sie trotzdem noch an den Triumph des Sieges glaubt. Hin und wieder erinnert diese Porträtierung an die Nazideologie des Dritten Reiches, insbesondere dann, wenn Kurtz die Ermordung hunderter unschuldiger Zivilisten plant, die sich mit dem tödlichen Virus angesteckt haben.

So weit, so gut. Der Anfang ist gemacht, er ist atmosphärisch, er wirkt obschon der Annahme, das alles schon mal gelesen zu haben, befriedigend. Kein Meisterwerk, für den kleinen literarischen Hunger für zwischendurch aber allemal geeignet. Doch dann tritt der Mittelteil des Romans ans Tageslicht, in dem King alles zerstört, was er vorher so sorgsam aufgebaut hat. Jetzt dreht sich alles nur noch um innere, ungemein verschachtelte Monologe (Jonesy – Mr. Gray), um die Telepathie, die von King selbstverständlich nicht hinterfragt wird. Stattdessen wirkt sie als sehr vereinfacht dargestellt, fast so, als sei sie auf optische Umsetzbarkeit getrimmt, so wie für ein Drehbuch. Es entsteht ein aufgesetztes, schrecklich redundantes, ein verkrampftes Wirrwarr aus esoterischem, bedeutungsschwangerem Geschwätz und hektischen Zeitsprüngen, bei dem der Tenor bis zum Schluss unklar bleibt. Die ansich eigentlich viel interessantere Alien-Thematisierung wird dabei in den Hintergrund gedrängt, die ansich eigentlich viel interessantere Verfolgungsjagd zwischen Kurtz, Henry und Jonesy, diese zugegebenermaßen lobenswerte Montage, wird immer wieder durch übersinnliches Gedöns unterbrochen. Ja, der Plot entwickelt sich mit rasender Geschwindigkeit zur dramaturgischen Katastrophe, konstruiert, albern und so etwas wie Plausibilität oder echtes erzählerisches Gewicht kennt "Duddits" offenbar nicht. Was soll dieses Buch überhaupt aussagen? Dass man es sich erst überlegen sollte, wenn man aufs Klo geht? Was ist die Intention? Und wer ist eigentlich dieser mongoloide Duddits in Wirklichkeit, der stark an John Coffey aus "The Green Mile" erinnert? Aufgrund etwaiger Oberflächlichkeiten in der Handlung, bleibt auch das im Verborgenen. Erst im spannenden Showdown erreicht das Buch wieder annähernd die Qualität des Anfangs.

Abgesehen davon, betritt Stephen King mit "Duddits" eine neue Liga der Obszönitäten, der Geschmacklosigkeiten und diverser Körperflüssigkeiten. Man möchte fast meinen, dass King einen großen Drang zu explizit ausformulierten Ekelszenen hat. Nicht, dass er das auch schon früher hatte, doch hier wird die Grenze definitiv überschritten. Und ob das dann unbedingt immer von Relevanz für die Handlung ist, darf in Frage gestellt werden. Auch bestimmte Neologismen wie "Kackwiesel" oder Kraftausdrücke wie "Gut wie frisch gefickte Eichhörnchen geht's uns!" finden sich im Roman ein, die zum Teil jedoch mehr gezwungen, denn gekonnt sind, die auf Dauer sogar mehrfach anfangen zu nerven und den Leser überfordern. Irgendwann nutzt sich diese vulgäre Sprache halt einfach ab. Es fehlt an Subtilität, die King - und das hat er schon mehrfach unter Beweis gestellt – nahezu perfekt beherrscht, auf die er hier jedoch unverständlicherweise nicht zurückgreift. Hinzu kommt, dass King sich gar nicht erst die Mühe macht, die grotesken Geschehnisse rund um den Alienpilz und die daraus resultierenden grausamen Verstümmelungen vernünftig zu erklären. Das Buch endet zwar mit einem Epilog, von dem man zumindest erwarten würde, dass wohl doch noch ein kleiner "Aha-Effekt" zu Tage tritt, aber nichts da. Alles, was darin angesprochen wird (unter anderem, dass die Aliens jederzeit wiederkehren können), weiß der Leser auch schon vorher. An dieser Stelle tritt nämlich die Frage wieder ein, die sich damit beschäftigt, was das Buch einem überhaupt übermitteln will. Eine Frage, die nicht mal rudimentär beantwortet wird.

Fazit:

Letztlich ist "Duddits", dieser "Alien"/-"Akte X"-Verschnitt, aufgrund der gelungenen, weil angenehm sentimentalen und melancholischen, ja, auch gruseligen, ersten Hälfte und einer wiederum gelungenen, weil mit ordentlich Drive und Action angereicherten, dritten ein Durchschnittswerk Stephen Kings. Hauptsächlich krankt seine Geschichte im Mittelteil, wenn man denn diese hanebüchene Unausgegorenheit als wirkliche Geschichte betiteln kann. Hin und wieder vermag "Duddits" zu fesseln, doch im Großen und Ganzen ist diese Melange aus verwirrender Zeitreise, provokanter Sprache, vielfach auftauchenden Personen (mitunter gibt es eine Figur gleich dreimal) und gewagten Experimenten, die sich dahingehend äußern, dass sich ein Protagonist beispielsweise von seinem Bewusstsein in seinem Körper trennt und sich dagegen in seinen Erinnerungen versteckt, um nicht entdeckt zu werden, ganz einfach zu surreal und unverständlich (auch an dieser Stelle wieder der Jonesy/Mr. Gray-Konflikt) daherkommt, als dass man sie mit großem Interesse lesen könnte. Es fehlt "Duddits" eindeutig ein roter Faden unter den hiesigen Handlungssträngen, der die lose ausgewurfenen narrativen Puzzleteile zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügt.

5/10